Hochzeitsgebräuche des russischen Landvolks. I. Der Däwitschnik.

Aus: Russische Revue. Monatsschrift für die Kunde Russlands. Band X
Autor: Nach den Volksliedern geschildert von F. Großpietsch., Erscheinungsjahr: 1877

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, Sitten und Gebräuche, Tradition, Heirat, Braut, Bräute, Bauernhochzeit, Gastfreundschaft, Totenklage, Brot und Salz, Heimat, Mädchen
Der Däwitschnik (von die Jungfrau), ist das unentbehrliche Vorspiel der Hochzeit und entspricht dem Polterabend, aber nur nach der Zeit der Feier. Denn die Gebräuche, die ihn begleiten, alt überliefert wie sie sind, und ein Gemisch von einheimischen und vielen überkommenen Sitten, sind zu eigenartig, als dass jene Feier, deren Mittelpunkt eine ungemäßigte Wehklage der Braut ist, mit dem deutschen Polterabend mehr gemein hätte. Dazu begleiten an diesem Abend wehmütige Lieder jeden Schritt der Braut. Von diesen teilen wir in der folgenden Schilderung in metrischer Übersetzung mehrere mit. Die meisten sind einem Werk entnommen, welches 1870 in Moskau erschienen ist.

Die Braut sitzt auf den Palati, dem erhöhten Brettergerüste neben dem Ofen, welches der Bauernfamilie im Winter als Schlafstelle dient, oder, wenn nicht hier, so doch höher als die Gäste, jedenfalls aber abgesondert von den Plätzen, welche diese einnehmen. Ihr zur Seite befinden sich zwei Mädchen aus dem Kreise ihrer Freundinnen, oder, nach örtlichem Gebrauche, ihre Mutter und eine Schwester, wenn diese verheiratet ist.

„Das weiße Schwänchen“ ist im besten Putze. Aber nach der alten Sitte der Griechen und Römer, übrigens auch aller Asiaten, von welchen viele Gebräuche in Russland eingedrungen sind, verhüllt ein Tuch ihren Kopf und lässt nur die Augen und ihren Haarzopf sichtbar. Dieser nämlich, in allen Volksliedern mit dem Attribut „der braune“ bedacht, ist mit einem himmelblauen oder hochroten Bande durchflochten, läuft in ein Büschel aus Flittergold aus, und unter dem Zipfel des Tuches, welches noch den Nacken bedeckt, hindurchgezogen, hängt er über ihr buntfarbiges Kleid hinab. Der Zopf bringt der Braut, je länger er ist, um so größeren Ruhm; einige Volkslieder lassen ihn „bis zum seidenen Gürtel, bis zum deutschen Strumpfe und dem schwarzen Schuh“ wachsen.

Auf jenem Platze und in dieser Verhüllung ihren Angehörigen und den Gästen zur Schau gestellt, weint die Braut kläglich und bitterlich, um ebenso sehr dem alten Herkommen gerecht zu werden, wie sie mit wahrem Schmerze über die Trennung von ihrem Kreise die Furcht, welche sie vor der Zukunft hegt, zum Ausdruck bringt.

Vor Allem genügt sie, indem sie der Sitte folgt, den Ansprüchen ihrer Eltern. Denn diese würden ihr Lieblosigkeit vorwerfen, wenn sie es nicht augenfällig und eindringlich vor ihnen selbst und im Beisein der Gäste zur Schau trüge, wie schwer es sie ankomme, von ihnen zu scheiden, und dass sie ihnen Dank für „Brot und Salz“ wisse, welches bekanntlich Symbol der Gastfreundschaft ist und hier alle der Tochter erwiesenen Wohltaten der Eltern zusammenfasst. Diese zählt sie auch einzeln auf, und gerade darin besteht, wie es scheint, „das Preisen des Väterchens“. Zugleich empfiehlt sie nicht anders, als laut weinend, die Eltern der Fürsorge ihrer Brüder; diese und ihre Frauen sollten doch ihr Ernährer-Väterchen und Mütterchen-Gebärerin im Alter nicht verlassen.

      Am Tore stand eine Birke,
      Es schrill durch den Hof die Fürstin,
      Sie brach von der Birke die Spitze:
      Steh ohne Spitze, o Birke,
      Leb, Mütterchen, ohne mich!


