Erste Fortsetzung

Die revolutionäre Epoche des fürstlichen Absolutismus war gemäß des unterschiedlichen Tempos, in dem sich der Kapitalisierungsprozess in den verschiedenen Ländern vollzog, nicht überall zur gleichen Zeit abgeschlossen. Sie fällt aber überall mit der Renaissance zusammen. (Vgl. auch: Illustr. Sittengeschichte, Die Renaissance, S. 106—116.) —

Der fürstliche Absolutismus als politische Regierungsform und somit als Repräsentant und Träger einer ganz bestimmten Kultur ist das schließliche Ergebnis dieser unaufhaltsamen Entwicklung. Und zwar gilt dies für alle Länder, weil sich die moderne Produktionsweise und damit die Kapitalisierungstendenz der Gesellschaft ebenfalls in allen Ländern Bahn brach; d. h. es kam überall, wenn nicht zur Errichtung einer politischen Zentralgewalt, so doch zu einer Herrschaft des fürstlichen Absolutismus. Diese war eine unvermeidliche Phase der kapitalistischen Entwicklung, die freilich in dem einen Land, wie z. B. in England, infolge besonders günstiger Umstände, schon in wenigen Jahrzehnten durchmessen war; in andern dagegen, wo der Konsolidierung des fürstlichen Absolutismus günstige Voraussetzungen sich boten, und das war z. B. in Frankreich und Deutschland der Fall, fast zweieinhalb Jahrhunderte währte. Aber zu überspringen war diese politische Phase der kapitalistischen Entwicklung nirgends und darum ist sie auch in keinem Land übersprungen worden.


009. Vornehme Dame in Negligé Französischer Modekupfer. Um 1700

010 Vornehme Dame beim morgendlichen Fußbad. Französischer Kupfer nach Saint-Jean

011. Das Gefühl. Galanter französischer Kupferstich. 17. Jahrhundert

Am frühsten kam es zu diesem historischen Muss in Spanien. Hier kam es deshalb auch zuerst in Europa zu einer spezifisch absolutistischen Kultur. Und spanische Gebräuche und Etiketten wurden gleicherweise für das höfische Leben Europas zuerst tonangebend. Der französische Absolutismus wurde dies erst annähernd hundert Jahre später, obgleich die Herrschaft des fürstlichen Absolutismus und die Konsolidierung der politischen Zentralgewalt in Frankreich bereits vom Jahre 1614, das ist vom Regierungsantritt Ludwig XIII. an, gerechnet werden darf. Aber politisch und kulturell tonangebend konnte der französische Absolutismus für Europa erst werden, nachdem Frankreich das bankrotte Spanien auch in der Rolle der politischen Weltmachtstellung auf dem Welttheater abgelöst hatte.

Deutschland ist eines der Länder, wo es im Gegensatz zu Spanien und Frankreich nicht zur Errichtung einer Zentralgewalt kam. Das ist eines der tragischen Resultate des Dreißigjährigen Krieges. In ihm hatte die Selbstherrlichkeit der Fürsten und Reichsstädte mit Hilfe von Schweden und Frankreich über den von dem Habsburger Ferdinand II. verfochtenen deutschen Reichsgedanken gesiegt. Der Westfälische Friede gestattete, dass jeder Fürst und jede autonome Stadt — die sogenannten freien Reichsstädte — völlig freie Hand hatten, auf eigne Faust Krieg zu führen, Bündnisse zu schließen, sowohl mit andern Fürsten als auch mit dem Auslande. Und nur der Form wegen hieß es, — denn diese Form wurde nie beachtet, — solche Bündnisse sollten sich nicht gegen Kaiser und Reich wenden. Durch dieses Resultat wurde die Tragödie, die der Verlauf dieses Krieges über Deutschland brachte, nicht nur vollständig, sondern auch verewigt. Denn im Dreißigjährigen Krieg haben wir nichts anderes als den letzten Versuch der habsburgisch päpstlichen Weltmacht, „das Nest ruppiger Zaunkönige auszunehmen“, das die klägliche deutsche Kleinstaaterei darstellte, und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation wieder herzustellen. Und das wäre die unentbehrliche Voraussetzung für jede natürliche und allmählich auch zur Gesundung führende Entwicklung Deutschlands gewesen. Dass dieser Versuch gründlich fehlschlug, war freilich kein Wunder: Trübselig, wie das deutsche Fürstentum war, wurzelte es doch in den ebenso traurigen ökonomischen Zuständen der einzelnen Länder und Ländchen. Mit dem Ausgang des Dreißigjährigen Krieges unterlag die habsburgisch-spanische Monarchie aber auch endgültig in der Verteidigung ihrer Weltmachtstellung gegenüber Frankreich. Frankreichs Geld siegte von nun ab dauernd in Deutschland, denn von französischen Bestechungsgeldern füllte man sich jetzt mehr als ein Jahrhundert lang an zahlreichen deutschen Höfen und Höfchen die leeren Taschen. Am Hofe des sogenannten Großen Kurfürsten bezog, wie der Königsberger Professor Prutz an klaren Zahlen aus den Archiven nachgewiesen hat, einfach alles, — die edle Landesmutter, der Kronprinz, sämtliche Minister bis hinab zum gewöhnlichsten Lakai — klingende Remunerationen, um die französischen Interessen zu unterstützen. Wo Bargeld nicht gut angängig war, zu geben und zu nehmen, schenkte und akzeptierte man ein schönes Pferd, kostbare Gewänder, wertvolle silberne Service und ähnliche begehrte Artikel. Diese in Permanenz erklärte Korruption ist die Erbschaft des dreißigjährigen Krieges. Und damit wurde Deutschland für Jahrhunderte zum steten Spiel ausländischer Interessen, „und die Feinde Deutschlands streckten schützend ihre Hand über den permanenten Landesverrat seiner Fürsten.“

