Hinter dem Schleier in Persien

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1927
Autor: Alfred Heinicke, Erscheinungsjahr: 1927

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Koran, Persien, Frauen, Schleier, Eheleben, Harem, Frauengemächer, Frauenrechte
Das heilige Buch der Mohammedaner ist der Koran. Er ist zugleich Gesetzbuch und enthält auch die Bestimmungen über die Ehe. Der Mann gilt als Herr der Schöpfung, die Frau steht weit unter ihm. Eine Gleichberechtigung gibt es nicht, denn durch den Schleier und die einseitigen Ehegesetze wurde sie vollkommen aus dem öffentlichen Leben ausgeschieden.

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Obgleich in den uns am nächsten liegenden mohammedanischen Ländern eine immer stärker werdende Bewegung, das Los der Frau zu bessern, sich bemerkbar gemacht hat, haben in Persien die Mullahs, das heißt die Priester, ganz energisch dagegen Front gemacht. Alle Versuche der Frauen, etwas zu erzwingen, sind gescheitert. Heute gilt dort noch jede Frau als unumschränkter Besitz des Mannes; selbst wenn er sich ihrer gewaltsam zum Beispiel durch Gift entledigt, macht das Gesetz halt an der Schwelle des Harems. Sehr bezeichnend für das Eheleben ist, dass die persische Frau von ihrem Gatten nie anders als vom „Agha“, dem Herrn spricht.

Das Gesetz scheidet jedes Haus ins „Birun“, das Männerabteil, und ins „Anderun“, die Frauengemächer. Während beide im Hause der Reichen durch reizende Gärten, schöne mit bunten Fliesen ausgelegte, mit plätschernden Springbrunnen versehene Höfe getrennt sind, besteht die Scheidewand bei den mittleren und unteren Schichten entweder nur aus einer Mauer, oder, wenn mehrere Familien das gleiche Haus innehaben, aus einem einfachen Vorhang, der zwei Räume trennt.

In dieser Abgeschlossenheit wachsen die Mädchen auf, ohne einen Mann kennen zu lernen. Interessenlos und ohne Unterricht verbringen sie ihre Jugend mit Spiel, Putz, Toilettenfragen und viel Klatsch, bis die Eltern für sie den Zukünftigen gefunden haben. Dieser Zeitpunkt ist der wichtigste, aber auch oft der unglücklichste im Leben des erst zehnjährigen Kindes. Bei den niederen Ständen macht sich diese abstumpfende Abgeschlossenheit infolge Raummangels weniger bemerkbar; denn einen Harem, wie ihn der Reiche mit vier, vom Koran erlaubten Frauen sich leisten kann, ist bei dem armen Dorfbewohner oder dem kleinen Handwerker ausgeschlossen. Da es dem Mädchen wie dem Jüngling nicht erlaubt ist, sich vorher kennen zu lernen, gibt es kein Lieben und Werben; so bleibt die Ehe etwas rein Geschäftsmäßiges, häusliches Glück, aufopfernde Liebe und Kameradschaft findet man selten. Hierzu kommt noch die beständige Furcht der jungen Frau, die Zuneigung des Agha zu verlieren, falls ihre Ehe kinderlos bleibt, oder nur mit Mädchen gesegnet ist. In Gestalt einer zweiten Frau oder einer hübschen Sklavin steht das Schicksal drohend hinter ihr. Auch die Trennung der Ehe ist sehr leicht. Ein Wort des Mannes: „Du bist frei,“ scheidet sie. So steht es im Koran. Zumeist zieht der Mann es vor, der Scheidung durch Kaltstellen aus dem Wege zu gehen, damit er die schwierige Mitgiftregelung vermeidet. Von unglücklichen Ehen hört man selten, denn die Anderunmauern sind dick! Für Mann und Frau ist die Ehe etwas zum Leben Nötiges und damit finden sie sich ab, beide erwarten und verlangen nicht mehr.

Der im Orient wunderliche Blüten treibende Aberglaube greift mächtig ins Eheleben der jungen Frau ein, Koransprüche und allerlei Geheimmittel werden vom Wanderderwisch oder von weisen Frauen gekauft, um das Geschlecht des keimenden Lebens zu beeinflussen. Selbst das Blut eines öffentlich Hingerichteten Verbrechers wird auf die Brust geschmiert, damit das erste Kind ein Knabe werde. Ist es dennoch ein Mädchen, so sind viele Hoffnungen vernichtet. Zu Ehren des Jungen wäre ein tagelanges Fest gefeiert worden; stolz hätte der Agha die Verwandtschaft geladen, der Amme, der Ayja, ein Goldstück geschenkt. Schenkt sie aber einem Mädchen das Leben, so ist alle Feststimmung verflogen; die arme Mutter schleicht bedrückt mit ihrem Menschenbündel umher und wird sogar von ihrer eigenen Mutter ausgescholten! Ohne Schule und Erziehung, wie das Gras auf weiter Steppe, wächst das arme Menschenkind auf. Sein Wert steigt erst wieder, wenn es hübsch zu werden verspricht, und erreicht den Höchstwert, sobald sich eine Gelegenheit bietet, es an den Mann zu bringen.

Sind die beiderseitigen Eltern einig, findet die Verlobung in Gegenwart eines Mullah statt, der den Ehekontrakt und die Mitgiftliste aufsetzt, ihn der Versammlung vorliest und als Zeuge ihn mitsiegelt. Während die Vorbereitungen zur Hochzeit getroffen werden, ist die kluge Sohnesmutter eifrigst bemüht, die Reize der Braut in den schönsten Farben zu schildern.

