Fortsetzung IV

Zu Heinrich des Finklers Zeit verlor sich die Bezeichnung „Sorbenland", und der Name „Vogtland" kam dafür in Aufnahme. Denn den größten Teil des Landes, welcher nicht unter den Adel, der in den Kämpfen gegen die Slawen Teil genommen hatte, zur Verteilung kam, betrachtete man als Kronengut und es wurden zur Verwaltung königliche und kaiserliche Vogte eingesetzt. Das war der Anfang zur Zerstückelung des Vogtlandes, da die Vogte später souveräne Herrscher wurden. Die Geschichte nennt uns die Vogtsämter in Gera, Weida und Greiz, in Regnitzhof und Vogtsberg. Als es den Vogten an letztgenanntem Orte im 13. und 14. Jahrhunderte gelungen war, die in dem Lande „Plawe" gelegenen vielen Güter der Grafen Eberstein auf Dobenau zu erwerben, verlegten sie den Sitz nach Plauen. — Außer den Reich-Vogten herrschten im Lande die gräflichen Familien der schon genannten Ebersteine, ferner die von Orlamünde im Regnitzlande, von Schwarzburg-Ustrod zu Gliesberg an der Elster, Ronneburg und Werdau, und ganz besonders auch die Herrn von Lobdaburg zu Lobenstein, Burg und Schleiz, Mühltroff, Pausa und Elsterberg; ein mächtiger Zweig derselben waren die Grafen von Arnshaugken. Und endlich gab es auch im Vogtlande mehrere reichsritterliche freie unmittelbare Reichsherrschaften, wie zu Mylau mit Reichenbach und Netzschkau, zu Saalburg, Hirschberg, Gattendorf, Widersberg und Sachsgrün. Sämtliche Geschlechter waren den deutschen Königen hilfreich bei der Unterwerfung des Sorbenvolks gewesen; doch leider lebt die Erinnerung an sie fast gar nicht mehr im Volksmunde, und nur um einen einzigen Namen hat die Sage, so viel bekannt, ihr grünes Reiß geschlungen. Ein Landvogt Heinrich Reuß, wahrscheinlich der Reiche von Plauen, wird in einer Sage bezüglich der Gründung von Schöneck genannt, und derselbe ist es auch, von welchem Limmer (a. a. O. I, S. 270) die sagenhafte Geschichte der Stiftung des Klosters Mildenfurth erzählt. Wohl aber hat sich im Volksmunde noch vereinzelt die Erinnerung an die Härte des ehemals herrschenden Adels erhalten; die Sage erzählt uns „von einem stolzen und grimmigen Herrn in Neuendorf", der seine Bauern knechtete, und sie erzählt uns von dem Teufel, der einem armen Bauer half und dem „gottlosen Junker" einen Possen spielte. In tiefer Unterwürfigkeit musste bis in die neuere Zeit das Volk verharren; ja die Verhältnisse brachten es im vorigen Jahrhunderte noch mit sich, dass junge auf einem Dorfe geborene Leute erst der besonderen Erlaubnis ihrer Gutsherrschaft bedurften, wenn sie, wie z. B. in Reichenbach, das Weberhandwerk erlernen wollten. Selbst der vogtländische Geschichtsschreiber Limmer, welcher mit großer Vorliebe die Stammbäume der Vogte studierte, kann den Seufzer nicht unterdrücken, dass im Vogtlande „die Geschichte nirgends das Bild eines selbsttätigen Volkslebens aufzustellen vermöge". Und wenn das Volk aus seinem Kreise einen Sagenstoff verarbeitet hat, wie die Erinnerung an einen reichen und gelehrten Bauer, so stellt es nur das Lächerliche in den Vordergrund. In der Arbeit Berthold Sigismunds: „Aus dem Vogtlande" (Wissenschaftl. Beilage der Leipziger Zeitung, 1860, Nr. 82) wird, gestützt auf Limmers Angabe (a. a. O. II, 340), als Beweis für den früheren rechtlosen Zustand der Bauern angeführt, dass auf Grund eines 1288 zwischen zwei Vogten abgeschlossenen Vergleiches „ein Herr nur zur Lichtmesse und nach vorheriger Kündigung weglosen, d. h. das einem Bauer verliehene Lehen zurücknehmen dürfe". Dabei sollte er dem Bauer nicht nur den Lehnschilling zurückerstatten, sondern er durfte auch für die dem Gute erwiesenen Verbesserungen die Entschädigung nicht vorenthalten. Diese Zustände erinnern uns an ältere Lausitzer Verhältnisse. Als deshalb zu Luthers Kirchenreformation an vielen Orten Deutschlands die gedrückten Bauern sich erhoben, standen dieselben auch im Vogtlande gegen ihre Herren auf. Im Aufruhre 1525 belagerten die Bauern die Stadt Plauen und zerstörten Dobenau. — Auch in den Städten mögen sich manche Reste der früheren Untertänigkeit erhalten haben. So sind, oder waren wenigstens noch in jüngster Zeit mehrere Häuser in Reichenbach mit dem „rauen Zehnten" belastet, einer geringfügigen Abgabe, die vielleicht mit „roher Zehnten", als ein ursprünglicher Zehnten von Rohprodukten oder Naturalien zu deuten ist.

