Der Weg zum Goldsee -1-



Am Turon ging es wild zu. Nicht weit von der Mündung des Oak Creek hatte sich ein kleines Lager gebildet, das in nur wenigen Tagen auf vierzehn Zelte und zwei Rindenhütten angewachsen war. Wenn die Polizei auch den Alkoholausschank in Trinkzelten verboten hatte, so konnte und wollte sie nicht verhindern, daß die Miner ihre eigenen Vorräte mitbrachten. Manchmal wurden sie dann auch für „Gold und gute Worte“ untereinander getauscht.


Dadurch bildeten sich aber auch abends um die Lagerfeuer bestimmte kleine Gruppen, gewissermaßen „Goldfamilien“, die vielleicht tagsüber ganz verschiedene Interessen verfolgt und an verschiedenen Stellen gearbeitet hatten. Da aber ihre Zelte dicht beieinander lagen und nicht jedes auch einen passenden Feuerplatz haben konnte, bildeten sich nach stillschweigender Übereinkunft schon nach wenigen Abenden kleine, abgeschlossene Gruppen. Bei loderndem Feuer erzählte man sich die verschiedensten Gerüchte von gewaltigen Goldklumpen, die da und dort gefunden sein sollten, besprach Anekdoten oder Begebenheiten des eigenen Lebens bis in die späte Nacht hinein. Nur von dem, was jedem hier am meisten am Herzen lag, sprach niemand von dem Erfolg des Tages. Niemand erkundigte sich auch bei dem anderen danach, denn er wußte, daß er doch nur eine ausweichende Antwort erhalten würde. Der Ertrag der eigenen Arbeit war eben ein Geheimnis und wurde auch von allen anerkannt. Unmittelbar in dem jetzt vollkommen trockenen Oak Creek und unter der Nordwand des hier ziemlich steil aufsteigenden Uferbettes hatte sich ein kleines Lager mit Deutschen gebildet. Ohne sich feindlich gegenüberzustehen, hielten die Nationen doch gern zusammen. Während ein großer Kessel mit Hammelrippen und Kartoffeln über dem Feuer brodelte, lagerten die verschiedenen, oft malerischen Gestalten auf ihren Decken am Feuer. Heute bildete ein fabelhafter Goldsee das Gesprächsthema, der irgendwo in den Bergen liegen sollte und nur einmal von einem Schäfer entdeckt worden sei.

Die Sage ging, daß der Mann damals ein Stück gelbes Metall, das dort in Unmassen lag, mitgenommen und erst Jahre später erfahren habe, daß es sich um Gold handelte. Vergeblich hätte er sich von da an die größte Mühe gegeben, diesen Platz wiederzufinden. Es war wie bei unseren deutschen Zauberbergen, die auch nur dann und wann einmal irgendeinem Glücklichen ihr Tor öffnen und ihm gestatten, sich einen Hut voll Diamanten, Perlen und alter Goldmünzen mitzunehmen. Von dem Zeitpunkt aber sind sie wieder verschlossen, und alles Suchen und Anklopfen nützt nichts, sie zeigen nur die nackten, harten Felswände. So schien auch dieser Goldsee in die Tiefe versunken zu sein oder aber der Weg zu ihm verschlossen. Nur neuerdings sollte ein Mann den Platz doch wiedergefunden und davon mitgenommen haben, was er tragen konnte. Tatsächlich waren wegen diesem Gerücht eine Menge Leute aufgebrochen, um die unermeßlichen Schätze zu entdecken und zu heben.

Schon in unserem ruhigen Leben daheim, wo alles seinen stillen, geregelten Gang geht, gibt es nichts, was nicht eine Anzahl Menschen findet, die es wirklich glauben, und sei es noch so abenteuerlich und widersinnig. Wie anders waren die Verhältnisse in den neuentdeckten Goldminen dieser fernen Weltteile, wo die Phantasie der Goldgräber ihnen schon in jedem frisch gegrabenen Loch goldene Schätze vorspiegelte und keiner von allen erstaunt gewesen wäre, wenn er das gediegene Metall bergeweise darin gefunden hätte. Er erwartete es eigentlich.

Es läßt sich denken, daß unter solchen Umständen die ohnehin stark erregte Phantasie der Deutschen bei diesem Gerücht ihren Höhepunkt erreichte. Das Für und Wider einer solchen Möglichkeit wurde nicht mehr ruhig besprochen, sondern bereits hitzig verfochten. Besonders Feuer und Flamme dafür war ein alter Bekannter von Suttons Station, der kleine dicke Malchus. Endlich hier oben angelangt, war das Hacken und Graben in dem harten Erdboden gar nicht nach seinem Geschmack. Mit Gier griff er jede Neuigkeit auf, die ihm einen Sack Gold mit weiter keiner Mühe in Aussicht stellte als eben das nötige Einsammeln und Hineinwerfen. Auch von Hafften hatte sich dieser Gruppe heute angeschlossen. Nach einem kurzen Ausflug in die Minen sah er jetzt das Goldsuchen mit anderen Augen als früher. Hier traf er zufällig seinen alten Bekannten von der Straße wieder. Es war der merkwürdige Fremde, den er damals überholte und der von den Deutschen den Spitznamen „Professor“ erhalten hatte.

Der „Professor“ schien sich aber wenig daraus zu machen. Er hatte sich, ganz unabhängig von Zelt oder Rindenhütte, ein kleines Reisighaus wie eine Laube gebaut. Den Mittelpunkt bildete sein aufgespannter Regenschirm. Darunter lagen einige Rindenstreifen wie Schindeln. Sie bildeten ein vollkommen regenfestes Dach. Ein paar Nächte lagerte er darunter, dann war er plötzlich verschwunden. Erst heute nachmittag war er nach mehrtägiger Abwesenheit zurückgekehrt.

