Abschnitt. 3 - Der Doctor hatte indessen wieder einmal getrunken, und das Manuscript aufnehmend, ...

Der Doctor hatte indessen wieder einmal getrunken, und das Manuscript aufnehmend, begann er von neuem:

„Jetzt muß ich noch erwähnen, daß das Haus, in welchem Karl wohnte, dicht an das des Commerzienraths Schöler stieß und mit diesem auch in der That einen durch eine dünne Backsteinwand getrennten Keller hatte. Karl war nicht reich, aber er liebte es doch in seinem eigenen Keller sein eigenes Bier einzulegen, und er fühlte sich jetzt so schwach, daß er einer Stärkung, welcher Art sie auch sei, bedurfte. Er ging hinunter, das Bier heraufzuschaffen, und hörte unten, als er die Thür langsam aufgeschlossen hatte, ein dumpfes Graben und Stoßen nebenan, als ob die Erde aufgeworfen würde. In dem Augenblick achtete er aber nicht darauf, nahm einige Flaschen Bier unter den Arm und stieg wieder nach oben.“


„Dem Seemann schloß er nun sein ganzes Herz auf, gestand ihm, daß er arm aber ehrlich sei, und bat ihn um seinen Rath, wie es möglich gemacht werden könnte, dem gierigen Vormund das wahrscheinlich unterschlagene Capital zu entreißen.“

„Nicht um des Geldes wegen“, rief der junge Mann, und ein edles Feuer blitzte aus seinen Augen, „nicht des schnöden Mammons wegen sehne ich mich nach dem Besitze; was ich brauche, verdiene ich mir durch meine Feder, und frei und unabhängig stehe ich in der Welt, aber – weh mir – ich liebe hoffnungslos, und die Geliebte ist des falschen Onkels Mündel.“

„Aber die ist ja schon todt!“ rief der Commerzienrath voller Erstaunen, „ich bin ja schon fest davon überzeugt gewesen, daß sie der nichtswürdige Mensch vergiftet hat.“

„Ja – Sie haben Recht“, sagte der Doctor, „aber hier lasse ich den Leser einen vermutheten Scheintod ahnen – ich spanne ihn gewissermaßen auf die Folter und glaube gerade, daß mir diese Wendung vortrefflich gelungen ist. Jetzt warten Sie – jetzt verschwindet das Mädchen, das er zu sich ins Haus genommen hat, und dadurch, daß Karl in seinem Keller das Graben und Erdewerfen gehört hatte, habe ich den Commerzienrath vollständig in meiner Gewalt – ich kann ihn entweder durch eine Haussuchung überführen und entdeckt werden, oder vorher, durch den Seemann vielleicht, der sich dafür einen Theil der sieben Millionen sichert, warnen und nach Amerika flüchten lassen.“

„Ich werde noch verrückt!“ stöhnte der Commerzienrath, mit beiden Händen seine eigene Stirn fassend und pressend. „Ist denn die Mündel wirklich todt oder lebt sie noch?“

„Ich sage Ihnen ja, ich kann das noch machen wie ich will“, erwiderte ihm der Doctor freundlich, „und auch hierüber wollte ich mir Ihre Ansicht erbitten, ob Sie nicht auch glauben, daß man durch einen glücklichen Scheintod das Interesse des Lesers weit gewaltiger anspannen könnte.“

Der Commerzienrath fuhr mit beiden Beinen zugleich aus dem Bette.

„Haben Sie mir da Thatsachen vorgelesen?“ rief er dabei, „oder mich zum Narren gehabt mit einer wahnsinnigen, erdichteten Geschichte, Herr?“

„Zum Narren gehabt? Wahnsinnige Geschichte? Mein Herr, das ist oder wird vielmehr eine Novelle, wenn ich im Stande bin sie so durchzuführen, wie sie angelegt ist, die ihres Gleichen in der Literatur sucht, und nur um Ihre Meinung darüber zu hören und mir in der Entwicklung vielleicht durch einen einfach praktischen Rath an die Hand zu gehen, habe ich sie Ihnen vorgelesen.“

„Herr Doctor!“ rief jetzt der Commerzienrath, mit den Füßen wieder zurück unter die Decke fahrend, als ob er draußen auf heißes Eisen getreten wäre, und mit beiden Händen zugleich seine weiße Nachtmütze fest und entschlossen über die Ohren ziehend, „wenn ich Ihnen das jetzt sagte, was ich von Ihnen denke, könnten Sie mich bei jedem Criminalamt auf die furchtbarste Verbalinjurie verklagen. Soviel will und muß ich Ihnen aber bemerken, daß ich ein kranker Mensch bin, der vorige ganze Nacht kein Auge zugethan und Ihnen aus übergroßer, wie ich nun einsehe, alberner Gutmüthigkeit sein eigenes Zimmer mit eingeräumt hat, um jetzt, unter der Vorspiegelung, wichtige Thatsachen erzählt zu bekommen, mit einer faden confusen Novelle mißhandelt zu werden. Ich verlange jetzt ernsthaft von Ihnen, daß Sie mich in Ruhe lassen und endlich Ihr Licht auslöschen, ich bin sonst nicht im Stande einzuschlafen und – und wünsche Ihnen eine angenehme Ruhe.“

Damit fiel er wie todtgeschlagen auf sein Kopfkissen zurück, schloß die Augen und machte ein Gesicht, als ob er Arsenik genommen hätte und nun bereit wäre zu sterben.

