Abschnitt. 2 - „Mit wem habe ich die Ehre?“ sagte der Commerzienrath, der sich mit dem unbehaglichen ...

„Mit wem habe ich die Ehre?“ sagte der Commerzienrath, der sich mit dem unbehaglichen Gefühl eines nicht Angezogenen solcher Staatstoilette gegenüber womöglich noch tiefer in seine Decke zurückzog. „Sie wollten mir etwas Angenehmes mittheilen, ich muß tausend mal um Entschuldigung bitten, daß sie mich zu dieser Tageszeit –“

„Um Gottes Willen machen Sie keine Umstände, bester Herr Commerzienrath“, rief der Fremde, der sich indeß vergeblich nach einem freien Platze umgesehen, seinen Hut abzulegen und ihn endlich dem vollgepackten Reisesack anvertrauen mußte, auf dem er nicht recht die Balance zu halten schien; „wie ich gehört habe, sind Sie gesonnen sich hier in Lichtenfels häuslich niederzulassen.“


„Ich?“ rief der Commerzienrath, erstaunt emporsehend.

„Nun ich weiß, daß es noch Geheimniß bleiben soll“, beruhigte ihn der Fremde, „und auf meine Discretion können Sie sich verlassen, jedenfalls ist es aber ein sehr glücklicher Umstand für Sie, daß ich heute den Morgenzug versäumte und zu spät von Koburg herüberkam, ich reise für das Haus Helboldt und Sohn und mache in feinen Weinen und Champagnern – Helboldt und Sohn, Herr Commerzienrath, ich brauche Ihnen bloß den Namen zu nennen, und Sie werden einsehen, wie nur ein glücklicher Zufall mich hier noch zurückhalten konnte. Helboldt und Sohn führen eine wahre Pracht von Weinen und ich hege nicht den geringsten Zweifel, daß Sie nach bester Auswahl reichlich bestellen werden. Hier“, fuhr er dann fort, indem er nach und nach aus allen seinen verschiedenen Taschen winzig kleine Flaschen mit Etiketten hervorbrachte und auf den Nachttisch des wirklich vor Erstaunen sprachlosen Commerzienraths stellte, „habe ich Ihnen gleich die besten Sorten, unter denen Sie jedenfalls Das finden werden, was Sie suchen, mitgebracht.“

„Aber Herr, zum Donnerwetter“, brach jetzt endlich der verhaltene Grimm des Commerzienraths los, „sind Sie des Teufels oder wollen Sie mich zum Narren haben?“

„Ich, Herr Commerzienrath?“

„Deshalb sind Sie hierhergekommen? mir Ihre sauern Weine anzupreisen?“ rief jetzt der in seiner Ruhe, in seinem Schlafe (Leber und Balggeschwulst noch gar nicht gerechnet) mißhandelte Mann. „Das war die gute Nachricht, die Sie mir zu bringen hatten?“

„Saure Weine, Herr Commerzienrath?“ wiederholte der Weinreisende mit einem Gefühl, als ob ihm Jemand einen Dolchstich versetzt hätte. „Helboldt und Sohn saure Weine – ich bitte Sie um tausend Gottes Willen – nicht einmal unser Weinessig –“

„Gehen Sie zum Teufel, Herr!“ unterbrach ihn der sonst so schüchterne, jetzt jedoch zur Verzweiflung getriebene kleine Mann, „ich liege hier halb todt im Bette, mich auszuruhen, um meine Gesundheit wiederherzustellen, um mit Tagesanbruch dies verdammte Nest verlassen zu können, und Sie brechen mir hier gegen alles Land- und Völkerrecht unter falschen Vorspiegelungen in mein Zimmer, mich unter meiner eigenen Bettdecke zu maltraitiren. Packen Sie Ihre verwünschten Flaschen wieder ein und lassen Sie mich ungeschoren.“

„Aber, Herr Commerzienrath, bei einem längern Aufenthalt hier – Helboldt und Sohn –“

„Ich sage Ihnen ja, daß ich auf der Durchreise bin, Herr, ist Ihnen das nicht deutlich genug –“

„Aber Ihr Fräulein Nichte –“

„Meine Nichte?“ rief der Commerzienrath stutzig werdend, und aufhorchend.

„Ihr Fräulein Nichte“, fuhr der nicht so leicht abzuschüttelnde Bursche fort, „hat doch vorhin in meinem Beisein geäußert, daß Sie gesonnen wären, sich hier häuslich niederzulassen, weil Ihnen die Gegend enorm gefallen hätte.“

„Meine Nichte? Herr, lassen Sie mich mit Ihren Weinen und meiner Nichte zufrieden“, tobte der Commerzienrath, durch den neuen Beweis nicht im geringsten milder gestimmt, „ich will von Beiden nichts wissen; und nun seien Sie so gut und packen Sie die verdammten Flaschen wieder ein – Sie verstehen doch deutsch? – und lassen Sie mich zufrieden. Ich bleibe nicht hier, habe keine Nichte, will keinen Wein und liebe nicht, mich, wenn ich im Bette liege, mit fremden Leuten zu unterhalten. Guten Morgen, Herr Helboldt und Sohn.“

„Herr Commerzienrath“, sagte der Weinreisende pikirt, indem er seine Flaschen wieder einpackte und seinen Hut ergriff, „wenn auch nicht gegen mich persönlich, so sollte doch wenigstens die Achtung, die Sie der Firma Helboldt und Sohn schuldig –“

„Helboldt und Sohn soll –“, brummte der Commerzienrath, sich unwillig in seinem Bette mit dem Gesicht nach der Wand, ebenso rasch aber auch wieder zurückdrehend, da er an sein Portemonnaie und die Uhr dachte, die auf dem Tische lagen.

