Die „English Bottom“-Station -2-



„Ich habe Sie überrumpelt, Gertrud“, sagte Charles leise und bewegt. „Ich wollte Sie nicht erschrecken, aber glauben Sie mir, ich habe alles reiflich überlegt. Ich bleibe nur noch kurze Zeit in Australien. Meine Abreise nach Neuseeland wäre schon erfolgt, wenn die Entdeckung des Goldes, die entlaufenen Schiffsmannschaften und meine Verwundung nicht alles verzögert hätte. In dem wilden Land brauche ich eine treue Frau. Sie wissen ja selbst, wie schwer es hier in Australien ist, jemand zu finden, der zu einem paßt. Da fand ich Sie, Gertrud, und in mir stieg ein Gefühl neben der Sehnsucht nach Ihnen auf, das mir sagte, daß Sie sich hier nicht glücklich fühlen können, auch wenn Sie bei lieben Menschen sind. Ich kann mich geirrt haben...“, setzte er beruhigend hinzu, als er sah, daß Gertrud eine heftige, abwehrende Bewegung machte. „Aber in meinem Gefühl zu Ihnen irre ich mich nicht. Wollen Sie meine Frau werden?“


„Nein“, sagte Gertrud leise. Als sie die Hand von ihrem Gesicht nahm, glich es einem schönen Marmorbild, so starr und steinern sah es aus. „Ich kann... ich darf nicht.“

„Gertrud!“ rief Charles mit bitterem Ton.

„Glauben Sie nicht, Mr. Pitt“, setzte das junge Mädchen rascher und fast ängstlich hinzu, „daß ich Ihre Liebe nicht achte, daß ich nicht selbst fühle, wie ehrlich Sie es meinen. Dafür bin ich Ihnen wirklich dankbar, aber - fragen Sie bitte nicht weiter, machen Sie mich nicht dadurch noch unglücklicher, als ich es schon bin. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, daß es nicht sein kann. Gott schütze Sie auf allen Wegen, und der Gedanke an mich soll Ihnen nie eine trübe Stunde bereiten. Leben Sie wohl.“ Damit ging sie an seiner Seite vorbei und verließ rasch das Zimmer.

Charles hielt sie nicht mehr zurück. Ein eisiges Gefühl erfaßte sein Herz. Die kaum geheilte Wunde schmerzte wieder, er sank blaß und erschöpft in den Lehnstuhl zurück, in dem er liegenblieb, bis Henry von der Wegschenke mit den Briefen und Zeitungen zurückkehrte.

Draußen im Hof ging es inzwischen sehr lebendig zu. Ein kleiner Trupp Goldwäscher, die einen näheren Weg in die Berge einschlagen wollten, war vom Weg abgekommen. Sie hatten sich so verirrt, daß sie kaum die Hauptstraße wiederfanden. Glücklicherweise trafen sie einen von Mr. Suttons Schäfern in den Bergen, der ihnen wenigstens die Richtung angab. Erschöpft und halb verhungert und vor Durst fast verschmachtet erreichten sie endlich die Station. Sie wurden an die Wirtschafterin verwiesen, um von ihr etwas zu essen zu erbitten. Sie konnten im wahrsten Sinne des Wortes keinen Fuß mehr vor den anderen setzen.

Es waren vier Deutsche und der Führer der kleinen Schar, dem sich die anderen angeschlossen hatten, weil er zu Hause schon Bergbau betrieben hatte und deshalb hier natürlich auch gleich die reichsten goldhaltigen Stellen finden mußte. Er war eine besonders auffällige Persönlichkeit.

