Abschnitt. 1 - „Gott sei Dank, der Tag wär überstanden!“ ...

„Gott sei Dank, der Tag wär überstanden!“ murmelte der Commerzienrath leise vor sich hin, als er mit dem Sitzkissen in der einen und seinem Regenschirm und Rock in der andern Hand, von der Mamsell gefolgt, die den Reisesack und das Licht trug, die Treppe hinaufstieg, zu dem „grünen Zimmer“; „nun die Nacht gut geschlafen, und der Mensch kann seine Reise morgen mit frischen Kräften fortsetzen. – Ach, ist dies das grüne Zimmer?“ unterbrach er sich, als seine Führerin eine Art kleiner Bodenkammer aufstieß und ihn bat näherzutreten, „hm, das ist sehr einfach.“

„Ja, wir sind freilich ein wenig hier mit Raum beschränkt, Herr Mahlhuber“, sagte die Mamsell, und der Commerzienrath drehte sich rasch und fast erschrocken nach ihr um. In dem Augenblick fiel ihm aber das Fremdenbuch ein und er nickte zustimmend mit dem Kopfe, als die Mamsell fortfuhr das Zimmer zu entschuldigen und nun das Bett dagegen zu loben, in dem Herr Mahlhuber schlafen würde wie in Abraham’s Schoos.


Mit einem etwas dunkeln Begriffe, wie das eigentlich sein würde, legte er seine Sachen ab, öffnete das kleine Fenster, das aufs Dach hinaussah, und schloß es gleich wieder, hob die schwere Federbettdecke auf und legte sie mit einem prüfenden, etwas mistrauischen Blicke zurück und sah dann das Licht an, das die Mamsell auf den Tisch gestellt hatte, sich dann nach der Thür zurückziehend, wo sie auf irgendeinen Befehl oder vielleicht auf ein Lob für das vortrefflich eingerichtete Lager zu warten schien. Dem Commerzienrath war es aber nur um Ruhe zu thun, und er fing an sich den Rock aufzuknöpfen, während er über die Schulter weg einen Blick nach der Wirthin warf, ob dieser das Zeichen noch nicht deutlich genug sei.

„Nun, Herr Mahlhuber, ist Alles in Ordnung?“ sagte diese endlich, nicht im Stande den Platz ohne eine beifällige Anerkennung zu verlassen, „ist es zu Ihrer Zufriedenheit?“

„Vollkommen; schlafen Sie recht wohl!“ sagte der Commerzienrath.

„Wünsche angenehme Ruhe!“ sagte die Mamsell, „und wenn Sie mit dem Lichte fertig sind, möchte ich Sie freundlichst gebeten haben, es nur dort an die Thür zu stellen, ich hole es mir später. – So, lassen Sie sich etwas Angenehmes träumen“, setzte sie mit ihrem verbindlichsten Lächeln hinzu und verschwand dann, von einem leise gebrummten Danke des Gastes begleitet, wie sie gekommen.

„Das grüne Zimmer“, brummte dieser weiter, als er sich allein sah und kopfschüttelnd einen Blick in dem kleinen Raum umherwarf, dessen Grenzen an drei Seiten die weiße Kalkwand und an der vierten, wo das Bett stand, ein schräg niederlaufender Verschlag von ungehobelten Bretern bildete, „grüne Zimmer? es ist kein grüner Faden im ganzen Nest. Und ausgekehrt haben sie hier seit voriger Woche nicht – unter dem Bette Stroh, und da in der Ecke ein Paar alte Stiefeln. – Hm, hm, Dorothee hat doch am Ende Recht, und Doctor Mittelweile wäre am besten selber auf Reisen gegangen. Lieber Gott, ich, ein ruhiger friedliebender Mensch, was habe ich heute nicht schon Alles erlebt und gethan und – ertragen – hm, hm. Nun es ist jetzt wenigstens Abend und eine ruhige Nacht gebe uns der liebe Gott.“

Damit sich die Nachtmütze über die Ohren ziehend – denn er hatte sich während des Selbstgespräches vollständig entkleidet –, hob er eben das rechte Bein, in das etwas hohe Bett zu steigen als er an das Licht, und den ihm gewordenen Auftrag dachte, es dicht an die Thür zu stellen. Eine Lichtschere lag überdies nicht auf dem Teller und der Commerzienrath haßte nichts so sehr als den Qualm einer Lichtschnuppe. So das Bein wieder zurückziehend, nahm er das Licht und trug es, sorgsam vorher jedoch noch einmal in seine Pantoffeln schlüpfend, sich nicht zu erkälten, zu dem bezeichneten Platze, setzte es dort nieder und stieg dann, tief und dankbar aufseufzend, in das sehr weiche, aber etwas voluminöse Bett, sich die Decke bis unter das Kinn ziehend, den Augenblick zu erwarten, wo die Mamsell das Licht abholen würde; vorher war er nicht im Stande einzuschlafen.

