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Bürgermeister Möbius ging mit dem Brief zu seiner Frau und sagte: „Dir ist es hier immer zu langweilig und still in unserem Städtchen. Freue dich! In der nächsten Woche gibt es Leben, und er legte den Brief vor sie auf den Nähtisch.
Sie schüttelte jedoch den Kopf.
„Ist es dir nicht aufgefallen, dass der Ulk gerade am ersten April stattfinden soll? Pass auf, sie lassen euch Vorbereitungen treffen und nachher kommt kein Mensch!“
„Hm, das wäre möglich. Ich will mal an Georg Hannemann telefonieren; der ist da in einem Korps Chargierter. Vielleicht weiß er, wer hinter der Sache steckt.“
Eine halbe Stunde später kam er zum zweiten Mal.
„Bützow mag sich ruhig zum Empfang seines Königs rüsten. Die Obotritia steckt dahinter; Georg selber ist einer von den Hauptmachern. Sie kommen tatsächlich, hier ihr Stiftungsfest zu feiern.
Da ging ein fröhliches Raunen um in Bützow: „Der König von Bützow wird einziehen am ersten April! Wir wollen ihm einen köstlichen Empfang bereiten.“
Die Frauen und Mädchen ließen sich Tannengrün aus den Wäldern holen und wanden lange Girlanden. Die jungen Leute richteten Masten auf, umwanden sie mit dem Grün, zogen von Mast zu Mast eine Tannenschnur und hingen riesige Inschriften daran: „Heil sei Klaus von Bützow! Willkommen in deiner viel getreuen Stadt!“ Wer eine Fahne hatte, suchte sie hervor und flickte die Schäden, die Zeit und Sturm ihr zugefügt hatten. Im „Krug zum grünen Kranze“ da brieten und sotten die Wirtin und ihre weiblichen Hilfsgeister zu einem köstlichen Mahl, denn es war noch die gute Zeit, da ein Hase drei Mark und eine fette Gans ihrer acht bis zehn kostete. Es roch nach Kuchen und frisch gebranntem Kaffee. An allen Ecken standen junge Mädchen und erörterten die große, wichtige Frage: „Werden sie auch tanzen? Wird der neue König in seiner Huld auch die Töchter der Stadt in den ,Krug zum grünen Kranze‘ laden?“ Und sie wuschen und plätteten ihren weißen Staat und versuchten neue Haartrachten. So kam der große Tag heran.
Hein hatte schwere Stunden. Georg erwies sich allen seinen Anspielungen gegenüber vollständig taub, obwohl er sonst immer von allen Geschwistern der war, der ihm am meisten den Willen tat.
Da machte Hein sich an seine Schwester Else und fragte sie heimlich: „Du, Blondel, was meinst du, nehmen sie mich mit nach Bützow?“
„Dich mit nach Bützow? Zum Stiftungsfest des Korps? Aber Hein, du bist ja ganz verdreht! Das tun sie nie und nimmer!“
„Der große Klaus Motte hat gesagt, ich sollte die Schleppe der jungen Königin tragen. Und du, das musst du doch auch zugeben, wie soll Georg wohl in Tante Susannes apfelgrünem Seidenkleid gehen, wenn ihm nicht einer den langen Kram nachträgt? Er fällt ja über seine eigenen Füße.“
„Er wird schon nicht! Er übt sich bereits jeden Tag, darin herumzuwandern. Ich wundere mich nur, dass Tante ihre seidene Pracht hergegeben hat. Aber ihr verstorbener Mann war im Korps, und da tut sie den Obotriten immer noch alles zu Gefallen.“
„Ich möchte so schrecklich gerne mit“, jammerte Hein.
