Erste Fortsetzung

Endlich weint die Braut, indem sie von den Heiligenbildern der Wohnstube Abschied nimmt. Denn diese waren ihre Penaten. Vor diesen hat sie Tag um Tag und früh und spät ihre Kreuze über der Brust geschlagen, ihre tiefen Verbeugungen gemacht und gebetet. Sie waren an allen Feiertagen Jahr aus Jahr ein von einem Öllämpchen beleuchtet, am Däwitschnik sind sie von zwei Wachskerzen erhellt. Der Abschied von den Heiligenbildern ist der Abschied vom häuslichen Herde. Doch dieser Klage gedenken die Hochzeitslieder nicht, ein Beweis, wie alt sie sind. Übrigens bieten sie mehr heidnische, als christliche Anschauungen.

Da nun alle Gäste nicht weniger als die Eltern und Geschwister der Braut darauf sehen, dass sie „gut“ weint, so steigert diese, um Ehre und Ruhm einzulegen, ihre Klage, so oft einer ihrer Verwandten in die Stube tritt, und so ist sie lange Zeit auf ihren Platz gebannt, lange Zeit gehalten zu weinen. Denn Jene kommen einzeln, nicht geschart, wie der Anhang des Bräutigams.


Aber wie weit auch die Braut in ihrer Wehklage geht, sie spricht und singt nur selten selbst. Denn die Hochzeitslieder geben der Klage nach allen Richtungen Ausdruck. Die Lieder aber abzusingen und somit „das Hochzeitsspiel zu spielen“ ist die Pflicht ihrer „Freundinnen-Schwälbchen, der süßen Sängerinnen“, welche die Lieder in dieser Funktion als „Spielerinnen“ aufführen. Der Letzteren sind nicht selten mehr als zwanzig. Sie sitzen auf den Bänken um die Tische und sind schon seit Mittag versammelt, doch erscheinen sie am Däwitschnik nicht zum ersten Male als Sängerinnen vor der Braut. Denn seit der Verlobung haben sie sich jeden Abend eingefunden, um zu singen, in wehmütig einförmigem Singtone zu klagen und mit ihr und für sie zu nähen. Und so besteht die Aufgabe der Braut nur darin, dass sie, wie es die Leidtragenden beim Gesänge der Klageweiber tun, jene Lieder bald mit stillem Weinen, bald mit lautem Schluchzen begleitet, je nachdem nämlich die Sängerinnen den Ton dazu anschlagen, und sie noch in ihrem Weinen und Schluchzen unterstützt wird von Frauen zur Rechten und Linken. Zuweilen wird auch geradezu ein geschicktes Klageweib zur Feier des Däwitschnik als „Beisitzerin“ zugezogen, und dieses hat, wie bei Beerdigungen, so auch hier, „rührenden und ergreifenden Gesang“ anzustimmen, und unterstützt also jene Sängerinnen im „Spiel des Hochzeitspieles.“

Das berührte Spielen der Hochzeit ist auch der russischen Schriftsprache eigen und hat vielleicht seinen Ursprung von den Spielen, welche nach dem Chronisten Nestor im grauen Altertume zeitweise, und zwar zu keinem anderen Zwecke angesetzt wurden, als dass sich im Laufe derselben der heiratslustige Mann die Frau rauben könnte. Diese Spiele waren, wie die heutige Hochzeitsfeier, mit Tänzen, mit Liedern und Musik verbunden. Aber auch die Lieder werden „gespielt“, doch gehört diese Bezeichnung nur der Volkssprache, im Besonderen der Sprache der Volkspoesie an.

Die Wehklage der Braut, damit wir zu derselben zurückkehren erreicht den höchsten Grad, wenn ihr die Freiwerberin, welche die Heirat vermittelt hat und während der Hochzeitsfeier selbst viele Funktionen ausübt, oder jene Beisitzerinnen den Zopf aufflechten. Denn da dieser nach den Volksliedern das Symbol der Mädchenschönheit ist, so versinnbildlicht das, früher auch bei fürstlichen Bräuten übliche, Aufflechten desselben das Ausscheiden der Braut aus dem Kreise der Mädchen, den Abschied von ihnen und den Eintritt in die Ehe, in welcher sie das Haar in zwei Zöpfen, ohne bunte Bänder und Flitterwerk und, wie einst die römischen Frauen zum Zeichen ihrer Sittsamkeit, mit einem Tuche verhüllt tragen muss. Daher erteilt auch, bei der Bedeutsamkeit der Zeremonie, wie das Aufflechten des Zopfes unbedenklich genannt werden kann, der Brautvater seinen Segen zu derselben, und jene Beisitzerinnen fassen den Zopf nicht an, ohne sich wiederholt vorher zu bekreuzen. Ein Lied aus dem Gouvernement Tula schildert den Schmerz der Braut beim Aufflechten ihres „Mädchenzopfes“.

Nicht tönt die Schalmei
In der Frühe des Morgens,
Nein, es weint Awdotjuschka
Um die braune Flechte:
Meine Welt, meine Flechte.
O braune Flechte!

