Wiederherstellung des Altstädter Rathauses in Hanau

Als Beispiel einer umfangreicheren, in den Einzelheiten schon etwas weitgehenden Wiederherstellung darf die 1899 erfolgte Instandsetzung des zweiten Altstädter Rathauses in Hanau (Taf. 35) nicht unerwähnt bleiben. Die Geschichte der Restaurierung dieses Baues, einer glänzenden Vereinigung der steinernen Staffelgiebel mit einer breit gelagerten Fachwerksfront, ist insofern nicht ohne Interesse, als sie erkennen lässt, wie abhängig die Rekonstruktion von kunstgeschichtlichen Unterlagen ist, an denen es leider so häufig fehlt.

„Das Stadtbauamt hatte einen Plan ausgearbeitet, der sich in der äußeren Ausbildung des Rathauses dem Dreyeicher'schen Stadtplan aus dem 17. Jahrhundert — es waren noch im Jahre 1898 keine anderen Abbildungen bekannt — anschloss und der das hohe Dach mit einem Zwerghause versah, wie es z. B. die im 17. Jahrhundert erbauten, in Frankfurt in der Nähe des Archivs noch vorhandenen Gebäude und der alte Römerbau so malerisch und charakteristisch aufweisen.


Während der schon im Gange befindlichen Arbeiten und zwar am 8. August 1898 wurde mitgeteilt, dass der ursprüngliche Zustand des Rathauses sich genau feststellen lasse und zwar durch einen alten Plan des Maurermeisters Heldmann vom Jahre 1731, der sich in Handwerks Chronik (Staatsarchiv Marburg) befindet und der die Gebäude am Altstädter Markt im Grund- und Aufriss genau so darstellt, wie sie damals bestanden.

Hieraus wurde die frühere Gestalt des historischen Gebäudes, die unzweifelhaft noch die alte ist, sicher nachgewiesen. Dass das Rathaus früher ein anderes Äußere gehabt haben müsse, wurde inzwischen auch bei dem Abbruch der Fachwerkswände, namentlich in Pfosten, Pfetten und Schwellen sichtbaren Zapfenlöchern und sonst charakteristischen Merkmalen, wie an Profilierungen der Pfosten erkannt. Durch die Aufnahme der gefundenen Verhältnisse musste nun ein neuer Plan entstehen, der denn auch vom Stadtbauamte aufgestellt wurde und zur Ausführung gelangte.“

Dass alte Pläne die Schwierigkeiten einer Rekonstruktion nicht restlos lösen, sollte sich auch bei Hanaus Rathaus, dessen zwei Fronterker völlig untergegangen waren, herausstellen. Die kleine Zeichnung bot für Einzelheiten keine Anhaltspunkte und die Phantasie des modernen Baukünstlers musste einsetzen, wo die historische Quelle versiegte. Einen großen Zufall hätte es bedeutet, wenn man bei der Neuzeichnung der Ziermuster auf dieselben Formen gekommen wäre, welche die untergegangenen Originale aufgewiesen haben müssen. Es hat nicht an Kritikern gefehlt — Bickell gehörte zu ihnen — , die mit den Ergänzungen nicht in allen Teilen einverstanden waren, und es kann tatsächlich ein Zweifel bestehen, ob etwas weniger nicht mehr gewesen wäre. Indessen glaubte man die Bedenken, dass „die an den Erkern und Vorbauten ausgeführten, in Holz geschnitzten Ornamente der Zeit der Erbauung des Rathauses (1537) nicht entsprächen, um deswillen entschieden zurückweisen zu können, weil nur solche Ornamente zur Ausführung gelangt waren, welche sich an den noch vorhandenen Altstädter Gebäuden, die im 16. Jahrhundert erbaut und sich, mit Jahreszahlen versehen, bis jetzt erhalten haben, also die Zeit von 1520 bis 1557 in sich schließen“.

Die glückliche Instandsetzung der erhaltenen Teile ist über jeden Zweifel erhaben. Besondere Anerkennung verdient, dass man sich mit erfreulichem Ernst und erfolgreichem Eifer bemüht hat, dem oft veränderten Bau, der noch im verflossenen Jahrhundert außer der großen mit Hebekran versehenen Balkenwaage eine besondere Mehlwaage, eine Fischwaage, eine Tabakspresse, den eisenbeschlagenen Kassenstock, die üblichen Maß- und Strafeinrichtungen besaß, von diesen Beweisstücken städtischer Gerechtsame das wiederzugeben, was sich in unsere zerstörungslustige Zeit hinübergerettet hatte. Auch insofern kann das seit 1902 nicht mehr als Schule benutzte Haus als vorbildlich gelten, als es jetzt das stimmungsvolle Heim für die ansehnlichen Sammlungen des Hanauer Geschichtsvereins bildet.