„Man möchte manches“, versetzte Else philosophisch, „und man bekommt es nicht. Du wirst später, wenn du mal selber Student bist — —“
„Ich — Ich? — Ich werde doch kein Student! Och, was du denkst! Ich geh zur See.“
„Das leidet Mutter nicht.“
„Mutter nicht? Wo Großvater Lotsenkommandeur ist? Die selber immer sagt: ,Wenn ich ein Mann geworden wär, ich ginge zur See?‘ Och du, Mutter leidet das gleich! und wenn Vater es nicht mag, denn kommt Großvater und sagt: ,Lass den Jung bloß aufs Schiff; da treiben sie ihm die Mucken mit ’n Tauende aus.‘ Das sagt er immer, wenn einer nicht will, wie er soll.“
„Ja“, erwiderte die blonde Else, „ich will es dir ja auch nicht wehren; aber darum kannst du doch nicht mit nach Bützow.“
Sie ging in die Wohnstube, setzte sich mit ihrer Stickerei an das Fenster und sah, wie die großen Frachtwagen vor das Haus fuhren. Sie ärgerte sich über Rüpel, der allen Pferden an die Beine fuhr, rief wieder nach Hein und sagte: „Hole nur deinen Hund herein! Der macht noch die Pferde scheu.“
„Ist mir ganz gleich“, antwortete Hein. Ich bin beim Großen Einmaleins.“
Das Große Einmaleins aber bestand darin, dass er seine Sparbüchse aus dem Schrank geholt hatte und ihren Inhalt zählte. Den schrieb er auf ein Stück Papier, setzte darunter, was er bei seinen beiden Freunden Fritz Merovius und Jochen Möller noch ausstehen hatte, und dann bekam er noch am Sonnabend sein Wochengeld vom Vater. Alles in allem würde es also wohl reichen, dass er nach Bützow kam, wenn auch nur in der vierten Klasse. Um die Rückkehr machte er sich keine Gedanken; sein großer Bruder konnte ihn doch nicht einfach da sitzen lassen. Und wenn es auch ein paar Ohrfeigen setzte; das musste man in Kauf nehmen. „Für was, ist was“, pflegte Bodenmeister August zu sagen, und wenn er für zwei Ohrfeigen den Königsrummel in Bützow miterleben konnte, dann war der noch billig bezahlt!
Der erste April kam, und es erhob sich auf dem Bahnhof in Rostock gewaltiges Gelächter. Denn da fuhr ein Möbelwagen vor; der war bespannt mit zwei kräftigen Gäulen, die riesige Sträuße aus bunten Papierblumen und Tannengrün trugen, und auf dem Bock neben dem Kutscher saß ein dicker Mann mit einer gewaltigen roten Nase. Der grüßte und winkte nach allen Seiten, hatte ein Wams an, das auf einer Seite rot, auf der andern blau war, und auf dem Kopfe trug er einen Strohkranz mit farbigen Bändern. Wenn sie ihm aber zuriefen: „Mensch, wer bist du?“, dann hob er den Strohkranz wie eine Mütze und schrie dawider: „Ich bin Pollo Pepolli, ehrsamer und weiser Hofnarr Seiner allergnädigsten Majestät, des Königs Klaus des Ersten von Bützow!“
Die Jungen auf der Straße, die noch Osterferien hatten, rannten dem Wagen nach und starrten hinein, denn die Hintertüren standen offen, und drinnen sahen sie eine gewaltige Schar sitzen von seltsam kostümierten Leuten. Wie sie durch das Steintor fuhren und es gewaltig von der Wölbung widerhallte, rummelte und dröhnte, erhoben die im Wagen ihre Stimmen und sangen;

  Was kommt da von der Höh’,
  Was kommt da von der Höh’,
  Was kommt da von der ledern Höh’,
  Ei ça ledern Höh’,
  Was kommt da von der Höh’?
  Das ist der König Klaus,
  Das ist der König Klaus,
  Das ist der Bützowsch’ König Klaus,
  Ei ça König Klaus,
  Wie herrlich sieht er aus!


Dann fuhren sie am Bahnhof vor und entstiegen dem Gefährt. Draußen aber standen in Wichs und Farben die Vertreter der befreundeten Korps der Universität Rostock, die feierlich geladen waren, an diesem Feste teilzunehmen. Da standen sogar drei Professoren, die ebenfalls der Einladung gefolgt waren und auf ihren Überröcken, denn es war ein kalter und stürmischer Tag, als Abzeichen des Tages tellergroße Orden des neuen Königs trugen.
Ringsum stand eine ungeheure Menschenmenge, die diesem Aufzug beiwohnte.
König Klaus hatte über sein buntes Kleid einen dicken Mantel gezogen, so dass die himmelblauen Hosen sehr lustig darunter hervorschienen. Dann hatte er seinen roten Königsmantel — er hing sonst als Vorhang vor Frau Piepenbrinks, seiner Zimmerwirtin, Kleiderablage — über dem Mantel befestigt. Als er jetzt ausstieg, raffte er den roten langen Mantel an sich und stopfte ihn unter den Arm, denn Frau Piepenbrink, die ihre Zimmerherren kannte, hatte gedroht: „Wenn er aberst in Fetzen wiederkommt, Herr Motte, denn setz’ ich ihm Ihnen auf die Monatsrechnung!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hein Hannemann