Fortsetzung V

Dass auch Naturerscheinungen vereinzelt die Veranlassung gegeben haben, Ansiedelungen zu benennen, kommt mir nicht unwahrscheinlich vor. In Schumanns Lexikon von Sachsen (14. B. S. 90.) wird ein Vorwerk bei Thossfell „Wichen" genannt; wichor heißt der Wirbelwind, wichorez holzy reiwaia, die Söhne des Wirbelwinds tanzen, sagen die Wenden in der Lausitz. — Andre Ortsnamen müssen wir auf die Benennungen von Bäumen, vereinzelt selbst auf die von Tierarten, zurückführen. Wolschendorf und Ölsnitz verdanken ihre Namen dem slawischen wolscha, olcza, Erle; olecnice bezeichnet eine Gegend, in welcher mehrere mit Erlen bestandene Plätze vorkommen. Man kann auch Hohenölsen hierher zählen, wenn nicht etwa der Name mit dem deutschen ahls, ein Hain, zusammenhängt. — Oschütz, eigentlich wohl Woschütz, ist von wossa, die Espe, Groß-Kundorf bei Berga vielleicht von Koina, die Fichte, abzuleiten. Leubnitz brachte ich mit lobio in Verbindung; doch könnte man dabei auch an die Linde, lipa, denken, und unterstützt wird diese Ansicht durch die Tatsache, dass in dem Kirchensiegel von Leubnitz in der Plauenschen Gegend ein abgebrochener Lindenstamm mit einem dreiblättrigen Seitenschößlinge geführt wird. (Lex. v. Sachsen, 5. B. S. 633.) Vielleicht ist diese Ableitung auch auf Leubetha, südlich von Oelsnitz, anzuwenden. Bei Hohenleuben sind die Ansichten geteilt. Während Einige den Namen von dem nahen Liebenbache, d. h. Tiefenbache, der auch die Leube heißt, ableiten, weisen Andere dabei gleichfalls auf lipa hin. Hohenleuben würde dann aus Hohenlipen, Hohenleipen hervorgegangen sein. In Böhmen hat man die Stadt Liva, in deutscher Zunge Leiva, dann ein Dorf Hohenleipa unseren Böhmisch-Kamnitz; und letzteres Wort, das mit dem vogtländischen Hohenleuben ähnlich lautend ist, bezeichnet einen Ort, der von einer oder mehreren hohen Linden, die einst hier standen, seinen Namen erhielt. Die Linde war der Lieblingsbaum der alten Slawen, was auch daraus ersichtlich ist, dass es allein in Böhmen gegen 90 Orte gibt, welche davon ihren Namen erhalten haben. Auch in dem Pfarrgarten zu Hohenleuben stand gewissermaßen als Wahrzeichen des Ortes eine sehr alte, starke Linde; durch einen Gewittersturm am Anfange des laufenden Jahrhunderts wurde sie gespalten und musste in Folge dessen gefällt werden. (Brentl u. Alberti im 16. Jahresb. d. vogtl. alterth. Vereins, S.85.) Obschon ich Jeßnitz von jezor, der Weiher, abzuleiten suchte, will ich hier doch auch daran erinnern, dass jez der Igel heißt, dass also eine andere Deutung des Namens möglich ist. Wir fahren, wenn wir dergleichen Erklärungen von Ortsnamen versuchen, häufig ohne Kompass auf einem weiten See. Im Nebel, der sich auf dem Wasserspiegel lagert, suchen wir das schwache Blinken eines Sternleins, das durch den Schleier hier und da unsichtbar wird, als einen Leiter zu erfassen; wir richten uns darnach, bis uns ein hellerer Stern, der vortritt, wieder davon abbringt. Erwähnen will ich schließlich noch, dass Röppisch vielleicht von räb, das Feldhuhn, abzuleiten ist (Vanscia III. S. 108.); nach einer Sage soll das Dorf früher Rehbusch oder Rehbüsche geheißen haben (Variscia IV. S. 81.); im Jahre 1362 hieß es Robschitz (Limmer, Gesch. d. Vogtl. II. 6. 14.).

In jener Zeit, als dunkle Waldungen in unserm Vaterlande ihre Herrschaft noch entfalteten, begrüßten die Bewohner jene Plätze um so freudiger, an denen eine Fülle goldenen Lichtes auf sie niederströmte. An solchen Stellen, die einen freien Blick ermöglichten, stellten die Slawen das Bildnis ihres Lichtgottes Swantewit, ihres Sonnengottes auf. Hier feierten sie auch ihre heitern Frühlingsfeste. Im tiefsten Walddunkel dagegen mochte gewöhnlich ihr schwarzer, finsterer Gott, der Czorneboh, verehrt werden. Im Schauer dunkler Waldungen wurde das Gemüt geängstigt und zur Versöhnung mit feindlich gesinnten Mächten angetrieben.


