Helgoland

Autor: Elisabeth Wintzer, Erscheinungsjahr: 1930
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Helgoland, Nordsee, Friesen, Inseln, Sturmflut, Fischer, Seeleute, Seekrankheit, Badestrand, Friesenstamm,
Einem alten Göttersitz gleich erhebt sich das sagenumwobene rote Felseneiland Helgoland aus den Fluten der Nordsee. Auf diesem alten Göttersitz des sechzig Meter hohen schroffen Gesteins steht eine kleine, bunte moderne Stadt, die wie aus der Schachtel aufgebaut einem Traumbild gleich plötzlich aufgebaut einem Traumbild gleich plötzlich auftaucht, wenn das Schiff sich wendet und man den überraschenden Anblick der Insel vor sich hat. In ziemlicher Entfernung nur kann gelandet werden; die versunkenen Teile des früher viel größeren Landes lassen die Schiffe nicht herankommen. Aber schon stehen die Boote der Helgoländer Schiffer bereit, um die Fahrgäste hinüberzubringen. Das ist alles nicht ganz einfach, aber dem kräftigen Arm eines Helgoländer Schiffers, der ins Boot verhilft, kann man sich ebensowohl anvertrauen als seiner Steuerung. So naht man sich dieser Wunderwelt in sehr verschiedener Stimmung, je nachdem die böse Seekrankheit ihre Opfer fordert oder nicht. Wenige werden davon verschont, gerade auf dieser Fahrt. Es gibt alte, erprobte Seefahrer, die noch nie seekrank waren, und die es bei Helgoland doch packte.
Inhaltsverzeichnis
Mit Erstaunen betritt man nicht nur zum ersten Mal, sondern immer wieder die merkwürdige Insel, das „Heilige Land“, wie der Name ursprünglich lautete. Keine Wagen gibt es, keine Pferde, keine Kühe. Ein Helgoländer Kind hat diese Tiere nie gesehen. Zu Fuß spaziert man in den kleinen Straßen mit den modernen Läden umher, die alles bieten, was man sich wünscht. Die meisten Lebensmittel, auch Milch, kommen von Hamburg; die Insel selbst liefert nur die schönen frischgeräucherten Fische und das hervorragend gute Gebäck. Der Ort verteilt sich auf das Unter- und Oberland, zu dem hohe Treppen und ein Fahrstuhl hinaufführen. Überwältigend schön ist von oben, vom „Falm“, dem beliebten Spaziergang, der Blick auf die Insel unten mit den roten Dächern, den lauschigen Winkeln und malerischen, winzigen Straßen, alles in kräftigen Farben und umwogt vom Meere, das in wechselndem Rot, Blau und Grün an den Süden erinnert, und dann auf die in einiger Entfernung liegende ganz weiße Düne, den Badestrand Helgolands. Sie war einstmals verbunden mit der Insel; immer schmäler wurde der lange, steinige Steg, der hinüberführte, bis bei einer furchtbaren Sturmflut der Silvesternacht 1720 die Düne für immer vom Festland getrennt wurde. Nun wird die Verbindung durch Boote hergestellt. Jeden Morgen rudern die Helgoländer Fischer die Fahrgäste hinüber auf die Düne, die früher einen großen, weißen Kreidefelsen hatte, der sie gegen die stürmischen Wellen schützte. Ein fröhliches Leben entfaltet sich dort. Da gibt es vergnügtes Wiedersehen in luftigem Badekostüm oder Spaziergänge, auf denen sich auch die sagenhaften „Kerzen der heiligen Ursula“ befinden, die hier bei einem Schiffbruch mit elftausend Jungfrauen gelandet sein soll. Auf der Düne liegt auch ein Friedhof der Namenlosen, die das Meer anschwemmt.
Die Bevölkerung ist ein alter Friesenstamm, der sich trotz der verschiedenen Herrschaft, der sie unterstand – dänisch, englisch, deutsch – ihre Eigenart bewahrt hat und eine eigene Sprache spricht. Mit so inniger Liebe hängen die Helgoländer an ihrer Heimat, dass sie in der Fremde heimwehkrank werden. Alte Sitten und Gebräuche findet man dort; kraftvoll sind die Männer, alle Seeleute, zart und anmutig die Frauen. Infolge ihrer Unbeugsamkeit gab es im Laufe der Zeiten viele Kämpfe mit den Helgoländern; so hielt auch das Christentum erst im achten Jahrhundert Einzug, als der Friesenkönig Radbod auf Helgoland residierte. Die heilige „Caps-Kuhle“, aus der er getauft wurde, besteht noch heute. Aus ihr werden die Helgoländer Kinder geboren, die wo anders der Klapperstorch bringt. Für die Helgoländer Kinder ist der 6. Dezember, der Namenstag des Heiligen Nikolas, dem früher die Kirche geweiht war, ein großer Festtag, an dem sie Geschenke erhalten. Diese Nikolaikirche ist heute noch die einzige auf der Insel; bei einer großen Sturmflut sollen einmal sieben Kirchspiele und zwei Klöster untergangen sein.
