Der Weg zum Goldsee -2-



Etwa gegen zehn Uhr abends trennte sich die Gesellschaft. Jeder suchte sein Lager auf, der Nachtwind zog kalt und fröstelnd durch das Tal. Sie wollten auch alle wieder am nächsten Morgen früh an die Arbeit gehen. Viele konnten doch kaum das Tageslicht abwarten, das ihnen vielleicht die höchsten Erwartungen erfüllte - oder sie nicht etwa enttäuschen, sondern nur wieder auf den nächsten Tag vertrösten sollte.


Von Hafften hatte ein kleines englisches Zelt mit in die Minen gebracht, dazu eine Seegrasmatratze und ein paar Wolldecken. Das war für die Berge ein wirklich luxuriöses Lager, auf dem er auch prächtig schlief. Überhaupt gehörte er auch nicht zu denen, die der erste Sonnenstrahl schon bei der Arbeit traf. Er stand allerdings gewöhnlich mit dem anbrechenden Tag auf, bereitete sich dann aber erst in aller Bequemlichkeit sein Frühstück und schlenderte dann behaglich zu seiner Beschäftigung. Er arbeitete auch allein und wurde deshalb von keinem eifrigen Kameraden gedrängt.

Am nächsten Morgen sollte er aber doch auf ganz ungewöhnliche Weise gestört werden. Es war noch völlig Nacht, als er sich an der Schulter gefaßt und leicht geschüttelt fühlte. Was war das? In den Minen galt ein strenges, stillschweigend von allen anerkanntes Gesetz: Niemals in ein fremdes Zelt ohne Erlaubnis zu treten - und ganz besonders nicht bei Nacht. Niemand fürchtete hier zwar inmitten der anderen Zelte einen Überfall, aber die Miner trugen doch ihre Revolver, um am Tag gegen umherstreifendes Gesindel sicher zu sein. Nachts lag die Waffe griffbereit beim Lager. Wenn man sie auch nicht gebrauchte, gab es doch ein Gefühl der Sicherheit.

Auch Hafften hatte die sechsschüssige Waffe stets neben sich liegen. Sein erster Griff war auch danach, kaum daß er etwas Bewußtsein erlangte. Aber er fühlte noch immer die Hand auf seiner Schulter, und eine leise Stimme sagte:

„Keine Sorge, Herr von Hafften, ich bin es, Ihr Reisegefährte von der Straße, der Ihnen seinen Dank für Ihr gestriges Eingreifen abstatten möchte.“

„Aber, lieber Mann“, lachte Hafften, der ihn jetzt auch an der Stimme erkannte. „Sie haben sich dazu eine merkwürdige Stunde ausgesucht. Es muß etwa Mitternacht sein.“

„Im Osten dämmert schon der Tag“, sagte der Fremde ruhig. „Ich bin nur deshalb so früh gekommen, weil ich Sie einladen wollte, mich zu begleiten. Niemand darf uns aber weggehen sehen, damit keiner die Richtung verfolgen kann.“

„Niemand darf uns weggehen sehen?“ wiederholte Hafften, der erst jetzt den Schlaf vollständig abschüttelte. „Lieber Freund, was zum Henker fällt Ihnen denn ein? Wir wollen doch nicht etwa durchbrennen?“

„Nein“, sagte der junge Mann leise, „aber wir wollen zum Goldsee.“

„Zum Goldsee?“

„Pst! Rufen Sie das Wort nicht so laut“, warnte ihn der Fremde. „Die Zeltwände sind nur dünn!“

„Aber ich begreife Sie nicht!“

„Herr von Hafften, Sie waren immer freundlich zu mir. ich hoffe, daß ich das heute gutmachen kann“, sagte der Fremde ernst. „Ich kenne den Platz, der jetzt das Ziel Tausender ist, den aber alle vergeblich suchen werden.“

„Sie wissen, wo der Goldsee liegt?“ entgegnete Hafften. Er fuhr erstaunt von seinem Lager auf. Die Gerüchte waren an ihm nicht spurlos vorübergegangen.

