Die Lotsen. — Badeleben. - Schifffahrt.

Man wird nie müde diesen eigentümlichen Typus, diese sturmgehärteten Lotsen zu beobachten. Wie schleichen sie so fremdlingsartig und vornehm unglücklich umher, so hilflos auf der Erde, entthronte Fürsten, so bald sie die Woge unter sich missen! Dort Männer der Tat, Helden, gleichen sie hier hinfälligen Greisen. Welcher seltsame Gang! wie auf Eierschalen, zweifelsohne vom Schwanken des Schiffes, vom Einsinken der Schritte im Sande und ihrem Ringen mit dem brausenden Orkan. Freundlich sind eigentlich auf Helgoland nur die Frauen, die Männer schweigsam, fast wie gewohnt sich nicht stören zu lassen im schicksalsvollen Amte. Nach Kampf und Sturm in beinahe orientalische Apathie versunken, stehen „die Nomaden der Nordsee“ früh und spät oben auf dem „Fallm,“ stumm die Arme auf das Geländer gestemmt. Wie gebannt blicken sie hinaus in Meer und Luft, gleich Gespenstern, die immer fortsetzen müssen ihr irdisches Geschäft, oder Sehern, die nichts Weltliches mehr schauen wollen, oder wie Liebende, welche nicht lassen können von ihrer Sehnsucht. Bei solcher träumerischen Existenz des Lotsen auf dem Lande möchte es wohl Erklärung finden, dass man hier auch auf Spuren von zweitem Gesichte stoßen soll. Wird doch jeder hier stumm und allein umherirrend. Alles, Lotsen, Kinder, Fremde, starrt in den blauen Globus hinaus, dessen zwei Hälften, etwas lichter und dunkler schattiert, sich da scheiden, wo Meer und Luft in einander zerfließen. — Nur wenn der Lotse merkt, dass man nicht bloß plappern will, eben um das Mühlrad der Rede klappern zu lassen, gelingt es ihn in eine Unterhaltung zu verflechten. Am zugänglichsten ist er auf einsamer Seefahrt oder auf seiner Bank an der „Rhe“ — Rhede, auf helgoländisch „Serrhe“ — wo er uns wohl auch gesteh!, wie viel er oft durchmache mit dem unaufhörlichen Schwatzen und Fragen der Badgäste. Manchen guten Bekannten haben wir da gewonnen. Noch jüngst trafen wir einen der erfahrensten Schiffer, Jasper Nickels. Er war gerade von Hamburg zurückgekehrt, hatte Hummern hingebracht mit dem Dampfschiffe, denn mit eigenem Boote dauert bei warmer Witterung der Transport zu lang. Er erkundigte sich nach unserer Heimat, und als jemand ihm Württemberg nannte: „Wittenberg!“ sagte er. „Wo ist aber Wittenberg? Wer ist darüber gesetzt? Heißt die Stadt auch Wittenberg?“ — Was ist für einen Lotsen, der Meere durchmisst, eine Handvoll deutsche Binnenerde! Wissen wollte er jedoch, von was die Einwohner dort leben, was man dort baut, und als man den Wein erwähnte, rief Jasper Nickels: „Da wollte ich gern sein, um Wein zu trinken! den möcht' ich!“ — Müssen doch hier die Armen selbst das Wasser von den Reichen kaufen, zwei Eimer um einen Schilling. Nur die großen Häuser besitzen Brunnen, und die Salzflut tut nichts zur Reinigung der Wäsche.

