Zweite Fortsetzung

Die Schwiegermutter aber, vor welcher die junge Frau am Manne keinen genügenden Schutz findet, bedenken die Volkslieder, sobald sie ihrer Erwähnung tun, mit dem Beiwort „die arge“, oder nennen sie die mürrische. Sie vergleichen sie ferner mit einer Hündin an der Kette , mit einer grimmigen Schlange , oder wieder mit einer zischenden Gans und lassen sie als solche „das weiße Schwänchen, welches nicht nach Gänseart zu schnattern“ versteht, beißen, und dies im Verein mit einer ganzen Herde von Gänsen tun. Die Letzteren aber sind „die pausbackigen Frauen der Brüder des Mannes“, welche von den Liedern als hochmütig, aufgeblasen und zänkisch und, wie übrigens auch noch die Schwiegermutter selbst, als Friedensstörerinnen, endlich als Klätscherinnen geschildert oder vielmehr, nach dem russischen Textworte und wahrscheinlich mit Beziehung auf die Zänkereien, welche sie gleichsam einrühren, als Quirle bezeichnet werden. Die Brüder des Bräutigams werden mit Windhunden verglichen und durchweg die Spötter genannt. Der Schwiegervater endlich sieht sich, obgleich seiner seltener gedacht wird als seiner Frau, hier mit einem schnurrbärtigen großen Kater, dort wieder, wie er auf den Palati, dem Lieblingsplatze der sich streckenden Trägheit, liege, mit einem Hunde am Stricke verglichen, und er drohe, schmähe und schelte ohne Unterlass und ohne allen Grund. Auch hat er noch das Attribut „der zornige“. Schon wenn sie über den Hof schreiten würde, um in das Haus des Mannes zu treten, fürchtet die Braut, würden Alle insgesamt, Schwiegereltern, Schwäger und Schwägerinnen, über sie, das fremde Kind, Gericht halten und die einen sie die verschlafene, die anderen die unordentliche, oder eine putzsüchtige Frau und Verschwenderin schelten. Aber trotz alledem und wahrscheinlich aus keinem anderen Grunde, als weil eben die Kinder den Willen der Eltern, wie ein Verhängnis oder eine göttliche Fügung, über sich ergehen lassen, sind die Schwiegereltern mit ihrer ganzen Familie „von Gott gegeben“, und deshalb finden sich, zumal der russischen Volkssprache die Verkleinerungswörter in so hohem Grade eigentümlich, und die in den Liedern gebrauchten Beiwörter alle stehende sind, nicht selten Verbindungen, wie „das von Gott gegebene, grimmige Schwiegermütterchen“, oder „das hochmütige Schwägerinchen, das von Gott gegebene Schwälbchen mit gebogenen Federn“, Verbindungen, welche zugleich, freilich nicht im täglichen Leben, aber doch in den Liedern als Anrede gebräuchlich sind.

Wie denn werde sie sich, fragt die Braut, an die fremden unbekannten Leute gewöhnen, wie sich in die ferne Gegend schicken, in welche sie verkauft wäre. Diese Gewöhnung ist der Gegenstand vieler Lieder. Das folgende ist aus dem Gouvernement Tula.


Bei uns floss ein Fluss durch unsern Garten,
Auf Rosinen strömten seine Wogen,
Seine Ufer waren wie Kristall,
Und den Trauben glich sein gelber Sand.
Bei uns in dem Städtchen Epiphan,
In dem steinernen Palaste,
Vor dem schön geschmückten Tischchen,
Vor dem kleinen Tisch aus rotem Holze,
Vor dem blanken Spiegel aus Kristall
Kämmt ein junger Bursch' die braunen Locken,
Kämmte sie und sprach dazu das Wort:
Schmiegt euch an, ihr meine Locken,
An mein Angesicht, das weiße!
Musst dich, Awdotja Michailowna, gewöhnen
An das Denken, an die Einsicht,
An die Sinnesart des jungen Burschen.

