Das neue Rathaus in Helmarshausen

Welchen Ersatz altes Kunstgut, das nur den Fehler hatte, infolge mangelnder Pflege unansehnlich geworden zu sein, in der Talmikultur der letzten Jahre gefunden hat, lehrt das alte und das neue Rathaus in Helmarshausen.

Das unfern des Zusammenflusses von Diemel und Weser gelegene Städtchen, das nach der Reformation endgültig in hessischen Besitz kam, hat eine lange Geschichte. Von der Bedeutung des Platzes spricht am besten die Tatsache, dass Kaiser Otto III. das hier gegründete Kloster in allen Vorzügen der Abtei Corvey gleichsetzte, mit Münz-, Zoll- und Marktgerechtigkeit begabte und ihm außerdem alle Handelsgerechtsame der Städte Mainz, Köln und Dortmund verlieh. Nur wenig erinnert heute an die Herrlichkeit des ehemaligen reichsunmittelbaren Stiftes.


Die Ruine der von Köln über der Stadt errichteten Krukenburg erzählt von den schweren Zeiten der Gemeinde, die bald unter Paderborn, bald unter Köln, bald unter Mainz stand, die im dreißigjährigen Kriege nicht weniger als viermal überfallen wurde und 1639 nur noch 94 Bürger zählte. Aber was den Wert und Reiz des in engem Tale gelegenen, noch heute von den Resten der Ringmauern umgebenen Städtchens ausmacht, ist die Einheitlichkeit der Straßenbilder, deren niedersächsische Giebelhäuser zumeist noch aus der Zeit vor dem großen Kriege stammen (Text-Abb. 37). In bester Harmonie mit diesen Bürgerwohnungen stand hier seit 1480 das Rathaus, ein stattlicher Fachwerkbau mit auskragenden Geschossen, der durch einen malerischen Anbau 1585 erweitert wurde (Taf. 42 u. 43).

Ein riesiger Dachreiter mit gotischen Glocken krönte, weithin das Haus legitimierend, das hohe Dach, das die Steinplatten des benachbarten Sollings deckten. Nur aus Abbildungen ist das eigenartige Haus, so recht das Bild ernster westfälischer Bauweise, bekannt. 1890 riss man das schlecht gepflegte Bauwerk ab, ohne den Grundriss aufzunehmen. Wohin die Schwellen mit den Bauinschriften gekommen sind, oder die geschnitzten Eckpfosten und Fußstreben, oder der Treppeneinbau, von dem noch heute die Leute als von einer Sehenswürdigkeit erzählen, oder die Sonnenuhr und das Ratskellerschild, weiß niemand. Gerettet hat man lediglich die Glocken und zwei kleine Glasmalereien vom Jahre 1660, die im Sitzungszimmer des neuen Rathauses Platz gefunden haben. Dieses neue Rathaus (Text-Abb. 38), das sich kaum von den gleichaltrigen Bauten gleichgroßer Gemeinden unterscheidet und in wenig veränderter Form als Schule, Oberförsterei oder Krankenhaus sich wiederholt, ist für das Versagen des künstlerischen Heimatsinnes zu Ende des verflossenen Jahrhunderts ein fürs Erste nicht verschwindender Beleg.

Der Bau mit seinem Allerweltsstil könnte ebenso gut in Ostpreußen wie im Rheinland stehen, wohin er freilich ebenso wenig passen würde, wie an die Stelle, wo Hessen, Westfalen und Hannover zusammenstoßen. Ganz dem verflachenden Zeitgeist Rechnung tragend hat man sich nach keiner Richtung hin bemüht, der auf das Bestimmteste ausgeprägten bodenständigen Bauweise, die in Jahrhunderte alter Übung den Beweis ihrer Existenzberechtigung erbracht hat, anzuschließen. Statt des wuchtigen Satteldaches mit der einen charakteristischen Bekrönung ein schwächliches Walmdach mit einer Unmenge unruhiger Aufsätze, statt der roten Dachsteine, die mit der Zeit den reizvollen grünlich-violetten Schimmer annehmen, tote schwarze Falzziegel, statt der freundlich weißen Putzflächen zwischen den breiten grauen Ständern gelbe Verblender in schmächtigem Rahmenwerk.

Nicht einmal die Handwerksregel hat man von den alten Holzbauten entlehnt, für den Vorbau des Obergeschosses, der, dem verfeinerten Geschmack entsprechend, die Form des auf Trägern und Wellblech ruhenden Villenbalkons angenommen hat, die vorgestreckten Deckenbalken zu benutzen. Hätte man ein Fünftel der Bausumme dazu verwandt, das alte Haus in würdige Verfassung zu bringen, so wäre das Stadtbild um ein interessantes Architekturstück und die Gemeindekasse um einen ansehnlichen Betrag reicher.
37. Helmarshausen. Altes Strassenbild mit monumental wirkenden Bürgerhäusern.

37. Helmarshausen. Altes Strassenbild mit monumental wirkenden Bürgerhäusern.

38. Helmarshausen. Neuer Marktplatz mit kleinlich wirkendem Rathaus.

38. Helmarshausen. Neuer Marktplatz mit kleinlich wirkendem Rathaus.

Tafel 42 Helmarshausen

Tafel 42 Helmarshausen

Tafel 43 Helmarshausen

Tafel 43 Helmarshausen

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