Denkmäler der Vorzeit

Als gutes Zeichen für die Richtigkeit unseres Kunstempfindens dürfen wir es nehmen, dass wir die Denkmäler der Vorzeit wieder so sehen. Als einen Gewinn auch für unser eigenes Schaffen dürfen wir die Tatsache ansehen, dass wir wieder künstlerische Werte da erblicken, wo wir vor wenig Jahren nur Dürftigkeit fanden. Nachdem uns in der Scheinarchitektur und Stilhetze der letzten Jahre die Befriedigung ausgeblieben ist, sehnen wir uns zurück nach der vernünftigen Bauweise der einfachen Zeiten, die sich begnügte, das hervorragendste Profangebäude der Stadt durch den Maßstab zu betonen, durch besonders gute Verhältnisse auszuzeichnen, oder, wenn es die Mittel gestatteten, an einer einzigen Stelle durch eine dekorative Zutat zu schmücken.

Mehr und mehr geht uns das Verständnis auf für die stillen Freuden von Bauherrn und Baumeister, die sich mit einer guten Haustür, einer behäbigen Vortreppe oder einem zierlichen Schlussstein begnügten. Auch das dürfte keine Minderung unseres Kunstgefühls bedeuten, dass wir nicht mehr einem Stile als dem allein richtigen Geschmack abgewinnen. Ob nun wie bei Friedbergs schlichtem Rathaus (Taf. 75) das Portal die kecke Bekrönung eines barock geschwungenen Gesimses, oder wie bei Gudensberg noch einfacherem Bürgermeisteramt den strengen Vorbau klassizistischer Säulen aufweist, in dem einen Falle wie im andern suchen wir uns klar zu machen, was der Erbauer beabsichtigt hat, und dankbar nehmen wir die Anregung für unsere eigenen Aufgaben hin.


Wie wir es heute nicht mehr unerhört finden, die Amtsräume behaglich auszustatten, so nehmen wir auch keinen Anstoß daran, wenn das Rathaus im Äußeren die Zeichen trägt, dass in seinem Inneren neben dem Verstand gar oft das Gemüt zu Worte kommen muss. Wo seit Jahrzehnten Efeu oder Weinlaub die Wände deckt, reden wir nicht mehr von Verdunklung der Zimmer oder Befeuchtung der Wände, von Entstellung der Fronten oder Beeinträchtigung der Würde des Gebäudes.

Dem anspruchslosen Rathaus von Eltville (Taf. 74), dessen einziger Schmuck grüne Fensterläden und Blumenkästen mit roten Geranien bilden, geben wir den Vorzug vor vielen der im letzten Vierteljahrhundert auch in den kleinern Städten entstandenen steifen Kommunalpalästen, die trotz der reichen Fassade nicht im Stande sind, die bescheideneren Bauten zu ersetzen, deren Stelle sie einnehmen. Eine einzige gute Verzierung aus alter Zeit, ein Wappen, ein Relief, eine Bekrönung, wird, auch wenn die Verwitterung nicht ausgeblieben ist, nicht selten höher bewertet, als ein Dutzend nagelneuer Verzierungen, die in der Erfindung die Eigenart, in der Ausführung die Gediegenheit vermissen lassen.