Wieder in Hamburg. 1839—1843

Äußerst erkältet, mit zerrissenen Stiefeln kam Hebbel am 31. März 1839 in Hamburg an. Elise Lensing war ihm bis Harburg entgegengefahren, und es bildete sich nun zu ihr, die den Studenten unterstützt hatte, das Verhältnis heraus, das er selbst Gewissensehe nannte, und das das unerfreulichste in seinem Leben ist. Die nun kommenden Hamburger Jahre sind überhaupt die schwersten, die Hebbel erlebt, aber sie haben aus dem Literaten einen Dichter werden lassen und bereits seinen Ruhm geschaffen. Zunächst hatte Hebbel noch eine hässliche Krankheitsperiode durchzumachen: „Am 2. Juni 1839". heißt es im Tagebuch, „stand der Tod mir zur Seite: ein Aderlass eine Stunde länger aufgeschoben, und ich starb noch vor 6 Uhr abends unfehlbar am Lungenschlag". Es war Dr. Assing, „wohl der gelehrteste und genialste Arzt in Hamburg", wie Hebbel an den Kirchspielschreiber Voß in Wesselburen schreibt, der die Rettung brachte: Er kam mit dem Prof. Dr. Steinheim aus Altona, auch einem Juden, zu Hebbel, und blieb die ganze Nacht bei ihm, bis die Gefahr vorüber war. Es entstand nun auch einiger Verkehr Hebbels mit dem Hause Assing, das, wie erwähnt, seine Einführung durch die Schoppe früher abgelehnt hatte. Schon vor seiner Krankheit traf er Rosa Maria mit ihren beiden Töchtern einmal bei der Schoppe und bemerkte in seinem Tagebuche: „Diese Mädchen suchen die Genialität in der Aussprache." Im November machte er dann bei Assing einen Besuch: „Ich hätte es nicht getan, wäre die Doktorin nicht so krank geworden: aus den Gründen, weil man vor drei Jahren meine Einführung abgelehnt hatte, und weil ich den Anschein vermeiden wollte, als sei es meine Absicht, Assing für seine ärztlichen Bemühungen mit Höflichkeiten zu bezahlen. Jetzt ist’s natürlich ein anderes. Er ist ein vortrefflicher Mann, der gleich, wie ich ihn kennen lernte, den wohltätigsten Eindruck auf mich machte. Die Kinder sind gebildet, aber affektiert dabei." Rosa Maria scheint sich, auch als Hebbel bekannter wurde, noch ziemlich geringschätzig über sein Talent ausgesprochen zu haben; sie starb am 22. Januar 1840 und ließ ihren Mann in tiefer Betrübnis zurück, dem er auch dichterisch, in als Manuskript gedruckten „Nänien" Ausdruck verlieh. Auch Hebbel, nun der Verfasser der „Judith"', erhielt ein Stück dieser „Nänien" zugesandt und dankte Assing in einem Briefe vom 10. Juni 1840 aufs wärmste dafür. Er hat Hebbel dann auch noch wieder ärztlich behandelt, und dieser ist (Brief vom 26. Juli 1841) von ihm eingeladen worden. Als er am 25. April 1842 seiner Rosa Maria ins Grab folgte, schrieb Hebbel den Töchtern Ottilie und Ludmilla einen warmen Beileidsbrief. Sie sind dann, wie auch der Onkel Varnhagen von Ense, noch öfters in Hebbels Leben aufgetaucht.

Das erste nahe Verhältnis, das Hebbel zu einem Juden erhielt, war das zu Ludwig Wihl (aus Wevelinghoven bei Aachen. 1807 bis 1882). Gutzkows Adlatus schon in Frankfurt a. M. und jetzt auch in Hamburg bei der Redaktion des „Telegraphen". Janinski, Hebbels Freund, führte ihn Gutzkow und Wihl gleichzeitig in einer Konditorei zu, und mit Wihl, der auch bei der Schoppe verkehrte, ist Hebbel dann häufig zusammen gewesen. Er wird im Tagebuch 1839/40 ziemlich viel genannt, und in der Jahresübersicht vom 31. Dezember 1839 findet sich auch ein Urteil über ihn: „Wihl bin ich so nah gekommen, als man der Schwäche, die sich für stark hält, kommen kann. Ich bin gewiss sein Freund und glaube sein Herz nicht hoch genug schätzen zu können: seine Kenntnisse scheinen ausgedehnt zu sein und sein Wille ist gut, sein Talent ist jedoch geringfügig und seine Eitelkeit unbändig." Interessant ist noch das Gespräch Hebbels mit Wihl über dessen „Geschichte der deutschen Nationalliteratur" (1840): „Ich sagte ihm: das Buch ist Kritik, nicht Geschichte der Literatur: die Kritik versucht sich am Gegebenen, die Geschichte sucht das Notwendige, oder besser, sie liefert den Beweis, dass alles notwendig sei. Auch sprach ich über den von ihm gewählten oder vielmehr dem ihm natürlichen antichristlichen Standpunkt, den ich nicht am Autor vermissen, im Buch jedoch nicht gern finden möchte, und machte ihn darauf aufmerksam, dass wenn ein Jude eine von Christen geschaffene Literatur beurteile, der Stoff notwendig spröde und widerspenstig sein müsse. Er gab dies alles zu und freute sich meines Urteils." Natürlich darf man annehmen, dass Hebbel hier im Christlichen das Völkische mit einschlicht, er kontrastiert eben die Juden und die andersrassigen christlichen Völker. Heute sind wenigstens die gescheiteren Deutschen soweit, einzusehen, dass ein Jude überhaupt keine deutsche Literaturgeschichte schreiben kann, da er ja das Deutsche nicht in deutschem Geiste zu erfassen vermag.