Malchus hätte nun gern aus ihm herausbekommen, wo er war und was er gefunden habe, denn er hatte jeden im Verdacht, irgendwo auf einen Schatz gestoßen zu sein und nichts sagen zu wollen. Der „Professor“ aber hatte ihn nur starr angesehen, nichts geantwortet und den kleinen dicken Bergmann in sehr schlechte Laune versetzt.

Als von Hafften an diesem Abend zum Feuer kam, fand er die kleine Gesellschaft schon in einem lebhaften Gespräch vor. Dabei zogen sie den wortkargen Fremden auf und neckten ihn. Anlaß dazu gab er ihnen auch mehrfach. Einmal durch seine nicht berggerechte Kleidung, dann durch sein ganzes verschlossenes Verhalten, mit dem er sich stets von der Masse fernhielt. Selbst an solchen Abenden gestattete er niemandem, ihm zu nahe oder zu vertraulich zu kommen. Die Leute nannten das natürlich Stolz. Gestern hatte er doch sogar ausgeschlagen, sich mit Malchus zu duzen - was sich solche Menschen einbilden!

Malchus hatte überhaupt an diesem Abend entsetzlich schlechte Laune. Tagsüber wollte er sich dem Bezahlen der Lizenz entziehen, und der Kommissär hatte ihm dafür seine Maschine zerbrochen. In seinem Ärger war er an die Rumflasche geraten, und deshalb ging ihm jetzt die Zunge durch.

Sonderbar, daß so viele Menschen erst dann Courage zeigen, wenn ihnen der Alkohol in den Kopf gestiegen ist und ihr eigenes Denkvermögen vernichtet hat.

Der junge Fremde lag ausgestreckt am Feuer neben dem Fotografen, und Malchus hatte ihm gegenüber Platz genommen. Das erschwerte die Unterhaltung etwas, denn das Feuer loderte zwischen den beiden oft ziemlich hell auf. Der kleine Mann mußte ständig seine Hand vor die Augen halten, um einen Blick auf die andere Seite zu gewinnen.

Der junge Fremde war aber schon längst müde und antwortete nicht mehr, was den kleinen angetrunkenen Mann nur noch mehr reizte.

„Sie da - haben Sie mich verstanden?“ rief er nach ein oder zwei unbeantworteten hämischen Fragen durch die Flamme hinüber. So weit es ging, reckte er seinen Hals empor und versuchte, sein Gesicht zu beschatten.

„Malchus, hören Sie doch endlich auf, wir wollen hier keinen Streit“, rief der Fotograf beschwichtigend.

„Lassen Sie ihn reden“, sagte der junge Fremde gleichgültig. „Bis morgen wird er seinen Rausch ausgeschlafen haben.“

„Sie aufgeblasener Schwarzkittel, Sie!“ schrie der Bergmann und sprang von seinem Sitz auf. Gleichzeitig ergriff er einen der Brände aus dem Feuer. „Wenn Sie mir noch einmal eine so unverschämte Antwort geben, klopfe ich Ihnen die Asche auf dem Schädel ab, Sie - Sie Professor Sie, und jetzt machen Sie, daß Sie hier vom Feuer wegkommen oder, Gott straf mich, ich knicke Ihre Spinnenfigur wie ein Taschenmesser zusammen!“

Er wollte dabei mit dem Brand um das Feuer herumkommen, als ihm ein eiserner Griff das Holz aus der Hand wand, ihn selber am Kragen faßte und ihn so unsanft auf seinen Sitz zurückdrückte, daß er dort kaum sein Gleichgewicht halten konnte.

„Wollen Sie wohl Frieden halten?“ sagte von Hafften dabei und warf den Brand wieder in das Feuer, daß die Funken hoch aufloderten. Seine Stimme war ruhig, aber auch so entschieden und drohend, daß Malchus fast erschrocken zu ihm aufsah.

„Was gehen Sie meine Streitigkeiten an?“ versetzte der Betrunkene mit einem letzten Versuch, seine Tapferkeit aufrechtzuerhalten.

„Ihre nichts, aber unsere hier alles. Der Fremde da hat sich still und anständig verhalten, lassen Sie ihn ein für allemal in Frieden, oder es könnte sein, daß Sie sich um meine Streitigkeiten kümmern müssen.“

„Recht hat er!“ riefen jetzt die anderen dazwischen. „Wir wollen Ruhe und Frieden hier am Feuer haben. Wenn dir das nicht paßt, Malchus, geh ins Bett. Es wäre überhaupt das Beste, was du heute abend tun könntest.“

Malchus knurrte nur, aber er fand bald, daß er von keiner Seite unterstützt wurde. Beleidigt und gereizt warf er sich wieder am Feuer nieder und drehte der Gesellschaft verächtlich seinen breiten Rücken zu.

Selbst als der kleine gereizte Bursche drohend auf ihn zukam, war der Fremde regungslos in seiner ruhenden Lage geblieben. Kein Muskel hatte an ihm gezuckt, und nur sein dunkles Auge hatte mit wilder Glut zu dem Feind gesehen. Sowie aber die Gefahr durch Hafftens Einschreiten für ihn beseitigt war, starrte er wieder gedankenvoll in die Flammen und schien seine Umgebung völlig vergessen zu haben.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Busch