Hessische Rathäuser. Ihre Erhaltung und Entstellung mit 80 Tafeln und 44 Textbildern

Alt Hessen - Beiträge zur kunstgeschichtlichen Heimatkunde
Autor: Holtmeyer, Alois (1872-1931) deutscher Architekt, Baubeamter, Denkmalpfleger und Publizist, Erscheinungsjahr: 1912
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Deutschland, Hessen, Rathäuser, Baudenkmäler, Architektur, Bautechniken, Kulturgeschichte, Renaissance, Volkskunst, Dorfkultur, Kunstgut, Bürgermeister,
Zum Geleit

HESSEN
hat in der Kunst von jeher eine führende Rolle gespielt. Insonderheit darf das Land, das zwischen dem Norden und Süden Deutschlands, zwischen dem Rhein und Thüringen eine bestimmende Mitte einnahm, den Anspruch erheben, auf dem Gebiete der Architektur mehr gegeben als empfangen zu haben. Wie in Sitte, Sprache und Lied hat der Volksstamm, der als einer der sesshaftesten gilt, seine Eigenart und Kraft auch da nicht verleugnet, wo sichtbare Denkmäler des privaten und öffentlichen Lebens zu schaffen waren. Das gilt von der alten Baukunst wie von der neuen. Von den Werken frühchristlicher Kultur bis zu den Schöpfungen der Darmstädter Schule eine ununterbrochene Kette von Leistungen, die in der Kunstgeschichte einen ersten Platz einnehmen.

Niemals aber trat die hessische Regsamkeit impulsiver und für uns wahrnehmbarer hervor, als in der Zeit, die erst einige Jahrzehnte hinter uns liegt, wo mit der Tradition die Kraft des Bauens verloren gegangen war und die historische Wissenschaft die lebendige Kunst ablöste, da man die Schätze der eigenen Landschaft, die kunstgeschichtlichen Werte der Heimat nicht erkannte, als man die Sprache der volksgenössischen Meister nicht mehr verstand und einem fremden Ideal nachjagte. In dieser Zeit, wo ein Umschwung eintrat, wie er stärker nicht zu denken war, standen die Hessen in den ersten Reihen der Reformer, deren Neuerung darin bestand, dass sie auf das gute Alte aufmerksam machten, das so nahe zu liegen schien. Georg Gottlob Ungewitter war es, der die deutsche Architektur aus dem Bann der Antike befreien wollte. Auf die Wunder der missachteten Gotik wies der Apostel germanischer Kunst hin, um die erstarrten Formen des Klassizismus durch die lebenskräftigeren und weitergehenden Gesetze bodenständiger Überlieferung abzulösen. Was der früh verstorbene Meister begonnen, setzte sein Schüler Karl Schäfer fort, der als Lehrer einzig dastand. Den Heranwachsenden die Augen geöffnet zu haben für das gesunde Fühlen mittelalterlicher Konstrukteure ist das Verdienst des Mannes, der als Ingenieur begann und als Zögling der Kasseler Gewerbeschule den ungewöhnlichen Einfall hatte, die Dorfkirchen der Heimat aufzunehmen. Der neuzeitlichen Kunst hat der Forscher und Architekt einen ungeheuren Dienst dadurch geleistet, dass er die Materialtreue und technische Wahrhaftigkeit des Alten als obersten Leitsatz aller künftiger Produktionen aufstellte.
Und als man für die neuen Materialien und neuen Techniken die neue Form suchte, stellte Hessen wiederum die führenden Männer. In Frankfurts freier Luft gedieh Paul Wallot, der mit fast gotischem Empfinden den Renaissancebau des Reichshauses schuf, seit Langem das erste Neue. Ihm gelang ohne Gewaltsamkeit, was einzelne vor ihm erstrebt hatten, das Modernsein. Der Träger der neuen Bewegung, Alfred Messel, stammt, wie sein Freund und geistiger Erbe, Ludwig Hoffmann, aus Darmstadt. Was diese Kunststadt in den letzten Jahren, anfangs tastend und suchend, dann immer klarer und sicherer werdend, an Anregung auf dem Gebiete feiner künstlerischer Kultur gegeben hat, braucht hinter den Leistungen glücklicherer und glänzenderer Zeiten nicht zurückzustehen. Noch ist der Kampf zwischen der historischen und modernen Schule nicht ausgetragen. Aber täuschen nicht die Schöpfungen unserer führenden Meister, gehen wir einer Richtung entgegen, die an das Überlieferte, das Bodenständige anknüpft, um es in freier und vor allem persönlich künstlerischer Behandlung weiterzuentwickeln. Von diesem Gesichtspunkte betrachtet, dürften die heimischen Denkmäler als anregende Vorbilder von besonderem Wert sein.