Wahrscheinlich bezeichnen viele der Teufelskanzeln, Teufelssteine, welche, umwoben von der Sage, noch heute als Zeugen des grauen Heidentums erhalten sind, solche Plätze, an denen den finstern Gottheiten der Slawen Opfer gebracht wurden. Ehe wir den Spuren slawischer Götter, und insbesondere des Lichtgottes und dann des Czorneboh in den Ortsnamen des Vogtlands nachgehen, ist es geraten, einen Blick auf jenen Dualismus in der slawischen Götterlehre hinzuweisen. Als höchste Gottheit wurde der Bielebog oder Swantewit verehrt. Vielleicht hat man sich unter erstem Namen, der „weißer Gott" in deutscher Übersetzung lautet, nur ein gutes Princip und kein persönlich gedachtes Wesen vorzustellen. Er drückte dann eine Gesamtheit von Göttern aus, die man im Gegensatze zu dem bösen Urgrunde als eine Einheit aufstellte. Zu ihr gehörte dann der Swantewit, dessen Name aus swiaty, szwanta, heilig, und swiwza, das Licht, gebildet worden ist. Er war der persönlich vorgestellte Bielebog, der gute Gott, und er wurde da und dort als Radegast verehrt. Dem Swantewit, der auch als Sonnengottheit angesehen wurde, so dass sein Name dann von swonzez, die Sonne, abgeleitet wird, war, wie dem germanischen Odhin, das weiße Pferd geheiligt. Nicht überall verehrte man in ihm zugleich den Radegast; war dies der Fall, so galt er auch als Gott des Kriegs. Rada, der Rat, und gosetz, der Wald, setzen den Namen Radegast zusammen; er wird durch diese Deutung zum ratgebenden Waldgott; dabei war er der slawische Kriegsgott und der Gott der Freude. Im Gegensatze zu dem Bieleboh verehrten die alten Slawenvölker auch den Czorneboh. Dieser Name drückt jedenfalls in gleicher Weise wie der Bieleboh keine persönlich gedachte Gottheit, sondern nur eine Gesamtheit von bösen, den Menschen feindlichen Göttern aus. Vielleicht, so meinen Einige, ist der Kultus des Czorneboh erst aufgekommen, als bereits die Christenpriester das Evangelium vom Gottessohn verkündigten. Vielleicht, so sagen Andere, bezeichnet Czorneboh im Allgemeinen jede slawische Gottheit, die den Bekehrten als eine finstre Macht gepredigt ward. (S. meine Geschichte der Oberlausitz S. 25 u. 26.) Die meisten Zeugnisse jedoch tun dar, dass bei den Slawen wirklich ein Dualismus in der Götterlehre, der Kultus eines Bieleboh und Czorneboh bestanden hat. Nach diesen einleitenden Bemerkungen mögen Ortsnamen. aus denen auf die frühere Verehrung slawischer Götter geschlossen werden kann, hier eine Stelle finden.

Eine freie Lichtung und auf ihr ein Opferplatz des Swantewit befand sich jedenfalls bei Zwickau. Der Name dieser Stadt ist auf szwiez, von dem wendischen szwieczu, d. h. ich leuchte, zurückzuführen; in Verbindung damit stehen die Namen der nicht weit davon entfernten Orte Lichtenstein und Lichtentanne, da das slawische Zwickau mit Lichtenau zu übersetzen ist. In dem genannten Lichtentanne ist das zweite Wort kein deutsches, es bezeichnet nicht den Baum, sondern ist vom slawischen dany, das Land, der Boden abzuleiten. Jedenfalls kehrt dieses dany auch im Ortsnamen Schnarrtanne wieder, der auf der Streitschen Karte Schnarr-Dann geschrieben wird. Dass der Name Zwickau so gedeutet werden muss, wie oben angegeben wurde, möchte durch das Schwanenfeld, den Schwanenteich mit unterstützt werden. Das Schwanenfeld ist ursprünglich swiaty oder szwanta swieza das heilige Licht, doch tritt bereits 1110 die gegenwärtige Verdrehung des ursprünglichen Namens auf. (15. Jahresb. d. alterth. Ver. zu Hohenleuben, S. 9.) — Rodewisch bei Auerbach, dessen Name nach einer Sage von den daselbst befindlichen Goldwäschen an der Göltzsch, die „rote Wäsche" genannt, abgeleitet wird (Engelhardt, Erdbeschr. von Kursachsen, 3. B. S. 116.), erinnert besser an den Radegast; wenigstens wird diese Ansicht durch zwei Örtlichkeiten in der Oberlausitz unterstützt. Das Dorf Rodewitz bei Bautzen heißt wendisch Roswodeczy; zu ihm gehören Häuser, die nach einem Berge, auf dem sie liegen, Sonnenberg genannt werden. Wurde dort der Swantewit, der slawische Sonnengott verehrt, und erhielt auch Rodewitz von dem im Göttersysteme an seinen Platz getretenen Radegast den Namen? Wenn dies so ist, sollte da nicht auch das vogtländische Rodewisch darauf zurückzuführen sein? — An den Swantewit erinnern uns auch Schwand bei Plauen, desgleichen das Dorf Schwanditz bei Altenburg, welches in Urkunden Schwanz, Schwanditz und Schwandewitz genannt wird.

