Hutten hält die Wegelagerer für Lötzsche Diener

Hutten hält die Wegelagerer für Lötzsche Diener, ja, er sagt, sie hätten sich selbst so genannt und gesagt, sie handelten im auftrage ihrer Herren, die ihr Eigentum zurückverlangten; so gilt ihm der ganze Raubanfall für einen Racheakt der Lötze. Er setzt unter harten Entbehrungen und durch Krankheit geschwächt die Wanderung fort - Rostock ist von Greifswald 12 Meilen entfernt - ist oft gezwungen, in Bauernhütten um Brod zu betteln und gelangt endlich in elendester Verfassung nach Rostock, wo er in einer Vorstadtkneipe liegen bleibt. Durch ein Paar lateinische Gedichtchen, die er namhaften Mitgliedern der Hochschule zukommen lässt, wird deren Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt; auch der genannte Professor und Regens Harlem gehört zu diesen. Harlem ist es besonders, der gleich helfend erscheint, wie ein rechter Samariter, und nach wenigen Tagen hat sich Huttens Schicksal wieder völlig zum Guten gewendet. Ja er wird, wie es scheint, ordentlich verhätschelt und Gegenstand allgemeiner auch werktätiger Teilnahme. Die zwischen den benachbarten Hochschulen bestehenden Eifersüchteleien mögen hierzu das Ihrige beigetragen haben.

Die guten Tage und die wiedergewonnenen Kräfte benutzt Hutten nun dazu, seinem Zorn gegen die Lötze, seiner Erbitterung über die erlittenen Misshandlungen in einer längeren Dichtung Luft zu machen. Er schreibt seine sogenannten Querelen, eine Sammlung von 20 Elegien, in welchen er den Tatbestand, so wie ich ihn erzählte, mitteilt, die Herrn Loßier auf alle Weise oratorisch misshandelt und dann bei Gott, Kaiser und Reich, dem Pommernherzog, der Huttenschen Verwandtschaft und allen guten Menschen zur Strafe denunziert. Diese Dichtung, in elegantem Latein verfasst, ist freilich in mancher Hinsicht noch eine Jugendarbeit, doch ist es Hutten bei ihrer Abfassung klar geworden, in welcher Richtung die Hauptstärke seines Talents lag: das Epigramm, die Invektive, die Satire, die „Klag und Vermahnung“ sind die Aufgaben, denen er sich fortan fast ausschließlich widmet und in denen er um so größeres leistet, je weiter er sich davon entfernt, Dinge zu behandeln, die ihn persönlich berühren, je mehr er sich Gegenständen von allgemeinstem Interesse zuwendet.


Aber seine Querelen waren doch ein Schlag ins Wasser; das Werkchen selbst ist niemals sehr verbreitet, für eine lange Zeit ganz verschwunden gewesen; davon, dass seine gegen die Lötze auch gerichtlich angestrengten Klagen irgendwelchen Erfolg gehabt hätten, ist nie etwas laut geworden. Danach erschien es mir immer zweifelhafter, dass es eine bloße brutale Misshandlung gewesen, was ihm von Seiten der Greifswalder zu Teil geworden; ich wurde, je länger ich über die Sache nachdachte, je mehr der Ansicht, dass wir es hier nur mit dem Schlussakt einer weiter zurückliegenden Geschichte zu tun hätten und diese Geschichte musste sich, so schloss ich, im Sommer des Jahres 1509, jener in Dunkel begrabenen Periode des Huttenschen Lebens, zugetragen haben.

Doch all mein Sinnieren und Forschen blieb ohne Resultat; es war ja auch nur natürlich, dass meine schülerhaften Bemühungen da nichts nutzen konnten, wo der Eifer berufener Gelehrter zu keinem Ergebnis geführt hatte. Als ich Rostock verließ, um meine Studien zunächst auf süddeutschen Universitäten fortzusetzen und so von dem Gegenstande meines Nachdenkens auch örtlich entfernt wurde, trat diese Angelegenheit mehr und mehr bei mir in den Hintergrund; ja, ich hatte sie fast vergessen, als ich durch einen glücklichen Zufall fand, was allem Suchen ewig unerreichbar geblieben wäre.

Nach Absolvierung meiner pädagogischen Examina wurde ich in ein Städtchen des preußischen Schlesiens geschickt, um an dem dort neuerrichteten Progymnasium mein Probejahr abzumachen. Die Älteren unter meinen Kollegen, die verheiratet waren, besaßen nicht die seltene Tugend, ohne großen Apparat ein gastliches Haus zu machen; man wurde einmal abgefüttert und hatte damit erhalten, was man verlangen durfte. Die Jüngeren waren mit jungen Damen aus dem Orte verlobt und durch die sich daraus ergebende Art des Minnedienstes vollständig in Anspruch genommen. Ein großer Held in Bezug auf Geselligkeit bin ich nie gewesen; so war das Gasthaus, in dem ich meinen Mittagstisch fand, bald der Punkt, um den sich mein Dasein drehte, sobald ich meine Klasse und mein eigenes Zimmer verließ. Zum Glück traf ich an der Wirtstafel mit einem Paar älterer Herren zusammen, die sich meiner annahmen beide hoffnungslose Hagestolzen; ein vielbeschäftigter, Arzt, der aus seiner Portenser Schulzeit her noch ein starkes Interesse für alte Literatur hatte, und der Rittmeister der im Orte garnisonierenden Schwadron, der seine große Reiselust immer nur theoretisch befriedigte, d. h. durch das Studium guter Reisebeschreibungen und Kartenwerke. Unsere gemeinsamen Interessen führten uns zusammen; ich diente den beiden Herren für allerlei Dinge, die mir doch noch frischer im Gedächtnis waren, als lebendiges Nachschlagebuch und sie verliehen mir dafür den Titel Schulrat, gaben mir in praktischen Dingen manche gute Lehre und behandelten mich überall mit einer fast väterlichen Sorgsamkeit. Sie gestatteten bei unsern abendlichen Zusammenkünften, dass ich mich mit einem Viertel Rothwein begnügte, während sie selbst als unentwegte Trinker ihres gleichen suchten und wenn wir mit des Rittmeisters Pferden eine Spazierfahrt über Land machten, verpackten sie mich, den sie für schwächlich hielten, in Mäntel und Decken, als wäre ich ein kleines Kind. Ich danke ihnen viel Liebes und Gutes und rede deshalb gerne von ihnen; aber sie gehören doch nur sehr mittelbar zur Sache und darum lass ich es mit dieser Charakteristik ihrer Personen genug sein.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hutten in Rostock