Es gibt eine uralte Chronik über Helgoland, die mit Christi Geburt beginnt und bis zum Jahre 1723 berichtet. Aus ihr erfährt man sehr viel Interessantes und Komisches, zum Beispiel: „1615 zwischen 18. Und 19. August war ein erschreckliches Blitzen und Donnerwetter, dergleichen niemand sie bevor hat denken können und ließ sich ansehen, als wen die ganze Welt in Feuer stünde, von der Sonnen Untergang bis Mitternacht“. Ferner: „Itzige Zeit haben die Frau Capitanische und Pastorin Pfauenfedern auffen Haupt getragen, worüber die Frauen sowohl als die Männer wegen den Vorzug in großen Streit geraten.“ Oder: „1618 erschien der Comet Stern über diese Länder, so man 30 Tage, doch nur Abend und Nachtszeit hat sehen können, worauf hernach in Teutschland der 30jährige Krieg erfolgte.“ Auch von den glücklichen Zeiten liest man, als man für einen Pfennig fünfzehn Eier bekam und ein Stück Butter zwei Pfennige kostete.
Viele berühmte Leute besuchten Helgoland, so die Dichter Heinrich Heine, Jordan und Dingelstädt; Hoffmann von Fallersleben dichtete hier 1841 das Lied „Deutschland, Deutschland über alles“, was auf einer Tafel an seinem einstmaligen Hause geschrieben ist; auch steht seine Büste als Denkmal am Strand. Auf einer Station für Tiefseeforschung auf Helgoland arbeiten andauernd Gelehrte, und ein Aquarium gibt Zeugnis von den hochinteressanten Ergebnissen. Über die eigenartige Vogelwelt auf der Insel bekommt man einen Überblick in dem Nordseemuseum, das vierhundert verschiedene Arten zeigt, die alle auf Helgoland erbeutet sind. Auch eine besondere Pflanzenwelt bringt der felsige Boden hervor; hervorragend schön sind darunter die großen Helgoländer Rosen, die bei dem milden Herbstklima oft bis Weihnachten blühen.
Traut und gemütlich ist das Leben auf Helgoland; gemütlich, voller Humor und Liebenswürdigkeit sind auch seine Bewohner. Wer Helgoland schätzen und lieben lernte, wird es immer wieder aufsuchen und sich heimisch dort fühlen. Leider verschwindet die alte schöne Helgoländer Tracht immer mehr und ist nur noch bei besonderen Gelegenheiten zu sehen, wo dann auch der Regionaltanz „Slim min Moderken“ darin aufgeführt wird.
Es gibt auch eine schlimme Vergangenheit vom „Heiligen Land“, als die Seeräuber hier ihr Wesen trieben, deren schlimmster, Störtebeker, bei Helgoland gefangen genommen und in Hamburg enthauptet wurde. Noch vieles ließe sich von der merkwürdigen Insel erzählen; die tiefsten Eindrücke bekommt man aber nur durch eigenes Schauen, und wer jemals einen Sturm oder einen herrlichen Sonnenuntergang auf Helgoland erlebte, dem wird es unvergesslich sein. Auch der Dichter Hans Groth hat Helgoland besungen:

Der Helgoländer Fischertanz / Photo. Fridrichs.

Helgoland
Dar sücht ut See en Ländeken hoch,
En Ländeken hoch,
Un flach hin liggt de Strand.
Dar hebbt de Schep un Möwen ehr Tog,
Dat is old Helgoland.

Dar glänzt as Sülver unendlich dat Meer,
Unendlich dat Meer
Un flöt un ebbt heraf,
Un klingt dat deep, as Klocken daher,
Hörto! dann brust dat Haff.

Dann gat de Wogen bi Dag un Nacht.
Bi Dag un Nacht,
Un de Storm de hult dar mank.
Doch brükt sik an den Felsen ehr Macht
Al dusend Jahren lang.

Dat is en Land, dat hört se geern,
Dat hört se geern
De Schippers op Fels un Strand,
Dat lockt se torügg ut wide Feern,
Torügg na ehr Helgoland.