„Ich kenne ihn, aber beeilen Sie sich. Wir könnten beobachtet werden, und ich möchte uns nicht einer solchen Gefahr aussetzen“, drängte der Fremde.

Hafften war ganz durcheinander. Er hatte den Fremden bis jetzt immer nur für einen harmlosen und unpraktischen Träumer gehalten und ihn deshalb in Schutz genommen. Aber der Mann sprach in diesem Augenblick so zuversichtlich, daß er nicht wußte, was er von der Einladung halten sollte. Trotzdem sprang er von seinem Lager auf und war in wenigen Minuten angezogen.

„Und was nehmen wir mit?“ forschte er ungläubig. „Unser Handwerkszeug?“

„Alles, was wir brauchen, habe ich bereits vor dem Zelt liegen“, lautete die Antwort.

„Bleiben wir über Nacht?“

„Wahrscheinlich.“

„Dann muß ich meine Decken mitnehmen.“

„Wenn Sie wollen, aber es ist nicht nötig. Wir können uns durch ein gutes Feuer wärmen.“

„Zum Henker, die Nächte sind jetzt verwünscht kalt.“

„An den Decken haben Sie zu schwer zu tragen.“

„Und Lebensmittel?“

„Nahrung müssen wir mitnehmen. Aber wir haben keinen Augenblick Zeit mehr zu verlieren.“

Hafften war sehr ordentlich. Er konnte alles in seinem Zelt im Dunkeln finden, und in wenigen Minuten hatte er zusammengerafft, was er selbst für eine kurze Expedition für dringend erforderlich hielt. Einen kleinen Taschenkompaß und seinen Revolver steckte er ebenfalls zu sich. Dann erklärte er seinem kauzigen Freund, daß er bereit wäre, ihm zu folgen. Alles war so rasch gegangen, der junge Fremde hatte ihn aus einem so tiefen Schlaf aufgerüttelt, daß von Hafften eigentlich erst zur Besinnung kam, als er die frische Morgenluft im Gesicht fühlte. Im ungewissen Dämmerlicht stolperte er über die großen Kieselblöcke im Oak Creek, um von seinem Gefährten in die Berge geführt zu werden.

Solange sie noch Zelte um sich hatten, sprach er selbst kein Wort. Als sie aber das letzte hinter sich hatten und eben eine kleine Schlucht aufwärts stiegen, blieb er plötzlich stehen und sagte lachend:

„Also, jetzt sagen Sie mir aber auch, wohin wir eigentlich wollen. Ich muß aufrichtig sagen, daß ich noch nicht richtig begriffen habe, was wir heute vorhaben.“

„Glauben Sie, daß ich es gut mit Ihnen meine?“ erwiderte der junge Mann und sah dabei Hafften fest an. Ob es am ungewissen Licht des Morgens lag, aber Hafften hatte seinen Gefährten noch nie so bleich, so totenartig gesehen wie jetzt. Seine dunklen Augen leuchteten dabei ganz ungewöhnlich. Aber die Stimme klang herzlich, fast bittend, und deshalb antwortete er:

„Ja, das glaube ich bestimmt.“

„Dann vertrauen Sie mir auch“, fuhr der junge Fremde leise fort und drückte Hafftens Arm.

„Aber darf ich noch nicht einmal wissen, wohin wir gehen?“

„Allerdings dürfen Sie das. Es soll und kann für Sie kein Geheimnis bleiben. Sowie wir diesen Hügelrücken erreichen, der sich nach links mit einer scharfen Kante zum Turon hinabzieht, während er nach rechts hinauf auf ein kleines Plateau ausläuft, sehen wir ein ausgezacktes Gebirge. Es liegt rauh und zerklüftet zwischen den anderen mit Wald bewachsenen Hügeln. Wir können es, wenn wir gut marschieren, in etwa drei Stunden erreichen. Das ist unser Ziel.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Busch