Im Oktober 1840 verließ Wihl Hamburg. Unterm 12. Oktober heißt es in Hebbels Tagebuch: „Heute kam Wihl zu mir. Ich war sehr aufgebracht gegen ihn [vielleicht hatte er, wie öfter, Hebbelsche Äußerungen an Gutzkow weiter gegeben] und nahm ihn kühl und förmlich auf. Er sagte, in acht Tagen würde er abreisen, und fing heftig an zu weinen. Das ging mir ans Herz, ich ergriff seine, Hand und wurde anders gegen ihn. Ach, man sollte nie, nie über einen Menschen urteilen. Alles Gott anheimstellen!" Im Jahre 1843 besuchte Wihl Hebbel noch einmal in Hamburg, im Jahre 1844 berichtet dieser von Paris an Elise Lensing, dass Wihl — Nachtsocken erfunden habe, die der Physikus von Elberfeld als heilsam gegen Gicht und Podagra anpreise: „Man sieht, was in einem Lyriker und Literatur-Historiker alles steckt!" Ja, wenn er Jude ist! Wihl lehrte dann zunächst im Erziehungsinstitut in Frankfurt a. M. und ging später als Lehrer der Literatur nach Grenoble, von wo ihn — als Deutschen! — der Krieg von 1870 vertrieb. Eine Kleine Pension wusste er sich aber doch zu retten.

Jude war möglicherweise auch der Doktor Fucks oder Vucks, der in Heines „Deutschland ein Wintermärchen" vorkommt:

Da war der Fucks, ein blinder Heid'
Und persönlicher Feind des Jehova,
Glaubt nur an Hegel und etwa noch
An die Venus des Canova."

Hebbel schreibt im Tagebuch 1850 über ihn: „Doktor Vucks. Im stillen Wahnsinn berechnend, wie hoch der zum Himmel gefahrene Christus jetzt schon sein muss, wenn er auch nur 2 ½ Fuß in der Sekunde geflogen ist. Ehemals Hegelianer, aber ohne allen Gehalt, Erbsenschote ohne Erbsen, die der Herr Wihl protegierte, weil ihm das Protegieren so lange wohl tat, als der Protege nicht zu hoch wuchs. Jetzt ausgehalten von Freunden, die das Essen für ihn bezahlten." Im Hamburger Schriftstellerlexikon (1854) steht von ihm: „Er ist vom Geschick sehr stiefmütterlich behandelt, aber gefühlvolle Frauen sind tätig, sein Leben freundlich zu gestalten."

Natürlich erhielt Hebbel durch seine jüdischen Bekannten auch mancherlei Einblicke in die besondere jüdische Welt. Einmal taucht Heines Schwager Embden in seinem Tagebuche auf, der Gutzkow erklärt, Heine erhalte nicht Honorar genug. Dann findet sich ein Hofrat Ignatz Gumprecht (Sohn von M. Gumprecht und Rosa Alexander in Göttingen), „der einen Toten, zu dem er gerufen worden, um ihn zu besichtigen, pfändet, und der später durchaus nicht begreift, dass er gemein gehandelt". Sein Hofrat war koburgischen Ursprungs.