Während wir so da saßen, ging ein Schiffer vorüber, in braunen Manchester gekleidet, mit Holzschuhen. Wir konnten ihn für einen Fünfziger halten, hätte unser Nachbar uns nicht bedeutet, dass derselbe achtzig Jahre zähle. Nicht weniger kräftig schritt nachher gleich ein Mann von zweiundneunzig vorbei, und kürzlich ein Fischer, vierundneunzig alt. Einem Fremden, der sich in den Kreis gedrängt hatte, um dummes Zeug zu peroriren, wie diese Leute dabei doch so schlecht genährt seien, nur von Fischen und so weiter, entgegnete Jasper bündig: es frage sich, ob ihre arme Kost nicht gesünder sei als die seine. Es fiel uns auf, dass fast alle Helgoländer, welche des Wegs kamen, blaue Jacken trugen, blaue Strümpfe, wenn sie überhaupt welche haben, blaues Halstuch. „Die Pantoffeln dürfen nicht fehlen,“ sagte der Nachbar; „die zeigen an, dass der Lotse jetzt ruht, nichts zu tun hat. Wenn wir ausfahren, tragen wir wasserdichte Stiefeln, die sechzehn Mark kosten und sehr weit sind, so dass zwei Paar große, dicke wollene Strümpfe Platz haben, damit man nicht erstarrt, wenn man so im Wasser steht.“ Diese zwei Paar dicke wollene Strümpfe tragen sie Sommer und Winter, dazu die beteerte „Buffernetze,“ die grobe Friesjacke, den Sturmhut, „Südwester“ geheißen. Noch Verschiedenes teilte uns Jasper mit über seinen Beruf. Englisch, schwedisch, dänisch, norwegisch sprechen sie geläufig; nur — was uns für diese Charaktere sehr bezeichnend däucht — das Französische können sie nicht fertig kriegen. „Das ist schlimm, wenn wir als Lotsen an ein französisches Schiff kommen,“ sagte er. Es sind ihrer achtzig; der Helgoländer muss dreiundzwanzig Jahre zählen, um Lotse werden zu können. Die sechs Ältesten sitzen bei der Prüfung zu Gericht, und darauf findet im günstigen Falle eine Art Beeidigung statt. Nach dem Examen empfängt er eine Medaille, „den Lotsenpfennig.“ - Man behauptet, dass jeder Lotse einen „Glückstein“ bei sich trage und von demselben sich geschützt glaube. Wir selbst haben einen solchen in der Hand gehabt. Man kauft ihn um zwölf Schillinge. Glückskinder finden ihn wohl auch am Strande. Der „Glückstein“ sieht nicht anders aus als wie ein versteinerter kleiner Seeigel. — Wir unterhielten uns mit Jasper Nickels über die steten Verwüstungen Helgolands durch die stürmende See. Im Widerspruche mit der sonderbaren Angabe mehrerer Reisehandbücher, welche im Verhältnisse, wie die Klippe abnimmt, die Düne wachsen lassen, versicherte er, sie schwinden beide furchtbar. „Wenn die Düne weggeht,“ sprach er, „sind wir verloren. Nicht nur das Bad ist hin, auch der Fischfang. Die Lockspeise, die wir brauchen, finden wir nur dort, die kleinen Fische, die „Sandspieler;“ sie sehen aus wie Sardellen.“ — Vor nicht allzufernen Tagen gab es noch alte Leute auf dem Eilande, die sich erinnerten nach der Düne gegangen zu sein. Eine Sturmflut von unerhörter Gewalt durchwühlte im Jahr 1720 die schmale Erdzunge und wälzte einen Meerstrom zwischen Fels und Düne. Aber trotz der heftigen Brandung an ihr will man doch den Wellenschlag zu Ostende noch stärker, jedenfalls ununterbrochener finden, denn obschon, im Gegensatze zu letzterer Küste, Helgoland den unschätzbaren Vorzug besitzt, mitten in der Nordsee zu liegen, scheint das Meer hier doch eine Art Bucht zu bilden, welche sein Tosen bricht. Auch der Strand an der Insel selbst soll erschreckend kleiner geworden sein, noch in den letzten zehn Jahren. Das titanische Felsenpferd an der Nordküste, der Hengist, dem sein wildes Emporbäumen den Namen gegeben hat, ist vorigen Winter herabgestürzt und liegt in Trümmern. Es war eine grause Sturmnacht. Das Herunterschmettern in die Wogen machte ein entsetzliches Geräusch. Der andere Teil hing, als wir das Nordhorn im Nachen umkreisten, schaurig über unsern Häuptern, und wird wohl ebenfalls bald zusammenbrechen. Auch die unter der Bezeichnung „der kleine Mönch“ bekannte Pyramide ist zusammengesunken. Nur „der große Mönch“ ragt noch leuchtturmartig am Südhorn als Vorposten. Auf dieser Spitze der Kuppe springt ein Pfad die zerklüftete Wandung hinab. Voriges Jahr beschloss ein hartnäckiger Engländer, diesen Vogelsteig entlang zu klimmen. Mitten auf dem Wege blieb er sitzen in peinvoller Lage, konnte nicht mehr vorwärts, noch zurück, nicht herunter, noch hinauf. Man musste ihm einen Strick zuwerfen und sonstige Hilfe schaffen.