In Persien sagt man: „as dil — i — men kabab kerdid,“ das heißt wörtlich: „Aus meinem Herzen hast du geröstetes Fleisch gemacht,“ bildlich: „Mein Herz ist entflammt in Liebe zu dir.“ Die Mutter entflammt mit folgenden Lobsprüchen das Herz des Sohnes: „Guli Chanum ist schön wie eine Huri des Paradieses. Rund wie der Vollmond ist ihr Gesicht. Rabenschwarz ist ihr langes Haar, Augen hat sie so glänzend und groß, wie eine Gazelle. Ihre Augenbrauen vereinigen sich über der zierlichen Stumpfnase. Rot wie Granatäpfel sind ihre Lippen, klein der Mund und die mit Henna gefärbten Hände und Füße, ihr Charakter ist sanft und nachgiebig.“

Alles ist angeblich da, aber das Mädchen selbst zu sehen und mit ihm zu sprechen verstößt gegen die gute Sitte. Ist die Neugierde des Sohnes aufs höchste gestiegen, sein Herz total geröstet, so bestürmt er seine Mutter, ihm doch einmal Gelegenheit zu geben, die Braut aus der Ferne zu sehen. Mütter sind schlau, auch in Persien. Versteckt im Anderun, hinter einem Vorhang wird der glühende Wunsch erfüllt, er sieht die Guli Chanum, wie sie ohne ihren schwarzen Straßenumhang in einer Wolke von Gaze, Seide und in kurzen Röckchen Tee schlürft, Backwerk knappert und Wolken aus der Wasserpfeife entlockt. Dies ist die übliche Vorgeschichte der meisten Ehen. Nach dem Koran ist dem Perser auch die Ehe auf Zeit erlaubt. Eine solche kann der reisende Pilger, der in eine entfernte Stadt versetzte Beamte, der weit von der Heimat lebende Soldat, kurzum jeder eingehen, der auf lange Zeit der Heimat fernbleibt. Kinder solcher, auf einen Tag bis auf neunundneunzig Jahre geschlossenen Ehen sind legitim und müssen vom Vater versorgt werden, wenn er die Ehe wieder löst. Oft aber entzieht er sich dieser Pflicht, und die arme Frau sitzt bettelnd an der Straßenecke.

Die dritte Art, sich eine weitere Frau zu verschaffen, ohne die eigene und die Schwiegereltern vor den Kopf zu stoßen, ist die Ehe mit einer gekauften Sklavin, gewöhnlich einer Negerin. Diese werden vom Persergolf ins Land geschmuggelt, da der Sklavenhandel in Persien behördlich verboten ist. Umso mehr blüht er im geheimen, und jeder große Haremhaushalt besitzt männliche wie weibliche Sklaven.

Das Straßenkleid der Perserin besteht aus dem schwarzseidenen oder baumwollenen vom Scheitel bis auf die Füße herabfallenden, oft im Straßenstaub nachschleppenden Umhang, dem „Chadar“. Diese ungemein stoffreichen Ballonhüllen gleichenden Tücher verbergen alle Körperformen, sogar die Hände sind darunter versteckt. Der weiße bis auf die Knie reichende Schleier, „Ruhband“, wird am Hinterkopf durch eine Spange zusammengehalten und hat in Nasenhöhe ein netzartiges Fenster, durch das die Frau alles sieht, ohne selbst gesehen zu werden. Sehr weite Pluderhosen aus hellgrünem, gelbem, blauem oder braunem Kattun, an deren unterem Ende Fußlängen aus dem gleichen Material angenäht sind, vervollständigen das Straßenkleid. Diese Vermummung ist so vollkommen, dass eine Frau selbst vom eigenen Mann schwer erkannt werden kann.

Ebensowenig wie die Straßentracht kann man die Haustracht schön oder kleidsam nennen. Man ist verblüfft, wenn man zufällig eine schöne Nachbarin auf ihrem Dache belauschen kann. Die Beine und Füße sind entweder völlig nackt oder mit enganliegenden Trikots, oder auch mit weißen selbstgefertigten Männerhosen verhüllt. An den Füßen werden grüne, rote, blaue, gelbe Saffianlederpantöffelchen getragen. Das kurze, nur sechsunddreißig Zentimeter lange Ballettröckchen aus knisternder Seide oder buntem Kattun und die nicht minder kurzen Unterröckchen werden durch Bänder um die Hüften gehalten. Den Oberkörper bedeckt die kurze, knapp bis zu den Röckchen reichende Weste aus gleichen Stoffen. Bunte Glas- oder blinkende Metallknöpfe schließen sie; darunter sieht man das ebenso kurze Hemd. Die Stirn und den Kopf verhüllt ein weit über die Schultern reichender, stark gesteifter Gazeschleier.

Diese Mode wurde vom Schah Nasr-eddin und seinem Bruder Abdul Samed Mirza von ihrer ersten Europareise nach Persien gebracht, als sie beide dort das Ballett gesehen hatten, sie hat sich mit oft recht unschönen Abstufungen über das ganze persische Reich verbreitet und erinnert von unten lebhaft an die jetzige europäische Damenmode.

Persische Frau in vorschriftsmäßigem Straßenkostum mit dem straff über das Gesicht gezogenen Schleier und dem Fenster in Nasenhöhe

Persische Frau in vorschriftsmäßigem Straßenkostum mit dem straff über das Gesicht gezogenen Schleier und dem Fenster in Nasenhöhe

Verschleierte persische Frauen in ihrer vorschriftsmäßigen Straßentracht

Verschleierte persische Frauen in ihrer vorschriftsmäßigen Straßentracht

Der fußfreie Rock in Persien

Der fußfreie Rock in Persien

Fußfreie Rock in Persien

Fußfreie Rock in Persien