Abschnitt. 2 - „Recht glückliche Reise!“ riefen die beiden jungen Gatten ihrem gepreßten Onkel nach, ...

„Recht glückliche Reise!“ riefen die beiden jungen Gatten ihrem gepreßten Onkel nach, und der Commerzienrath sah sich im nächsten Augenblick wieder mit einem Gefühl großer Genugthuung neben dem Postwagen stehen, der ihn zurück zu seiner Dorothee, zu seiner häuslichen Bequemlichkeit, zu Ruhe und Frieden bringen sollte. Sich um den Zug auch nicht im mindesten weiter bekümmernd, gab er einem der mit Nummern versehenen, also vereideten Diener seinen Gepäckschein mit dem Auftrag, seine Koffer in das dicht dabei befindliche Postgebäude zu tragen und wiegen zu lassen, und er selber begab sich ebenfalls rasch dorthin, sein Fahrbillet direct nach Gidelsbach zu lösen. Die beiden Brüder brauchte er, der empfangenen Nachricht nach, Gott sei Dank nicht mehr zu fürchten, und er dachte gar nicht daran, noch in einem dritten Wirthshause die entsetzlichen Scenen der beiden letzten Nächte zu wiederholen – er hatte von denen genug.

Sein Billet war gelöst, sein Gepäck besorgt und schon zum Eilwagen geschafft, der dicht an das Postcoupé des Zuges anfuhr, die dort für das Binnenland bestimmten Briefe und Packete in Empfang zu nehmen. Der wurde heute übrigens etwas länger als gewöhnlich in Burgkunstadt aufgehalten, da mehre Güterkarren hier gelassen, andere wieder angehängt werden mußten, und die Post war dadurch zur Abfahrt fast ebenso früh fertig als der Zug. Der Commerzienrath stand eben vor der geöffneten Thür, in die er schon Reisesack und Schirm hineingeschoben, während eine Dame mit ein paar Hutschachteln in der Hand ebenfalls zu ihm trat, als plötzlich eine tiefe Stimme aus einem der geöffneten Fenster des Coupé zweiter Classe herausschrie:


„Herr Commerzienrath Mahlhuber! Herr Commerzienrath Mahlhuber!“

Der Gerufene drehte sich, wie von einer Natter gestochen, nach der Stimme um und erkannte zu seinem Entsetzen den schweigsamen Mann aus der Post von Gidelsbach, der, ihm freundlich und ganz zutraulich winkend, mit dem halben Leibe aus dem Coupéfenster lehnte.
„Nun wie geht’s?“ rief er dabei mit einem breiten Grinsen über das ganze Gesicht und mit der Hand herübergrüßend, „schon zurück nach Gidelsbach? – Haben doch Ihre Pistolen wieder geladen? – Wünsche Ihnen recht glückliche Reise!“

Der Commerzienrath drehte sich halb nach dem frechen Menschen um und warf ihm einen verächtlichen Blick zu, als in demselben Augenblick die Locomotive einen scharfen grellen Pfiff that. Herr Mahlhuber aber, von seiner bisherigen Eisenbahnfahrt immer noch in der steten Angst zurückgelassen zu werden, vergaß ganz, daß er gar nicht mehr zu dem Zuge gehöre und wollte in rücksichtloser Hast in den vor ihm geöffneten Postwagen fahren.

„Nun, Herr Jesus, um Gottes Willen, was haben Sie denn nur? Sie rennen Einen ja ganz über den Haufen!“ rief die Dame, gegen die er in seiner Angst angeprallt war.

„Bitte tausend mal um Entschuldigung!“ rief der Commerzienrath, während von dem sich jetzt in Bewegung setzenden Bahnzug ein höhnisches Lachen zu ihm herübertönte, „die Locomotive pfiff –“

„Na die Post geht Ihnen deshalb doch nicht durch, lieber Mann, erwiderte die Dame, sich mit einigen leisegemurmelten, eben nicht freundlichen Worten ihren Hut wieder in Façon drückend, „ist mir so etwas schon in meinem Leben vorgekommen?“

