Abschnitt. 2 - „Na, das hat mir noch gefehlt“, brummte der ...

„Na, das hat mir noch gefehlt“, brummte der gepeinigte Gast leise und ingrimmig vor sich hin, „was ist jetzt wieder los?“ – Er horchte eine Weile, aber das Geräusch ließ nach und er fing eben erst an wieder in Schlaf zu kommen, als es von neuem und stärker begann.

„Heiliger Gott im Himmel!“ sagte der geplagte Commerzienrath, gewaltsam einen Fluch zurückhaltend, „ist das nicht um selbst den gesundesten Christenmenschen zur Verzweiflung zu bringen, und dabei soll ich meine gelbe Hypertrophie verlieren?“


Das Rascheln und Winseln wurde jetzt stärker und es blieb dem im Bette Liegenden bald kein Zweifel mehr, daß irgendein junger Hund sich gerade unter der Bettstelle in dem dort befindlichen Stroh sein Lager gemacht und nun durch Flöhe oder böse Träume gepeinigt werde. An Selberschlafen war aber unter solchen Umständen gar nicht zu denken, nach irgendeiner Bedienung zu rufen blieb ebenfalls ganz außer der Frage, und der Commerzienrath entschloß sich endlich, wie das Rascheln und Winseln immer stärker wurde, noch einmal aufzustehen und den kleinen Störenfried zu fassen und aus der Thür zu werfen. Ein Ueberfall des Lichtes wegen war nicht mehr zu fürchten.

Vorsichtig nach den Pantoffeln fühlend, die er rasch wieder anzog, kauerte sich jetzt der würdige Mann, den Kopf etwas nach rückwärts gezwängt, weil er ihn gegen die Bettstelle pressen mußte, vor seinem Lager nieder, mit der Hand in dem Stroh nach dem Gegenstande seines Grimmes zu suchen. Es dauerte gar nicht lange, so griff er einen jungen Hund, der sich winselnd auf den Rücken legte, als er die Berührung fühlte, erwischte ihn beim Felle und trug ihn, sich schwerfällig damit am Bette aufrichtend, der Thür zu. Ueber den Leuchter stolpernd, an den er nicht mehr gedacht, fand er aber doch zuletzt die Klinke, öffnete sie und warf den jungen winselnden Köter mit einem zwar leise gemurmelten, aber desto herzlicher gemeinten Fluche ins Freie.

„So“, sagte er dann, als er die Thür wieder sorgfältig geschlossen und sich zum Bette zurückfühlte, „so, nun hat der Skandal auch ein Ende und ich werde doch einmal wenigstens zur Ruhe kommen. – O meine Leber!“ Und wieder unter seine Decke fahrend suchte er sich den leidenden Theil so bequem zu legen als möglich und brachte dann seine rechte Hand an den Kopf, dort die ihm noch so schwere Sorgen bereitende Narbe seiner Balggeschwulst solange zu drücken bis sie ihm wehthat, und sich dann mit dem Gedanken zu quälen, daß daraus jedenfalls einmal ein Krebsschaden entstehen müsse, der ihn langsam in sein Grab hinunterfräße. Schon manche liebe lange Nacht hatte er auf ähnliche Art im Schlafe gestöhnt und auch jetzt gewann die Müdigkeit eben wieder die Oberhand und sandte ihm schon in ungewissen schwankenden Traumbildern die Erlebnisse des vergangenen Tages. Aber diese kamen nicht in der erlebten Reihenfolge, sondern begannen mit dem letzten, denn er hörte deutlich wieder das Winseln und Rascheln von vorher und wollte sich eben selbst im Traume mit dem Bewußtsein trösten, daß es eben nur ein Traum sei, als das Geräusch stärker und lebendiger wurde und er sich endlich, ordentlich in die Höhe fahrend, wieder im Bette aufrichtete, um darauf zu horchen.

„Jesus Maria Joseph!“ rief er fast unwillkürlich, als er zu der ganz unzweifelhaften Gewißheit einer ganz neuen Störung gelangte, „da ist beim Himmel noch so eine Bestie darunter, und ich habe doch vorher ringsumher gefühlt. Na, an die Nacht will ich denken; wenn ich aber je zurück nach Gidelsbach komme, werde ich mir ein Vergnügen daraus machen, dem verdammten Doctor dieselbe Tour und ein Nachtquartier in dem Nest hier – wie hieß es gleich? – zu empfehlen. Der soll mir wiederkommen!“

Betrachtungen nutzten aber hier durchaus nichts; der junge Hund ließ sich weder weg noch zur Ruhe philosophiren, und nach mehrmaligen vergeblichen Versuchen, trotz der „Giftkröte“ wiedereinzuschlafen, mußte der unglückliche Reisende, wenn er nicht die ganze Nacht solchen Experimenten opfern wollte, zum dritten male heraus aus dem Bette, den Störenfried zu entfernen. Wieder erwischte er ihn hinten im Nacken, trug ihn an die Thür, die er noch fest eingeklinkt fand, öffnete sie, warf ihn hinaus, schloß sie wieder und ging zum vierten male heute zu Bette, der so nöthigen Ruhe zu pflegen.

