Fortsetzung II

In der Geschichte eines Landes, das eine Zeit lang von Germanen und dann von einem Slawenstamme bevölkert wurde, ist das ein interessanter Teil, worin nachgewiesen wird, welchen Anteil beide Völkerschaften an der Kultur des Landes haben. Zwar ist dies eigentlich nicht Aufgabe der ferneren Arbeit; doch kann ein kurzer Hinweis darauf nicht füglich übergangen werden. Schon ein Blick auf eine Karte unsers Landesteils und etwas Bekanntschaft mit den slawischen Sprachen werden hinreichen, um uns zu überzeugen, dass eine große Menge von Ortschaften des Vogtlands slawischen Ursprungs sind. Von Limmer werden im gesamten Vogtlande gegen 300 Dörfer und Ansiedlungen genannt, welche von den Slawen herrühren; 79 kommen davon auf den jetzt sächsischen Anteil. Es ergibt sich daraus weiter, dass in der Slawenzeit zu einem Drittteile aller jetzt im Vogtlande bestehenden Ansiedlungen der Grund gelegt wurde. Ist dies nicht ein schönes Zeugnis für das alte Slawenvolk? In dem folgenden Kapitel wird das Verhältnis zwischen deutschen und slawischen Ansiedlungen eingehender behandelt werden, da uns für jetzt die Tatsache, dass Slawen von Einfluss auf den Anbau der Provinz gewesen sind, genügt. Ein Grundzug dieser Volksstämme war Friedensliebe; ruhig ließen sie sich nieder, wo Raum vorhanden war, und fleißig bebauten sie das Land. Als Volk von Ackerbauern liebten alle Slawen Niederungen; vom steinigen und waldreichen Gebirge wurden sie zurückgeschreckt. Durch die Verhältnisse bedingt, waren die Suevenstämme Deutschlands nicht überall zu der Ruhe gekommen, um feste Niederlassungen in größerer Zahl zu gründen, obgleich das Unstäte, was uns in ihrer ältesten Geschichte entgegentritt, nicht Volkscharakter war. Der Strom der Völkerwanderungen, welcher die ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung kennzeichnet, war schon Jahrhunderte vorher in Asien in Bewegung. Auch die Slawen waren nur ein Teil des Völkerstroms, und ihm folgend, von ihm getrieben, waren sie aus Asien nach Europa eingezogen. Ihre Religionsgebräuche, ihre Sitten, ja selbst Sprachvergleichung und die Namen einzelner Stämme sind für den Geschichtsforscher bestimmend, die Urheimat der Slawen, wie oben nebenbei bemerkt wurde, in Indien zu suchen. Im Allgemeinen hat nach Schaffarik ihre Einwanderung in der zweiten Hälfte des 5. und der ersten des 6. Jahrhunderts stattgefunden; gewiss ist, dass sie im Jahre 530, als das Reich der Thüringer durch die Franken gestürzt wurde, bereits östlich und südlich der Saale angesessen waren. Sie waren jedenfalls aus Nordost vorgedrungen und dehnten sich von der Saale durchs Meißnische und durch die Lausitzen wenigstens bis an die Grenzen von Polen aus. Es waren die Stämme der Lusiczer und der Milczener, der Daleminzier, Siusler und der Sorben, welche in der angegebenen Linie das Slawenvolk zusammensetzten. Slawa heißt der Ruhm, Slowo das Wort, und wir haben nun die Wahl, den Namen Slaven mit „berühmtes" oder mit „sprechendes Volk" zu übersetzen. Die letztere Deutung scheint insofern einen Vorzug zu verdienen, als sich darin ein Gegensatz, den Deutschen gegenüber, ausspricht: der Deutsche wird noch heute von den Wenden in der Lausitz Njemz, d. h. der Stumme, von njemy, stumm, genannt.

Die Bevölkerung des Vogtlands bildeten die Sorben oder Serben. In ihrem Namen, von Serb, die Sichel, spricht sich ganz treffend aus, dass dieser Stamm recht eigentlich ein Volk von Ackerbauern bildete. Die Sichel kann als das Symbol des Erntesegens gelten, und noch heute ist dies Werkzeug bei den Wenden in der niederen Lausitz und bei den Vogtländern durch die Sense nicht überall verdrängt worden.


Gewiss ist nicht daran zu denken, dass die Sorben als eine Kriegsmacht ins Vogtland einrückten. Die Worte Herders, zur Charakterisierung aller Slawen niedergeschrieben, lassen sich gewiss auch auf unsern Stamm beziehen: „Trotz ihrer Taten waren die Slawen nie ein unternehmendes Kriegs- und Abenteurervolk wie die Deutschen; vielmehr rückten sie diesen still nach und besetzten ihre leergelassenen Plätze und Länder." Die Nariscer, welche schon im 2. Jahrhunderte Verbündete der Markomannen gegen die Römer waren, „schlossen sich gewiss auch bis gegen das 6. Jahrhundert den deutschen Heerzügen gegen die Römer an." (Limmer, I. p. 49.) Wenn nun auch kein allgemeines Verlassen des Landes von Seiten der Nariscer anzunehmen ist, so muss man es doch für wahrscheinlich halten, dass die eigentliche Kriegsmacht fortzog. Als nun die Sorben vorwärts drangen, zogen sich die Reste ebenfalls zurück und verbanden sich vielleicht mit ihren Stammgenossen. Vereinzelte Gemeindeglieder des Nariscer- oder des Hermundurenstammes blieben möglicherweise auch in dem waldreichen Gebirge während der Slawenzeit zurück; als fremde Leute, welche in ihren unwirtlichen Verstecken von der herrschenden Bevölkerung geduldet wurden, und welche nur verstohlen dann und wann zum Vorschein kamen, gestalteten sie sich in der Sage zu kleinen „Waldmänneln" oder zu den „Holzweibchen" des Schönecker-Waldes um. Dieselben Sagenklänge hört man auch in der Lausitz, wo von dem Volke der Querxe (Zwerge) oder Lütchen (engl, little, klein) die Aschenkrüge stammen sollen.