Noch in einem anderen Betracht haben sich die Dinge geändert. Wir haben uns daran gewöhnt, nicht nur dem Grossen in der Kunst, dem Feierlichen und Auffallenden unsere Achtung entgegenzubringen, sondern auch am Kleinen, am Alltäglichen und Verborgenen unsere stillen Freuden zu haben. Die Volkskunst, die Dorfkultur, die Poesie des platten Landes kommt wieder zu Ehren. Bürgerhaus und Bauernhof stehen im Vordergrunde des Interesses. Die kleinen Städte mit den traulichen Plätzen und Winkeln, in denen noch alles an die geruhige Zeit nachdenklichen Schaffens erinnert, sind es, die wir suchen. Die alten geschwungenen Straßen mit den anspruchslosen und so ansprechenden Häuserfronten, die anheimelnden Stiegen und Mauergassen mit den überhängenden Bäumen, die Gärten vor der Stadt mit den behaglichen Lauben und verschwiegenen Heckengängen, die heiteren Festplätze und ernsten Friedhöfe, die Marktzeichen und Wahrsteine, die Brücken und Brunnen, lange verkannte Begriffe, werden wieder studiert. Nicht als Modesache, sondern weil wir ihre Werte für unser eigenes Schaffen nicht entbehren können.

Ein Glück darf man es nennen, dass in der Zeit, die so rücksichtslos mit den Werken der Vergangenheit aufräumte, Hessen sich noch ein rechtschaffen Teil des ererbten Kunstgutes bewahrt hat. Früher als anderswo wurde hier die Bedeutung der überkommenen Denkmäler erkannt. Wilhelm Lotz, einer aus Ungewitters Gefolgschaft, der als erster eine deutsche Kunsttopographie schrieb, gab in Verbindung mit seinem Landsmann Heinrich von Dehn-Rotfelser in den Baudenkmälern des Regierungsbezirkes Kassel das erste Architekturinventar Deutschlands heraus. Großzügiger als alle Zeitgenossen fasste Ludwig Bickell die Aufgabe der Denkmalsverzeichnung auf. Seiner vortrefflichen Sammlung entstammen im vorliegenden Heft zumeist die Bilder derjenigen Bauten, die längst untergegangen sind. Am Dom zu Wetzlar kam Albrecht Meydenbauer der Gedanke, die Meisterwerke der Baukunst in einem völlig neuen Verfahren für alle Zeiten im Bilde festzulegen. Das war der Anfang der Messbildanstalt, deren gewaltig angewachsenen Bestände hier die Aufnahmen der größeren Bauwerke entnommen werden durften. In Darmstadt entstand, ein Verdienst des Freiherrn von Biegeleben, das erste Denkmalschutzgesetz, das lange in Deutschland das einzige blieb. Vorbildlich wie der Heimatschutz ist im Großherzogtum die Denkmalpflege eingerichtet, von deren segensreicher Wirksamkeit die in diesem Hefte wiedergegebenen Beispiele nur einen kleinen Begriff geben können.