Die Entwicklung zum unbeschränkten fürstlichen Absolutismus konnte dadurch in Deutschland natürlich so wenig aufgehalten werden wie anderwärts, wohl aber bekam Deutschland nun zweihundert absolute Fürsten statt eines einzigen; es hatte die gierigen Mäuler von zweihundert Hofhaltungen zu stopfen. Was das bedeutete, werden wir an einigen charakteristischen Beispielen weiter unten sehen.

Zum endgültigen Siege des fürstlichen Absolutismus führte überall das Eintreten der gleichen historischen Situation. Diese bestand darin, dass die Bourgeoisie kraft des unaufhaltsam fortschreitenden Kapitalisierungsprozesses allmählich dahin gelangte, den seither im gesellschaftlichen Leben maßgebenden Klassen, und das war in der Hauptsache der Feudaladel, an Einfluss und Bedeutung die Wage zu halten.

Dieses Stadium ist stets das Geburtsdatum der unbeschränkten Gewalt des Königtums und der Zeitpunkt, wo die Weltgeschichte wiederum eine neue Taille bekam. Das Königtum wurde bei diesem Stadium der Klassenentwicklung deshalb siegreich, weil ihm der neuentstandene gesellschaftliche Zustand erlaubte, sich auf die Schultern der beiden herrschenden Klassen zu schwingen und die eine durch die andere in Schach zu halten.

012. Der Mai. Satirischer Kupfer auf die liebebedürftige Frau. Aus einer Folge „Die zwölf Monate“

013. Wandgemälde aus einem Nürnberger Patrizierhaus. Entstanden um 1750

Dass es hierzu überall kam, war, wie schon gesagt, ebenfalls ein unvermeidliches historisches Muss. Die seit der Renaissance in allen Ländern aufstrebenden Geldmächte mussten für die sie repräsentierende Klasse, das kaufmännische Bürgertum, ebenfalls überall nach der Gewährung politischer Rechte streben, denn nur dadurch vermochte diese den oben erwähnten Schutz nach innen und außen zu erlangen, dessen sie zur Sicherung und Steigerung ihrer Profitrate bedurfte. Das aber führte zu Klassenkämpfen mit den seither bestehenden Klassen, die umso heftiger sich gestalteten, je intensiver die kapitalistische Produktionsweise sich entwickelte und je stärker der feudalistische Widerstand dadurch auf die Beine gebracht wurde. In diesen Klassenkämpfen wurde schließlich das Königtum von selbst zum Schiedsrichter zwischen den widerstreitenden Interessen der verschiedenen Klassen. Denn während das Bürgertum noch nicht stark genug war, die gesamte politische Macht an sich zu reißen, war andererseits keine der seitherigen Mächte mehr stark genug, die politische Macht und damit deren Exploitierung für sich allein in Anspruch zu nehmen. Das Schiedsrichteramt des Königtums bestand logischerweise darin, dass es den beiden streitenden Klassen Waffenstillstand gebot, die politischen Kämpfe zum Aufhören brachte, die Geschäfte beider führte, und — das war der immer eintretende Haupteffekt! — sämtliche Klassen seinen eigenen Herrschaftsinteressen dienstbar machte; d. h.: Das Königtum kam in die vorteilhafte Lage, sich paritätisch von beiden zugleich aushalten zu lassen, wie eine galante Dame mit zwei offiziellen Liebhabern, die sich den einen fürs Gefühl, den andern zur Bestreitung ihres Unterhaltes hält.

015. Heinrich Ramberg: Galante Romanillustration

016. Der Vergleich, Jacob Courtin. Um 1720

017. Nelly Gwyn, die Maitresse Karl II. von England. Gemalt von Lely
009 Vornehme Dame in Negligé. Französischer Modekupfer. Um 1700

009 Vornehme Dame in Negligé. Französischer Modekupfer. Um 1700

010 Französischer Kupfer nach Saint-Jean. Vornehme Dame beim morgendlichen Fußbad

010 Französischer Kupfer nach Saint-Jean. Vornehme Dame beim morgendlichen Fußbad

011 Galanter französischer Kupferstich. 17. Jahrhundert. Das Gefühl

011 Galanter französischer Kupferstich. 17. Jahrhundert. Das Gefühl

012 Satirischer Kupfer auf die liebesbedürftige Frau. Aus einer Folge, die zwölf Monate. Der Mai

012 Satirischer Kupfer auf die liebesbedürftige Frau. Aus einer Folge, die zwölf Monate. Der Mai

013 Wandgemälde aus einem Nürnberger Patrizierhaus. Entstanden um 1750

013 Wandgemälde aus einem Nürnberger Patrizierhaus. Entstanden um 1750

015 Heinrich Ramberg. Galante Romanillustration

015 Heinrich Ramberg. Galante Romanillustration

016 Jacob Courtin. Der Vergleich. Um 1720

016 Jacob Courtin. Der Vergleich. Um 1720

017 Gemalt von Lely. Nelly Gwyn, die Maitresse Karl II. von England

017 Gemalt von Lely. Nelly Gwyn, die Maitresse Karl II. von England

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