Im Asyl für Obdachlose zu Berlin. 1874

Aus: Daheim 1874
Autor: Th. Coßmann, Erscheinungsjahr: 1874
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Berlin, Asyl, Obdachlose,
2021 - 152 Jahre nach der Eröffnung des 1. Obdachlosenasyls am 3. Januar 1869 in den Räumen der leerstehenden Artilleriewerkstätten, Ecke Dorotheen- und Neuen Willhelmstraße. Wie viele Obdachlose leben heute 2021 in Berlin? ... Für Berlin werden in der Diskussion bis zu 40.000 Wohnungslose und 4.000–6.000 Obdachlose genannt – ein Viertel davon sind Frauen.
Der lang andauernde Pfiff erscholl, das Signal war gegeben, die Menge drängte sich zusammen, dem ankommenden Zuge entgegen, alle hatten Freunde, Verwandte zu begrüßen, und bald sah man viele frohe Gesichter, hörte freudiges Rufen, herzliches Grüßen, so der kommenden wie der Erwartenden.
Endlich verlief sich die Menge; auch die allein davon Gehenden zeigten die Sicherheit des Bekannt- oder zu Hauseseins, nur ein junges, frisches Mädchen vom Lande, ihr Bündelchen am Arm, ein Zeichen, dass sie in Berlin einen Dienst suchte, stand ratlos, einsam und ängstlich da. Da trat ein Schutzmann zu ihr und auf ihre Antwort, dass sie eben nicht wisse, wo sie noch am späten Abend hin solle, zeigte er ihr - eine Tafel, die auf dem Perron befestigt war: „Obdachlose Frauen und Mädchen finden nächtliches Unterkommen im Asyl, Füsilierstraße 3; obdachlose Männer im Asyl, Büschingsstraße 4.“ Er sagte ihr freundlich Bescheid, und beruhigt und froh nahm sie ihr Bündelchen auf und wanderte hin.
Mir aber, der ich hier vergeblich einen Freund erwartet hatte, fiel das Wort schwer auf die Seele. ,,Obdachlos!" Entsetzlicher Gedanke! Keinen Ort in der Welt zu haben, den man sein, sein Heim nennen kann! Nicht wissen, wo man in Nacht Sturm sein müdes, grambeschwertes Haupt zur Ruhe legen solle!
Ob es wohl viele solcher Unglücklichen gibt? Ich kehrte zurück in mein freundliches, warmes Zimmer, in dem die Lampe traulich brannte und meine liebe Frau mich mit den herzigen Kindern erwartete; aber ich konnte nicht froh werden, der Gedanke an die „Obdachlosen“ verfolgte mich – ich ging am nächsten Abende in das Männer-, am folgenden in das Frauenasyl. Und was ich dort gesehen, und was mich da gerührt und erfreut hat, was ich Treffliches gefunden, will ich in einfachen Worten erzählen. Vielleicht gelingt es mir, dem schönen Werke neue Freunde zu gewinnen!
Die Einrichtung beider Häuser ist ziemlich dieselbe; sie dienen nur als Zufluchtsort für die Nacht, öffnen sich des Abends den Obdachlosen, um dieselben des Morgens wieder zu lassen. Beim Eintritt meldet sich jeder Gast am Fenster des Hausvaters, sagt sein Alter und wie oft er schon in demselben Monat dort genächtigt, was notiert wird; Frauen dürfen nur fünf Mal in einem Monat, Männer unter 30 Jahren zwei, über dies Alter hinaus drei Mal Gebrauch vom Asyl machen. Sie wurden alle mit Freundlichkeit empfangen (so wies ein Hausbeamter jeden Ankommenden zurecht: in den Saal 1, 2 oder 3 Treppen hoch, und als ich nach dem Grunde dieser Einteilung fragte, erhielt ich die Antwort, dass die Jüngeren leicht die drei Treppen steigen können, ältere zwei, und ganz alte oder gebrechliche nur eine steigen sollten, eine rührende Rücksichtnahme!) und durften weder ihre Namen noch ihre Verhältnisse ansagen, eine unendliche Wohltat und ein charakteristischer Unterschied vom Polizeigewahrsam.