Seine Gestalt war klein, aber sehr korpulent. Er trug einen dünnen rötlichen Bart in seinem sehr dicken gutmütigen Gesicht. Mit seinen großen hellbraunen Augen bot der Bergmann Malchus allen Schicksalen seines Lebens eine so ruhige Stirn und setzte ihnen einen so fabelhaftes Phlegma entgegen, daß jeder in dieser grenzenlosen Ruhe einen eisernen Charakter vermutete. Dabei war Malchus gerade das Gegenteil davon. Er wollte nur aus Bequemlichkeit nicht gestört werden. Der heutige Marsch, der ihn zum erstenmal in seinem Leben mitten in das wilde, trostlose Treiben der Berge, in Mühen und Gefahren hineinriß, hatte ihn so gebrochen und zerknirscht, daß er sich mitten im Hof auf einen Baumstumpf in die Sonne setzte und keuchend und stöhnend den Schweiß an sich heruntertropfen ließ.

Einer der anderen, ein junger Fotograf aus Sydney, hatte gerade Gertrud angesprochen, die aus dem Haus kam. Er schilderte ihr mit wenigen Worten, wie sie hergekommen waren, und Gertrud ging zurück, um ihnen Erfrischungen zu holen. Trotz der Goldfunde war noch kein Wanderer von Mr. Suttons Station abgewiesen worden.

Als die Deutschen noch im Hof lagerten und sich mit Ausnahme von Malchus schattige Plätze zum Ausruhen suchten, traf ein anderer Trupp auf dem Hof ein. Eine so merkwürdig aussehende Gruppe konnte man aber auch nur in Australien antreffen.

Sie bestand aus einer Gruppe der herumziehenden Eingeborenen. Ihre früheren Wohngebiete waren von Weißen besiedelt worden, die sie vertrieben hatten. Jetzt zogen sie unstet herum. Die Bäume, die ihnen früher Harz geliefert hatten, waren gefällt. Das Wild, das sie für ihren Lebensunterhalt erbeuteten, war erlegt oder vertrieben, und den Nachbarstämmen durften sie nicht zu nahe kommen. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich ihren Unterhalt von den weißen Eindringlingen zu erbetteln. Wie sie sich früher vielleicht auf der Jagd oder bei ihren wilden Kriegszügen ausgezeichnet hatten, so entwickelten sie jetzt ein besonderes Talent für ihre neue Beschäftigung. Zäher im Betteln als diese einfachen Naturkinder konnte man sich niemand auf der Welt denken. Dabei stahlen sie auch, wo sich ihnen eine günstige Gelegenheit bot. Mal war es ein Schaf aus einer Herde mitten im Busch, mal ein Brot aus einer Rindenhütte, ein Huhn oder selbst ein Kalb von einer Station. Es mußte nur genießbar sein, anderes konnten sie nicht gebrauchen. Es war der Hunger, mit dem sie lebenslang einen erbitterten Kampf führen mußten.

Auffallend war ein Teil dieser kleinen Gruppe ausstaffiert. Oder hatte sie ein Ansiedler aus Spaß derart geschmückt? Denn kein wilder Volksstamm der Welt haßt jedes Kleidungsstück mehr als der Australier. Die Weißen erließen schließlich sogar Gesetze für die Stämme, die ihnen verboten, die Städte zu betreten, wenn sie nicht zumindest ein Hemd bis zum halben Schenkel trugen. Sonderbarerweise sträubten sich gerade die Frauen am längsten gegen den ungewohnten Zwang.

Hier im Landesinneren, wo sie draußen im Busch in ihren Gunyos kampierten, erkannten sie kein Gesetz an. Sieben von dem Schwarm, Männer, Frauen und Mädchen, kamen in der Tracht des Urwaldes in den Hof. Die Männer waren nur mit ihren Waffen, einer kurzen, leichten Keule und dem Bumerang geschmückt, die Frauen trugen ein kleines Netz über der Schulter, um eventuell Lebensmittel zu transportieren, sonst waren alle vollkommen nackt.

