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Nachdem der Krönungsmantel gesichert war, wandte er sich und sprach zum Jubel der Jungen, die mit offenem Mund den Wagen umstanden: „Wollet mir nun Euren Arm reichen, liebwerte Gemahlin! Worauf eine sehr schöne Dame mit einer dicken blonden Perücke und einem grünseidenen Gewande sichtbar wurde, die zierlich niederstieg, wobei allerdings unter dem seidenen Rock ein Paar sehr männlich aussehende Stiefel erschienen.
„Kiek, dat ’s ok (auch) en Student“, schrien die Jungens. Doch die schöne Königin beachtete sie nicht; sie nahm den Arm des Königs, und der ganze Tross zog hinein in die Hallen des Bahnhofs, gewann den Bahnsteig und füllte zwei Wagen des Zuges. Aus allen Fenstern heraus lehnten die Fahrgäste, um dem Schauspiele zuzusehen, und als alles verstaut war, auch etliche Körbe mit Geräten aller Art und zwei Säcke voll Orden, da setzte sich der Bahnzug in Bewegung.
Es graupelte, und wenn das Graupeln nachließ, warf der Wind ein paar Hände voll Regen an die Scheiben. Aber die drinnen in der Bahn ließen sich die gute Laune nicht dadurch verderben, und als sie am Bützower Bahnhof unter viel Hallo aus ihren Abteilen kletterten, sprach der König mit Würde: „Man reiche mir meine Krone!“
Die erschien, vom Hofnarr herbeigetragen, und war so hoch, dass sie im Zuge keinen Platz gefunden hätte. König Klaus setzte sie auf. Aber im gleichen Augenblick schickten die Wolken von droben einen gewaltigen Hagelschauer zur Erde. Dann begann eine eilige Flucht in das Stationsgebäude; nur der König rief zuversichtlich: „Wenn es einer Braut in den Kranz regnet, so bedeutet das Glück; wie viel mehr, wenn es in meine Krone hagelt! Man führe mich zu den seidenen Karossen!“
Es standen da ein paar derbe Fuhrleute; die kamen heran, freuten sich und fragten: „Sünd ji de nige Keinig? Denn salln wir jug führen.“
Wieder bot König Klaus seiner Gemahlin den Arm, aber die hatte Unheil mit ihrer Schleppe. Das lange, seidene Ding schlang sich um die Füße, fiel in alle Pfützen, drohte zu zerreißen und zu verschmutzen.
Da sprang von hinten her ein Junge heran, der aus der vierten Klasse geklettert war; er griff zu, befreite die Füße der jungen Königin und sagte: „Soll ich dir das Ding nu nachtragen, Georg?“
„Du unglaublicher Strick, wie bist du hierher gekommen?“
„Mit ’n gleichen Zug wie du, bloß in der vierten.“
„Na, Mutter wird sich schön ängstigen, wo du geblieben bist!“
„Vater und Mutter sind doch heute aufs Land zu Tante Regenthin, und für Margarete hab ich en Zettel in die Stube gelegt; da steht auf: ‚Ich bin büschen mit nach Bützow‘.“
Ja, nun war nicht viel zu ändern. Da war der Schlingel, und ein Zug ging erst am Abend wieder in der entgegengesetzten Richtung. Also machte Georg Hannemann aus der Not eine Tugend und sagte: „Dann trage meinethalben die Schleppe! Pass auf, dass sie nicht in den Schmutz kommt, und hebe sie auch nicht zu hoch, sonst sieht man meine Stiefel.“
Das war nicht gerade einfach, aber Hein fühlte sich sehr geehrt und tat sein Bestes.
Vor dem Bahnhof hielten die seidenen Karossen: zwei Leiterwagen mit Brettern zum Sitzen und für den König und die Königin mit zwei dicken Strohsäcken. Sie wurden gestürmt, und hinein ging es in die gute, getreue Stadt, die in ihrem tausendjährigen Bestehen noch nie einem König untertan gewesen war.