Und doch darf Hessen, nimmt man es im weiteren Sinne, auf kunstgeschichtlichem Gebiete noch als Neuland gelten. Erst zum kleineren Teil ist der Schatz gehoben, den die gesegnete Landschaft im Laufe einer reichen Geschichte angesammelt hat. Wohl sind die großen Werke der Architektur und Plastik, der Malerei und Kleinkunst bekannt. Aber die kleinen, abseits vom Wege liegenden Denkmäler, wer kennt sie von den Fremden und wer erkennt sie von den Nachbarn? Was mögen nicht allein die Rhein-Maingegenden noch zu vergeben haben an versteckten Erinnerungsstücken einer näheren oder entfernteren Vergangenheit. Reich ist der Lauf der Lahn an herrlichen Stadtbildern. Aber auch die Täler der Eder, Fulda und Werra bergen Orte von seltener landschaftlicher und architektonischer Schönheit. Wo die heiteren Frankendörfer aufhören, im Bereiche der Diemel und Weser, fangen die behäbig-ernsten Sachsensiedelungen an. Noch viel gibt es in den Wohnungen des Edelmannes, des Bürgers und des Bauern, das des Anschauens, der Abbildung, der Beschreibung wert wäre. Auch in der Nähe größerer Städte sind die Volkstrachten noch nicht ganz ausgestorben und Gegenden gibt es, in denen das farblose Stadtkleid die bunte Bauerntracht zu verdrängen überhaupt noch nicht angefangen hat. Nur dürftig sind die Werke der Edelschmiedekunst, des Eisengusses, der Töpferei und Weberei in dem Lande erforscht, in dem der Presbyter Theophilus sein Pergament über die Technik des Kunstgewerbes schrieb, und mehr dem Namen als dem Aussehen nach sind die ehrwürdigen Plätze bekannt, an denen die Jünger Winfrieds den neuen Christen neue Wege der Architektur wiesen.

Das kunstgeschichtliche Erbe vergangener und wohl besserer Zeiten erschließen helfen möchte die Sammlung, die sich mit diesem ersten Heft an die Öffentlichkeit wagt. In vergleichenden Zusammenstellungen das reichhaltige und leider immer noch stark gefährdete Material den Freunden der Heimatkunst zugänglich zu machen ist der Zweck der Hefte, die von verschiedenen Bearbeitern herausgegeben werden. Nicht schwere Wissenschaft noch hohe Kunst soll das Ziel der Veröffentlichung sein, sondern Volkskultur im Volkston vorgetragen. Auf die Abbildungen wird der Hauptwert gelegt werden müssen. Zwangloses Anschauen mag zum Genuss des vielen Schönen führen, das Alt-Hessen noch bieten kann. Den Rathäusern, die auf dem letzten Städtetage den hessischen Bürgermeistern bereits im Lichtbilde vorgeführt wurden, soll das Bürgerhaus, das Bauernhaus, der Hausrat folgen. In weitere Aussicht genommen sind Alt-Kassel, die Burgen und Schlösser, die Stadt- und Landkirchen, die Volkstrachten und das Kunstgewerbe. Sollten die Hefte dazu beitragen, das Interesse an der Vergangenheit des Landes zu fördern, die Freude an den überkommenen Denkmälern zu wecken, den Gedanken von Heimatschutz und Denkmalpflege in immer weitere Kreise zu tragen, Mithelfer zu gewinnen, wo es gilt, das Unbekannte zu erschließen, das Bekannte zu retten, so wäre der Zweck des Unternehmens, das uns fortsetzen will, was Andere begonnen haben, erreicht.

A. Holtmeyer

Tafel 8 Frankfurt

Tafel 8 Frankfurt

Tafel 16 Marburg

Tafel 16 Marburg

Tafel 26 Gonsenheim

Tafel 26 Gonsenheim

Tafel 43 Helmarshausen

Tafel 43 Helmarshausen

Tafel 45a Sontra

Tafel 45a Sontra

Tafel 51a Büttelborn

Tafel 51a Büttelborn

Tafel 59 Rauschenberg

Tafel 59 Rauschenberg

Tafel 52b Gießen

Tafel 52b Gießen

Tafel 49a Wagenfurt

Tafel 49a Wagenfurt

Tafel 46b Heppenheim

Tafel 46b Heppenheim