Die literarische Tätigkeit, die Hebbel schon in München als Mitarbeiter des Cottaschen „Morgenblattes" begonnen hatte, setzte er in Hamburg an Gutzkows „Telegraphen" fort, da sich dieser Jungdeutsche zunächst freundlich zu ihm stellte. Manche seiner Urteile vertraute er natürlich nur seinem Tagebuche an. So lesen wir schon im April 1839: „Varnhagen von Enses Denkwürdigkeiten sind aus der Kleinlichsten Bettlereitelkeit hervorgewachsen. Eitelkeit ist auch der Punkt, aus dem der ganze Montaigne hervorsprosste, aber offene, die sich selbst gefiel und uns dadurch mit sich aussöhnt. Varnhagens Eitelkeit ist versteckt, sie schämt sich ihrer Existenz, sie will es nicht Wort haben, dass sie da ist, und eben daher entspringt die Widerlichkeit dieser literarischen Erscheinung." Montaigne war übrigens, wie bei dieser Gelegenheit hervorgehoben werden mag, der Sohn einer Jüdin.

Über Heinrich Heine hat Hebbel in dieser Hamburger Zeit für den „Hamburger Korrespondenten", aber erst 1841 geschrieben, als er schon der Dichter der „Judith" war. Heine wird da als „echter deutscher Dichter" erklärt: „Aus dem Innern des Gemüts quellen seine Lieder hervor, und, wenn, seinem Naturell gemäß, bei ihm die Reflexion auch meistens die Gestalt des Witzes annimmt, so ist sein Witz doch nur das launige Votum, das dem Herzen gegenüber der Geist einlegt, niemals aber, oder selten, das kahle Zentrum des Gedichts." Da können wir natürlich nicht mehr mit, das jüdische Naturell ist für uns natürlich durchaus ausschlaggebend, bestimmt den Charakter der Gedichte als nichtdeutscher, soviel in ihnen auch von deutschen Dichtern stammt. Eher stimmen wir noch der folgenden Ausführung zu: „Man hat der Heineschen Poesie vielfach die innere Wahrheit abgesprochen. Wohl nur, weil man ihr Individuelles nicht immer aufzufassen verstand. Es gibt aber in ästhetischen Dingen eine doppelte Wahrheit, wonach man zu fragen hat: die Wahrheit des Stoffes und die Wahrheit der Form, und die letztere hängt, so undeutlich dies den meisten auch bleiben mag, mit dem Ethischen noch enger zusammen als die erstere. Es ist nicht genug, dass unser Gedachtes und Empfundenes wahr sei; damit kann ja auch kaum geheuchelt und betrogen werden, denn woher eigentümliche Empfindungen und Gedanken nehmen, wenn man sie nicht hat? Auch der Darstellungsprozess, worin die Form gewonnen wird, soll wahr sein: er soll aus dem Drange des Überflusses hervorgehen und Götter in die Welt setzen, nicht Lemuren. Dieses ist der wichtige Punkt, denn von der Gestalt, worin die Idee zur Erscheinung gelangt, hängt es ab, ob sie wie ein Jupiter verehrt oder wie Vitzliputzli verspottet werden soll, doch eben um diesen Punkt wird der plumpe Ästhetiker sich nie bekümmern. Er rechnet dafür die Gedanken und Bilder zusammen und vergisst, dass man dies alles bei jedem der Berücksichtigung irgend würdigen Gegenstand voraussetzen muss, und Achill und Thersites sich in allem, nur nicht in Fleisch und Blut, voneinander unterscheiden. Bei Heine ist die Darstellung ein Quellen, kein Pumpen, wie gewiss ein jeder empfindet, der das „Buch der Lieder" auch nur durchblättert: bei der Wahrheit der Form ist aber die Unwahrheit des Stoffes undenkbar." Ich habe diese Ausführung Hebbels in meine „Geschichte der deutschen Literatur" aufgenommen, aber ich habe zu ihr dann den Begriff des Virtuosentums herangezogen: „Ein großer Virtuose lügt nicht, aber er spielt, und Heines Dichtkunst ist denn auch wesentlich ein Spiel, keine Heuchelei, aber doch auch nicht tiefster Ernst." Vielleicht käme man mit dem Begriffe Mimikry, bewusster und unbewusster, noch weiter — er ist ja überhaupt für das jüdische Wesen — und Heine muss rein aus dem Judentum heraus erklärt werden — bezeichnend. In den Tagebüchern (11. Juni 1841) findet sich noch die drollige, von Campe erzählte Anekdote, dass Heine sich einbildete, die Göttinger wollten ihn mit Pfefferkuchen vergiften, und diese erst aß, als er sicher wusste, dass sie von Campe gesandt seien.