Nach Limmer wurden in der ältesten Zeit in den Städten die Sorben nicht geduldet; sie sollten Ackerbauer bleiben, und ihr Wohnplatz war deshalb das Dorf, das offene Land. Es heißt in den Statuten der Stadt Zeulenroda aus dem Jahre 1438: „sie sullen in keine weisse wissens einnehmen tzu Bürgern pömisch, echtische vndt verlosten Leuth auch die entronnen oder unerliche geboren sind". (Dr. I. G. Stemler in Variscia IV.) Hier sind unter den „pömisch Leut" jedenfalls die Nachkommen der Slawen im Vogtlande gemeint, die, weil sie für unehrlich angesehen wurden, das Bürgerrecht nicht erlangen konnten. Auch in der Lausitz war vom 12. bis wenigstens mit dem 14. Jahrhunderte deutsche Geburt eine Bedingung zur Niederlassung, wendische Nationalität dagegen ein Makel, welcher die Berechtigung zum Sesshaftwerden innerhalb der Städte ausschloss.


Doch waren es gewiss nicht bloß die Sorben, welche auf den Dörfern wohnten, wenn sie auch die vorherrschende Bevölkerung daselbst gebildet haben. Jedenfalls ließen sich zerstreut zwischen ihnen auch Deutsche nieder, und diese mögen ganz gewiss einen Hauptanteil an der Germanisierung des Volkes gehabt haben. Von bedeutendem Einfluss in dieser Hinsicht waren auch die deutschen Städte, und endlich darf der Einfluss, welcher von Beamteten und von den Priestern ausging, nicht vergessen werden. Weder die Geschichte noch die Sage gibt uns vollkommenen Aufschluss, wie unser Sorbenland germanisiert wurde, sagt Berthold Sigismund. Doch ist wohl anzunehmen, dass wenigstens die Sprache nach und nach erlosch, als es verboten wurde, darin zu predigen und Rechtsverhandlungen in ihr zu pflegen. In der Gegenwart hat sich nur das und jenes Wort der Volkssprache erhalten, welches unbezweifelt slawisch ist. Wir erinnern hier nur an das „Hutzengehen" und an „zutschen" (an den Fingern saugen), welche beiden Wörter uns unverkennbar auf das wendische „huzku hicz" und „zyczaz" hinweisen.

Weit eher als die Sprache verschwand das Heidentum der Sorben. Dass dieses aber zu Anfange des 12. Jahrhunderts noch nicht ganz erloschen war, ersehen wir aus einer Stelle des Stiftungsbriefes der plauenschen Kirche, worin gesagt wird, dass der Priester Thomas, welcher den „Inwonern von Dobenawi" als „Vorsteher gesetzt" wird, „sie vor Irrung der Heydenschafft vollkömmlich sol wyderziehen". Wie auf einem Acker, der vormals ganz mit Quecken überwuchert war, trotz angestrengter Arbeit und aller Vorkehrungen, sie zu vertilgen, immer noch von Jahr zu Jahr Wurzeln des Unkrauts herausgepflügt werden oder vereinzelte Halme treiben, so blieben auch die Vorstellungen von alten Göttern noch Jahrhunderte hindurch trotz der Bekehrungsarbeiten im Volke lebendig. Sie waren auch bei den Sorben nicht vertilgt worden, obgleich zu Kaiser Ottos I. Zeit, ungefähr in der Mitte des 10. Jahrhunderts, mit bedeutenderem Erfolge als vorher, die Mission in den Slawenländern befestigt worden war. Otto hatte 968 das Erzbistum zu Magdeburg gegründet, und in dem dortigen Kloster mussten die Mönche, welche man als Heidenboten verwenden wollte, die slawische Sprache erlernen. Dem Erzbistume Magdeburg waren die Bistümer zu Havelberg und Brandenburg, zu Zeiz, Merseburg , Meißen und auch das zu Posen untergeordnet worden. Anfänglich war ein Teil des Vogtlandes dem Merseburger Sprengel zugewiesen; doch kam dieser Teil 981 zu dem Zeitzer, oder dem nachherigen Naumburger Bistume. Die Verlegung des Zeitzer Bistums wurde 1028 unter Kaiser Conrad II. ausgeführt. Von Zeitz und Naumburg aus wurde also eine mehr planmäßige Bekehrung der Sorben unternommen; mehr unmittelbar dagegen wirkte das Archidiakonat des deutschen Ordens in Dobenau auf die Bevölkerung ein. Einen besonderen Ruhm hat sich jedoch der Orden der Deutschherren in unserer Provinz wohl nicht erworben. „Wie Füchse schlichen sie sich ein", sagt eine alte Nachricht; sie gründeten in Plauen, Adorf und Reichenbach Comthureien, und durch Schenkungen floss ihnen Reichtum zu.