Diesem Liede, dessen Heimat das Gouvernement Pskow ist, ähneln andere Volkslieder, indem sie ausführen, wie die Braut, weil sie selbst die bejahrten Eltern verlassen müsse, „traurige Bitten“ um liebevolle Behandlung dieser an ihre Brüder richtet; doch ist dies nicht der Hauptinhalt derselben, denn in die meisten Lieder gerade dieser Art mischen sich und zwar so, dass sie jene überbieten, bittere Klagen über ihr künftiges Loos und ebenso heftige Vorwürfe gegen ihre Eltern, vor Allem gegen den Vater, Klagen, welche alle, wie beispielsweise das folgende Lied aus dem Gouvernement Tula, dahin lauten, dass er sie in fremde Hände gäbe.

      Auf dem Felde schrie ein weißes Schwänchen,
      In dem Erkerzimmer weint’ Awdotja,
      Schrie Michailowna in lautem Jammer,
      Gegen Väterchen erhob sie Klage:
      Gott sei Richter dir, mein Väterchen!
      Gibst mich junges Ding in fremde Hände.
      Glück und Liebe schickst du fort vom Hofe!
      Ohne mich verwelkt der grüne Garten,
      Werden welk zwei rote Blümchen. —
      Stehe früher auf, mein Brüderchen,
      Stehe früher auf, begieß sie öfter!
      Die erste Blume ist mein Väterchen,
      Die andre Blume ist mein Mütterchen.


Die ganze Abschiedsklage der Braut vor den Eltern bezeichnen die Volkslieder selbst als Klagegesang, wie ihn der Hinterbliebene an der Leiche des Verstorbenen anstimmt; sie geben diesem noch überdies das Attribut „der klägliche“. Und sie steht wirklich in ihrer Heftigkeit nicht weit hinter der Totenklage zurück; der Vortrag derselben geschieht in dem weinerlichen Singtone dieser letzteren. Denn die Furcht vor der Zukunft — wir kommen weiter unten darauf zurück — , welche in manchen Liedern in den schwärzesten Farben ausgemalt wird, steigert die Gewalt des Schmerzes, und „brennende Tränen“ begleiten die Worte, wie bei der Totenklage. Das folgende Lied ist aus dem Gouvernement Rjasan.

      Der Kuckuk rief, fliegend
      In den feuchten Tannenwald,
      Maruschka weinte,
      Auf den Tisch sich werfend,
      Ihr Väterchen preisend.
      Vor Mütterchen klagend:
      Herr, mein Väterchen,
      Mal' mein Gesichtchen
      Aufs eichene Tischchen,
      Zeichne meine Schönheit
      Aufs geschmückte Tischtuch!
      Bewegt ihr das Tischchen,
      Werdet mein ihr gedenken,
      Werdet dreimal weinen:
      Wie geht's unserm Kinde
      In der weiten Fremde,
      Beim fremden Väterchen?


Die übrige Klage, soweit sie das Herkommen gebietet, gilt „den lieben leiblichen Brüderchen, den blauschillernden weißen Taubern und den Schwesterchen-Schwälbchen“, endlich allen ihren Verwandten. Aber noch inniger, als von diesen, verabschiedet sich die Braut von ihren Freundinnen, der Schaar „schöner Mädchen“, wie z. B. in einem Liede aus dem Gouvernement Tula:

      Im Meere badete sich,
      Plätscherte ein Entchen.
      Nachdem sie geplätschert,
      Schrie die graue Ente:
      Starker Frost wird kommen,
      Tiefer Schneefall,
      Wird treiben das Entchen
      Aus dem blauen Meere.
      Wie soll ich scheiden
      Vom blauen Meere,
      Empor mich heben
      An den steilen Ufern? —
      Im Erker putzte sich
      Prächtig Maruschka,
      Im Erker schmückte sich
      Schön Wassiljewna,
      Schmückte sich Maruschka
      Laut aufweinend:
      Wie soll ich scheiden von den Mädchen;
      Wie scheiden, wie Abschied nehmen?
      In großer Auffahrt naht
      Mein Herr, Alexei.

Russisches Bauernmädchen

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Russicher Bauer in Wintertracht

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Mutterliebe

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Russischer Geistlicher

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Ganz privat - Teestunde am Samowar

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Bauernhochzeit

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Russischer Dorfmusikant

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Eine Großrussin

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Moskau - Wirtshausleben

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Moskau - Droschkenkutscher

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