Ein Feldlager Wallensteins in Ungarn. Erste Fortsetzung

Fehlten aber den verwüsteten Dörfern die friedlichen Bewohner, welche sie sonst belebt hatten, so waren sie im Übrigen nicht ganz unbelebt. Aus mehr als einer halbzerstörten Hütte klang ein wüstes Kriegslied im vollen Chor roher Stimmen, über mehr als einen Zaun guckte ein trotzig-wildes Soldatengesicht hervor. Größere oder kleinere Trupps von Fußvolk und Reiterei, alle in der bunten, phantastischen, so ungemein malerischen Tracht der Krieger jener Zeit, zogen hin und her, und die zahlreichen Wagen und Karren des ungeheuren Trosses, welcher damals jedem Heere folgte, drohten wiederholt den ganzen Weg zu versperren. Aber auch Bilder der wildesten Zerstörungssucht zeigten sich nur zu häufig.

Die Leichen geplünderter und erschlagener Menschen lagen mitunter dicht am Pfade, und gar oft musste der Reitertrupp an Haufen zerlumpter Landbewohner jeglichen Geschlechts und Alters vorbeireiten, denen Not und Elend aus jedem Zuge ihres Gesichts hervorsahen, und die mit heiserer Stimme und gerungenen Händen den vornehmen Offizier um ein Almosen anflehten, den nagenden Hunger zu stillen.


Der junge Oberst schien durch lange Gewohnheit gegen alle derartige Szenen so abgestumpft zu sein, dass er ihrer kaum noch achtete. Große Weichheit des Gemüts musste überhaupt keine Eigenschaft von ihm sein, denn selbst bei dem Anblick des größten Elends zuckte seine Miene nicht im mindesten, ja es schien sogar mitunter, als ob ein Zug des Hohnes dann sein sonst schönes Gesicht entstellte. Nur, wenn er mitunter durch diese Wagen oder Soldatenhausen oder Bettlerschaaren in seinem eiligen Ritte etwas aufgehalten, sein Ross auf kurze Augenblicke zügeln musste, wandte er dem Hindernis seine volle Aufmerksamkeit zu. Ein zorniger italienischer Fluch kam dann wohl über seine seinen Lippen, und mit harten Drohungen suchte er sich den Durchgang zu verschaffen, ja spornte sogar sein Pferd mitten in den Haufen hinein, unbekümmert, ob dessen Huf die Menschen verletze. Um solche Hindernisse schneller beseitigen zu können, ließ er zuletzt zwei kroatische Reiter seiner Begleitung, deren Rosse noch nicht sehr ermüdet waren, eine kleine Strecke voraussprengen, um mit harten Worten oder gewichtigen Hieben der flachen Klingen ihrer krummen Säbel den Weg durch die Menschenhaufen zu bahnen. Die Bettlerschaaren flohen zwar kreischend und jammernd schon bei dem ersten Anblick der Kroaten, dieser ärgsten Schinder und Plagegeister des Landvolks, und auch die Trossknechte lenkten oft mit trotzigem Fluche ihre Gespanne schnell bei Seite, bei den, Haufen des eigentlichen Kriegsvolkes aber zeigten sich ihre Bestrebungen mitunter weniger glücklich. Ihr lauter Ruf: „Platz — Platz für den gestrengen Herrn Oberst, den Grafen Strozzi!" fand oft wenig Beachtung, ja ward sogar mit höhnendem Spott beantwortet. Die Kroaten nahmen im damaligen kaiserlichen Heere gerade keine besonders geachtete Stellung ein, und die schweren, wallonischen Kürassiere, die böhmischen Arkebusiere, die irländischen Dragoner, ja selbst das reguläre, mit der Muskete bewaffnete Fußvolk sah verächtlich auf diese leichten, ungeordneten Schaaren herab, die zwar beim Plündern und Rauben stets die Ersten, bei dem Angriff in der offenen Feldschlacht aber häufig die Letzten waren. Nur wenn das zornige Gesicht des Obersten dann mitten zwischen den langsam zur Seite tretenden Kriegsknechten erschien, ihr Ohr seine heftigen Drohungen und Flüche vernahm, und gar vor Allem, wenn sie die breite rote Feldbinde mit goldenen Franzen erblickten, die über seinen leichten Brustharnisch von mattpoliertem Stahl herabhing, als ein Zeichen, dass ihr Träger zu den persönlichen Offizieren des Feldhauptmanns gehöre, beeilten sie sich im schnelleren Ausweichen. Ein Trupp Pappenheim'scher Kürassiere, lauter langgediente Wallonen, die Stahlhaube auf das wildbärtige, tief gebräunte, oft sehr von Narben durchfurchte Gesicht gedrückt, um die hohe Brust den schweren Eisenkürass geschnallt, das mächtige Schlachtschwert am breiten Gehänge von Büffelleder an der Seite klirrend, die auf ihrem riesigen flandrischen Gäulen langsam des Weges zogen, war auch jetzt im Ausweichen nicht so schnell, als die fieberhafte Ungeduld des Italieners dies zu wünschen schien. Seine zornigen Worte trafen nur taube Ohren, seine wütenden Blicke prallten wirkungslos an den festen Gesichtern dieser alten Schlachtenreiter ab. Empört stieß er seinem armen Pferde die langen Sporen so scharf in die Flanken, dass es mit letzter Anstrengung sich auf den Hinterfüßen aufbäumte, als wolle es mit den Vorderhufen auf einen Kürassier, der überaus langsam ausbog, niederhauen. Die kräftige Faust eines Rottenmeisters fiel dem Pferde aber in die Zügel, schnell es an die Seite reißend, und eine tiefe Bassstimme sprach in gebrochenem Deutsch: „Will dem Herrn raten, sein Reiterkunststück hier zu unterlassen. Bei seinen Kroaten mag es angebracht sein, Menschen mit dem Pferde niederzureiten, bei uns Pappenheimer Kürassieren geht so ein Stücklein aber nicht. Der Herr sieht ja, dass wir ihm Platz machen, wenn es auch freilich nicht so schnell gehen mag, als er in seiner Ungeduld verlangt." Zwar griff der Oberst wie unwillkürlich nach seinem Schwerte, um dem frechen Sprecher, einen Kürassier mit langem, eisgrauem Zottel- und Schnauzbart, für solche Worte zu züchtigen, allein die finsteren Gesichter der ihn umgebenden Reiter schienen ihn doch bald eines Besseren zu belehren.

