Der Zwist

Wahrlich, Tibull, Du hast es erkannt und jetzo versteh’
ich’s,
Was ein zärtliches Herz Liebes und Leides erfährt:
,,Springen muss ich, gepeitscht durchs ebene Feld, wie
der Kreisel,
Wenn ihn ein munterer Bursch treibt nach der Regel
der Kunst.“
Ja, der Dichter erregt und, die er besungen, die Liebe
Weckt die Sinne mit Macht, schärfet das Auge, das
Ohr.
Früher sah ich es nicht, dass leise brummend der Ritter
Delias Wange berührt, wenn sie den Becher ihm
bringt;
Dass er mit täppischer Hand ihr löst das seidene Zopf-
band,
Wenn sie den gichtischen Fuß lind’ ihm in Wolle
verpackt:
Jetzt bemerkt’ ich’s - wie oft! - und Unmut schwellte
die Brust mir,
Wenn das Kosen des Herrn lachend die Dienende litt.
Schalt ich sie dann und drohte, wie zierlich konnte sie
schmollen
„Grillenfänger!“ und bald schloss mir die Lippen
ein Kuss.
Endlich ertrug ich’s nicht und: „Delia, sagt’ ich, en-
scheide,
Gilt der Gebieter Dir oder der Liebende mehr?
Willst Du für sicheres Brod dem brummenden Bären
verkauft sein,
Oder teilst Du mit mir, was uns Apollo beschert?
Armut vielleicht, doch ewigen Ruhm bei Göttern und
Menschen?“
Also rief ich und war schon mir des Sieges gewiss.
„Lieber, begann sie, und schüttelte leise das zierliche
Köpfchen,
Lieber, der Herbst ist da, Winter ist nah vor der Tür;
Kalt dann blasen die Winde, der Schnee deckt Gärten
und Felder
- Soll ich den traulichen Herd meiden, der sicher
mich wärmt?
Für uns Weiber taugen sie nicht, die Gaben Apollo’s –
Lass mich bleiben; auch Du bleibe, Du bleibst ja
bei mir.“
Aber zornig kehrte ich mich ab, da sah ich zu Füßen
Ausgebreitet das Meer, leise vom Winde bewegt;
Über mir zog gen Süden der Schwan, der Schiffer
am Strande
Rüstete wieder die Fahrt - Rugia, schirme Dich
Gott!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hutten in Rostock