Abschnitt. 3 - Er wollte es jetzt durchsetzen und die kleine Kröte ...

Er wollte es jetzt durchsetzen und die kleine Kröte winseln lassen solange es ihr beliebte, wickelte sich demzufolge entschlossen in seine Decke, aber – er war nicht im Stande es durchzuführen. Der feine winselnde Ton drang ihm durch Mark und Bein und er mußte zuletzt wieder heraus, sie den andern nachzuschicken – um wieder und wieder dasselbe Spiel zu erneuern. Wie der unerschöpfliche Hut eines Taschenspielers, der Bouquets und Karten, Perücken, Eier und Taschentücher ausspeit in ununterbrochener Reihe, so lieferte das lockere Bettstroh junge Hunde, und der Commerzienrath – denn man gewöhnt sich ja an Alles –, der es zuletzt anfing ganz in der Ordnung zu finden, daß er sich die Nacht damit beschäftige junge Hunde aus der Thür zu werfen, tröstete sich beim neunten mit dem Gedanken, daß er noch nie gehört habe, wie eine Hündin mehr als neun Junge gehabt, und beruhigte sich beim zehnten damit, daß er zugab, sie könnten von zwei Hündinnen herrühren. Halb im Schlafe, denn er wurde nach und nach müde von der ungewohnten Arbeit, stand er auf, wenn er die furchtbaren Laute hörte, griff unters Bett, zerrte die immer stärker winselnde Bestie bei den Ohren vor und setzte sie in einem schon kaum mehr bewußten Zustande an die Luft, bis sich die andere meldete.

Erst mit dämmerndem Morgen sollte er Ruhe finden; der halbe Hausknecht von gestern Abend kam schwerfällig die Treppe heraufgeschlurrt, gerade als der Commerzienrath den siebzehnten aus der Thür schleuderte.


„Da“, schrie er dabei, „habt Ihr noch einen und der nächste, der mir nun noch in die Kammer kommt, den werf ich aus dem Fenster, so wahr wie ich Hieronymus heiße. Ist das hier ein Gasthaus für anständige Reisende, wo die Kammer von Hunden wimmelt?“ Und die Thür zuschlagend, daß die Fenster klirrten, warf er sich wieder ins Bett und hörte nur noch wie der Hausknecht den kleinen Köter aufgriff und streichelte und liebkoste und dann langsam mit ihm den Gang zurücktappte, wie er gekommen.
Weiter vernahm er nichts; seine Müdigkeit gewann endlich die Oberhand und er sank in einen festen fast krankhaften Schlaf, aus dem ihn der Hausknecht später, zu der gegebenen Stunde, kaum wieder herausrütteln konnte.

„Da ist schon wieder einer!“ sagte er noch im Traume, der ihn auch selbst die wenigen Stunden hindurch verfolgt haben mußte. „Satansbestie, kleine, wenn ich dich jetzt nicht – „

„Papelt der irre?“ sagte der Hausknecht ruhig, seine Operation ihn munter zu bekommen an ihm wiederholend, „he holla – der Kaffee ist auf’m Tisch und die Post wird gar nicht mehr solange bleiben.“

„Wer ist auf dem Tische?“ fragte der Commerzienrath, plötzlich munter werdend und sich wie aus einem Pistol geschossen in seinem Bette aufrichtend. „Heilige Mutter Gottes!“ setzte er dann stöhnend hinzu, als ihm die Erlebnisse der letzten Nacht wieder in der Erinnerung auftauchten, „bin ich nicht am ganzen Leibe wie gerädert und zerschlagen. Und deshalb habe ich die Post weiterziehen lassen, hier eine ordentliche Nachtruhe zu halten, und nun – aber der Mamsell will ich meine Meinung sagen – wo ist die Mamsell?“

Der Mann aber, an den er die Frage zu richten gedachte, hatte sich, nachdem er seine Pflicht erfüllt und den curiosen Reisenden geweckt, dessen Kleider gereinigt auf dem Stuhle lagen, dessen Stiefel blank und blitzend vor dem Bette standen, wieder zu seinen andern Geschäften zurückgezogen, und dem Commerzienrath Mahlhuber blieb nichts übrig, als seinen Grimm noch auf kurze Zeit zu verbeißen und sich vor allen Dingen in die Kleider zu werfen. Himmel, wenn er den Postwagen versäumte und am Ende gezwungen gewesen wäre, noch eine Nacht in diesem Hause, in dieser entsetzlichen „grünen Stube“ zuzubringen. Aber er hatte noch Zeit genug, und den dienstbaren Geist, der in Erwartung eines Trinkgeldes heute Morgen sehr flink bei der Hand war, wieder heraufrufend, ließ er ihm das Gepäck hinunter ins Packzimmer tragen, damit es gewogen und weiterbefördert werden konnte.

Den Leuten unten aber, und besonders der Mamsell, wollte er einmal tüchtig seine Meinung sagen über eine solche Behandlung – er hatte sich den Rock schon bis oben hinauf zugeknöpft, recht entschlossen und determinirt auszusehen, und ging wirklich ein paar mal in seinem kleinen Zimmer mit schnellen Schritten auf und ab, die Zornesworte sich zu wiederholen, die er gegen sie auszuschleudern gedachte. War das eine Behandlung für einen anständigen Mann, den Commerzienrath aus dem Spiele zu lassen? war es nicht niederträchtig einem Kranken den so nöthigen Schlaf förmlich abzustehlen, indem man nicht etwa Hunde zu ihm ins Zimmer that, nein, ihn förmlich in eine ganze Sammlung von kleinen nichtswürdigen winselnden heulenden Kröten hineinsperrte, als wenn man es darauf abgesehen habe ihn zugrunde zu richten? „Sie – Mamsell, Sie“, wollte er sagen und sie dabei mit einem durchbohrenden Blicke ansehen, „wie dürfen Sie sich unterstehen –“

„Der Kaffee ist fertig“, meldete der Hausknecht wieder, den Kopf über der Treppe zeigend, „und wenn Sie nicht gleich kommen, können Sie keinen mehr trinken.“

Keinen Kaffee trinken – der ganze Tag wäre ihm verloren gewesen, und rasch seine Reisemütze aufgreifend, stieg er mit schnellen entschlossenen Schritten, die aber vorsichtiger wurden, als er die etwas steile Treppe erreichte, hinunter.

Die Mamsell stand unten an der Treppe, und mit ihrem freundlichen Lächeln und einem verschämten Blicke die Augen niederschlagend – sie dachte wahrscheinlich des Moments, in dem sie einander gestern Abend zum letzten male gesehen – sagte verbindlich:

„Wünsche herzlich wohl geruht zu haben und wollen Sie jetzt nicht gefälligst nähertreten und Ihren Kaffee einnehmen?“

Wohl geruht zu haben – nun auch noch Hohn zu alledem! – Wohl zu ruhen zwischen siebzehn Hunden, ohne die Alte, das war zu arg, und jetzt sollte sie es bekommen. „Liebe Mamsell“, sagte der Commerzienrath mit einer Stimme, der sich aber Rührung über das erlittene Unrecht beimischte, und die deshalb viel weicher klang als es überhaupt in seiner Absicht gelegen, „liebe Mamsell, ich möchte Sie sehr bitten –“

„Ach, verehrtester Herr Mahlhuber“, unterbrach ihn aber die Mamsell rasch und fast ärgerlich, „Sie haben ja gar nicht um Entschuldigung zu bitten – ich war ja eigentlich Schuld daran.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Herrn Mahlhuber’s Reiseabenteuer