Zerknirscht, doch ohne ein Wort weiter zu erwidern, nahm der arme abgehetzte, mishandelte Commerzienrath nach der Dame in der gegenüberbefindlichen Ecke Platz; jetzt aber fest entschlossen, was auch geschehen möge, dem boshaften Geschick keinen weitern Halt an sich zu geben. Schweigend legte er sich zurück, zog sich die Mütze tief in die Stirn und schloß die Augen. Er sprach nicht, er hörte nichts, was zu ihm gesprochen wurde, er beklagte sich nicht über Zug noch Hitze, kümmerte sich weder um die schöne Gegend noch um die alte Nachbarin, und trug mit einer wirklich rührenden Resignation die neuen Leiden der nächtlichen Postfahrt, die seinem matten Körper kaum eine flüchtige Stunde Schlaf gestattete.

In Otzleben besonders rührte er sich nicht von seinem Platze, und nur einen verstohlenen Blick warf er aus dem heraufgezogenen Fenster, sich bei dem Anblick des alten Postgebäudes die Scenen der vorvorigen Nacht noch einmal ins Gedächtniß zurückzurufen und seinem Gott zu danken, daß sie eben einer vergangenen Nacht angehörten.

Es war Abend – die Mamsell stand in der Hausthür, die Arme mit den aufgestreiften Aermeln in die Seite gestemmt, das große Schlüsselbund vorn an der Schürze, und nebenan aus dem Stalle führte der halbe Hausknecht die frischen Pferde herzu, mürrisch dabei mit den Schlepppantoffeln über das Hofpflaster schlurrend. Welch stilles Bild des Friedens – und dort hinten? –

„Satanskröte“, murmelte der Commerzienrath zwischen den Zähnen durch, als er den kleinen siebzehn mal hinausgeworfenen Pudel gerade wieder, wie er ihn verlassen hatte, in der Thür sitzen und sich kratzen sah, „weiter fehlte mir nichts, als heute Nacht noch ein solches Quartier im grünen Zimmer.“

Die Dame, der einzige Mitpassagier im Wagen, die den Commerzienrath schon mehrmals unterwegs angeredet und nach Dem und Jenem gefragt, aber nie eine Antwort bekommen hatte, schien endlich zu der Ueberzeugung gekommen zu sein, daß er entweder stocktaub wäre oder doch wenigstens sehr schwer höre. Das herauszubekommen, denn das schweigsame Imwagensitzen war ihr entsetzlich – bog sie sich plötzlich soweit sie konnte zu dem Commerzienrath über und schrie ihm ins Ohr:

„Wie heißt der Ort hier?“

„Herr du meine Güte“, sagte der Commerzienrath zusammenfahrend, „haben Sie mich erschreckt.“

„Das hört er doch“, brummte die Dame befriedigt vor sich hin; „nun?“ schrie sie dann wieder, „wissen Sie nicht wie der Platz heißt?“

„Otzleben, soweit ich mich entsinne“, sagte ihr Nachbar, also gepreßt.

„Freundliches Dörfchen hier, wie?“ schrie die Dame wieder; aber Mahlhuber ging nicht in die Falle. Er dachte an die zerschossene Hutschachtel, an die Ueberschuhe, an die Nichte. – Das Alles waren die Folgen eines leichtsinnig angeknüpften Gesprächs gewesen.

„Freundliches Dörfchen hier“, schrie seine Nachbarin noch einmal, sich doch wenigstens gehört zu machen; der Commerzienrath aber warf noch einen Blick hinaus auf seine Freundin, die Mamsell mit den langen Locken und aufgestreiften Aermeln, auf den komischen Hausknecht und den Pudel, zog dann den Mantel um sich her, drückte sich fest in seine Ecke und verweigerte hartnäckig selbst seine Zustimmung zu dem ganz unverfänglichen Lobe von Otzleben.

„Ist das ein tauber Esel“, brummte die Dame halblaut, aber vollkommen verständlich zwischen den Zähnen durch; „wird man auch noch mit so einem langweiligen Peter von Reisegesellschafter geplagt, du meine Güte!“ und ihren großen Reisekober neben sich zurechtrückend, stemmte sie die beiden Füße auf den gegenüberbefindlichen Sitz, faltete die Hände im Schoose und schloß ebenfalls die Augen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Herrn Mahlhuber’s Reiseabenteuer