„Ist das Mannszucht bei Euch, per Dio, ein Haufe des schlechtesten Marodeursgesindels zeigt mehr Disziplin als Ihr hier, die Ihr Euch Pappenheimer nennt”, rief er mit vor Zorn lauter Stimme.

„Was gibt's, wer wagt da solche Worte von uns Pappenheimern zu sprechen?" ertönte jetzt plötzlich die Stimme des Rittmeisters, der, vorn an der Spitze des langen Zuges reitend, bisher von diesem Streit nichts gehört hatte.

„Was? Ihr, Herr Oberst, habt so von uns gesprochen? Nun, die große Eile Eures Rittes mag Euch wohl etwas unwirsch gestimmt haben, so dass Euren Worten weiter kein allzu schweres Gewicht beizulegen ist”, meinte der Rittmeister in halb spottendem, halb verdrießlichem Tone, und befahl dann mit lauter Kommandostimme seinen Leuten, schnell Platz zu machen.

„Werde es dem Feldhauptmann, Herzog von Friedland Durchlaucht, schon zu melden wissen, welche Hindernisse ich bei meinem schnellen Ritte gerade bei diesem Kürassiergeschwader gefunden habe”, sprach zürnend der Oberst im Vorbeireiten zu dem Offizier, der ebenfalls, wie seine Mannschaft, schon lange Jahre gedient zu haben schien.

„Ja, Ihr Herren Welschen versteht das Melden und Anklagen freilich vortrefflich, und so lasst Euch auch diesmal darin nicht stören, bitte aber wohl dabei zu bedenken, dass wir Kürassiere hier unter des Grafen von Pappenheim persönlichem Befehl stehen und der Herzog von Friedland nur im Allgemeinen das Oberkommando über das Heer fühlt. Möchte wissen, was unser General dazu sagen würde, wenn wir ihm meldeten, welche Schmähworte der Herr Oberst vorhin über uns Pappenheimer ausgesprochen haben. Wollen der Herr Oberst aber die Sache persönlich nehmen, so bin ich gern zu einem ehrlichen Gang auf Stoßdegen oder Haupallasch bereit. Mein Name ist Levraux, Rittmeister im Pappenheim'schen Kürassierregiment”, gab der Rittmeister zur Antwort.

Ohne diese Worte weiter zu erwidern, trieb der Oberst sein Ross zu größerer Eile an. Die dunkle Röte des Zorns in seinem Gesichte und der sprühende Zornesblick, der aus seinem Auge auf den groben Sprecher funkelte, zeigten aber, dass dessen Hohn ihn mit voller Schärfe getroffen hatte.

„Per dio, maledetto cane, ich treffe Dich noch oft und werde mich schon zu rächen wissen. Wie der Herr, so die Knechte, und wagt dieser Pappenheim, diese deutsche Bestie, unserem Herzoge gar mitunter zu trotzen, so sind seine Offiziere nicht minder unverschämt. Aber wartet, wir stürzen Euch doch noch Alle”, zischte er halblaut vor sich hin.

„Verdammter Welscher! Zum Anklagen und Verschwärzen hat so ein Kerl zwar Lust, aber vor die Klinge zu einem gehörigen Gange kann man ihn nicht bringen. Und doch fehlt es ihm in der Schlacht, wenn der Ehrgeiz ihn stachelt, nicht an Courage. Wenn der Teufel alle diese welschen Schufte nur aus des Kaisers Heer geholt hätte, wollte ich viel lieber dienen. Aber diese Kerle sind schlau und wissen sich überall einzunisten”, fluchte der Rittmeister dem davonsprengenden Obersten nach.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Herzog Wallenstein in Mecklenburg. Band 1