Steinbauten unter den hessischen Rathäusern

Auch die Steinbauten, die unter den hessischen Rathäusern wohl immer die Minderzahl bildeten, haben der Zerstörung nur sehr bedingt widerstehen können. Das ebengenannte steinerne Rathaus zu Eschwege, das eigentlich als Erweiterung des alten Holzbaues gedacht war, ist gänzlich verschwunden.

Eine dürftige Zeichnung (Text-Abb. 17) lehrt, dass der Renaissancebau einen Vergleich mit den schönen Rathäusern in Gonsenheim (Taf. 26) und Groß-Umstadt (Taf. 24), die von den kleineren Massivanlagen wohl am unversehrtesten überkommen sind, aushalten konnte. Häufig erinnert nur ein Türgewände, ein Wappenstein, eine Jahreszahl an die gesunkene Herrlichkeit. In Corbach hat sich an Architekturformen in den massiven Umfassungswänden nur ein Staffelgiebel mit Vierpassöffnungen in den Absätzen erhalten (Text-Abb. 18).


Die „Steinkammern“ dieser Hansastadt, massive kommunale Lagerhäuser an der Stadtmauer, die im Volke die Erinnerung an die Zeit wachhalten, wo der an den lebhaften Handelsstraßen von Köln nach Leipzig und von Frankfurt nach Bremen gelegene Platz die Stapelstelle für Wolle und Webstoffe bildete, mögen mit ihrer verwandten Außenarchitektur das mittelalterliche Bild des entstellten Rathauses ergänzen (Text-Abb. 19). Volkmarsens Rathaus, dessen Abbruch man für wünschenswert hält, besitzt eine kleine Außennische aus der Ursprungszeit. Vom alten Gemeindehause in Hanau ist nur noch ein Erker übrig, dessen figürlicher und ornamentaler Schmuck als Maßstab für die Beurteilung des Verschwundenen dienen mag (Text-Abb. 20). Kirchhains wiederholt umgebautes Rathaus (Taf. 80) kann als Rest seiner mittelalterlichen Architektur nichts als einen runden Treppenturm aufweisen, der von seiner ursprünglichen Fassung auch noch viel verloren hat.

Nicht viel günstiger steht es bei Schlüchterns 1567 erbautem Rathaus (Taf. 12), wo zur Zeit der französischen Fremdherrschaft auch dieser Rest um ein Haar verschwunden wäre. Denn 1812 resolvierte der Präfekt auf eine Eingabe des Distriktsmaires, dass „wenn der Turm keinen andern Zweck habe, als dass er dem Rathaus zum Zierrat diene, es ihm zweckmäßig erscheine, denselben zur Ersparung der Reparaturkosten abzubrechen“. Dem Stadtrat gereicht es zur Ehre, dass er trotz der schlechten Zeiten für die Erhaltung des Turmes eintrat und den Mut hatte, dem Präfekten zu antworten: „Wenn der Turm auf dem Rathaus in Schlüchtern sich stolz über alle anderen Gebäude erhebt, so ziert er freilich ein Haus, in welchem die Väter der Stadt, ausgezeichnet durch Weisheit und Erfahrung, ihre Beschlüsse zum Wohle des Gemeinwesens niederlegen. Aber er hat auch noch andere weniger frivole Bestimmungen. Er schließt eine Schlaguhr und eine Glocke in sich, durch deren Geläute die Bürgerschaft zur Anhörung der zu ihrem Nutzen gehörigen Sachen zusammen berufen, die Stunde des Morgens, Mittags und Abends angekündigt und angezeiget wird, wenn Feuer in der Stadt ausgebrochen sein sollte. Durch diese Bestimmung bewährt er seinen Anspruch auf Nützlichkeit und Fortdauer. Unseres unmaßgeblichen gehorsamsten Dafürhaltens dürfte daher der Abbruch des besorglichen Turmes nicht die Maßregel sein, die mit Konsequenz angewendet werden kann.“

Wenn dieses Schreiben auch den Erfolg hatte, den Turm zu retten, so sollte das Rathaus selbst doch seiner Entstellung nicht entgehen.

Wenige Jahre später wurde der Umbau beschlossen. Die für Amtszwecke nicht benutzten Räume der Obergeschosse, die ehedem den Bürgern zum Feiern ihrer Feste überlassen oder den Tuchhändlern und Gewandschneidern zur „betreibung ihres Negotiums“ überwiesen waren, gaben bei entsprechender Änderung eine billige Wohnung für den Kreisrat ab. Die durch vier Holzständer geteilte Erdgeschosshalle, wo die Bürgerversammlungen und Schöffengerichte abgehalten waren, wo die „Leinwandkrämer und die Gattung Krämer, welche mit dergleichen kurze Waren handelen“, ihre Verkaufsstände aufgeschlagen hatten, wo die große Balkenwaage aufgehängt und die eiserne Normalelle eingelassen war, wo das Halseisen seinen Platz hatte und später die „sehr wohl conditionirte Feuerspritze“ stand, dieser Raum „unter dem Rathhaus“ sollte zu Wirtschaftsräumen und Viehställen eingerichtet werden und wurde auch hierzu eingerichtet trotz einer Eingabe mehrerer Bürger vom 24. Januar 1828, die darauf hinwies, dass es „das Gefühl des Anstandes verletzen würde, wenn aus dem untersten Stock des Rathhauses ein Pferdestall formiert und die Fronte des Rathhauses mit einem Düngerhaufen garniert würde, der heimlichen Gemächer nicht zu gedenken, die an ganz unpassenden Orten angebracht werden sollen“. Ehe es Sommer wurde, standen von dem alten Bau nur noch die Umfassungsmauern und der Treppenturm. Der durch die beiden Obergeschosse reichende, auf mächtigen Kragsteinen ruhende schöne Erker war als überflüssig abgebrochen worden. Auch dem Treppenturm würde dieses Schicksal geblüht haben, wären die Kosten seiner Niederlegung des festen Mauerwerkes wegen nicht allzu sehr ins Geld gelaufen.

Besser erhalten ist das Rathaus im benachbarten Steinau (Taf. 12), das 1561 an Stelle eines älteren als Kauf- und Wirtshaus bezeichneten Gebäudes erstand. Aber auch bei diesem stattlichen Bau mit den stolzen Bogenstellungen im Erdgeschosse und der zierlichen Galerie gekuppelter Fenster im Obergeschosse mischt sich in die Freude über das Gerettete das Bedauern über das Fehlen der Figuren in den Nischen der oberen Fensterzone, (deren geschmackvolle Konsolen auf rechtschaffene Leistungen schliessen lassen.
17. Eschwege. Rathaus, jetzt durch einen nüchternen Neubau ersetzt.

17. Eschwege. Rathaus, jetzt durch einen nüchternen Neubau ersetzt.

Tafel 24b Groß-Umstadt

Tafel 24b Groß-Umstadt

Tafel 26 Gonsenheim

Tafel 26 Gonsenheim

18. Corbach. Rathaus, nur noch im Giebel unberührt.

18. Corbach. Rathaus, nur noch im Giebel unberührt.

19. Corbach. Steinkammer, gänzlich unberührt.

19. Corbach. Steinkammer, gänzlich unberührt.

20. Hanau. Rathaus. Erker, letzter Architekturrest des mittelalterlichen Bestandes.

20. Hanau. Rathaus. Erker, letzter Architekturrest des mittelalterlichen Bestandes.

Tafel 80a Kirchhain

Tafel 80a Kirchhain

Tafel 12a Schlüchtern

Tafel 12a Schlüchtern

Tafel 12b Steinau

Tafel 12b Steinau

alle Kapitel sehen