Abschnitt. 2 - Die Mamsell war eine nicht gerade sehr junge Dame, ...

Die Mamsell war eine nicht gerade sehr junge Dame, in ihren „besten Jahren“, so zwei- und vierunddreißig vielleicht, aber mit sonst noch sehr jugendlichem Aeußern, langen Locken, zurückgescheitelten Haaren und großen goldemaillirten Ringen in den Ohren. Auch der Schnitt ihres Kleides gehörte jedenfalls einem vergangenen Alter an, während sie die Fragen an den Gast mit einer schüchternen mädchenhaften Verschämtheit, die in eigenthümlichem Widerspruch zu ihren ersten Worten, als sie noch in der Thür stand, richtete.

„Ach, Gidelsbach liegt so schön“, nahm die Mamsell den Anknüpfungspunkt an den einen bekannten Namen, „es ist von jeher mein Lieblingswunsch gewesen dort zu wohnen, das muß ein wahres Paradies sein. Sind Sie dort bekannt?“


„Wenig“, sagte der Commerzienrath, seine Vaterstadt verleugnend; „das Essen ist wol bald fertig?“

„Den Augenblick“, sagte die Mamsell, fast unwillkürlich bei der Frage halb von ihrem Stuhle aufstehend, und dann wieder auf den Sitz zurücksinkend. „Aber was ich gleich fragen wollte, haben Sie Geschäfte in Otzleben?“

„Wo?“ fragte der Commerzienrath erstaunt.

„In Otzleben.“

„Otzleben! – Wo liegt das?“

„Nun hier der Ort, wo wir uns befinden.“

„Der heißt Otzleben? – So – nein – ich wollte nur hier übernachten; nicht wahr, der Kalbsbraten ist gleich fertig?“

„Ja wol – den Augenblick“, sagte die Mamsell, wieder von ihrem Sitze aufschnellend, und der Commerzienrath stand ebenfalls auf und ging indessen mit raschen Schritten im Zimmer auf und nieder. Es fröstelte ihn, und wie der Sand auf den Dielen, ein ganz ungewohntes Gefühl, unter seinen Füßen knirschte, kam ihm bei dem düstern, auf dem Tische brennenden einzelnen Talglichte das Zimmer noch einmal so still und öde vor, als es ihm im Anfange erschienen.

Die Hausmagd öffnete in diesem Augenblick die Thür und kam mit einem zwar groben aber reinlichen Tischtuche herein, das sie ausbreitete, Teller, Messer und Gabel mit dem großen Salzfaß darauf arrangirte und dann wieder hinausging, das Abendbrot hereinzuholen. Die Mamsell hatte indessen eins von den geschliffenen Weingläsern von der Commode genommen und mit dem Schürzenzipfel einigen darin gesammelten Staub und mehre todte Fliegen herausgewischt; dann stellte sie die Flasche auf den Tisch, und wenige Minuten später konnte sich der Commerzienrath zu dem in langer Brühe schwimmenden aufgebratenen Kalbstoß niedersetzen und nach Herzenslust zulangen.

„Heute ist ja wol auf der Post ein Unglück geschehen?“ fragte endlich die Mamsell, die ihm gegenüber Platz genommen, nach einer hinreichenden Pause.

„Ein Unglück?“ sagte der Commerzienrath, überrascht zu ihr aufschauend, indem er einen Augenblick mit Kauen einhielt, „wie so ein Unglück?“

„Es soll einem der Passagiere ein geladenes Pistol losgegangen sein, hat der Postillon erzählt.“

„Der Postillon sollte sich um seine Pferde bekümmern“, brummte Herr Mahlhuber, „da thät’ er gescheiter –“

„Er hat doch Niemanden getroffen?“ fragte die Mamsell mit einiger Entschlossenheit weiter, der Sache auf den Grund zu kommen.

„Wer?“ sagte der Commerzienrath, „der Postillon?“

„Nein, der Passagier.“

„Nicht daß ich wüßte“, sagte dieser, die indessen eingestellte Beschäftigung wieder mit frischen Kräften aufnehmend. So mittheilend er sonst war, wo er Irgendjemanden fand, mit dem er sich unterhalten und vielleicht die Geschichte seiner Krankheit und Leiden anbringen konnte, so schüchtern und zurückhaltend war er heute geworden, wo eben die Erzählung solche furchtbare Folgen gehabt, und die neugierige Wirthschafterin mußte es bald aufgeben aus dem schweigsamen Gaste Neuigkeiten herauszulocken, von denen er am Ende gar nichts wußte oder die er, im andern Falle, Grund hatte zu verschweigen. Namen und Stand ihres Gastes zu erfahren, besaß sie aber noch ein anderes Mittel, das Fremdenbuch, und als er vom Tische aufstand und sich das letzte Glas Wein aus seiner Flasche, der er gar wacker zugesprochen, einschenkte, schob sie ihm das mit einem freundlichen Knix zur Beachtung hin.

Dem Commerzienrath blieb keine andere Wahl als sich da einzuschreiben, und Hieronymus Mahlhuber stand bald darauf in zierlicher Schrift über Namen- und Wohnortsrubrik zugleich hinweg, die letztere dadurch geschickt umgehend. Stand? – Das „Co“ hatte er schon in aller Unschuld, der alten Gewohnheit folgend, begonnen, als er sich eines Bessern besann und die beiden Buchstaben zu einem P umformte, dem er sein „rivatmann“ dahintersetzte. Die übrigen Colonnen füllte er so gewissenhaft wie möglich aus und bat dann seine freundliche Wirthin ihm seine Schlafstätte anzuweisen, da er entsetzlich müde sei und auszuruhen wünsche. „Und wann kommt die Post morgen früh wieder vorbei?“

„Zurück nach Gidelsbach?“

„Nein, den andern Weg,“ – Was hatte er in Gidelsbach zu thun?

„Die andere? – um 9 Uhr – eher noch ein paar Minuten früher.“

Das paßte ihm und er bestellte, daß er dann morgen früh etwa um 3/4-8 Uhr geweckt würde, und einen starken heißen Kaffee vorfände. Die Mamsell versprach Alles aufs beste zu besorgen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Herrn Mahlhuber’s Reiseabenteuer