Die Familie Pitt -2-



„Gott weiß es“, sagte die Mutter, die bei der Erwähnung des Sohnes alles andere vergaß. „Er kommt nicht und schreibt nicht, und da oben scheint wirklich alles den Verstand verloren zu haben bei dem einen Gedanken: Gold!“


„Er wird in den Minen sein.“

„Ich kann mir jedenfalls nichts anderes denken“, sagte Mr. Pitt. „Allerdings wollte er schon vor beinahe acht Tagen zurückkommen, aber damals wurde ja die Postkutsche beraubt. Wenn er auch geschrieben hat, so sind doch alle Briefbeutel abhanden gekommen und wir wissen gar nichts von ihm.“

„Wenn er nur nicht selbst dabei war“, seufzte die Frau. Man sah es ihr an, wieviel Mühe sie sich gab, um gefaßt zu bleiben. „Es soll ja einer von den Passagieren erschossen worden sein.“

„Hat man denn darüber nichts Näheres erfahren?“

„Du lieber Gott, die Mutter ängstigt sich nur wegen einem Gerücht“, erwiderte Mr. Pitt. „Es wurde tatsächlich so etwas erzählt. Zu Anfang sollten sogar drei oder vier dabei umgekommen sein. Dann meldeten sich aber die Vermißten alle, und dann sprach man nur noch von einem. Aber selbst das glaube ich nicht, denn Blut vergießen die Bushranger nur ungern und selten. Von den Passagieren konnte man aber keinen sprechen. Sie hatten den Bericht von den Goldfunden mitgebracht, und deshalb gab es am nächsten Tag kein anderes Thema mehr. Der Überfall auf die königliche Mail wurde kaum beachtet und bestimmt auch nicht ernsthaft verfolgt. Die Schufte hätten für ihren Plan keinen besseren Moment finden können. Ich glaube noch nicht einmal, daß ihnen die Polizei nachgeschickt wurde.“

„Und von Charley haben Sie seit der Zeit gar keine Nachricht?“

„Keine. Vorgestern schrieb ich noch einmal nach Bathurst. Wenn da nicht alle davongelaufen sind, hoffe ich doch, wenigstens übermorgen sichere Nachrichten zu bekommen.“

„Sonderbar - er ist doch sonst so pünktlich“, sagte Holleck und schob seinen Teller zurück. „Na ja, ich komme ja jetzt selbst hinauf und kann mich dann gleich nach ihm erkundigen.“

„Und dann schreiben Sie uns doch sofort, nicht wahr?“ fragte die Mutter besorgt.

„Ganz bestimmt.“

„Bis dahin ist doch schon längst Antwort von Charley selbst da“, sagte Mr. Pitt kopfschüttelnd. „Mach dir doch wegen des Jungen keine Sorgen. Jetzt geht da oben alles drunter und drüber, und die jungen Leute haben den Kopf voll und denken erst zuletzt ans Briefeschreiben.“

„Ist das vielleicht richtig?“ sagte die Mutter.

„Richtig oder nicht“, lachte ihr Mann, „es ist menschlich, auch wenn der Kaufmann eigentlich nie den Kopf verlieren soll. Übrigens, wie wollen Sie denn in die Minen hinauf, William, zu Fuß? Das wird ein langer Marsch werden!“

„Nein, ich fahre mit der Mail.“

„Ich dachte, man müßte sich sechs oder acht Tage vorher einschreiben lassen, um einen Platz zu bekommen.“

„Ich hatte Glück, weil ein Passagier absagte, als ich im Büro war. Dadurch konnte ich gleich in seinen Platz eintreten.“

„Das war wirklich Glück. Aber jetzt muß ich fort, Kinder, denn ich habe noch eine ganze Menge für meinen Kapitän zu besorgen, damit er wieder glücklich aus dem Hafen kommt. Es ist erstaunlich, aber er hat noch seine ganze Mannschaft. Wäre nur der verwünschte Junge erst hier!“

„Und wohin soll Ihr Kapitän?“

„Ich will ihm eine Ladung für Neuseeland mitgeben, und wenn mir die Goldgeschichte keinen Strich durch die Rechnung macht, soll mein Junge ihn begleiten. Die Ladung selbst kann er in gut drei Tagen an Bord haben. Also, auf Wiedersehen!“ Damit ergriff Mr. Pitt seinen Hut und verließ das Zimmer.