Die Erinnerung an einen Czorneboh, vielleicht auch bloß an einen dunkeln Waldort, an dem, wie zu vermuten ist, das Bildnis irgend einer finsteren Göttermacht der Slawen stand, ist uns durch einige Ortsnamen, die sämtlich die Wurzel czorne, czerne, d. h. schwarz, haben, erhalten worden. Bei Hof und Weida gibts zwei Dörfer Zschorda, die durch den Klang des Namens uns zugleich an czert erinnern. Dieses czert, die wendische Bezeichnung für den Teufel, veranlasst uns insofern bei dem Namen Zschorda an den Czorneboh zu denken, als in jener Zeit, da das Heidentum der Christuslehre wich, der schwarze Slawengott vielfach als gleichbedeutend mit dem Teufel hingestellt wurde. Außer Zschirnikel sind hier auch Blintendorf und Plohn zu nennen. Die vielbestrittene slawische Gottheit Flins, welche jedenfalls mit Pilnitis und Pilwitz in Eins zusammenfällt und die als Drache Plon der Schatzspender, der Gott des Reichtums und zugleich der Gott des Todes war, wird als persönlich dargestellter Czorneboh betrachtet. (Haupt, Sagenbuch d. Lausitz, S. 19.) Ich sehe mich veranlasst, die letztgenannten Dorfnamen, an die man auch vielleicht noch Pöllwitz reihen dürfte, mit Plon und Pilwitz oder Flinz in Zusammenhang zu bringen. Die Namen der Orte Osseck bei Hof und Osseck am Wald hat Ernst in seiner Geschichte der Stadt und des Bezirks Hof (S. 20) von einem Ozek oder Percum, den er als slawischen Gott des Donners anführt, abgeleitet, und ebenso bemerkt er von dem Swantewit, dass derselbe auch Jodiot, der Helfer, oder Zediot, der Gnädige, hieß, und er leitet davon Joditz und Zedtwitz, zwei Dorfnamen in der Höfer Gegend ab. — Die Namen anderer Gottheiten der Slawen sind in den Ortsnamen nicht zu erkennen; höchstens könnte man bei Bobenneukirchen an die slota baba, die goldene Hebamme, eine von manchen Schriftstellern angeführte Untergöttin, erinnert werden; der Ort kommt urkundlich 1206 als „Baban nuen Kirchen" vor. (Lexic. v. Sachs. 14. B. S. 511.) Und wenn wir die Blicke bis Meerane lenken, so finden wir daselbst auch eine Spur, die uns bestimmt, den vielbezweifelten Gott Crodo, den Krankenhelfer, hiermit anzureihen. Hinter dem Dorfe Crotenleide soll sogar vor Jahren ein Opfertisch gefunden worden sein. (Dr. Leopold, Chronik u. Beschreibung der Fabrik- u. Handelsstadt Meerane. S. 9.) Ist aber das in Wahrheit gegründet, was Gschwend in seiner eisenbergischen Chronik (S. 200) schreibt, dass „viele gemeine Leute den Namen Crodo als Kröte bei ihren Verwünschungen annoch oft im Munde führen", dass also „Kröte" von Crodo abzuleiten ist, dann dürfte man vielleicht auch im Bezirke von Hof den Weiler Krötenbruck, sowie den Krötenhof daselbst als Erinnerungen an den Crododienst hier anführen. Erinnern will ich bei den Namen auch an das bereits genannte slawische kruty, d. h. öde. Im Neuen lausitzischen Magazin (6. B. 3. H. S. 313.) führt Preusker die Ziza als sorbische Göttin mütterlicher Ernährung an; einer ihrer Tempel soll bei Zeitz gestanden haben. Wenn wir nun auch im Vogtlande keinen Ort haben, der in seinem Namen die Erinnerung an die genannte Göttin uns bewahrt hat, so mag doch hier erwähnt werden, dass bei Wilhelmsdorf im Orlgau, der in diesen Überlieferungen nicht übergangen werden kann, eine Gegend Zis oder Zitz genannt wird. Von manchen Forschern wird eine Zisa unter den germanischen Göttinnen angeführt und dann als gleichbedeutend mit der römischen Venus oder als Erntegöttin angesehen. Zis oder Zits bedeutet auch das heilige Feuer. (13.Jahresb. d. vogtl. alterth. Vereins, S. 56. Haupt, Sagenbuch d. Laus. S. 16.)