Eine der Sensationsaffären der Zeit war bekanntlich der Selbstmord der Charlotte Stieglitz, geb. Willhöft, die durch diesen ihrem Manne, dem Juden Heinrich Stieglitz, ein großes Schicksal geben und ihn dadurch zum großen Dichter machen wollte. Hebbel urteilte (Tagebuch, 16. April 1839) über den Fall sehr viel ruhiger und klarer als seine Zeitgenossen: „Theodor Mundt, der ein Buch über die Stieglitz gab, spricht in seiner beliebten Manier wieder von sozialen Zerwürfnissen, die sich in dieser Frau repräsentieren sollen. Unsinn: gab es für sie wohl eine denkbare Lebensform? Sie ging daran zugrunde, dass sie zugleich zu viel und zu wenig besaß: es wogte in ihr eine Überfülle von Liebe und ihr gebrach die Kraft, diese Liebe auf sich selbst zurückzuwenden. Was Mundt über ihre geistige Bedeutsamkeit sagt, kann ich nicht bejahen; sie war in dieser Hinsicht sehr gewöhnlich, wenn ich nach den Tagebuchmitteilungen urteilen darf: Gesundes Gefühl und wohlgeordneter Verstand, die beide meistens das Rechte ergreifen, weiter keinen Deut." Man könnte heute auch einmal darüber eine Untersuchung anstellen, ob nicht Charlotte Stieglitz, die Deutsche, einfach an der Ehe mit einem Juden zugrunde ging.

Von George Sand, die damals der große Schwärm aller unruhigen weiblichen Geister, auch der Töchter Assing? war, las Hebbel in dieser Zeit den „Französischen Handwerksburschen" („Le compagnon du tour de France") mit Beifall. Er hat später (Brief an Bamberg, 11. Juni 1856) ein treffendes Urteil über diese Dichterin, die von der Bankiersfamilie Vernarb jüdisches Blut in sich hatte, abgegeben: „Sie ist mit ihrem Denken und Empfinden ganz unverkennbar das Resultat disparater Verhältnisse." Disparater Blutsmischung würden wir sagen.

Von jüngeren deutsch-jüdischen Dichtern erwähnt Hebbel einmal (Tagebuch, 28. Oktober 1839) Karl Beck: „Der Witz (der umgekehrte) ist der Vater der neueren Lyrik, wie sie ein Beck repräsentiert. Bei Zinken fällt ihm zunächst der Reim sinken ein, und dann, dass auch Zinken sinken werden. Hierbei Kommt aber nichts heraus." Bis zu einem bestimmten Grade lässt sich das natürlich auch auf Heine und vielleicht selbst auf gewisse moderne Expressionisten anwenden.

Auf das dichterische Schaffen Hebbels können wir hier natürlich nur flüchtig eingehen, trotzdem er biblische, jüdische Stoffe bearbeitet und auch in seine Dramen aus dem deutschen Leben Juden eingeführt hat — man kann aus dichterischen Darstellungen ja auch nicht ohne weiteres auf Gesinnung schließen. Bei seiner „Judith" hat Hebbel bekanntlich nicht einfach die der Bibel übernommen: „Dort ist Judith eine Witwe, die den Holofernes durch List und Schlauheit ins Netz lockt; sie freut sich, als sie seinen Kopf im Sack hat und singt und jubelt vor und mit ganz Israel drei Monate lang. Das ist gemein." Aber eine richtige sinnliche und überschwängliche Jüdin ist Hebbels Judith doch, nicht etwa bloß die „Exegese eines dunklen Menschencharakters", eine „pathologische Gestalt", wie Hebbels jüdischer Biograph Kuh meinte, und die Darstellung des Judentums in Hebbels Drama gehört zu den besten, die wir Deutschen besitzen, man vergleiche nur die (übrigens auch von Kuh gelobten) Volksszenen, besonders die große des dritten Akts, wo neben manchen guten auch so ziemlich alle bösen Eigenschaften des jüdischen Volkes, sein Fanatismus, sein Hass, seine Feigheit (die übrigens auch bei Judiths Verehrer Ephraim die Hauptrolle spielt), selbst sein übler Witz deutlich hervortreten. Man muss Hebbel wohl auch recht geben, wenn er in einem Brief an die Crelinger schreibt: „Judith und Holofernes sind, obgleich, wenn ich meine Aufgabe löste, wahre Individualitäten, dennoch zugleich die Repräsentanten ihrer Völker. Judith ist der schwindelnde Gipfelpunkt des Judentums, jenes Volks, welches mit der Gottheit selbst in persönlicher Beziehung zu stehen glaubte: Holofernes ist das sich überstürzende Heidentum, er fasst in seiner Kraftfülle die letzten Ideen der Geschichte, die Idee der aus dem Schoß der Menschheit zu gebärenden Gottheit, aber er legt seinen Gedanken eine demiurgische Macht bei, er glaubt zu sein, was er denkt. Judentum und Heidentum aber sind wieder nur Repräsentanten der von Anbeginn in einem unlösbaren Dualismus gespaltenen Menschheit, und so hat der Kampf, in dem die Elemente meiner Tragödie sich gegenseitig aneinander zerreiben, die höchste symbolische Bedeutung, obwohl er von der Leidenschaft entzündet und durch die Wallungen des Blutes und die Verirrungen der Sinne zu Ende gebracht wird." Ich glaube, dass die Beliebtheit, der sich Hebbels „Judith" auch beim breiteren Publikum immer noch erfreut, mit auf die Empfindung, dass hier das Judentum ganz deutlich werde, zurückgeht. Den Dualismus, von dem Hebbel redet, hat ja noch Gregor von Glasenapp in seiner vortrefflichen Schrift „Der Charakter der Israeliten und die Art ihres Wirkens" (Riga 1912), wenn auch in etwas anderer Weise, dargelegt.