Nur zwei von ihnen, ein junger Bursche und eine ältere Frau waren mit europäischer Kleidung geschmückt. Der lange junge Mann trug alte schwarze Hosen und einen Frack in vorsintflutlichem Schnitt. Damit hatte er wohl schon seit langer Zeit in Regen und Sonnenschein im Busch gelegen, ohne daß eine Bürste an die Kleidung gekommen war. Natürlich ging er barfuß. Um den Nacken hatte er ein früher einmal hellblaues Seidentuch geschlagen und auf dem Kopf einen richtigen, wenn auch entsetzlich mitgenommenen Zylinder. Als er den Hof betrat, schwenkte er ihn elegant in alle Richtungen.

Die Frau, ein abschreckend häßliches Weib, hatte ihren dürren Körper in ein geblümtes Wollkleid gehüllt. Es hatte wohl auch einmal bessere Zeiten erlebt und unterstrich nur das Groteske der Erscheinung. Auf dem Kopf trug sie einen alten Seidenhut, mit einer Unmasse schmutziger, künstlicher Blumen, dazu eine rote Wollschärpe als Gürtel. Auch sie ging barfuß und trug wie die anderen Frauen ein altes Bastnetz mit einem Stück Harz und einem Rest halbgerösteter Hammelrippen.

Die nackten Eingeborenen wirkten neben ihr richtig elegant, weil sie sich natürlich bewegten und sie ihre Blöße nicht fühlten. Nur zu Anfang zeigten sie sich etwas schüchtern, weil sie nicht wußten, wie sie empfangen würden.

Der Stockkeeper kam gerade über den Hof und begrüßte sie auch mit kräftigen Flüchen. Er wußte ganz gut, wie sie ihm draußen im Busch alles stehlen würden, was sie in die Finger bekamen. Gertrud hatte sich aber stets freundlich gegen die Eingeborenen gezeigt. Sie winkte die jungen Mädchen heran und zeigte ihnen die Küche, wo sie zu essen bekommen sollten. Die Bewohner der Stationen waren zu sehr an die Erscheinung dieser Menschen gewöhnt, um an ihnen Anstoß zu nehmen.

Die Eingeborenen wurden von sieben oder acht Hundegerippen begleitet, die scheu neben ihren Herren standen. Zwei große langhaarige Kängeruhhunde, die auf dem Hof in der Sonne lagen, standen auf und umstreiften mit gesträubten Haaren und hochgehobenen Schwänzen die ruppige Schar. Genauso unsicher fühlten sich wahrscheinlich auch die Eingeborenen selbst mit ihren nackten Beinen in dieser Nachbarschaft. Sie griffen ihre „Waddies“ fester, um sich im Notfall verteidigen zu können. Aber die Stimme des Stockkeepers hielt die Hunde zurück. Vielleicht waren sie auch zu stolz, über solche Köter herzufallen, und leisteten dem Ruf langsam Folge. Jetzt legten sie sich vor das Herrenhaus, als ob sie den fremden Eindringlingen dort den Zutritt verweigern wollten.

Aber es befanden sich noch ein paar Eingeborene auf dem Hof, die bis jetzt von niemand beachtet wurden. Sie standen in einer Ecke und kamen jetzt langsam hervor, um den neuen Besuch zu betrachten. Es waren zwei Emus oder australische Kasuare, die schon seit mehreren Jahren zahm auf der Station lebten und oft auch kleine Streifzüge in die Nachbarschaft unternahmen, aber immer wieder zurückkamen. Sie nahmen von den schwarzen Männern und Frauen nicht die geringste Notiz und schienen es nur auf die fremden Hunde abgesehen zu haben, nach denen sie mit ihren langen, harten Schnäbeln hackten. Sie trieben die unglücklichen Kreaturen winselnd und knurrend noch dichter zwischen die Füße ihrer Herren.

Malchus, der der ganzen Gruppe den Rücken zudrehte, hatte wohl den Lärm der Neuankömmlinge gehört, war aber zu müde und zu gleichgültig gewesen, auch nur den Kopf nach ihnen umzudrehen. Er saß noch immer auf seinem Baumstumpf und wedelte sich mit seinem schon ganz durchnäßten Taschentuch Luft zu.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Busch