Heldenleben – Mittelalterliche Kulturideale

Autor: Vedel, Valdemar Prof. Dr. (1865-1942) dänischer Historiker und Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1910
Themenbereiche
Inhaltsverzeichnis
    Vorwort.
  1. Juventus mundi.
  2. Krieg und Kultur.
  3. Heldensage und Heldengesang.
  4. Der Held.
  5. Heldengeist.
  6. Des Helden Missgeschick.
  7. Das Weib.
  8. Der Kampf.
  9. Kriegsmoral.
  10. Sippe.
  11. König und Volk.
  12. Adelsanarchie.
  13. Der Bandit.
  14. Schluss.
    Schluss.
Vorwort.

In vier selbständigen, aber miteinander in Zusammenhang stehenden Studien soll hier versucht werden, das Geistesleben des Mittelalters unter dem Gesamttitel „Mittelalterliche Kulturideale“ zu beleuchten. Meine Absicht ist nicht, eine Darstellung von Sitten und Gebräuchen, eigentliche Kulturgeschichte, oder fachliche Literatur-, Kunst-, Wissenschafts- und Religionsgeschichte zu geben. Mit ein paar Worten sei angedeutet, welche Betrachtungsweise der kleinen Reihe von Darstellungen zugrunde liegt.

Die verschiedenen Lebensverhältnisse — Lebensweisen und Lebenswege — drücken dem Menschen und dem menschlichen Leben ein eigentümliches Gepräge auf, das in den Hauptzügen überall und stets, wo ähnliche Verhältnisse vorliegen, sich gleich bleibt. So gestaltet sich des Leben des Mittelalters zu vier Haupttypen, die einen gewissen allgemein menschlichen Charakter tragen, und deren jeder einen bleibenden Einsatz in das spätere europäische Kulturleben geliefert hat. Kriegsleben, höfisches Ritterwesen, kirchliches, insbesondere klösterliches Leben und schließlich der festen Städte Bürgertum, das sind die Kulturtypen, die wir ihrem geistigen Habitus nach studieren wollen, so wie sie im Mittelalter Karls des Großen und im Mittelalter der Turniere, in dem der Mönche und in dem der Zünfte auftreten, und die wir noch heutzutage in der Offizierswelt und in aristokratischen Salons, im Studierzimmer der Denker und im gewerbetreibenden Kleinbürgertum wiedererkennen.

Indessen soll nicht das wirkliche Kriegsleben, nicht das historische Ritterwesen, nicht das Leben, wie es in Klöstern und Städten gelebt wurde, geschildert werden, sondern wir wollen die Kulturtypen studieren, so wie sie uns durch ihre aus dem Drange ihres Herzens heraus geschaffenen Standesideale ihre innerste Seele offenbaren. Weit deutlicher, als es die Wirklichkeit nur bedingt und annähernd zu geben vermag, stellen sich ja das Lebensprinzip eines Typus, seine herrschenden Kräfte, seine leitenden Tendenzen durch die Bilder dar, die er sich von der Wirklichkeit und von sich selbst macht, durch die Ideale, die er für seine Wünsche und Bestrebungen aufstellt. Darum, anstatt der fränkischen und sächsischen Kriegsgesellschaft Sitten und das Leben und Treiben aus den Ritterburgen oder in den Fürsten-Schlössern im 12.-13. Jahrhundert dem Materiale nach zu schildern, das Chroniken und Chartularien uns zu liefern imstande sind, zeichnen wir das Idealbild des Kriegslebens so, wie es sich den Völkern in alter, nationaler Heldendichtung darstellt, und das Idealbild der Ritterhöfe so, wie es sich in den Romanen und in der Hoflyrik als Ritterromantik vorfindet. Auf gleiche Weise betrachten wir Legenden und „Specula moralia“ als weit interessantere Dokumente für die mittelalterliche Religiosität, so wie wir Giotto und Hans Sachs für viel authentischere Offenbarungen florentinischen und nürnbergischen Geistes ansehen, als, was sich aus Klösterannalen und aus Stadtchroniken zusammenschaffen lässt. Ein Bild der mittelalterlichen Lebenstypen in idealer Verklärung zu zeichnen, ist mithin die Aufgabe, die wir uns gestellt haben.

Rahmen und Plan der Sammlung, in der diese Studien in deutschem Gewande auftreten, haben verschiedentliche Abänderungen der Gestalt notwendig gemacht, in welcher Sie in der Muttersprache des Verfassers erschienen sind. Der Umfang musste auf weniger als die Hälfte beschränkt werden, und der bedeutende Apparat an Anmerkungen und Quellenangaben musste wegfallen. Ich hätte gewünscht, jeden Zug, den ich im vorliegenden Band als typisch für das Bild des Helden und des Heldenlebens hervordede, mit einer gehörigen Anzahl von Illustrationen aus der Heldendichtung der verschiedensten Völker versehen zu können, — ich habe es für das richtigste angesehen, die Charakteristik dieser, für die Kindheit aller Völker gemeinsamen Kulturtype, auf einer bedeutend dreiteren Basis aufzubauen, als die Charakteristik der späteren mehr speziell mittelalterlichen Kulturtypen —; indessen von Raumrücksichten dazu gezwungen, habe ich mich in der Regel mit ein oder zwei Beispielen begnügen müssen, die also nur beweiskräftig sind, falls man sie als Repräsentanten auffasst, die durch zahlreiche Parallelen von überall her unterstützt werden können. Oft habe ich hierbei für zweckdienlich angesehen, mehr bekannte Beispiele — wie aus dem Nibelungenlied — beiseite zu lassen, und lieber solche z. B. aus der indischen oder persischen Heldendichtung herbeigeholt. Ferner sah ich mich genötigt, hauptsächlich die überall gemeinsamen Züge herauszugreifen, dabei habe ich nicht die vermeintlich genügend ins Auge fallenden Wesensunterschiede hervorheben können zwischen der griechischen, germanischen, persischen und nordischen Heldendichtung; hinter allen diesen Verschiedenheiten die gemeinsamen Grundzüge sowohl im Entstehen der Dichtung und in ihrer sozialen Funktion als im Inhalt ihrer Schilderungen heraus zu finden, ist meine stetige Aufgabe gewesen.

Daß ich die verschiedenen Gebiete, die ich in diesen vier Skizzen durchstreife, nicht so vollkommen beherrsche wie der einzelne Fachmann sein desonderes Gebiet, werden mir verständige Beurteiler kaum vormerken; auch haben die sechs Jahre, die vergangen sind, seit mein „Helteliv“ auf dänisch erschien, Spezialuntersuchungen gebracht, die hier und da die Einzelheiten in meinem „Heldenleben“ weniger mit den eben jetzt — aber vielleicht morgen nicht mehr — herrschenden Anschauungen der Fachleute übereinstimmen lassen. Ich hoffe nur, daß der besondere Gesichtspunkt, von dem aus ich das Geistesleben des Mittelalters behandle, meiner Betrachtungsweise eine gewisse Neuheit und Frische verliehen haben möge.

Kopenhagen. Der Verfasser.

Sittenbilder aus dem Mittelalter

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