Des Abends die Mädchen
Die Flechte mir flochten,
Mit Gold, mit Silber
Das Haar sie umflochten,
Ein hochrotes Bändchen
Hinein sie flochten.

Gott sei Richter
Dem Andrei Wassilitsch!
Wassilitsch, Wassilitsch
Sandt' mir die Werberin,
Die mitleidlose,
Die gnadenlose.

Sie begann meine Flechte
Zu kämmen, zu raufen,
Das Gold, das Silber
Zu reißen, zu werfen,
Das hochrote Bändchen
Mit Füssen zu treten.

Wie sich die Braut lange weigert, sich den Zopf auflösen zu lassen, so macht sie jetzt, nachdem er „zerrissen, das Köpfchen zerzaust, die hochroten Bändchen verloren“ sind, jenen Frauen Vorwürfe, dass sie ihr die großkörnigen Perlen verstreut und damit alle Ehre, allen Ruhm entrissen hätten. Und wie käme es denn, fragt ein nicht gedrucktes Lied aus dem Gouvernement Twer „die weißen Täubchen“, dass sie sich die weißen Händchen nicht zerschnitten hätten? Denn es hätten ja doch zwei nadelförmige Messerchen in dem Zöpfchen gesteckt.

Nach einem Liede, welches im Gouvernement Nowgorod gesungen wird, sucht die Braut, indem sie ihr aufgelöstes Haar mit dem Kopfschmucke ihrer Freundinnen vergleicht und langsam durch die Stube schreitet, ihre „verlorene Mädchenschönheit in allen vier Winkeln des neuen Stübchens“ , aber sie könne sie nirgend finden.

Die vorliegenden Hochzeitslieder personifizieren auch die „teure Mädchenschönheit“. Denn nicht genug, dass sie die Braut weinen lassen, weil sie dieselbe verloren habe , auch die beweinte Schönheit selbst empfindet und äußert ihren Schmerz über die Trennung von der Braut. Denn in einem Liede aus dem Gouvernement Archangelsk, welches jener Zeremonie ganze 87 Verse widmet, erklärt die Braut, dass sie die teure Mädchenschönheit, durch die sie geziert worden wäre, erst an ihr Herz drücken, dann an einen Apfelbaum oder eine Birke hängen wolle, um dann abseits zu gehen und zu horchen.

Schreit nicht im Felde
Der graue Kuckuk
Um sein warmes Nestchen?
Weint, weint nicht meine Mädchenschöne?
Es weint, weint die Mädchenschöne
Um mein ungestümes Köpfchen.

Doch die Mädchenschönheit jage ihr nach, und so wolle sie, das arme Mädchen, sie wieder in die weißen Händchen nehmen und sie abermals an ihr Herz drücken, denn sie könne einmal von ihr nicht scheiden Aber sie werde sie jetzt zu dem weißen Schwänchen auf die stillen Wellen des Flusses tragen und dort wieder horchen.

Schreit nicht der weiße Schwan?
Weint nicht die Mädchenschöne
Um mein ungestümes Köpfchen?
Es schreit, schreit der weiße Schwan,
Sie weint, weint, die Mädchenschöne
Um mein ungestümes Köpfchen.

Denn bei Vater und Mutter hinter dem Ofen, fährt sie fort, sitze ein Bösewicht, die Altweiberschönheit. Aber das Leben des Weibes sei traurig und schimpflich, würde ihr aber ewig aufgebürdet sein.

Sie sitzt, breitet sich aus,
Lässt Habichtsflügel wachsen,
Lässt Eulenkrallen wachsen,
Will flattern, auffliegen
Auf mein ungestümes Köpfchen,
Will scharfe Krallen schlagen
In mein braunes Haar,
Will die Mädchenschöne verderben.
O weh mir, wie weh!
Will ewig mich binden.
Wohin soll ich mich wenden?

Wenn in einem Liede aus dem Gouvernement Pskow die Braut klagt, dass sie in Zukunft nicht einen, sondern zwei Zöpfe, aber nur einen einzigen Willen, doch keinen freien haben werde, so hallt dies noch durch andere Volkslieder hindurch. Zugleich auch beklagt sie wiederholt, dass sie die Verzärtelung von Seiten ihrer Eltern hinwerfen, und besonders, dass sie von der Heimat scheiden müsse, wenn sie nämlich die Heirat aus dem Geburtsorte führt. „Ich Betrübte, ich Unglückliche“, ruft die Braut in einem Liede, welches Snegirow in seinem Werke „Russische Volksfeiertage“ aus dem Gouvernement Kostroma mitteilt, „ich habe im dunklen Nächtchen nicht geschlafen, denn ich träumte einen nicht schonen Traum“. Ungestüme Winde hätten sich von allen Seiten erhoben und ihr Bettchen in eine fremde ferne Gegend, zu einem fremden Vater, einer fremden Mutter, zu unbekanntem Geschlecht und Stamm fortgetragen. Die Eltern, lassen wieder andere Lieder die Braut flehen, sollten sie doch nicht in die Gegend geben, in welche sie nicht kommen wolle, nicht unter fremde Leute schicken. Denn der Kummer würde sie drücken, ohne dass sie wagen dürfe, zu weinen. Doch wenn sich ein Mann fände, welcher ihre Brust auftrennen wollte, er würde in ihrem Herzen sehen, wie sehr sie sich härme. Aber wozu solle man, wendet sie selbst ein, wozu denn die Brust auftrennen und den Leib entstellen? Denn „sichtbar ist die Trauer in den hellen Augen, der Kummer sichtbar auf dem weißen Gesichte.“

