Abschnitt. 2 - „Merkwürdig“, sagte dieser, ohne sich weiter stören zu lassen, „daß diese Zustände ...

„Merkwürdig“, sagte dieser, ohne sich weiter stören zu lassen, „daß diese Zustände sich oft auf einige Zeit besserten, ja fast vollkommen hoben, nur um nach einiger Zeit mit um soviel größerer Stärke wiederzukehren, bis sie ihnen endlich erlag. Das Testament kam jetzt zur Vollstreckung, nach dem – solchen Fall vorausbestimmt, daß die einzige Erbin vor ihrer erlangten Mündigkeit sterben sollte – ziemlich bedeutende Summen an Wohlthätigkeitsanstalten und fromme Stiftungen übergingen, für den Rest aber, mit einem Capital von etwa 100.000 Thalern, der Commerzienrath Schöler zum Erben eingesetzt war.“

„Sie hat Gift bekommen!“ rief der andere Commerzienrath, in seinem Bette die Hände vor Entsetzen zusammenschlagend.


„Commerzienrath Schöler war jetzt mehr noch als je ein reicher Mann“, las der Doctor lächelnd weiter, „betrauerte allerdings den Tod der jungen Erbin ein volles Jahr durch schwarze Kleidung und einen breiten Flor um den Hut, setzte sich aber ungesäumt in den Besitz des bedeutenden Vermögens und lebte herrlich und in Freuden.“

„Noch existirte ein armer, aber naher Verwandter des Bankiers, und zwar der Stiefsohn seiner Schwester, der aber, jung und leichtsinnig, dem alten reichen Herrn nie recht gefallen hatte. Karl, so hieß er, war ein herzensguter braver Bursche, selten bei Kasse, es ist wahr, aber stets leichten Herzens und fröhlichen Sinnes, bis er einst in des Onkels Hause, dem er eine Visite machte, dessen Tochter sah – kennenlernte und – mit dem Todespfeile im Herzen die Schwelle wieder verließ.“

„Nun bestand eine Sage in der Familie, daß vor alten Zeiten eine Großmutter dieses jungen Mannes in Indien verheirathet gewesen, später gestorben sei und ein rasendes Vermögen hinterlassen habe, das aber ein malayischer Regent, wegen eines fälschlich in Besitz genommenen Landstrichs, anfechten wollte, und sich ein District in jener Gegend auch schon deshalb empört haben sollte. Eines Morgens tritt plötzlich ein sonnengebräunter Mann, der Ähnlichkeit mit einem Matrosen hat, in Karls Thür, fragt ihn, ob er Karl Neumann heiße, der Enkel einer in Indien verstorbenen Frau, Namens Katharina Neumann sei und seine Erbschaft von dort, etwa sieben Millionen spanische Thaler, richtig empfangen habe.“

„Sieben Millionen Thaler!“ flüsterte der Commerzienrath in halblautem Erstaunen vor sich hin.

„Karl schrak zusammen“, fuhr der Doctor fort, „als ob er ein Verbrechen begangen habe und dabei entdeckt worden wäre; seine Wangen verließ das Blut, seine Glieder zitterten und er mußte sich an einem Stuhle halten, um nicht umzusinken.“

„Sieben Millionen Thaler“, stöhnte er, „sieben Millionen Thaler – von Indien?“

„Sie haben nichts empfangen?“ rief der Seemann rasch und erstaunt, „wäre es möglich, daß jener indische Rajah Sie darum betrogen hätte, hm, dann wehe ihm! Allah’s Zorn und meine Rache sollen ihn treffen, und stehe er zu den Stufen seines Tempels, zu dem Heiligthum des ewigen Sarges, ich würde ihn erreichen.“

„Wer sind Sie?“ fragte ihn Karl, „daß Sie solchen Antheil an meinem Schicksal nehmen, und glauben Sie, daß Sie mir zu der Erbschaft oder wenigstens zu einem Theile derselben wiederverhelfen könnten?“

„Glaub’ ich!“ wiederholte der Seemann indignirt, „ich weiß gewiß, daß, wäre das Geld in der That noch nicht abgesandt, es Ihnen werden muß, und wenn der erste Rajah selber die gierigen Hände schon darübergebreitet. Wir hatten in Indien die Adresse eines Mannes aufbekommen, an den die Summe abgeschickt werden sollte, der indische Fürst schwor in meine Hand sie richtig zu befördern.“

