Delia

Oft schon, wenn ich am Morgen dem besten Schlummer
mich hingab,
Hat mich das muntere Gegurr’ zärtlicher Tauben
geweckt.
Heute besucht’ ich den Raum, benachbart meinem Ge-
mache,
Welchen das luftige Volk passend zum Wohnen ersah.
Mancher Sommer verging, seit hier ein menschliches
Wesen
Haus’te, das Bett ist leer, Mäuse zerschnitten das
Stroh;
Über das Dintfass zog die Spinne zarte Gewebe,
Motten verzehrten den Flaum längst an dem müßigen
Kiel.
Auf dem Tisch ein gerolltes Papier - die neuen
Bewohner
Mancherlei Unbill schon fügten den Blättern sie zu.
Zögernd nahm ich die Rolle zur Hand - Ihr ewigen
Götter!
Wahrlich, die Muse streut, wie es vom Säemann
heißt;
,,Einer ging aus zu sä’n, und Etliches fiel in die Dornen,
Etliches fiel auf den Fels, Beides verlorene Saat!“
Diese Schrift, ein vergessenes Lied des süßen Tibullus -
Was doch täte Mutian, hielt er sie jetzt in der Hand!
Und ich las und wurde nicht satt, auf’s neue zu lesen,
Was zu Delia’s Ruhm zärtlich der Liebende sang.
Unter dem blühenden Dorn wie oft noch saß ich im
Garten
Und bei Tibullens Gesang wurden die klugen mir hell.
Sah ich doch jetzt, das ich sonst nicht sah, das freund-
liche Mädchen,
Das in der einsamen Burg herrschend als Schaffnerin
weilt.
Nicht mehr verzehrt mich nun nach den trauten Freunden
die Sehnsucht,
Nicht begehr’ ich nach Ruhm - kennst du das Lied
des Tibull?
,,Nicht begehr’ ich nach Ruhm, o Delia, wenn ich mit
dir nur
Bleibe vereint, sei dann ‚lässig und träge’ mein Lob!“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hutten in Rostock