Auch Hutten hat einmal von Frühling und Liebe gesungen

Der Oberlehrer Flügel hatte sein Heftchen wieder geschlossen; So hat, fuhr er erzählend fort, auch Hutten einmal von Frühling und Liebe gesungen, oder, wie’s einige nennen, die Kinderkrankheit aller Poeten durchgemacht. Ob er es auf diesem Wege noch zu größerer Bedeutung gebracht haben würde - wer weiß es? Das Schicksal drängte ihn in eine andere Richtung, regte ihn zu ganz anderen Weisen an, die seinen Namen unsterblich gemacht haben, ihn selbst aber jenen Leuten zugesellten, deren Wappen eine brennende Kerze ist - Andern leuchtend, sich selbst verzehrend. Und das Schicksal kam nicht so ganz unerwartet, wie der Blitz aus heiterem Himmel; Huttens Persönlichkeit war ganz dazu gemacht, es herauszufordern.

In dem Epilog an Eobanus Hessus stimmt der eben dem Schiffbruch entronnene, in seiner Liebe gekränkte, schon wieder den Ton an, der ihn, wie’s scheint, schon in Frankfurt der eigentlichen Gelehrtenzunft widerwärtig machte. Er zieht die übermütige Jugend an sich, liest im Kreise derselben seine Gedichte vor und ermuntert zur Nachahmung und wenn sich die Schar der ehrsamen Väter der Hochschule daran ärgert, ist er gleich bereit, an den Midas zu erinnern. So wird er auch den Herren Lötz erst unbequem und zuletzt verhasst geworden sein. Trotzdem schließe ich, dass Hutten sich irrte, als er jenen räuberischen Überfall um Weihnachten 1509 den erbosten Greifswalder Patriziern zuschrieb. Dafür spricht nichts, als seine eigene, nicht unbefangene Ansicht; dagegen die Auffindung des corpus dilicti durch mich an einer Stelle, die mit den Lossiern gar nichts zu tun hatte und doch in anderer Weise mit Hutten in Beziehung stand. Der Dichter hat in Greifswald nicht nur seine Gedichte vorgelesen, sondern sicherlich auch seine Abenteuer des Breiteren erzählt und dabei mag sein alter Ritter nicht immer zum Besten gefahren sein, auch die treulose Delia allerlei abbekommen haben. Er hat aber nicht daran gedacht, dass ein Wort, in Greifswald laut gesprochen, auf Rügen ein Echo gibt; für ihn lag die Erinnerung seiner gefährlichen Seefahrt zwischen diesen beiden Punkten und trennte sie, als lägen hundert Meilen dazwischen. Gute Freunde haben den Rügenschen Ritter darauf aufmerksam gemacht, er würde nun nächstens, wie man’s heute nennen würde, auf den Leierkasten kommen, die Lossier mögen ihm den Weg gewiesen haben und merkwürdiger Weise ist es ihm geglückt, den Dichter seines Werkchens zu berauben und ihn für die Dauer unschädlich zu machen, indem er dessen Gedanken und Gefühle, ohne es zu wissen und zu wollen, in ganz andere Bahnen lenkte. Hierfür spricht auch die Aufzeichnung des Regens Ecbert Harlem in Rostock, welche also lautet:
Heute als am zweiten des Julius 1510 hat der junge Ulrich von Hutten unsere Burse zur Himmelspforten und auch die Stadt Rostock verlassen, nachdem er hierselbst ein halbes Jahr lang gelebt und sich und seinen mancherlei herrlichen Gaben Freunde und Förderer gewonnen hatte. Es war aber also mit ihm zugegangen: Am Tage vor Neujahr brachte mir der Knecht aus der Herberge zum schwarzen Bock in der Tessiner Vorstadt ein lateinisch Gedicht von sonderbarer Kunst und Feinheit aber auf ein unsauber Stück Papier geschrieben und wie mit zitternder Hand. Der es verfasset, läge in der gemeldten Herberge elend am Fieber und wisse seines Leibes keinen Rat, da er auch aller Mittel und schier der Kleidung entblößet sei. Also begab ich mich an jenen Ort und fand ein junges Blut in des Knechts Kammer auf Stroh und mit einer Rossdecken bedeckt, von langem Wandern, Hunger und Krankheit jämmerlich zugerichtet, dass es mich erbarmte. Redete ihn also auf lateinisch an und gab er Bescheid in derselben Sprache, dass es mich verwunderte, wie ein Mensch solcher Gaben und Wissenschaft voll also ins Elend geraten könne. Er komme, sagte er, von Greifswald, allwo er an der Hochschulen eine Weile wohl und in Ehren gelebt, bis ihn der Hass und die Verfolgung böser Neider zu weichen gezwungen, welche ihn auch noch vor den Toren jener Stadt durch schlechte Gesellen haben werfen und ausrauben lassen, so dass er fast entblößet sein Brod auf der Reise an armer Leute Türen zu betteln genötigt worden; nannte aber dabei als seine Schädiger die Herren Lötz Vater und Sohn, angesehene Bürger zu Greifswald, also dass ich fast erschrocken bin. So ließ ich den kranken Jüngling in einem Korbe nach der Himmelspforten tragen, ihn baden und säubern, kleiden und betten, dass er das neue Jahr als ein neuer Mensch konnte begrüßen. Und war es mir eine Herzensfreude zu sehn, wie er zunahm an Kraft und Fröhlichkeit, als wenn man eine Blume begießt, die lange gedürstet hatte. Als er aber wieder unter die Leute zu gehen vermochte, gewannen ihm seine herrliche Kunst und sein fast mutiges Wesen viel Freunde und Ehren, auch mancherlei Geschenke dafür er als ein rechter Poëta zu danken verstund. Ermunterte ihn daher, seiner göttlichen Gaben zu nützen Gott zu Ehren und vielen Menschen zur Freude; er aber ist doch zumeist auf seinen Zorn gerichtet geblieben, hat auch ein tapferes Werk voll schrecklicher Anklage wider die Lötze verfasst und damit viel Gunst gewonnen unter den Leuten, gelahrten und ungelahrten. Drucken aber hat es zu Rostock doch niemand mögen, fürchtend, sich üble Feindschaft in der Nähe zu erregen und hat also die Ungeduld meinen Pflegling wieder hinaus getrieben, gen Frankfurt wie er meinte, um sein Werk der Welt bekannt zu geben. Nicht gerne habe ich ihn ziehen sehn, da ich ihn, seines ungestümen Wesens ohnerachtet, herzlich lieb gewonnen. Gott geleite ihn, gebe ihm auch wieder freundlichere Gedanken und ein stilles Gemüt, also dass er der Gelahrtheit noch dermaleins eine mächtige Stütze und nicht minder der ganzen Menschheit ein erfrechender Born und eine tröstende Leuchte sein könne. Dazu helfe der Herr in seiner Gnade. Amen! -


Abermals schloss der Oberlehrer Flügel das kleine Heft, aus welchem er auch diese Aufzeichnung vorgetragen hatte; dann, als wollte er sich vorerst jedem weiteren Gespräch über diese Sache entziehen, erhob er sich rasch, machte eine eckige Verbeugung gegen sein noch schweigendes Auditorium, eilte mit flatternden Schößen und mit den Armen rudernd die Mole entlang der Stadt zu und war bald hinter den ersten Häusern verschwunden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hutten in Rostock