„Fade Novelle?“ rief der Doctor Wickendorf, an seiner empfindlichsten Stelle gefaßt. „Mein Herr, ich habe Ihnen mehr Beurtheilungskraft zugetraut, als Sie wirklich zu besitzen scheinen, und kann nur bedauern, meine Zeit damit verschwendet zu haben, Sie um eine Meinung darüber zu ersuchen. Schlafen Sie wohl!“

Der Mann war aufgesprungen und ging, zu des Commerzienraths stillem Grimme, ohne das Licht auszulöschen, mit raschen Schritten und mit festverschlungenen Armen im Zimmer auf und ab, dann und wann einen zürnenden Blick nach der Stelle hinüberwerfend, wo sein duldender Schlafkamerad, äußerlich ein Bild des stillen Friedens, mit der über die Ohren gezogenen Nachtmütze auf dem Rücken lag, innerlich aber den unruhigen Gesellen mit dem brennenden Lichte dahin wünschend, wo der Pfeffer wächst. In einer Art von verzweifelter Resignation schien der Commerzienrath entschlossen, auch das Schlimmste über sich ergehen zu lassen, ohne weiter dagegen anzumurren.

„Das geschieht dir recht, Hieronymus“, murmelte er dabei unhörbar vor sich hin, „das geschieht dir ganz recht, und es freut mich ordentlich, daß es so gekommen ist. Du in deinen Jahren hättest gescheiter sein können und sollen, als dich von einem Narren von Doctor in die Welt hineinschicken zu lassen. War es doch die Dorothee; die kannte mich besser, als ich mich selber kannte, und die Unbequemlichkeit, das Elend dieser Nächte, die Aufregung und der Aerger am Tage, das Alles habe ich verdient, reichlich verdient mit meinem Leichtsinn, Nur die Leber – das rasende Wachsen der Leber jetzt seit den letzten zwei Tagen, das ist mein Tod, das habe ich nicht verdient, und ich sterbe als Märtyrer für die Bequemlichkeit der Wallfahrer, unter Dach und Fach zu schlafen. Wallfahrer“, fuhr er fort, seinen Grimm in eine neue Bahn lenkend, „das nennen nun die Leute wallfahrten; kehren Abends ein, gehen zu Bier und essen, spielen und schlafen und verdrängen andere kranke Reisende aus ihrer gewohnten Ruhe und Bequemlichkeit – Wallfahrer – und der unglückliche Mensch läuft noch immer wie besessen im Zimmer herum und löscht das Licht nicht aus. Wenn ein Gerichtshof für moralische Verbrechen existirte, verklagte ich ihn auf kaltblütig überlegten, vorsätzlichen Mord – der Mensch will mich todt machen.“

Der Commerzienrath schien ihm aber Unrecht gethan zu haben, oder war Doctor Wickendorf selber müde geworden? er trat plötzlich zum Tische, legte seine Papiere zusammen und schloß sie wieder in seinen Reisesack, fing an sich zu entkleiden und stieg dann, das brennende Licht neben sich auf einem kleinen Tische ungelöscht stehen lassend, ins Bett.

„Er wird es schon ausmachen“, tröstete sich der Commerzienrath, der versteckt nach ihm hinüberblinzte, „er wird doch nicht mehr im Bette lesen wollen? – Das ist feuergefährlich.“ Doctor Wickendorf las aber weder, noch machte er das Licht aus; hätte aber der Commerzienrath das von ihm abgewandte boshaft lächelnde Gesicht des Schriftstellers sehen können, er würde gezittert haben.

Eine ganze Weile hielt es der arme gepeinigte Mahlhuber unverdrossen aus; er genirte sich den Doctor zu belästigen und anzureden – er mußte ja das Licht doch zuletzt einmal auslöschen; dieser schien jedoch an nichts weniger zu denken, und der Commerzienrath drehte sich endlich mit einem gewaltsam gefaßten Entschlusse nach ihm um, hustete erst einmal und sagte dann:

„Herr Doctor –.“

„Ja.“

„Sie schlafen doch noch nicht?“

„Nein.“

„Dürfte ich Sie bitten das Licht auszulöschen? Ich bin nicht im Stande vorher einzuschlafen, und es ist auch feuergefährlich.“

„Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Mahlhuber“, erwiderte ihm sein Schlafkamerad freundlich, „ich sehe mich Ihnen gegenüber zu der Erklärung gezwungen, Sie nicht mehr zu beunruhigen als irgend nöthig ist – ich habe das Licht absichtlich brennen lassen.“

„Aber weshalb, um Gottes Willen?“

„Das will ich Ihnen sagen“, seufzte der Doctor, „solange bei Vollmond ein Licht Nachts in meinem Zimmer brennt liege ich ruhig – sobald ich es auslösche, nachtwandle ich.“

„Herr du mein Gott!“ stöhnte der Commerzienrath, „das hat mir noch gefehlt.“

„Wünschen Sie es“, fuhr der entsetzliche Mensch ruhig fort, „so lösche ich das Licht augenblicklich aus, aber ich bitte Sie dann ernstlich mich zu halten, falls ich aus dem Fenster klettern wollte. Wir logiren allerdings in der ersten Etage, aber es sind Steine unten.“

„Aber mein Herr“, sagte der Commerzienrath außer sich, „das nehmen Sie mir nicht übel, mit einem solchen Leiden behaftet, sollten Sie auch allein in einem Zimmer und womöglich mit vergitterten Fenstern schlafen –.“

„Ich hatte auch den Wirth nur aus Rücksicht für Sie gebeten, Sie anderswo einzuquartieren“, sagte der Doctor vollkommen ruhig, „also wünschen Sie, daß ich das Licht auslöschen soll?“

„Um Gottes Willen, nein!“ rief der Commerzienrath.

„Dann wünsche ich Ihnen eine recht angenehme Ruhe“, sagte Doctor Wickendorf, drehte sich herum und war in der nächsten Minute auch schon fest und sanft eingeschlafen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Herrn Mahlhuber’s Reiseabenteuer