Von dem 400jährigen selbstständigen Leben der Sorben in unserm Vogtlande sind außer den Namen der Flüsse und vieler Bäche, vielen Flur- und Ortsbenennungen, noch manche Sittenzüge und Gebräuche, ja selbst Hindeutungen auf den slawischen Götterkultus, der Gegenwart erhalten worden. Es mag an dieser Stelle vorläufig nur daran erinnert werden, dass noch vor einigen Jahrzehnten auf den Dörfern die Hochzeiten sehr ähnlich denen der Wenden in den Lausitzen gefeiert wurden, und dass im Vogtlande wie in dem slawischen Teile der Oberlausitz die älteren Frauen und selbst die Mädchen ihre Haare kurz geschnitten trugen. Es hat sich hier wie dort das Sprichwort: „Lange Haare, kurzer Verstand!" erhalten und, — was als besonders erwähnenswert erscheint, — die weiße slawische Trauerkleidung bei den Frauen, die uns auf Hindostan verweist, ist heute auch im Vogtlande noch nicht ganz in Abnahme gekommen. Die „Buckelhaube" des Vogtlandes gleicht den wendischen Hauben und auch die jetzt fast ganz verschwundene „Spreizhaube" mit ihrem breiten Spitzenrande erinnert an die Hauben der Wenden in der Umgegend von Muskau. — In Hinsicht auf den Bekehrungseifer, welchen die alten christlichen Priester an den Tag legten, darf es uns nicht wundern, wenn wir im Vogtlande nur wenig Anklänge an die slawischen Götter auffinden. Doch ist das Andenken an einige derselben nicht ganz verwischt worden. Es rufen zum Beispiel einige Ortsnamen die Erinnerung an die beiden Hauptgottheiten, den Czorneboh und Bieleboh, welch letzterer auch als Swantewit verehrt wurde, hervor. Nur wenig wird es uns berühren, ob wir uns unter beiden Namen wirklich zwei als persönlich vorgestellte Wesen, oder Gesamtheiten von slawischen Göttern, ein gutes und ein böses Prinzip, zu denken haben. Es berührt uns ferner nicht die Frage, ob die Verehrung des Czorneboh erst bei den Slawen eingeführt wurde, als bereits christliche Priester ihre Bekehrungsarbeit unter ihnen anfingen, ob also der Czorneboh in das ursprüngliche Göttersystem der Slawen gehört, oder ob er erst später als eine Nachbildung des Teufels von ihnen angenommen wurde. Uns genügt die Tatsache. dass sich wirklich bei dem Volke, — ob ursprünglich, ob später, gilt uns gleich, — ein Dualismus in ihren Göttern vorgefunden hat. Erinnerungen an einen Czorneboh sind uns z. B. in dem Namen Zschorda für zwei Dörfer bei Hof und Weida, und für einen Swantewit (Bielebog) in dem Namen des Dorfes Schwand bei Plauen erhalten worden. Vielleicht standen in der Nähe der beiden erstgenannten Orte Altäre für den Czorneboh, den bösen, schwarzen Gott, während bei Schwand der gute Gott, der Gott des Lichts, der Swantewit (von ßwiaty, heilig und ßwietwo, das Licht) verehrt wurde. Der schwarze Drache Plon galt bei den Nordwenden als die Bezeichnung für den persönlich gedachten Czorneboh; daher dürfte auch vermutet werden, dass bei dem Dörfchen Plohn bei Lengenfeld ein Altar dieses Gottes stand. Vielleicht kann auch hierbei an Pöllwitz bei Zeulenroda gedacht werden, wenn man sich durch die Vertauschung des ö mit i nicht stören lässt; da der persönlich gedachte Czorneboh nicht bloß als Drache Plon, sondern auch als Pilwitz bezeichnet wird. Die Bildnisse der slawischen Hauptgötter standen vielleicht in hölzernen Tempeln, während man, wie die Germanen alle ihre Götter, die große Zahl der Untergottheiten in heiligen Hainen verehrte. Solche heilige Haine hat es gewiss im Vogtlande nicht wenige gegeben. In Schumanns Lexikon von Sachsen (B. 12. S. 301) wird z. B. die „Holzung Hain" bei Vogtsberg als ein solcher angegeben, und Schöneck wird von Limmer mit Svenik, heiliger Hain, gedeutet. Man möchte auch den Namen „Schneckenstein", welchen von Alters her der isolierte, mitten im Gebirge liegende Topasfels führt, damit in Zusammenhang bringen und für einen Opferplatz erklären, gewiss mit eben solchem Rechte, als es bei der Zurückführung des Namens „Schneckenstein" auf „Schönecker-Stein" geschieht.