Doch die Furcht vor dem Manne, die übrigens seilen geäußert wird, tritt in den Hintergrund und ist matt gegen die Farben, welche die Lieder auftragen, wenn sie von der Gewöhnung an die Schwiegereltern und ihre Familie sprechen. Diese aber würde deshalb so schwer sein, weil fremde Leute weder Liebe noch Mitleid und Gnade hätten. Denn

Der Schwiegervater ist nicht Väterchen,
Die Schwiegermutter ist nicht Mütterchen,
Die Schwäger sind nicht wie die Brüderchen,
Die Schwägerinnen sind nicht Schwesterchen.

Sie werde ihr ungestümes Köpfchen beugen, die schnellen Füßchen zum Herantreten und die weißen Händchen zum Herbeitragen bereit halten müssen, das eifrige Mädchenherz müsse sie unterwerfen, gegen Jedermann freundlich und in allen Stücken vorsichtig sein, und werde zur schwersten Arbeit angehalten werden; aber wenn sie sich auch zu Allem verstände, und trotz aller Bereitwilligkeit von ihrer Seite, würden sie die Schwiegereltern — wieder werden diese genannt, nicht der Mann — doch noch und immer noch schelten. Denn sie würden, wenn sie auch bis in die späteste Nacht gearbeitet hätte, schon in aller Frühe des Morgens zornig durch den Hausflur schreiten und sie aus dem Schlafe wecken. „Steh' auf“ würden sie rufen, „steh“ auf, unliebes, nicht leibliches, du verschlafenes und unordentliches Kind, mach' dich an die Arbeit! Gewöhne dich, herbeigeführte Schwiegertochter, an die Arbeit, an die große Sorge, und fort mit dem Willen deines Väterchens, fort mit der Verzärtelung durch das Mütterchen!“ Aber werde denn die Arbeit in ihrer Schwere nicht über ihre Kräfte gehen? Kummer, großen Kummer werde sie haben, über ihre Wangen würden heiße brennende Tränen rinnen. Manche Lieder sprechen von reißenden Flüssen von Tränen, wenn sie das Leben im Ehestande schildern, und lassen alle Felder und Gärten mit Kummer bepflanzt sein, und wie, nach den Totenklagegesängen Russlands, Witwen und verwaiste Mädchen „ewig schreien, wie der unglückliche Kuckuk im feuchten Tannenwalde“, so will, in einem der vorliegenden Volkslieder aus dem Gouvernement Tula, die junge Frau „als Kuckuk in die Heimat fliegen“, um im Garten der Eltern zu klagen.

Unter dem Strauche
Der Johannisbeeren
Entquoll ein Bächlein.
Da gebar die Mutter
Mich tränenreiche,
Die unbedacht mich
In ferne Fremde
Dem Manne dahingab,
Dem unbekannten.
Nun schmäht mich grundlos
Das fremde Väterchen,
Nun schilt um Nichts mich
Die fremde Mutter.
Ich schwing mich auf,
Wie ein junger Kuckuk,
Ich fliege zur Heimat,
Zu Väterchen flieg ich
In den grünen Garten,
Auf Mütterchens Birnbaum,
Mütterchens Lieblingsbaum.
Wie der Kuckuk ruf ich,
Sing Grabeslieder,
Rühre zu Tränen
Das Volk mit Klagen,
Überflute den Garten
Mit bitteren Zähren
Mütterchen im Hausflur
Geht auf und nieder,
Weckt aus dem Schlafe
Die Schwiegertöchter-Schwälbchen :
Ihr Schwiegertöchter-Schwälbchen,
Erhebt euch eilig!
Welch’ Vögelchen ist das
In unserem Garten?
Der älteste Sohn spricht:
Ich will es erschießen.
Der zweite Sohn spricht:
Ich will es verscheuchen.
Der jüngste Sohn spricht:
Ich will es anschauen.
Ist’s nicht uns’re betrübte,
Uns’re leibliche Schwester
Aus der fernen Fremde?
Komm herein, Schwesterchen,
In die hohe Stube,
Sag deinen Kummer,
Frag nach dem unsern.