Alles, was die Braut in diesem Sinne äußert, die ganze Furcht, sie ihr Herz bewegt, gipfelt in ihrer großen Angst vor der Tyrannei der Schwiegereltern und in der Besorgnis, dass ihre (neue) Familie unverträglich sein werde. Denn diese sind „die fremden Leute“; die Furcht vor ihnen schildert eine lange Reihe von Liedern, in dem Falle nämlich, dass sie in dem Hause der Schwiegereltern nicht zu einem eigenen Herde gelangt, Und gerade dieses ist Regel und begründet durch die althergebrachte Einrichtung der russischen Bauerngemeinden. Denn hier, im Hause der Eltern ihres Mannes, führt nicht sie, sondern die Schwiegermutter das Regiment. Die Frau des Sohnes kommt als Arbeiterin ins Haus oder, um die Lieder reden zu lassen, „als Stütze für die starken Schulterchen, als Ersatz für die weißen Händchen“ des Mannes. Doch ist dieser nicht selbständig. Er erhält zwar, als verheirateter Mann, seinen Anteil am Gemeindeacker, sobald eine neue Verteilung vorgenommen wird, aber er bewirtschaftet ihn nicht für sich allein, der Ackeranteil wird zum Familienlande geschlagen, der verheiratete Sohn bleibt dem Vater, als dem Oberhaupte der Familie, untertan bis dieser stirbt. Der Mann sieht sich ferner nicht selten genötigt, außer dem Hause dem Gelderwerb nachzugehen und muss so die Feldarbeit auf die Schultern der Frau wälzen, und diese, übrigens von diesen Volksliedern häufig geradezu als Stütze der Schwiegermutter bezeichnet, hat „den fremden Eltern“, oder, nach dem Ableben des Schwiegervaters, dem an seiner Stelle gewählten Familienvorstande zu gehorchen, nachdem sie geheiratet hat oder vielmehr „abgegeben“ worden ist, nämlich willenlos gegenüber der Autorität ihrer leiblichen Eltern. Denn diese folgen dem alten Herkommen und wählen geschäftsmäßig selbst für die Tochter den „vom Gottesschicksal Bestimmten.“

Aber auch der Sohn hat in der Regel keine freie Wahl. Wenigstens gehören die seltenen Ausnahmen erst der jüngsten Neuzeit an. Die Eltern verfügen über ihn fast ebenso eigenwillig, so willkürlich, dass sie, um ein Beispiel aus dem täglichen Leben anzuführen, den abwesenden Sohn, der sich in der Stadt als Diener, Arbeiter oder Handwerker befindet, wenn sie für das Feld eine Arbeiterin brauchen, nach Hause kommen lassen und ihn verheiraten, um ihn wenige Tage darauf, nachdem er die Arbeiterin ins Haus gebracht hat, wieder in die Stadt ziehen zu lassen. Was aber die Volkslieder betrifft, so sind diejenigen vereinzelt, nach welchen die Mutter den Sohn auffordert, sich eine Frau auszusuchen; nur selten findet es sich, dass die Eltern, wenn „der junge Falke ein weißes Schwänchen gegriffen“ hat und nun bei diesen anfragt, ob es ihnen gefalle, dass die Eltern erklären, es brauche nur ihm zu gefallen. Dagegen schreibt ein „beherzter junger Bursche“, welcher heiraten will und sich ein Mädchen gewählt hat, in der Ungewissheit, ob es ihm die Eltern gestatten werden dieses zur Frau zu nehmen, an Vater und Mutter einen Brief, „nicht mit der Feder, nicht mit Tinte, er schreibt ihn mit seinen brennenden Tränen.“ Wieder andere Lieder lassen einen jungen Mann klagen, dass man ihm, wie er aus der Mühle nach Hause zurückgekommen sei, zur Frau Glück gewünscht habe; ein Anderer klagt, dass man ihm befehle zu heiraten, und man gäbe ihm eine Braut, die er nicht liebe, und deshalb „rollen die Tränen über sein weißes Gesicht“, gerade so wie bei der Braut, welche beispielsweise in einem Liede sagt, dass plötzlich, ohne dass sie etwas geahnt hätte, die junge, launenhafte und stolze Freiwerberin vor sie getreten wäre und sie aufgefordert habe, sich bereit zu machen, um zur Trauung zu gehen, welche die Lieder durchweg das Gericht Gottes nennen. Aber könne man denn den Beschluss, sie zu verheiraten, nicht rückgängig machen?