Da gab es Nachrichten über die Brod- und Fleischpreise

Da gab es Nachrichten über die Brod- und Fleischpreise, über die Wahlen zu den städtischen Magistraturen, Personalien der Rostocker Hochschule, Berichte, dass eine der Hexerei verdächtige Person aus der Stadt gepeitscht, dass ein Bursist wegen Fenstereinwerfens ins Karzer gesteckt worden und dergleichen mehr. Zwischen diesem eigentlich doch ziemlich wertlosen allerlei stieß ich aber eines abends auf ein Goldkorn. Es war das eine Auszeichnung, um die Mitte des Jahres 1510 niedergeschrieben, über den Aufenthalt Ulrichs von Hutten in Rostock und über die Umstände, unter welchen der ritterliche Student dorthin gekommen. Jene Aufzeichnung selbst, von der ich mir nach einigem Bitten eine Abschrift nehmen durfte, werde ich Ihnen später mitteilen; sie regte mich damals in hohem Maße an. Im Gegensatz zu der heutigen Jugend, durch welche eine starke konservative Strömung geht, schwärmte ich mit meinen Genossen noch sehr für Freiheit und jedes kühne Verfechten derselben, und Hutten, wenn uns auch von seiner Geschichte meist recht wenig und noch weniger von seinen Werken bekannt war, gehörte mit zu den Heiligen, die wir schon der Tradition gemäß verehrten. Mit einer solchen verehrten Person mich gewissermaßen körperlich berührt, ein so unzweifelhaft echtes Zeugnis ihrer Realität erhalten zu haben, war für mich von höchstem Wert und veranlasste mich zunächst dazu, mich um die Geschichte und die Werke desselben etwas näher zu bekümmern. Das klassische Buch über Hutten von David Strauß war damals eben erschienen; aus ihm und anderen älteren Werken freute es mich zu lernen, dass mein bisher so ganz kritiklos verehrter Held wirklich eine Erscheinung war, für die sich ein deutscher Jüngling begeistern, dessen tragischem Ausgang er eine Träne weihen durfte. Dabei fiel mir auf, dass sich in Huttens Leben, soweit dasselbe historisch festgestellt ist, eine Zeit von wenigstens einem halben Jahre findet, welche völlig im Dunkeln liegt; es ist dies die Zeit unmittelbar vor Huttens Aufenthalt in Greifswald und Rostock. Im Interesse der Damen, denen diese Dinge nicht ganz geläufig sein dürften, gebe ich hier einen kurzen Abriss jenes Aufenthalts.

Im Frühling 1509 verlässt der damals einundzwanzigjährige Baccalaureus Hutten die Universitätsstadt Frankfurt an der Oder und ist damit spurlos verschwunden, bis er im Spätherbst desselben Jahres in Greifswald, in dessen Nähe er Schiffbruch gelitten, wieder auftaucht. Während er uns über seine Greifswalder-Beziehungen sowie über seine Übersiedelung nach Rostock selbst sehr redselig unterrichtet, erfahren wir weder durch ihn noch auf anderem Wege, von welchem Hafen das Schiff, mit dem er strandete, gekommen, ebensowenig, wo er jenen Sommer des Jahres 1509 verlebt, was er in jener Zeit erfahren habe. Es ist fast, als wolle er uns hier absichtlich etwas verschweigen; zugleich kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als lägen in jener unausgeklärten Zeit die ersten Ursachen der übeln Behandlung, die Hutten bei seinem Fortgange aus Greifswald erlitten. Urteilen Sie selbst!


Der schiffbrüchige Hutten wurde an der pommerschen Universität, die noch heute ihrer reichen Mittel wegen bekannt ist, zunächst wohl aufgenommen, unentgeltlich immatrikuliert und auch sonst gewiss mit dem Allernotwendigsten unterstützt; kam er doch völlig mittellos nach Greifswald. Seine Lage gestaltete sich bald noch günstiger, da sich die wohlangesehenen und reichen Herren Lötz, Vater und Sohn, seiner annahmen, der erstere Bürgermeister und Kaufmann, der andere Professor der Rechte bei der Universität. Von diesen wird Hutten wohlgekleidet, sogar mit Geld unterstützt; er bewegt sich in ihrem Hause, in ihrer Familie und findet dadurch, so scheint es, auch in anderen guten Häusern Greifswalds Eingang.

Plötzlich zeigt sich ein Umschlag in dieser, dem jungen Abenteurer günstigen Stimmung. Über die Ursachen desselben wird uns nichts mitgeteilt; und doch ist jener Umschlag so stark, dass Hutten es für angezeigt hält, mitten im Winter ein sicheres Nest zu verlassen und auf beschwerlichen Wegen durch lange unangebaute Strecken Rostock zuzuwandern. Mit den Herren Lötz, oder Loßius, wie sie sich selbst nennen, hat er sich noch wegen ihrer Vorschüsse, der dargeliehenen Kleidung u. s. w. auseinanderzusetzen, doch lassen sie ihn freiwillig ziehen, wie er selbst berichtet und um die Weihnachtszeit 1509 macht er sich auf die Reise.

Aber schon auf dem ersten Tagemarsch wird er, als er gerade im Begriff ist, ein überfrorenes Bruchland zu passieren, von bewaffneten Reitern angefallen, die ihm seine warmen Kleider nehmen, auch sein Bündelchen mit Büchern und Skripturen - an Geld und sonstigem Geldeswert ist wohl nicht viel bei ihm zu holen gewesen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hutten in Rostock