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Da herrschte gewaltiger Betrieb. Alles stand voller Landwagen, die Butter und Eier brachten, dazwischen die Tische der Gemüsehändler und die Stände der Warnemünder Fischfrauen.
Es war in den letzten Tagen stilles Wetter gewesen und der Dorsch in großen Zügen an die Küste gekommen. Heringschwärme hatten ihm das Geleit gegeben, und Schellfische waren massenhaft in die aufgestellten Netze gegangen. Der Dunst der Seefische überzog den ganzen Markt. Die Händlerinnen, die Dienstmädchen und die Hausfrauen bildeten einen dichten Menschenknäuel, aus dem Lachen und lautes Reden nach allen Seiten klang.
Aber ihr Lärm wurde übertönt von einem anderen Geräusch. Von der Blutstraße her rückten die Füsiliere an. Schmetternd setzte die Musik ein, gerade in dem Augenblick, als sie den Markt betraten, und die Trommel dröhnte ihren Bass dazu, dass es wie eine Welle an den hohen Giebelhäusern aufbrandete und gewaltig über den Markt hinging.
Das war der Stute zuviel. Sie tat, was der Knecht angekündigt hatte: sie keilte hinten aus, und Hein flog, leicht wie er war, gleich einem Federball in die Höhe. Doch mit schnellem Griff fasste er die Mähne und klammerte sich fest.
„Verrücktes Tier! Gleich stehste still!“
Das Pferd dachte nicht daran. Eben war die Musik dicht neben ihm. Die Trommel dröhnte, denn ihr Schläger schlug das scharf gespannte Kalbfell, als sollte es zerspringen, und der Stute war wohl zu Sinn, wie wenn ihr die Ohren platzen müssten. Sie stieß ein Wiehern aus, so herausfordernd und gellend, dass es Hein durch Mark und Bein ging. Aber er dachte: „Junge, Junge, holl di fast (halte dich fest) — holl di fast — jetzt fliegst gleich runter“, und er packte, was er nur von der Mähne erwischen konnte; zugleich klammerten sich seine mageren Jungenbeine um den Hals des Tieres.
Das stieg hoch, als sollte es sich nach hinten überschla-gen, und nun brach es aus, mitten zwischen die Fischstände. Es riss Frau Beiersch den roten Riesenschirm über ihrem Tisch um, den Riesenschirm, der seit zwanzig Jahren das Wahrzeichen der Fischstände war; dann gab es für einen Augenblick rings um Hein herum ein entsetzliches Geschrei, Gerenne und Auseinanderstieben. Er fühlte, dass ihm Nasses, Klebriges in das Gesicht flog — Schollen, emporgeschleudert aus den stürzenden Körben — und immer nur dachte er unentwegt: „Holl di fast, Junge — holl di fast!“
Zwei Soldaten fielen dem Tier in den Zügel; Schutzmann Pommerenke, sehr stattlich, sehr würdevoll und gemessen, trat heran. Die empörten Fischfrauen bildeten einen erregten Chor der Rache um den keuchenden Gaul, und oben am Hals, langsam sich wieder bis zum Rücken zurechtschiebend, hing ein kleiner, magerer Junge. Er pustete, sah auf den Wirrwarr rings umher und sagte anerkennend: „Oha, das war ’n schöner Spaß. Und der Beiersch ihr Schirm hat das Rückgrat gebrochen!“
Die dicke Warnemünderin hielt ihm die Faust unter die Nase.
„Du solltest meiner sein! Ich wollt’ dir lehren, hier mit so ’n stätschen Gaul auf ’n Markt zu reiten. Den Schirm soll dein Vater mir woll bezahlen.“
Da wurde Heins Gesicht lang, denn er sah allerlei unangenehme Aussichten vor sich: von einer ausgeleerten Sparbüchse, von stramm gezogenen Hosen und einem gelben Stöckchen. Daher legte er sich aufs Bitten.
„Beiersch, wenn ich runterkomm nach Warnemünde zu Großvater, der schenkt mir immer was; ich geb Ihnen das wieder —“
„Nee, nee, das sind mir zu unsichere Aussichten; ich geh zu deinem Vater. All meine schönen Dorsch!“
Sie sammelte zusammen, was sich noch sammeln ließ. Der Knecht hatte sich inzwischen eingefunden, und Hein ließ es sich gefallen, dass er nach den Zügeln fasste und mit allerlei halblaut gemurmelten polnischen Schelt-Worten das Pferd abführte, das noch immer zitterte und mit dem Kopf ruckte.
Sehr niedergeschlagen kamen sie im Stall an und lieferten die Tiere ab.
Von dem Nachspiel, das Hein erlebte, als er heimkam, berichtete er den Freunden nicht eingehender ...

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hein Hannemann