„Wären Sie so freundlich und nehmen mir ein paar Zeilen mit zu Charley hinauf?“ wandte sich die Mutter an den jungen Mann.

„Gewiß, mit Vergnügen.“

„Mein Mann darf’s nicht wissen“, lachte die Frau verlegen. „Er spottet auch immer wegen meiner Sorgen, die ich mir mache. Kann ich es denn ändern, daß ich mich um meinen Sohn sorge?“

„Aber dann muß ich Sie bitten, mir den Brief bald zu geben“, sagte Holleck. „Denn um vier Uhr geht die Kutsche, und ich muß bis dahin noch ein paar Kleinigkeiten besorgen.“

„Wenn Sie einen Augenblick warten, schreibe ich ihn gleich“, sagte Frau Pitt und stand schnell auf. „Dann bin ich doch sicher, daß sie in seine Hände gelangen. Nur ein paar Minuten, Mr. Holleck, ich halte Sie nicht lange auf. Lieber Gott, ich will ja nichts weiter von ihm wissen, als nur, ob er noch lebt und ob es ihm gut geht.“ Holleck war mit Pauline und der kleinen Therese allein.

„Werden Sie lange in den Minen bleiben, Mr. Holleck?“ sagte Pauline. Sie war auch aufgestanden und trat an ihren Nähtisch.

„Wenn es von mir abhinge, Miß Pitt, würde ich gar nicht gehen“, sagte der junge Mann, der jetzt neben ihr stand. Er zog das Kind, das mit seiner Uhrkette spielte, zu sich heran.

„Und was zwingt Sie?“ lächelte das junge Mädchen.

„Das Leben selbst“, erwiderte Holleck ernst. „Ich muß mir eine Existenz gründen, denn schon zu lange habe ich mich nutzlos in der Welt umhergetrieben. Es wird Zeit, daß ich endlich einmal selbständig auftrete und mein eigener Herr werde.“

„Ließe sich das nicht hier in Sydney genauso leicht erreichen?“

„Vielleicht, ja, aber keinesfalls so schnell. Denn alle, die da oben an der Quelle sitzen, ziehen auch den größten und schnellsten Nutzen aus dem Gold, das die nächsten Monate herausgeholt wird.“

„Glauben Sie wirklich, daß die Berge so reich sind?“

„Ja - nach allem, was ich bis jetzt darüber gehört und davon gesehen habe. Und... wenn mir dann meine Arbeit gelingt... wenn ich nachher den Vater überzeugen kann...“

„Der Vater glaubt noch immer nicht all die Gerüchte, die jetzt die Stadt durchlaufen“, unterbrach ihn Pauline. Plötzlich bedrückte sie ein ängstliches Gefühl. „Er... wird Ihnen bestimmt dankbar sein, wenn Sie ihm sichere Nachrichten von da oben bringen können...“

„Und was wird die Tochter tun?“ fragte Holleck jetzt mit leiser Stimme, die kaum an Paulines Ohren drang und doch durch alle Nerven wie ein Messer schnitt.

„Wer? Ich?“ sagte sie und war sich kaum bewußt, was sie sprach. „Oh... ich würde mich bestimmt freuen, wenn Sie... Glück in den Bergen hätten... aber... es ist ein wildes Land... und nicht jeder fühlt sich dort wohl.“

„Und wenn ich dann vor Pauline trete“, fuhr Holleck eindringlicher fort, „wenn ich sie dann frage, ob sie...“

„Aber du tust mir ja weh!“ rief die kleine Therese dazwischen. „Sie nur, wie du mich mit deiner alten, häßlichen Kette gegen den Tisch gedrängt hast...“

„Da ist auch die Mutter schon wieder mit dem Brief“, rief Pauline, als sie nebenan eine Tür hörte. Es war ihr in diesem Augenblick, als würde eine Last von ihrer Seele genommen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Busch