Auch dieser nimmt die sich freiwillig meldenden Obdachlosen oder die bei Gelegenheit der Polizeilichen Razzias Eingebrachten auf, aber wir wollen ihn etwas näher schildern, um dagegen die Wohltat des Usyls recht klar werden zu lassen. Der Polizeigewahrsam befindet sich im Polizeigebäude am Molkenmarkt; über einen mit Wachtposten besetzten Hof geht es in ein Hinterhaus, zwei Treppen hinauf vor eine verschlossene Gittertür, wo jeder Ankommende von einem Polizisten in Empfang genommen und in ein Bureau geführt wird, um dort seinen Namen, Stand und alle sonstigen Verhältnisse anzugeben; der erste Makel ist auf den Armen gefallen, er hat sein „Aktenstück“, wie es das Volt nennt. Dann geht es in den Gewahrsam, die Männer getrennt von den Frauen und Kindern. In einem großen Saal befindet sich eine Reihe niedriger hölzerner Bänke ohne Lehnen; auf denselben sitzen dicht gedrängt, 50, 60, 70 oder mehr Männer die ganze Nacht hindurch, alle mit dem Gesicht einem erhöhten Katheder zugewandt, auf welchem der wachthabende Polizeidiener sitzt. Niemand darf das Zimmer verlassen, in dem sich sogar hinter einem Bretterverschlag das Klosett befindet. Ungehorsam oder lärmendes Betragen, besonders häufig bei Betrunkenen, wird durch sofortiges Einsperren in das „dunkle Loch“, eine kastenartige Zelle bestraft. Das Zimmer für die Frauen ist ganz gleich, nur da es nicht so gefüllt ist, wie das der Männer, können sie es sich eher etwas bequem machen.
So bleiben sie, ohne Nahrungsmittel zu erhalten, bis 10 Uhr am andern Morgen; dann findet eine ärztliche Untersuchung jedes Einzelnen statt, und es dürfen sich weder Frauen noch Mädchen derselben entziehen – eine oft fürchterliche Bestimmung! Dann werden sie entlassen oder zur Untersuchungshaft, zur Sittenpolizei, ins Krankenhaus oder, wenn sie mehrere Male obdachlos gewesen, ins Arbeitshaus zur Korrektion gesandt!
Wie anders im Asyl! Freundlich willkommen geheißen (nur Betrunkene werden nicht angenommen, doch hat die Güte des Hausvaters in Rücksicht darauf, wie leicht ein Hungriger, Frierender wohl dazu kommen kann, ihnen einen Ort ausgesucht, wo sie erst ihren Rausch ausschlafen können, um dann Aufnahme zu finden, wird jeder zuerst in ein Zimmer gewiesen, wo saubere Waschbecken, Seife und Handtücher vorhanden sind und muss jeder sich waschen. In einem anderen Zimmer sind Bäder bereit, und jeder und jede, die es wünscht, kann dort ein Bad nehmen, während ihre Kleider getrocknet und wenn nötig, ausgeglüht werden. Diese Bäder werden