Eine Minute nach der andern verging aber und die Mamsell kam nicht; durch die Thürspalte zog es auch ein wenig und das Licht flackerte hin und her, daß der Talg in großen Streifen niederfloß. Es konnte doch kein Unglück damit geschehen? „Hm, das ist ärgerlich“, murmelte er, sich im Bette aufrichtend, den Platz besser übersehen zu können, und dann, als er fand, daß das Licht vollkommen freistand, wieder zurücksinkend, doch am Ende einzuschlafen trotz der brennenden Talgkerze; aber es ging nicht, es war eine positive Unmöglichkeit und darauf zu warten, daß das Endchen Licht von selber niederbrennen sollte? – das hatte wol noch eine volle halbe Stunde und länger dauern können. Eine Viertelstunde wenigstens hatte er jetzt schon in peinlicher, immer wachsender Ungeduld auf das Abholen desselben gewartet.

Der Zustand wurde ihm endlich unerträglich und er beschloß aufzustehen und das schon jetzt qualmende Licht auszulöschen, er konnte es ja umdrehen und ärgerte sich, daß er das nicht schon lange gethan. In Gedanken vollbrachte er diese Operation jetzt auch fünf oder sechs mal hintereinander und drehte dabei selbst unwillkürlich die rechte Hand; aber das Licht blieb freilich stehen und flackerte weiter. Mit einem verzweifelten Entschlusse warf er endlich die Decke von sich, fuhr mit beiden Beinen aus dem Bette und in seine Pantoffeln und machte ein paar Schritte dem Lichte zu, als er plötzlich erschrocken stehen blieb und horchte, denn es war ihm genau so gewesen, als ob er draußen etwas gehört hätte auf dem Gange, – Wenn die Mamsell jetzt gerade hereingekommen wäre und ihn in dem Aufzuge gesehen hätte! Er wollte im ersten Schrecke wirklich wieder ins Bett zurückfliehen, aber – es war auch nicht das Mindeste weiter zu hören; er blieb noch ein paar Secunden lauschend stehen – keine Maus; – doch, unter seinem eigenen Bette raschelte etwas im Stroh und er blickte schnell dorthin, das konnte eine Maus gewesen sein; im Hemde durfte er jedoch nicht länger stehenbleiben, und jetzt rasch und entschlossen zu dem Lichte hinschreitend, bog er sich eben nieder und streckte die Hand aus es zu ergreifen. als die Thür geöffnet wurde und die Mamsell in derselben Absicht auf der Schwelle erschien.

„Jesus Maria!“ rief sie, als ob sie einen Geist gesehen, als sie die keineswegs empfangsmäßige Gestalt vor sich erblickte, und der Commerzienrath fuhr mit einem ebenso verblüfften „Bitte tausend mal um Entschuldigung!“ in demselben Moment rückwärts nach seiner Lagerstätte zurück, als die erschreckte Mamsell die Thür wieder ins Schloß warf und also spurlos verschwand.

Als der Commerzienrath den Kopf endlich wieder unter der schützend über sich gezogenen Decke vorstreckte, brannte das Licht, von beiden Theilen im Stiche gelassen, noch immer ruhig fort und an ein zweites Aufstehen war jetzt gar nicht zu denken, denn das schreckliche Frauenzimmer konnte in gleicher Absicht noch immer hinter der Thür stehen, wieder denselben unglücklichen Moment zu wählen sie zu öffnen. Es mußte niederbrennen, und mit einer verzweifelten Art von Ueberwindung schloß er endlich die Augen in der festen Absicht einzuschlafen, ob das grüne Zimmer erleuchtet sei oder nicht. Trotzdem war er es nicht im Stande und mochte etwa eine halbe Stunde so zwischen Wachen und Schlafen gelegen haben, als der leergebrannte Docht endlich umfiel, noch einmal hell aufflackerte und dann verlöschte.

„Gott sei Dank!“ stöhnte der Commerzienrath in einem halben Bewußtsein seiner Lage und drehte sich jetzt entschieden auf die rechte Seite, das Versäumte seiner so leichtsinnig geopferten Nachtruhe nachzuholen, als er das Rascheln wieder unter dem Bette hörte, aber diesmal weit stärker als vorher und zugleich ein leises Winseln, als ob eine junge Katze oder etwas Derartiges darunterläge.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Herrn Mahlhuber’s Reiseabenteuer