Es ist eine ausgemachte Sache, dass alle romantischen Leute im Oberlands, die Bequemen hingegen im Unterlande sich einquartieren, ja man gewöhnt sich zuletzt die Menschen darnach zu taxieren, je nachdem sie dort oder hier ihr Zelt aufgeschlagen haben, wie wir einst auf einer Wanderschaft durch Helvetien, um das reisende Individuum zu kennen, ihm nur die Frage aufgeben durften: „Welcher von den Schweizer Seen gefällt Ihnen am besten?“ Wir konnten regelrecht daraus zählen, dass wer z. B. den Zürchersee dem von Luzern vorzog, nicht in unsern Kram passte. Noch während der auf unserer roten Klippe Landende Spießruten läuft durch das über den feinen Ufersand gezogene Spalier von Augen und Augengläsern der Badgäste, also gleich beim Eingange der Idylle durch eine Fratze der Kultur begrüßt, wirft man ihm zwanzig Anerbieten von Wohnungen entgegen. Schreibt man, besonders oben, durch die Gässchen, so kann man leicht all die kleinen reinlichen Wirtschaften selbst mustern. In lauter Stillleben sieht man da hinein. Jede Stube hat ihr stets gedecktes, schneeweißes Tischchen; in der Ecke hängt ein schmaler Spiegel, über dem weißen Vorhang schwebt ein roter, gleich Segeln. Die Tapeten selbst hängen fast nur wie Segelwände um die Holzhäuser, durch welche jedes lautgesprochene Wort schallt. Vor den Türen auf den blanken, weiße und schwarz getäfelten Dielen sind zierliche Stroh- und Bindfadenboden ausgebreitet. „Das kann gern geschehen,“ sagt Johanna, das Dienstmädchen bei Kron Franz (bekanntlich werden hier die Tauf- nach den Familiennamen gesetzt), wenn wir ihr einen Auftrag erteilen. Die weiche lispelnde Aussprache des Deutschen im Munde der Helgoländer hat fast etwas vom Schweben der Brise. Im offenen Flur über den betreffenden Nummern hängen unsere Stubenschlüssel. Viele Häuser sind nur mit Holzriegeln verwahrt. Man lebt wie im goldenen Zeitalter. Niemals kommt Veruntreuung oder Diebstahl vor.

Wenn wir vor außerordentlichen Ausgaben geschützt sind, so belaufen sich dafür die ordentlichen desto höher. Abgesehen davon, dass ohnehin dieser nackte Felsen gar nichts bietet, dass alles mit größter Mühe hergeschleppt werden muss, haben sich schon durch die Mode sämtliche Preise beinahe unerschwinglich gesteigert, zumal für Familien. Mancher lässt sich jetzt schon davon abschrecken. Das ist wie Ebbe und Flut. Der Helgolander fängt an zu bemerken, dass die Badgäste nicht mehr seine Insel so überschwemmen wie in früheren Saisons. Er wird sich bald entschließen müssen weniger zu verdienen, um sicherer zu verdienen. Bedenklich schüttelt er den Kopf darüber, dass jetzt bei den beschleunigten Verbindungsmitteln der Fremde mit dem Dampfer ankommt, um am dritten Tage schon wieder zurückzusegeln. Verdrießlich bleibt, dass sämtliche Privatquartiere immer die Preise der Hotels einhalten. Unter ½ Thaler für die Nacht kann sich niemand eine Stube verschaffen. Das gewöhnlichste Zimmer pflegt für einen Monat 14—16 Thaler zu kosten, häufiger noch von 18—24, ja 30 Thaler. So oft ist von solchen, welche Reisepläne entwerfen, geklagt worden, man erhalte in vielfachen Berichten nie den richtigen Tarif, um voraus berechnen zu können, ehe man einen Entschluss fasst, dass wir es uns zur Pflicht machen, diese Details in Unserer Mitteilung nicht zu versäumen. Wir hoffen da und dort vielleicht Dank zu verdienen, indem wir die Adresse eines Hauswirts beifügen, der zu den wohlfeilsten und gefälligsten gehört: „Jasper Klört auf dem Norden des Oberlandes in der Nähe des Bäckers Hans Rickmers.“