gern benutzt, im Männerasyl sind bis zu 700, im Frauenasyl bis zu 150 im Monat genommen worden. Dann gehen sie in die Schlafsäle, die für 245 Männer, resp. 120 Frauen bis jetzt eingerichtet sind, helle, hohe, gut ventilierte und gut geheizte Räume, mit Betten aus Eisen, mit eisernen, spiralförmigen Matratzen und zwei Drillichdecken, die eine zum Unterlegen, die andre zum Zudecken, alles reinlich und gut. Außerdem sind Tische und Stühle und bei jedem Bett ein paar Pantoffeln vorhanden. Hier bleiben sie zusammen, sitzend, plaudernd, lesend, sowohl in den Büchern der vorhandenen kleinen Bibliothek (möchten doch Buchhändler oder auch andere dieselbe durch Überweisung guter Volksbücher bereichern!) oder in Zeitungen, welche mit besonderer Berücksichtigung der Arbeitsuchenden dort gehalten werden, und dann Abendbrot essend, denn jeder Gast des Hauses bekommt abends einen Napf mit Mehlsuppe und eine Scheibe Brot. Viele auch benutzen die Zeit, ihre Garderobe nach Kräften zu flicken und zu bessern, wozu ihnen Nadeln, Zwirn und sogenannte Flicklappen hinreichend geboten werden. Und so hatte ich, als ich nach Abendessen noch einmal die Säle besuchte, einen durchaus freundlichen, wohltuenden Eindruck, und selbst die beim Einritt recht unglücklich erschienen, waren getröstet durch das erhebende Gefühl hilfsbereiter Menschenliebe und eines behaglichen, ruhigen Aufenthaltes.
Gegen zehn Uhr legen sie sich schlafen, wobei nur die Stiefel und Schuhe abgelegt werden, die Männer auch wohl den Rock ausziehen; am anderen Morgen waschen sie sich wieder, erhalten jeder eine große Schale Kaffee nebst einem Brötchen und geben dann wieder, gestärkt und ausgeruht, ihrer Arbeit nach.
Selbst für solche, die plötzlich erkranken sollten, ist gesorgt; in jedem Asyl ist eine helle, luftige Krankenstube mit Betten, in denen sie bis zum anderen Tage oder bis zur Ankunft eines Arztes verbleiben können; die kleinen Hausmittel, Kamillentee etc., sind vorhanden, und im Frauenasyl, wo eine nervöse, bis zur Tobsucht sich steigernde Aufregung eher möglich, noch ein besonderes, für solche Kranke bestimmtes Zimmer mit Wänden und Türen, die dicht mit Matratzen belegt sind, so dass die darin hausenden keinen Schaden erleiden können.
Solches ist die praktische und menschenfreundliche Einrichtung der Asyle.
Ich saß nun die beiden Abende mit den Hausvätern an ihren Fenstern und sah die Ankommenden. Eine wunderbare Gesellschaft: Zureisende junge Handwerksburschen oder Dienstmädchen, ehrliches, frisches neben verkommenem Volk oder verkümmerten Gesichtern; Auswanderer mit Sack und Pack, die hier als geheilt entlassen, erst wieder eine Stelle oder die Gelegenheit, in die Heimat zu kommen, suchten.
Eigentliches Gesindel sah ich wenig, denn das findet eher ein Unterkommen bei seines Gleichen, oder treibt sich umher oder geht in die Schlafstellen und Höhlen des Verbrechens, die sogenannten „Pennen“.
Und kommt einmal ein Verbrecher hierher - was schadet's? So ist er doch diese Nacht unschädlich und die Gesellschaft ist sicher vor ihm, und vielleicht fällt in dieser freundlichen Umgebung, wo ihm zum ersten Male wieder selbstlose Hilfe geboten und er nur als Hilfsbedürftiger, nicht als Verworfener behandelt wird, ein Strahl himmlischer Hoffnung, der Gedanke an Umkehr in seine Seele. Hierüber gibt es selbstverständlich keine Statistik, aber ich meine, grade auf ein verhärtetes Gemüt muss so etwas oft wunderbar erwärmend, versöhnend wirken.

