Abschnitt. 2 - „Aber, meine Herren“, warf der Commerzienrath jetzt verlegen ein, „wissen Sie denn auch, ...

„Aber, meine Herren“, warf der Commerzienrath jetzt verlegen ein, „wissen Sie denn auch, daß der ältliche Herr mit der jungen Dame wirklich durchgegangen ist? – Können nicht am Ende Umstände – ein eigenthümliches Zusammentreffen –“

„Hallo!“ rief der Eine von ihnen plötzlich, indem er den Commerzienrath mit weitaufgerissenen Augen ansah, „heißen Sie am Ende Mahlhuber?“


„Ich? – Nein!“ rief der Commerzienrath, ehe er noch wußte, was er gesagt hatte, und nur im Instinct der Selbsterhaltung Namen, Titel, Orden, kurz Alles verleugnend, „hehehe! sehe ich aus – sehe ich aus wie ein Commerzienrath?“

„Nein“, lachte der Andere über die naive Frage, „das thun Sie allerdings nicht, und mein Bruder machte nur Spaß, aber solch ein sonderbares Zusammentreffen von Umständen, wie Sie es nennen, kann auch nicht stattgefunden haben, denn ein alter Herr, wahrscheinlich derselbe, ist vor einiger Zeit mit ihr mehrmals gesehen worden. Pest und Gift über den Burschen, mir tritt die Galle ins Blut, wenn ich nur an ihn denke, und Gnade ihm Gott, wenn er mir unter die Hände kommt. Erst will ich mein Müthchen an ihm kühlen, nachher mag er sich entschuldigen. Und was ist aus den Beiden geworden? In Lichtenfels muß man das doch erfahren können.“

„Allerdings“, erwiderte ihm der Commerzienrath, dem der kalte Angstschweiß auf die Stirn trat, „wenn Sie – wenn Sie nur gleich auf dem Bahnhofe den Packmeister oder in der Krone den Wirth fragen wollten, in der Krone, glaub’ ich, haben sie logirt.“ Er wußte gar nicht mehr was er sprach.

Der Jüngste der Beiden stampfte den Fuß auf den Boden, daß die Gläser auf dem Tische zusammenklirrten.

„Haben Sie logirt?“ fragte der Aeltere aufmerksam werdend.

„Ja –“, sagte der Commerzienrath und fühlte dabei wie er durch seine Lüge in ein ganzes Netz von Verwickelungen immer weiter hineingerieth, in dem er rettungslos hängen blieb, wenn er nicht rasch Anstalt machte das Ganze mit Einem Schlage zu zerhauen. Zeit zum Ueberlegen blieb ihm aber gar nicht, und nur in einer Art Instinct stammelte er, „ja, haben sie logirt, aber – die – die Dame ist fort!“

„Wohin?“ riefen Beide zu gleicher Zeit.

Der Commerzienrath Mahlhuber hatte in seinem ganzen Leben noch nicht so rasch gedacht wie in diesem Augenblick. Sobald die beiden entsetzlichen Menschen nach Lichtenfels kamen, wo ihn fast jedes Kind am Bahnhofe kannte, und der Gendarm sich für seinen speciellen Freund hielt, war er verloren. Dort erkundigten sie sich natürlich zuerst – dem Polizeibeamten gegenüber hatte er das Mädchen für seine Nichte ausgegeben, wenigstens stillschweigend geduldet, daß sie ihn Onkel nannte, und sein sämmtliches Gepäck stand dort aufgeschichtet; er konnte ihnen gar nicht entgehen. Dorthin durften sie also nicht, und nur einen einzigen Ableiter gab es jetzt für ihn, wenigstens ein paar Stunden Zeit zu gewinnen.

Blitzschnell schossen ihm die Gedanken durch den Kopf, und in der Verzweiflung, im Trieb der Selbsterhaltung das letzte Mittel ergreifend, rief er rasch und entschlossen aus:

„Nach Koburg – die beiden Leute sind etwa vor einer Stunde – vielleicht kaum solange und in demselben Augenblick, als ich hierherging, in einem verdeckten Wagen nach Koburg gefahren. Ich weiß, daß sie sich noch bei dem Packmeister nach dem besten Wirthshause erkundigten und von diesem, wenn ich nicht irre, in den ›Bären‹ gewiesen wurden.“

Der Commerzienrath log wie ein Leichenstein.

„Und das wissen Sie gewiß?“ rief der Jüngere der Beiden.

„Das weiß ich gewiß – sie wollten in Koburg Mittag machen und dann nach Sonneberg fahren.“

„In der dortigen Gegend muß der alte Schuft auch zu Hause sein“, rief der Aeltere rasch, „und er war dabei.“

Der Commerzienrath biß sich auf die Lippen, schien aber fest entschlossen in diesem Augenblick nichts übelzunehmen, und sagte:

„Den ältlichen Herrn habe ich nicht selber gesehen, aber ein Koffer war hinten aufgeschnallt.“

„Dann haben wir sie!“ rief der Jüngere jubelnd, und in die Thür springend schrie er dem Postillon zu, sich rasch bereitzuhalten und sie augenblicklich nach Koburg zu fahren.

„Nach Koburg?“ rief dieser erstaunt, „über Lichtenfels?“

Dem Commerzienrath stockte das Blut, der Aeltere machte seiner Angst aber ein schnelles Ende.

„Gott bewahre!“ rief er, „wir schneiden über Banz ein ganz Stück Weg ab und können in zwei Stunden in Koburg sein. Komm Heinrich, trink dein Bier aus, wir haben keinen Augenblick mehr zu verlieren – apropos, wie ist Ihr Name, mein Herr?“

„Mein Name?“ rief der Commerzienrath, an den diese Frage gerichtet war, bestürzt, „Müller – Kaufmann Müller.“

„So nehmen Sie unsern herzlichsten Dank – Sie haben uns einen sehr großen Dienst erwiesen. Alles in Ordnung, Postillon?“

„Alles“, sagte dieser, sein Glas auf einen Zug leerend und einem Mittelding zwischen Kellner und Packknecht zurückreichend.

„Also nach Koburg!“ rief der Jüngere, seinem Bruder voran in den Wagen springend, und einige Secunden später rasselte dieser auf der nach Banz führenden Straße unter dem lustigen Hörnerklang des Postillons dahin. Der Commerzienrath aber blieb wie in den Boden gewurzelt zurück und starrte dem Wagen nach, soweit er ihn mit den Blicken verfolgen konnte.

„Befehlen Sie noch ein Glas Bier, Herr Müller?“

Mahlhuber sah sich ganz verblüfft um, als ihm einfiel, daß er ja selber den Namen angegeben, und er wurde dunkelroth im Gesicht. Rasch dankend drehte er sich von dem Kellner ab, zahlte für das Getrunkene und schritt dann selber, aber nicht mehr in so gemüthlichem Schritte, als er hierhergekommen, nach Lichtenfels zurück.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Herrn Mahlhuber’s Reiseabenteuer