Abschnitt. 1 - Der Commerzienrath Mahlhuber stand noch, wie wir ihn ...

Der Commerzienrath Mahlhuber stand noch, wie wir ihn im vorigen Capitel verlassen, viele Minuten lang wirklich sprachlos vor Erstaunen und Ueberraschung da, bis er selbst das Rollen der Räder nicht mehr hören konnte.

„Gute Nacht, Herr Commerzienrath“, hatte der Mensch gesagt, der die ganze Fahrt hindurch keine Silbe gesprochen, und den er einmal für einen Engländer und dann für taubstumm gehalten, bis er zu der Ueberzeugung kam, daß es doch am Ende ein Engländer sein könne. „Gute Nacht, Herr Commerzienrath“; woher, um des Himmels willen, wußte der Mann seinen Namen?


„Nu – was soll denn hier mit den Sachen werden?“ fragte in diesem Augenblick eine Stimme hinter ihm, und als er sich umdrehte, stand eine Art Zwitterding von Postillon und Hausknecht, oben in Uniform und unten in Unterhosen und Pantoffeln, mit einer Nachtmütze auf dem Kopfe und einer Stallaterne in der Hand, neben ihm, und deutete auf die neben ihm aufgeschichteten Koffer und Hutschachtel. „Es kommt heute Abend keine Post mehr.“

„So? – das thut mir leid“, sagte Herr Mahlhuber ganz in Gedanken, „oder es macht eigentlich nichts“, setzte er dann sich besinnend hinzu, „denn ich werde hier übernachten“.

„Hier – in der Post?“ fragte der Mann und leuchtete ihm erstaunt ins Gesicht.

„Nun, wird hier nicht gleich ein Wirthshaus gehalten?“ fragte der Reisende, etwas unangenehm überrascht, „man hat es mir doch gesagt.“

„Wirthshaus? – ne, nich so recht – die Schenke ist da drüben“, lautete die etwas barsche Antwort.

„Hm!“ sagte der Commerzienrath und sah etwas mißtrauisch nach dem niedern düstern Gebäude hinüber, in dessen unterer Stube nur Licht brannte, „und kann man da etwas zu essen und ein gutes Bett bekommen?“

„Zu essen, ja“, sagte der Mann und leuchtete über die Koffer hin, nach deren Zustand den Passagier selber zu beurtheilen, „gutes Bett aber ne, wenn Sie nicht auf der Streu mit den Fuhrleuten schlafen wollen.“

„Auf der Streu schlafen?“ wiederholte der an jede häusliche Bequemlichkeit gewöhnte Mann entsetzt, „wie kann ich auf der Streu schlafen?“

„Ja das weiß ich nich, wenn Sie’s nicht wissen“, sagte der halbe Hausknecht gleichgültig, „aber sollen die Koffer hier auf der Straße stehen bleiben?“

„Und in der Post ist keine Möglichkeit unterzukommen?“

„Fragen kann mer noch emal“, sagte der Mann, seine Laterne niedersetzend und seine Hosen etwas in die Höhe ziehend, „manchmal nimmt die Mamsell Gäste ein, manchmal nich – wie’s ‘r gerade paßt,“ Und ohne eine Antwort abzuwarten schlenderte er langsam, den Commerzienrath bei den Koffern und der Laterne zurücklassend, in die Post hinein, die schmale steinerne Treppe hinauf. Die „Mamsell“, wie er die gleich darauf in der Thür erscheinende Dame genannt, schien aber seiner Beredtsamkeit nicht haben widerstehen zu können, denn ihre gastliche Stimme rief gleich darauf von der Treppe aus ein eben nicht ermunterndes, aber doch auf weitere Erklärungen sich einlassendes „Wer ist denn da?“

Die Gefahr, die Nacht, wegen der er die Postfahrt unterbrochen, auf einer Streu zubringen zu müssen, machte den Commerzienrath beredt; er ging näher zur Thür, stellte sich der Dame (unter dem Lichte der Stallaterne, die er zu dem Zwecke hoch in die Höhe hielt) als einen Reisenden vor, der seiner Gesundheit wegen nicht mit der Post weitergefahren wäre und das Aergste befürchten müßte, wenn er nicht die Nacht in einem warmen Bette zubringen könne, und war sogar schon im Begriff auf seine Leber und vielleicht auch auf die mit ihr in Verbindung stehende Balggeschwulst einzugehen, als die Mamsell, die rasch den gesetzten achtbaren Bürger oder vielleicht gar Staatsbeamten in ihm erkannte, ihr tröstliches und schon viel freundlicheres „Treten Sie näher!“ ihm hinüberrief und den theilweisen Postbeamten beorderte, des Herrn Sachen in die „grüne Stube“ hinaufzutragen.

„Grüne Stube!“ Schon das Wort klang behaglich, und mit einem leise gemurmelten „Gott sei Dank“ griff Herr Mahlhuber seine Sachen auf und folgte dem mit einem Koffer und der Stallaterne vorausgehenden dienstbaren Individuum die Treppe hinauf in das Haus.

Die nächste Stunde verging dem Reisenden übrigens in dem unbehaglichen Gefühle, keinen Platz zu haben wo man zu Hause ist. Es war ihm Alles fremd und unwohnlich in der fremden Stube; die hölzernen Stühle, der wunderbare Geruch, die niedere räucherige Decke, die schrecklichen Bilder an den Wänden, Caricaturen von Heiligen und Märtyrern und ein Napoleon dazwischen, der auf der Spitze eines Gletschers galoppirt, während an der gegenüberstehenden Wand schlechte Lithographien von Landesvätern und Landesmüttern hingen. Unheimlich auch sah der alte Wandschrank aus, wo neben einer alten wiener Stutzuhr mit alabasternen Säulen ein grünangestrichener Gypsmops stand, der früher einmal einen beweglichen Kopf gehabt und mit ängstlich verdrehtem Halse jetzt in die Stube unter sich hinunterstarrte, während auf der andern Seite eine weithalsige, oben eingebrochene Glascaraffe einen Büschel Schilfblüte mit einigen roth- und gelbgefärbten Strohblumen hielt.

Die „Mamsell“ lenkte jedoch seine Aufmerksamkeit von den übrigen Gegenständen ab, denn sie erkundigte sich nach den Befehlen des Gastes wegen „Abendbrot“. Die Auswahl war freilich sehr beschränkt, also leicht getroffen: aufgewärmter Kalbsbraten mit getrockneten Birnen und einer halben Flasche Rothwein „vom Besten“, wie er noch vorsichtig hinzusetzte, denn die altmodischen dickgeschliffenen Weingläser mit viereckigem Fuße erweckten eine dunkle Ahnung von sauerm Landwein in ihm, die er nicht gleich wieder von sich abscheuchen konnte.

„Kommen Sie schon weit her?“ fragte jetzt die Mamsell, die sich die Schürze an der einen Seite aufgesteckt und die Aermel, man wußte eigentlich nicht recht weshalb, in die Höhe gekrempelt hatte.

„Von Gidelsbach“, sagte der Commerzienrath in seiner Unschuld, „und – und drüber hinaus“, setzte er dann etwas rascher hinzu, denn er hatte sich ja einmal vorgenommen „incognito“ zu reisen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Herrn Mahlhuber’s Reiseabenteuer