Professor Agricola, ein zunftgerechter Philologe

Professor Agricola, ein zunftgerechter Philologe, der durch eine tiefsinnige Theorie über das ? ? ??????????? Ruf erlangt hatte, räusperte sich ein paarmal ärgerlich; ihm war auf dem Boden, den er zu beherrschen meinte, jeder Dilettantismus unangenehm, am unangenehmsten, wenn er, durch Zufall natürlich, Resultate aufzuweisen hatte, und alles nicht zünftige galt ihm für Dilettantismus.
„Mir ist es unbegreiflich“, sagte er, ,,wie man so in der Welt drauflos suchen kann nach Dingen, die nur unter der sorgfältigsten Beobachtung vieler auseinanderliegender Umstände, die alle genau in einem Punkt zusammentreffen müssen, und auch dann nur durch besonderes Glück, gefunden werden können. Welche Schule setzt das voraus! Ich kann wohl, ohne weitere Vorkenntnisse, aufs Geratewohl in den Wald laufen, um Erdbeeren zu suchen -“

„Oder Pilzen, schob Frau Agricola ein, eine recht praktisch gerichtete Dame, die es doch für ihre Pflicht hielt, zu zeigen, dass die Interessen ihres Mannes ihr durchaus nicht ferne lagen.


Der Professor schwieg einen Augenblick unwillig; denn sein Kollege, der Historiker Nesselmann, ein gefürchtetes Schandmaul, schnitt ein greuliches Gesicht und unter der anderen Gesellschaft machte sich, aller Vorsicht zum Trotz, eine gewisse schütternde Bewegung der Oberkörper bemerklich. Dann wiederholte er mit etwas schärferer Betonung:

,,- um Erdbeeren zu suchen. Sind sie nicht hier, so sind sie da - finde ich keine Erdbeere, so finde ich sicher etwas anderes Erfreuliches und bin, wie der bettelnde Handwerksbursche, überall auf richtiger Straße. Aber was setzt es voraus, wenn ich den Spaten einschlage, um das Schatzhaus der Atriden zu suchen! und wenn ich zehn Meter davon entfernt bin, ist’s gerade so gut, als wäre ich tausend Meilen davon!“

,,Ich gebe Ihnen Recht, Kollege“, sagte der Professor Nesselmann scheinbar gutmütig; „und da Ihre werte Frau Gemahlin eben von Pilzen sprach, so muss ich sagen, dass dergleichen Suchende es gewissermaßen lediglich in der Nase zu haben scheinen, wie die Trüffelhunde. Es ist ein Instinkt, vor dem man freilich keine sonderliche Ehrfurcht haben, der aber doch recht nützlich sein kann.“

Frau Nesselmann fühlte das Bedürfnis, die Bosheit ihres Mannes zu vertuschen und die Richtung des Gesprächs ein wenig zu ändern; sie war etwas zu sentimentaler Betrachtung geneigt, und so begann sie:

„Suchen und Finden! Ist da wirklich zwischen dem scharfen Bestimmen durch Magnetnadel und Messrute und dem groben Instinkt nicht noch ein Drittes? Es ist heute fast gefährlich, den Schiller zu zitieren, aber ich meine, das Wort gilt doch:

Mit dem Genius steht die Natur im ewigen Bunde;
Was der eine verspricht, leistet die andre gewiss.“

Professor Agricola versäumte es nicht, dem Kollegen Nesselmann in seiner Gattin eins zu versetzen.

„Ja“, sagte er, „der Schiller wird nicht umsonst der Dichter der Jugend genannt und die Jugend ist, wie er selbst sagt, leichtfertig mit dem Wort“. Hierin lag insofern noch eine besondere kleine Bosheit, als Frau Nesselmann dafür bekannt war, mit ihrem aschblonden Haar und dem seelenvollen Augenaufschlag gerne noch etwas jünger erscheinen zu wollen, als sie in der Tat war.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hutten in Rostock