„Nun ich sehe“, sagte achselzuckend der Geschäftsreisende, „daß wir doch wol in keine Geschäftsverbindung miteinander treten können; es thut mir auch leid Sie bemüht und meine kostbare Zeit solcherart vergeudet zu haben, ich bin Reisender –“

„Reisen Sie glücklich“, brummte der Commerzienrath, mit einem halb malitiösen Lächeln unter seiner Bettdecke vor.
„Guten Morgen, Herr Commerzienrath“, brach der Bevollmächtigte kurz ab und warf die Thür hinter sich ins Schloß, daß die Scheiben im Fenster und Wasserflasche und Glas im Waschtische zusammenklirrten.

„Flegel!“ knurrte Mahlhuber leise vor sich hin, als er sich wieder im Bett zurechtrückte, die Augen noch einmal schloß und einen Versuch zu machen schien aufs neue einzuschlafen. Das aber ging unter keiner Bedingung; der Aerger mit dem unverschämten zudringlichen Menschen hatte ihn dermaßen aufgeregt, daß an eine Fortsetzung seiner unterbrochenen und überhaupt mittelmäßig genug gewesenen Ruhe gar nicht zu denken war. Er hob sich endlich mit einem schweren Seufzer von seinem Lager, wusch sich und zog sich an, und beschloß einen Spaziergang in der wirklich freundlichen Umgebung zu machen, um müde zu werden und dann wenigstens Aussicht auf einen Nachtschlaf zu haben. Sein Gepäck mußte ja doch noch heute Abend oder spätestens morgen früh ankommen und, Gidelsbach lag nicht so entsetzlich weit entfernt, es nicht wieder erreichen zu können.

Der Spaziergang schien keine so üble Idee gewesen zu sein, nur störte ihn die Unmasse von Heiligen- und Märtyrerbildern, die er überall traf, und die blutigen Leiber und Wunden derselben riefen ihm auf peinliche Art seine eigene Leber wie seine Operation wieder und wieder ins Gedächtniß zurück. Mit Gewalt zwang er sich jedesmal nicht daran zu denken, aber kaum hatte er sich durch einen andern Gegenstand zerstreut, tauchte wieder, in Stein oder Holz, und immer bunt bemalt, mit einem Ueberfluß von Blut daran, ein neues Bild vor ihm auf.

„Es ist zum Verzweifeln!“ seufzte der Commerzienrath leise vor sich hin, wahrend er sich scheu, soweit als möglich, um die solchen bösen Eindruck auf ihn machenden frommen Kunstwerke herumdrückte; „es ist wirklich zum Verzweifeln, und ich begreife eigentlich doch nicht recht, weshalb diese Masse von Monumenten nöthig ist.“ Als Commerzienrath und guter Christ durfte er aber nicht mehr denken, ja er machte sich in seinem Innern schon schreckliche Vorwürfe soviel gedacht zu haben, und suchte sich endlich dadurch eine Erleichterung zu verschaffen, daß er quer über ein Feld hinweg dem nächsten Holzrande zuzueilen suchte, dort mehr „ungestört“ zu sein. Das freilich hatte nur die unangenehme Folge für ihn, daß er unterwegs, und mitten in einem etwas weichen und unbequemen Saatfelde, von einem biedern Landmanne, dem Eigenthümer desselben, angehalten und aufgefordert wurde, zwei Gulden Strafe für das Verlassen des Weges zu zahlen, widrigenfalls er, der Bauer, sich in die unangenehme Nothwendigkeit versetzt sehen würde ihn zu pfänden.

Der Commerzienrath wollte dagegen protestiren, ja knöpfte unter dem Vorwande, ihm eine Karte mit seinem Namen zu geben und ihm zu beweisen, daß er nicht absichtlich ihm einen Schaden habe zufügen können, seinen Rock auf, unter dem der Orden schimmerte; der Bauer blieb aber gänzlich gefühllos, selbst gegen das bunte Band im Knopfloche des Fremden, das er vielleicht nicht einmal sah, keinesfalls beachtete. Er bestand auf seinen zwei Gulden, oder Hut und Schnupftuch des Übertreters der Gesetze, ja wurde dermaßen grob gegen den kleinen unbehülflichen Mann, daß dieser nicht umhinkonnte, in die jedenfalls unbillige Forderung oder vielmehr Erpressung zu willigen und das Geld zu zahlen.

Damit kam er noch dazu nicht einmal nach dem Waldrande, sondern wurde mit Zwangspaß auf die Straße zurückgeschickt, nochmals Spießruthen zwischen den ihm fatalen Erinnerungen zu laufen bis Lichtenfels.

Der Marsch hatte übrigens das Gute für ihn, daß er hungrig und durstig den kleinen Ort wiedererreichte, vor allen Dingen nach den Bahnhofsgebäuden hinabging, sich dort die Gewißheit zu holen, daß seine Sachen noch nicht gekommen wären, und dann langsamer die krummen, schauerlich gepflasterten Straßen des Städtchens zurück bis in sein Wirthshaus wanderte, etwas zu genießen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Herrn Mahlhuber’s Reiseabenteuer