„Und wie hieß der Mann, dem man für mich ein solches Capital anvertrauen wollte?“ rief Karl, von einer fürchterlichen Ahnung ergriffen –“

„Commerzienrath Schöler“, sagte der Seemann, und Karl brach bewußtlos neben seinem Stuhle zusammen. Wie lange er so gelegen, wußte er nicht; als er wieder zu sich kam, fühlte er wie ihm Jemand kaltes Wasser in sein Gesicht goß, und er stöhnte: „Wo bin ich?“ Der indische Seemann war noch bei ihm und suchte ihn ins Leben zurückzurufen, und Karl mußte ihm jetzt, sobald er sich nur soweit erholt, wieder sprechen zu können, erzählen, welche Befürchtungen er habe, und daß er fast überzeugt sei, wie der Commerzienrath das Geld unterschlagen hätte.“

„Aber ich bitte Sie um Gottes Willen“, brach jetzt der arme gequälte Mahlhuber, der immer noch nicht sah, daß der entsetzliche Mensch zur eigentlichen Sache kam, und es ebenfalls für höchst unwahrscheinlich fand, daß ein deutscher Commerzienrath sieben Millionen Thaler unterschlagen könne, das Schweigen. Er war fest entschlossen jetzt ebenfalls ein Wort mit hineinzureden, „Sie haben ganz Recht, dieser Mensch muß ein wahres Scheusal sein, und wenn wir 7 Uhr Abends hätten, verehrter Herr, würde ich nicht das mindeste Bedenken tragen, Ihnen mit dem größten Interesse zuzuhören, denn der Fall ist in der That außergewöhnlich und muß, sobald er vor die Oeffentlichkeit kommt, ein gewaltiges Aufsehen machen; aber thun Sie mir die Liebe – ganz abgesehen davon, daß ich wirklich glaube, Sie haben den Commerzienrath mit den sieben Millionen in einem falschen Verdacht – und geben Sie mir lieber die Umrisse des Ganzen, die einfachen nackten Thatsachen, und lassen Sie besonders die Gespräche der Leute weg, denn ich bin sonst wahrhaftig nicht im Stande ein unbefangenes Urtheil zu fällen. Mir ist der Kopf schon jetzt – ich kann Sie versichern – so wirr und voll von den vielen Namen und Begebenheiten, daß ich anfange irre zu werden – wie viel Uhr haben wir wol?“

„O es ist noch früh“, sagte der Doctor, flüchtig auf seine Uhr sehend, ohne die Frage selber zu beantworten. „Ich kann Ihnen übrigens nicht helfen, denn diese Einzelheiten, die eben das Ganze bilden, müssen Sie kennenlernen, um im Stande zu sein, ein richtiges Urtheil zu fällen. Uebrigens kommt gerade jetzt die Hauptsache, und ich bin fest überzeugt, sobald wir die berührt haben, werden Sie so gepackt und aufgeregt sein, die ganze Nacht nicht mehr schlafen zu können.“

„Das wäre mir aber nicht lieb“, stöhnte der Commerzienrath vor sich hin, „die ganze vorige Nacht Hunde aus der Thür geworfen, und heute Nacht über ein Menschenleben zu Gericht sitzen, daß man sich später vielleicht die schrecklichsten Vorwürfe macht, jahrelang eine blutige Gestalt vor Augen sieht und hinter jeder Thür, unter jeder Bettstelle, besonders aber unter der eigenen, irgendeine entsetzliche Gestalt vermuthet. Das bischen Seelenruhe ist dann auch noch zum Teufel. – Guter allmächtiger Gott! und ein Commerzienrath dieser nichtswürdige bigote Heuchler – es ist eine Schmach für den sonst so ehrenwerthen Stand. Man müßte wirklich bei der hohen Staatsregierung darauf antragen, daß ihm der Titel und Rang, sobald sein Verbrechen nur erst einmal constatirt worden, wieder abgenommen würde, daß er aller dieser Ehrenrechte verlustig gehe. – Ein wahres Scheusal von einem Commerzienrath.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Herrn Mahlhuber’s Reiseabenteuer