Es war umsonst, und kaum hatte er lange genug gelegen, sich nicht mehr um das nun einmal Geschehene zu ärgern, als das Winseln von neuem begann. Wieder sträubte er sich gegen die Macht der Umstände, er mußte noch einmal aus dem Bette, den dritten Hund hinauszuwerfen und selbst nach seinem Regenschirm tappte er jetzt umher, unter dem Bette, ehe er sich nun wieder hinlegte, umherzufühlen, ob nicht etwa noch solch eine kleine entsetzliche Bestie darunter versteckt sei, die nur auf den Augenblick seines Einschlafens mit boshafter Sicherheit warte. Er konnte nirgends mehr etwas entdecken; Stroh lag noch überall, aber kein Hund, und den Schirm an das Bett lehnend, wie in Vorahnung eines neuen Unheils, hatte er sich eben umgedreht und auf seine Lagerstätte gesetzt, die Beine dann heraufzuziehen unter die Decke, als ein neues Rascheln, dem bald darauf das unselige Winseln folgte, ihm in Verzweiflung die Jagd aufs neue beginnen machte. Wohl suchte er jetzt seine Schwefelhölzchen vor, dem Reste dieser unseligen Nachtlärmer auf die Spur zu kommen, er fand sie, aber er hatte kein Licht mehr daran zu entzünden und fürchtete sich auch in dem vielen zerstreuten Stroh umherzuleuchten. Wie leicht konnte da Feuer entstehen, und das war Alles was ihm noch gefehlt. Mit dem Stocke stieß er jetzt in alle Winkel und Ecken, unter dem Bette nach jeder Richtung hin, unter die Commode, an deren scharfer Kante er sich das Schienbein beschädigte, und unter den Kleiderschrank, gegen den er mit dem Knie so heftig anrannte, daß er gegründete Ursache zu haben glaubte, den Schwamm zu befürchten.

„Vier junge Hunde!“ murmelte er dabei leise vor sich hin, „wo nur die Alte steckt, oder ob sich die am Ende auch noch meldet? – Vier solche kleine malitiöse Töhlen. Und wenn sie sich nur wenigstens gleich alle auf einmal gemeldet hätten, dann könnte ich jetzt wenigstens schon eine Stunde schlafen. Außerdem werde ich mir wol hier den Tod an den Hals holen mit meiner dünnen Kleidung und dicken Leber; – wenn ich nur den Doctor hier hätte!“ setzte er mit einer Art Ingrimm hinzu, als er sein Lager wieder suchte und sich laut aufseufzend zurück auf das Kissen warf.

Armer Commerzienrath – deine Ruhe sollte nur von entsetzlich kurzer Dauer sein, denn noch war er nicht einmal in seine Lieblingsstelle gerückt, als das jetzt förmlich unheimlich werdende Winseln von neuem begann. Wie von einer Natter gestochen sprang er im Bette empor. Fast unwillkürlich suchte auch die Hand nach seinen Pistolen, die er gewohnt war über seinem Bette zu wissen, wenn ihm die Erinnerung daran auch einen Stich durchs Herz gab, suchte nach dem Klingelzuge, Hülfe herbeizuholen gegen solche Qual. Weder das Eine noch das Andere war zu fühlen; nichts als die kahle schräge Wand, und eiskalt lief es ihm bei dem Gedanken über den Rücken, daß er es doch am Ende hier mit etwas Uebernatürlichem zu thun haben könne in dem fremden alten Gebäude. Aber die jungen Hunde waren doch von Fleisch und Bein gewesen, hatte er nicht das warme weiche Fell in seiner Hand gefühlt bei ihnen allen? Und wo kam jetzt der neue Zuwachs her? Welchen Winkel im Zimmer mußte er übersehen haben, und blieb es nicht räthselhaft, daß sie sich nur immer solange stillhielten, bis er eben wieder im Bette lag?

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Herrn Mahlhuber’s Reiseabenteuer