Auf dem Platz an der Kirche, wo die alten Linden jetzt kahl und unwirtlich im Winde knarrten, wartete der Bürgermeister im Bratenrock und mit ihm etliche seiner Getreuen, die einem guten Spaß auch nicht abgeneigt waren. Ringsum staute sich das Volk; auf den Laternenarmen ritten die Jungen, und aus allen Fenstern rings um den Platz sah die Bützowsche Weiblichkeit. Die Wagen rummelten heran. Der Bürgermeister zog seinen Hut, trat an den ersten Wagen, wo er den König an seiner riesig hohen Krone erkannte, und redete ihn an:
„Edler, wohlweiser Herr und Gebieter dieser guten und getreuen Stadt Bützow! Mit vieler Freude und noch größerer Verwunderung haben wir vernommen, dass wir untertan sind Eurer Königlichen Majestät. Und haben gerüstet zu einem festlichen Willkommen, wie er einem so erlauchten Herrn zusteht, und versichern Euch unserer allergrößten Ergebenheit und Treue! Wollen auch das Unsere dazu beitragen, dass dieser Tag in den Annalen Bützows künftig mit roter Tinte geschrieben werde! Und Kinder und Kindeskinder sich seiner erinnern und von ihm reden sollen! Wir bitten Eure Majestät, gnädiglich mit dem vorlieb zu nehmen, was unsere gute, aber arme Stadt zu bieten hat: einen Umtrunk im ,Krug zum grünen Kranze‘, einem guten Kälberbraten nebst einer süßen Speise und gewürztem Salat, darauf einem Tänzchen, damit auch die Töchter unserer Stadt der Ehre teilhaftig werden, diesen Tag gebührend zu begehen. Und werden die Bützower sich freuen, so Eure Majestät fortan in jedem Jahre am ersten April zu geneigtem Besuch eintreffen wird, und Freundschaft halten zwischen ihrem Hause und unseren Bürgern.“
Drauf erhob sich der König in seiner ganzen Länge auf dem Wagen, dass seine Krone an die unteren Zweige der Lindenbäume rührte, und antwortete: „Es hat uns wahrhaft wohlgetan, so gute und getreue Worte zu vernehmen, und wir stehen nicht an, Ihnen, Herr Bürgermeister, und Ihren Räten wie dem gesamten Volk unsere allerhöchste Huld und Gnade zuzuwenden. Wollen auch gerne im folgenden Jahr und so hinfort wiederkehren und einen festen Bund machen zwischen unserem Hause, der edlen Obotritin, und unserer Stadt Bützow, und wollen diese Stadt allezeit in sonderlichen Ehren halten. Dem zum Zeichen — — “(er winkte mit der Hand; der Hofnarr sprang heran, zwei Füchse des Korps, als Pagen gekleidet, ebenfalls und hielten die Ordensäcke offen) „will ich Ihnen hiermit den großen grünen Bierorden mit Hopfenkraut und Heringsflossen verleihen, der der Erste ist unter unseren Ehrenzeichen“ — er hing ein ungeheures buntes Plakat an einer grünen Perlenkette um den Hals des Bürgermeisters — „und will all Ihre Räte auszeichnen mit gleichen Orden“ — und als das geschehen, sprach er zum Narren: „Nun gib auch dem Volk seinen Teil!“
Da warf der Narr mit vollen Händen herrliche Kotillonorden zwischen die Menge, denn das ganze Korps hatte zusammengetragen, was es während des Winters auf den Studentenbällen von zarten Händen erhalten hatte, und das war nicht wenig gewesen.
Da drängten die Leute herzu, den Segen zu erfassen. Wenn auch etliches unter die Füße geriet und zertreten wurde, so blieb doch noch viel, und die Bützower Jungen liefen noch acht Tage lang mit goldenen oder silbernen Sternen auf ihren Jacken herum. Der Narr aber bekam wohl von der Anstrengung eine starke Hitze im Kopf. Denn plötzlich begann seine Nase zu glühen, und die Buben der Kleinstadt, die solche Wunder der Elektrotechnik noch nicht kannten, schrien vor Begeisterung. Dann ratterten die Wagen zum „Krug zum grünen Kranze“, und es begann eine vergnügte Mahlzeit.
Hein saß neben der jungen Königin und aß tapfer mit; als er aber auch im Trinken mithalten wollte, sagte die junge Königin: „Trink gefälligst Brunnenheimer, mein Junge; anderes verantworte ich heute nicht für dich. Du bist noch lange nicht Student und kannst froh sein, hier überhaupt geduldet zu werden.“
Hein schrieb es sich hinter die Ohren und benahm sich sehr still und manierlich. Als er seinen Klassengenossen Luten Möbius, den Sohn des Bürgermeisters, sah, wie er sich am Fenster die Nase flach drückte, um in den Saal zu spähen, da holte er ihn hinein.
Sie hockten zusammen unter der Galerie, auf der die Stadtmusik gewaltigen Lärm vollführte, sahen dem bunten Treiben zu, und Luten sagte: „Wenn ich erst Student bin, denn tret ich auch in die Obotritia und zieh hier als König in meine Vaterstadt ein. Dann kannst du meine Königin sein, Hein; du wirst doch nie sehr groß und stämmig.“
„Da kannst lang auflungern, Jung. Ich geh zu See; ich wird mein Tag kein Stubenhocker. Ich muss mal Schiffsplanken unter den Füßen haben und Seewasser vor der Nase und en düchtigen Nordwest hinter mir, und denn — heidi — siehst mich woll! Dann durch die Ostsee und raus aus dem Kattegatt und rein ins Skagerrak, wo die Wellen gehörig tanzen, und denn durch ’n Kanal und rein ins Atlantische! Und da sollst mal sehen, wie einen der Wind schaukelt!“
„Na, ja, es mag ja auch ganz nett sein, aber ich werd’ doch lieber Jurist. Das ist hier in Mecklenburg noch das Sicherste, und als Bürgermeister oder Landrichter hat man immer sein Brot, sagt Vater.“
Da wurden sie durch den Bürgermeister in ihren Zukunftsplänen gestört, denn der kam heran und sagte: „Jungen, jetzt beginnt hier gleich die Tanzerei, und ihr geht nun am besten nach Hause. Du, Luten, nimmst den kleinen Rostocker mit dir; Mutter macht ihm ein Bett zurecht. Ich habe es seinem Bruder versprochen, dass er jetzt schlafen geht. Also gute Nacht!“
Diese Botschaft hörte Hein nicht gerne; doch er musste sich sagen, dass er immerhin schon Spaß genug angesehen hatte, und so zog er mit Luten Möbius in das bürgermeisterliche Haus. Als dann drüben im Tanzsaal die Geigen ertönten, als die junge Königin ihr seidenes Gewand von sich getan und sich in einen flotten Tänzer verwandelt hatte, lag er schon in den Kissen und schlief.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hein Hannemann