Aber viel Rührendes und Ergreifendes erlebt man doch da! So wurde dem Asyl ein Knabe aus Dresden zugeführt, der seine Tante hier nicht auffinden konnte; zwei weinende Kinder, deren Eltern während ihrer Abwesenheit vom Hause exmittiert waren und die sie nun nicht wieder aufzufinden vermochten; eine arme Mutter kam mit ihrem sterbenden Kinde mit der ihr von der Hausmutter geschenkten Puppe, der ersten und einzigen, die sie im Leben besessen, schloss die Kleine die Augen, mit starrem, erloschenem Blick noch auf das ungewohnte Spielzeug schauend, starb das Kind, im Sterben noch lächelnd, und sein letztes Wort war: Meine Puppe! Ein alter Mann, gut und sauber gekleidet, trat ein – ,,63 Jahr, zum ersten Male im Asyl" lauteten seine Worte; die Brille, sein scheues, verkümmertes Wesen, einige Bücher unter dem Arm zeigten den deutschen Gelehrten - er war offenbar auch exmittiert. Schüchtern bat er um Erlaubnis, sein Abendbrot auf dem Flur verzehren zu dürfen, stellte sich damit in eine dunkle Ecke hinter einen Treppenpfeiler, um nicht gesehen zu werden und ging dann sofort zu seiner Lagerstätte, wo ich ihn still, den Hut ins Gesicht gedrückt, sitzen sah, da es noch nicht Schlafenszeit war. Wie viel Hoffnungen der längst verstorbenen Eltern, wie viel stolze Jugendpläne, wie viel Arbeit und Mühen hatten zu diesem jammervollen Resultat geführt! Und wohl ihm, dass er noch diese Zuflucht fand, die ihn vielleicht vor Selbstmord rettete! Und vielleicht auch, dass er von hier aus etwas Arbeit, Schreiberei oder dergleichen erhielt.
Denn wer sich dem Hausvater mit seinem Anliegen entdeckt, für den sorgt er nach Kräften natürlich ohne je eine Bürgschaft übernehmen zu können; oft melden sich Leute, die Arbeiter, oder Herrschaften, die Dienstboten brauchen, hier; viele Mädchen haben von hier aus gute Dienste erhalten, denn es nimmt schon für sie ein, wenn sie, fremd angekommen, hier ein Obdach suchen und nicht sich umhertreiben oder auf den Zufall verlassen. Und der Hausvater nimmt sich ihrer freundlich an; so war ein armes Mädchen, das von Haus gekommen war, mit allem Nötigen an Wäsche, Kleidung u. reichlich versehen, von einer Gaunerin um all ihre Habe beim ersten Ausweg betrogen worden; laut weinend und ganz trostlos kam sie zum Asyl zurück. Da sprach der Hausvater mit einem ihm als wohltätig bekannten reichen Herrn; der holte das Mädchen, seine Frau ersetzte ihr durch frischen Ankauf ihren Verlust, dann schaffte er ihr einen guten Dienst, und sie war gerettet! So waltet ein freundlicher Geist, der Geist reinsten Wohlwollens, über dem Ganzen, und gesegnet seien die, welche diese Asyle gestiftet!
Das aber geschah so:
Der Herbst des Jahres 1868 war hereingebrochen, die Tage waren rau und unfreundlich, die Nächte lang, feucht und kalt, da saßen einige Bürger, Mitglieder des Friedrichs-Werderschen Bezirksvereins, eines Abends im freundlichen, Unterkommen und Schutz suchten vor den berüchtigten Bauernfängern; kränkliche Gesichter, die aus dem Krankenhause harmlosen Gespräch bei einander, Freunde, die sich behaglich mit einander fühlten, doppelt behaglich in dem hellen, warmen Raum, in dem sie eben versammelt waren. Da peitschte der Wind den Regen gegen die Scheiben und machte das Zusammensein in sicherem Schutze doppelt wohnlich und angenehm, als einer von ihnen sagte: „Die Armen, die jetzt draußen umherirren, hungrig, frierend und obdachlos!"
„Ja, aber müssen sie denn obdachlos sein?
Wir wollen ihnen ein Asyl gründen!"
Schnell zündete der hingeworfene Gedanke, Kopf und Herz
der Anwesenden wurde von ihm erwärmt und erleuchtet, und mit rascher Entschlossenheit, sich Gleichgesinnte und Gleichfühlende zugesellend, wurde beschlossen, zuerst die Angelegenheit in den Bezirksvereinen zu besprechen und dann weiter vorzugehen.
Am 30. November 1868 fand eine, zu dem Zweck berufene allgemeine Bürgerversammlung im Saale der Urania statt; die dabei besonders interessierten Behörden, der Polizeipräsident, die Armendirektion wurden eingeladen.