Das einzige Billige ist hier die Überfahrt auf die Düne zum Baden. Man bezahlt, her und hin zusammen nur vier Schillinge, das Bad selbst aber kostet zwölf Schillinge, doch kann man Billete für die Karren nehmen, das Dutzend zu acht Mark. Bei den Hauswirten mag man sich das Frühstück usw. reichen lassen. Eine Tasse Tee samt kärglichem Zucker, eine schwarze und weiße Brodschnitte, etwas weniges tranige Butter wird dort mit acht Schillingen bezahlt. Speiseküchen kennt man nicht, alles muss sich entschließen an der Table d'hôte — und sei es auch auf Kosten des Sonnenuntergangs — Ätzung zu suchen, welche von jungen Helgoländerinnen serviert wird, die nicht nur sehr schön sind, sondern eine erbliche, wo nicht gar nixenhafte Grazie entfalten, man möchte sagen etwas Wellenförmiges in den Bewegungen. Es besteht nur eine Restauration, wo man den ganzen Tag nach der Karte speist, aber eine sehr empfehlenswerte, praktische, mit mäßigen Preisen: „Fremden-Willkomm,“ in der Bindfadenallee. Das Auge hat hier zwei Fenster voll Meer, und auf dem Büffet prangen mächtige rote Hummern neben andern Leckerbissen aus Neptuns Reich. Gefischt wird jetzt bloß wegen der Badegäste, denn eigentlich sind die Fische zu gegenwärtiger Zeit nicht gut.

Wir haben schon oben der Lustfahrt erwähnt, welche dieses Jahr von Berlin aus hierher stattfand, und zwar für drei Thaler hin und zurück. Da kam mancher, hatte vielleicht noch einen Thaler weiter eingesteckt, meinte reichlich zu langen, hatte keine Ahnung von den 24 Schillingen, welche das Aus- und Einschiffen kostet, die Spanne vom Dampfer zum Strande, der Nebenerwerb des Helgoländers. Einer von jenen Spreetouristen, dessen Wander- und Meerlust kurze und knappe Berechnung gehalten haben mochte, bat, als er hörte, dass er selbst im Privathause einen halben Thaler Nachtquartier zahlen müsse, flehentlich, ihn um Gotteswillen für acht Schillinge zu behalten, dann für zwölf, und wenn er auf Stroh liegen müsse. Unser idyllisches Schiffervolk blieb jedoch unerbittlich, tat es nicht, auch nicht um Gotteswillen. In solche Drangsale kann ein Berliner kommen. Nicht jeder gewinnt an der Spielbank vier Louis zur Heimreise. Gewöhnlich, in den minder frequenten Monaten der Saison, gehen die Dampfboote zu Hamburg Mittwoch Morgens ab, um Donnerstag Abends heimzukehren, und Sonnabend früh, um die Rückkehr am Montag zu vollbringen. Darnach richtet sich auch der Lauf der Briefe. An den Tagen vor Abgang eines Steamers — Dienstag und Freitag — bleibt in der Hansestadt die Post bis zehn Uhr Abends offen, sonst nur bis acht. In den vergangenen Jahren fuhr nur das hiesige Schiff, der Patriot. Man behauptet, er habe dabei seit Errichtung des Bades 300.000 Gulden gewonnen. Er ist aber klein und muss, wenn das Meer allzusehr stürmt, in Cuxhaven verweilen. Das große englische Schiff, Mercator, fährt erst seit vorigen Sommer. Damals zahlte man dem Patrioten vierzehn Thaler hin und her, jetzt drei — „Opposition must be.“ — Die erste Kajüte auf dem Patrioten, der schon von weitem an seinem roten Kamin sich kenntlich macht, kostet nicht mehr als die zweite auf dem Mercator, nämlich drei Thaler im Ganzen nach Helgoland und zurück. Erfahrene Personen versichern uns indessen, dass der Patriot, für und gegen welchen lebhaft Partie genommen wird, durchaus kein Misstrauen verdiene und seine Aufgabe zu lösen vermöge. Die Hamburger, welche sich natürlich ärgern, dass der Britte sie überflügelt, da sie die Unkosten des Fahrwassers, die Tonnensignale usw. tragen, haben jedenfalls gefehlt, dass sie dem fremden Unternehmen nicht mit einem eigenen größeren Schiffe zuvorzukommen wussten.

