Eines Abends kam der Rittmeister mit Landkarten und Kursbüchern

Eines Abends kam der Rittmeister mit Landkarten und Kursbüchern bewaffnet in ziemlicher Aufregung an unsern Stammtisch; er müsse, sagte er, eine weite Reise machen - diesmal in allem Ernst - bis nach der Insel Rügen; ein alter unverheirateter Onkel sei gestorben und er selbst wäre dadurch Majoratsbesitzer geworden; zu Glückwünschen wäre indessen keine Veranlassung, da der ererbte Besitz allenfalls im Stande wäre, sich selbst zu erhalten, aber nichts darüber hinaus leisten könne; hinreisen müsse er aber einmal, um Besitz zu ergreifen und mit dem Pächter zu verhandeln - es sei schrecklich! und wir möchten ihm helfen, den Reiseplan festzustellen.

Der brave Mann, der vortrefflich in Zentralamerika und am roten Meere Bescheid wusste, war wirklich beunruhigt durch den Gedanken, dass er aus Mittelschlesien nach Rügen reifen solle! Wir hielten also einen weisen Rat miteinander, schrieben ein ordentliches Itinerarium für ihn nieder und entließen ihn mit unsern besten Wünschen.


In etwa acht Tagen kam er wieder, ganz erfüllt von allem Merkwürdigen, das er erlebt hatte. Er wusste von der Fahrt selbst soviel zu erzählen, dass er zu einer Schilderung seines neuen Besitzes zuerst gar nicht kam und auch dann erfuhren wir darüber eigentlich nur, dass er seine früher geäußerte Ansicht über den wirtschaftlichen Wert desselben durchaus bestätigt gesunden habe; doch mache ihm das kleine Unwesen Freude, da es sich nun schon seit mehr als 100 Jahren in seiner Familie vererbe und in manchen Dingen ein entsprechend altes Gesicht zeige. Auch befände sich da eine kleine Bibliothek; seine Vorfahren müssten alle nach dieser Richtung eine gewisse Sammelwut gehabt haben, aber die Unordnung unter den Büchern wäre so erschrecklich, dass er sich nicht habe entschließen können, näher zuzusehen.

„Das wäre“, so schloss der Rittmeister seinen Vortrag, „das wäre so ein Stück Ferienarbeit für Sie, Schulrat; Sie haben die nötige Geduld für solches Geschäft und manches Brauchbare mag doch zwischen dem übrigen Wust stecken. Für Ihre Existenz würde dort ganz leidlich gesorgt werden; ich glaube sogar, das Rügensche Kraftfutter würde Ihnen anzumerken sein, wenn Sie bei Beginn der Schulzeit wiederkämen.“

Auch der Doktor redete fleißig zu, die Ferien waren vor der Tür, andere Reisepläne hatte ich nicht, meine knappen Mittel gestatteten mir’s auch nicht, mich in der Beziehung sehr auszudehnen, Rügen war mir noch fremd - so entschloss ich mich kurz, für die Zeit von vier Wochen des Rittmeisters Gast auf seinem Gute zu sein und bei der Gelegenheit seine Bibliothek etwas zu ordnen.

Ich will Sie nicht mit der Beschreibung aufhalten, welchen Genuss mir der erste Besuch jenes wunderbaren Ländchens gewährte. An einem der lieblichsten Punkte desselben war mein Quartier gelegen, in dem nördlichen Winkel des sogenannten Rugianischen Boddens mit voller Aussicht über die ganze Bucht, die kleine Insel Vilm und das Thießower Höwt. Das Herrenhaus, wenn man’s so nennen darf, bestand ursprünglich nur aus einem viereckigen, massiven Turm mit kleinen, tief eingeschnittenen Fenstern, daran hatte man in neuerer Zeit ein bescheidenes Haus gebaut, in dem der Pächter Wohnung fand und ein paar Zimmer für den Besitzer reserviert waren. Das Ganze lag inmitten eines fast versunkenen Burgrings, der in einfachster Weise zu einem Garten umgeschaffen war. Der Wirtschaftshof lag ein Paar hundert Schritte entfernt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hutten in Rostock