Alle erklärten sich bereit, dem Unternehmen helfend zur Seite zu stehen. Der Plan wurden besprochen; allerlei, wenn auch wohlgemeinte, oft aber doch recht kleinliche Bedenken wurden laut; das Asyl werde der Liederlichkeit und Gemeinheit ein Privilegium auf Kosten der Guten und Erwerbsamen geben; es werde die noch besserungsfähigen Leute, weil unentgeltlich, vollständig demoralisieren und in der Liederlichkeit bestärken; es werde das Entlaufen ungeratener Kinder ermuntern; auf weiblichen Besuch sei gar nicht zu rechnen, höchstens alte verkommene, meist betrunkene Frauenspersonen würden sich einfinden u. dgl. m. Aber Ehre den Männern, die sich dadurch nicht abschrecken ließen und von dem abwendig machen, was sie für recht erkannt, und der Erfolg hat gezeigt, dass alle jene Befürchtungen unbegründet waren.
Und so gingen sie denn in Gottes Namen vorwärts. Wie einst August Hermann Francke das Hallesche Waisenhaus gegründet ohne einen Pfennig Geld, aber im festen Vertrauen, Gott werde dem Unternehmen seinen Beistand gewähren, so mietete der Vorsitzende des Vereins zur Gründung eines Asyls, Herr Kaufmann Thölde, am 7. Dezember desselben Jahres, ohne dass bisher irgend eine Kasse für diesen Zweck bestand, für 280 Thaler einen Teil der leerstehenden Räume der Artilleriewerkstätten, Ecke der Dorotheen- und Neuen Willhelmstraße; am 12. Dezember erließ das Komitee einen Aufruf an die Bewohner Berlins, deren Mildtätigkeit sich denn auch hier wieder und seitdem die Jahre hindurch aufs herrlichste bewährte.
Am 3. Januar 1869 wurde das Asyl eröffnet; es war noch kaum genügend ausgestattet; die Mitglieder des Komitees waren versammelt in den noch leeren Räumen, und mit frohem Mute und reiner Freude wurde die Tafel befestigt: ,,Asyl für obdachlose Frauen und Mädchen" (denn dies schien das zuerst Notwendige), und kaum war sie angebracht, öffnete sich die Türe, und ein junges Dienstmädchen von 18 Jahren, eben aus der Fremde gekommen, trat ein. Der Hausvater war in Verlegenheit, noch war nicht alles eingerichtet, aber allgemein hieß es: „Nein, diese erste dürfen wir nicht zurückweisen, helft, so gut es geht."
Und so war dies junge Mädchen die erste und in dieser Nacht die einzige Bewohnerin des Asyls.
Und wie hat sich seitdem die Zahl vermehrt!
Milde Gaben, laufende Beiträge, Legate und endlich der großartige Bazar im Jahre 1870, mit dem das eben fertiggewordene neue Rathaus eingeweiht wurde, haben die Mittel dazu geliefert, außer dem Frauenasyl auch eins für Männer zu errichten, eigene Grundstücke zu erwerben und die oben geschilderten Einrichtungen zu treffen. Aber die letzten bösen Zeiten und traurigen Geldverhältnisse haben auch hier sich fühlbar gemacht, und je mehr die Anforderungen steigen, die Preise, die Lohnzahlungen sich erhöhen und je dringender das Bedürfnis auftritt, noch in anderen Stadtteilen solche Asyle zu errichten, desto mehr auch ist zu wünschen, dass immer neue und neue Freunde dem hochherzigen Unternehmen beitreten und ihm ihre Unterstützung gewähren.
Das Männerasyl bot in dem Zeitraum vom 1. April bis 31. Dezember v. J. 42.918 Obdachlosen (17.159 mehr als 1872), das Frauenasyl in derselben Zeit 15.263 Obdachlosen (299 mehr als im Vorjahre) Unterkunft, Nahrung, und wo es gewünscht wurde, Rat und Hilfe; sie haben sicher manchen erst Sinkenden, noch Rettungsfähigen vor tieferem Sturz, vor Laster und Verbrechen bewahrt, ihm durch Gewährung eines Obdachs die Arbeitsfähigkeit erhalten, und im ersten Jahre des Bestehens allein 2.370 Kinder, sage 2.370 Kinder, aufgenommen und den Müden eine Ruhestatt gegönnt.
Und was die Wirksamkeit des Ganzen so sehr fördert, ist das rege Interesse, die stete Inspektion der Vereinsmitglieder, die die Asyle allabendlich besuchen, nachsehen, ob alles in Ordnung ist (und noch nie hat eine Klage stattgefunden, so trefflich sind die Hausväter gewählt) und Wünsche und Bemerkungen der Aufgenommenen in ein Buch eintragen. Dazu werden genaue Tages-, Monats- und Jahresrapporte über die Zahl und das Alter der Obdachsuchenden u. dgl. geführt, und so herrscht in allem die größte Ordnung.
Mögen die Männer, welche sich diese schöne Aufgabe gestellt, ihren Lohn darin finden, dass ihnen die Mittel geboten werden, ihr wahrhaft menschenfreundliches Bemühen noch weiter ausdehnen zu können und das Resultat desselben für alle Zeit gesichert sehen. Denn weiter wollen sie nichts.


Th. Coßmann

Daheim Titel 1874

Daheim Titel 1874

Daheim Asyl 1874 2

Daheim Asyl 1874 2

Daheim Asyl 1874 3

Daheim Asyl 1874 3