Wir selbst zogen den Mercator, Kapitän Robert Cook, vor und hatten Ursache uns dieser Wahl zu freuen. Wie großartig ist doch alles auf den britischen Schiffen! dazu der Kapitän, ein Mann von reifem Alter, ganz seeritterlich und angenehm. Ging das Meer noch so hoch, so sagte er: „a nice breeze“. Ohnehin pflegt man auf der Herfahrt nie einzugestehen, dass die See anfängt, weil man es den Leuten ersparen will, aus Einbildung krank zu werden. Da heißt es immer: „Wir sind noch nicht an der roten Tonne, wir müssen erst an die Leuchtschiffe kommen u. dgl.“ Dies ist nämlich die äußerste, die letzte Grenze zwischen Elbe und Nordsee. Das Meer verrät sich aber selbst. Das Wasser wird wundersam grün, die Luft stürmend und doch so mild. Möwen streifen so nah über der See, dass man nicht weiß, was Vogel, was Wellenschaum ist. Mit jedem Moment veredelt sich das Element. Mitten hinein in die Wogen voll weißschwellender Kämme tanzt das große Haus. Göttlich stolzes Gefühl, so der ewigen Freiheit entgegen zu segeln! In einigen Köpfen mag es dabei immerhin absonderlich genug aussehen. Als wir am Felsen landeten, sprachen mehrere Damen, die mit uns auf dem Schiffe gekommen waren! „So, das ist also die Elbe. Das ist ja recht schön!“ Sie glaubten steif und fest, auf der Elbe zu sein.

Indes der Mercator noch auf der Rhede zu schlummern scheint, hat er da oben vor seinem Bureau am Fallm eine stattliche Flagge aufgehisst und die Stunde seines Abgangs überall anschlagen lassen, denn sie richtet sich nach der Flut. Mit derselben macht man die 24 Meilen von der Insel nach Hamburg in sieben Stunden. Wenn dem Ankömmlinge Helgoland auf seinem roten Felsen aus dem ewigen Flutenschoß wundersam und fremd emporsteigt, gleich einem Mährchen, so sieht der Scheidende das Eiland schwinden wie eine Heimat, wie traute Kindheit und Jugendliebe. Anfangs gemahnt es uns noch wie ein Weihnachtberg, auf den man kleine Häuser gestellt hat, später fast nur noch wie eine Broche mit einem Bild auf Email. Immer mehr bleicht es, verlischt, jetzt ist's versunken im Meer, wie schon manches Paradies. Segel um Segel schwebt uns entgegen, ein ganzer Reigen von Schiffen. Zu bald taucht die Küste auf, Schleswig-Holstein. Unsere Trompeten schmettern ihr das „Meerumschlungen“ ins Gesicht, die Dampfer spielen noch im Vorbeifahren die Melodie — das ist alles, was geblieben, alles. Eine Ladung Festlandsjammer, von dem man auf jener unschuldigen Meerwiege nichts weiß, kommt einher, das große Auswandererschiff. Wenn man so die Elbe herauffährt, wie majestätisch die Masse der Fahrzeuge, welche auf uns zusteuern, ganze schwimmende Städte! Hier ein Däne, ein Schwede, dort St. Margaretha, ein gewaltiges holländisches Dampfschiff, jetzt, mit vollen Segeln und sehr graziösem Takelwerk, ein Spanier. Man kann der Völker nicht genug nennen. Und wie das immer weiter und weiter vorrückt, wie auf einem Damebrette. Dieses Entgegenziehen ist etwas so Mächtiges. Immer neue Schiffe! Wie am Magnetberge gleiten sie herab, zu beiden Seiten des Mercators. Die Schiffe vor Blankenese nähern sich uns wie prächtige, kunstvolle Schachfiguren, königliche, auf einem silbernen Schachfelde. Endlich Hamburg mit seinem Mastenwalde, wie ein Abenteuer aus tausend und einer Nacht. Aber das Alsterbassin samt seinen Palästen erscheint uns ganz klein, ärmlich, der grünumsäumte Horizont, der uns früher unermesslich däuchte, begrenzt und eng gegen jenen wallenden Globus. Kein Horizont zeigt sich uns mehr groß gegen den der See. Wie liebe ich, was den Blick so weitet!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Helgoland im Herbst 1852