Weiblicher Heroismus

Der Kaiser Friedrich Rotbart belagerte im Jahr 1174 die Stadt Ankona. Bei der Hartnäckigkeit, womit die Eingeschlossenen sich verteidigten, stieg der Hunger aufs Äußerste. Es gebrach an allen menschlichen Lebensmitteln: Pferde- und anderes Tierfleisch, das Ungewohnheit und Eckel sonst verschmäht, wilde Kräuter, unter Felsen ausgegrabene Meernesseln, sonst für giftig gehalten, gekochtes Leder u. dgl. vertraten die Stelle gewöhnlicher Nahrung. Wenn auch öfter in verzweifelnder Not viele Bürger für die Übergabe rieten, so wussten doch die Entschlossenen unter ihnen, besonders ein beredter Greis von fast hundert Jahren, der ehemals die Würde eines Stadtkonsuls bekleidet hatte, den ersterbenden Mut zu neuer Ausdauer zu beleben. Wenn die Sturmglocke rief, so schienen alle nur an Vaterland und Freiheit, nicht an die dringende Not, nicht an das Elend ihrer siechen ausgemergelten Körper zu denken, und sie stürzten dem Kampfe mit einer Hitze entgegen, der ihre Feinde in Bestürzung und Schrecken setzte.

Da begab sich's, dass eine durch Stand und Schönheit gleich ausgezeichnete Frau (dann auch den Frauen hatte sich gleicher Mut, gleiche heldenmäßige Sorge für das Schicksal des Vaterlandes mitgeteilt) ihren Säugling auf dem Arm, einen wachehabenden Krieger auf dem Boden in totenähnlicher Ermattung hingestreckt wahrnahm. Es war an der Porta Ballista. Als er auf ihre Frage, was ihm sei, mit dumpfer erstorbener Stimme antwortete: er sei am Rande des Todes, der Hunger verzehre ihn, entgegnete sie ihm: seit vierzehn Tagen habe sie nichts denn gekochtes Leder gekostet, die Milch beginne ihrem Kinde zu mangeln; dennoch könne sie ihn nicht verschmachten sehen. „Hebe dich auf, rief sie ihm zu; was meine Brust noch von Milch in sich fasst, sei dein, und werde dir Labung, um mit erneuerter Kraft fürs Vaterland kämpfen zu können.“


Sofort richtet der Krieger sich auf, beschämt erkennt er die Frau, und weit entfernt, ihr großmütiges Anerbieten zu benutzen, will er ihr an Heldensinn nicht nachstehen, ergreift Schild und Schwert, und stürmt auf die Mauer fort. Noch vier streckt er zu Boden, bevor er selbst leblos niedersinkt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Historisch-literarisches Anekdoten und Exempelbuch