Die Judenszene in der „Genoveva", die bei den Aufführungen in der Regel weggelassen wird, hat mit anderen episodischen die Aufgabe, die mittelalterliche Atmosphäre, ohne die das Stück nicht denkbar ist, zu versinnbildlichen. Kuh spricht von dem gemisshandelten, von Flüchen getragenen Juden, welcher auf das durch Aberglauben und Fanatismus befleckte und entstellte Christentum gleichsam statuarisch hinweist — Hebbel bringt aber auch (von seinem Gedicht „Der Jude an den Christen" ausgehend) den furchtbaren Hass des Judentums und seine Furcht zum Ausdruck.

Über den Juden Benjamin, den Helden des Lustspiels „Der Diamant", braucht kaum etwas gesagt zu werden. Natürlich ist es charakteristisch, dass Hebbel den Edelstein von einem Juden verschlingen ließ, es ist vielleicht auch für das Judentum symbolisch, dass der Verschlinger aus dem Besitzer gewissermaßen zum Besitztum des Steines wird, aber der Dichter hat seinem Helden vom Judentum nicht viel mehr als die Feigheit und die Art der Dialektik gegeben, alles übrige muss der Darsteller hinzutun.

Der Erfolg der „Judith" lenkte Hebbels Aufmerksamkeit natürlich noch auf andere biblische Stoffe: So hat er Saul. König David. Abrahams Opfer in feinem Tagebuche verzeichnet. — Nicht unerwähnt lassen will ich doch auch, dass Hebbel in Hamburg aus Not unter dem Pseudonym Dr. J. F. Franz zwei Bücher für die „Wohlfeilste Volksbibliothek" des Juden B. G. Behrend geschrieben hat. eine „Geschichte des Dreißigjährigen Krieges" und eine „Geschichte der Jungfrau von Orleans". Er erhielt dafür nach Kuh „Keine achtzig Taler" und leugnete die Autorschaft in einem Briefe an Gustav Kühne ab.

Im allgemeinen haben diese Hamburger Jahre seine Stellung zum Judentum nicht verbessert, da er es eben gründlicher kennen lernte. Man vergleiche zunächst noch seine Äußerung über Shylock (Tagebuch. 13. Mai 1839): „Im Shylock beginnt das Tragische, wo seine Gemeinheit beginnt. Es ist in diesem Charakter der durch gerechten Stachel zum Aufschwung angefeuerte Hass, den der Jude gegen den Christen hegen muss, dargestellt. Aber das Judentum ist es auch wieder, was den Aufschwung unmöglich macht. Statt das Fleisch auf die Gefahr des Blutvergießens hin auszuschneiden, ist Shylock bereit, sein Geld zu nehmen." Sein Interesse für die Juden ist allzeit stark: so verzeichnet er nach Leibniz rabbinische Anschauungen und wirft die Frage auf, in welchem Verhältnis die aufgeklärten Juden zu der messianischen Idee stehen, und ob sie ohne diese Idee noch Juden sind. Das Alte Testament betrachtet er hier und da ziemlich Kritisch, findet z. B. dass die „Weisheit Salomonis" doch seltsame Dinge enthalte. Die allerwichtigste Äußerung über die Juden, die Hebbel in dieser Zeit tut, und die denn heute auch so ziemlich allgemein bekannt ist, beispielsweise in Fritschs „Handbuch der Judenfrage" steht, ist die über die Emanzipation (Tagebuch, 20. Mai 1843): „Die Emanzipation der Juden unter den Bedingungen, welche die Juden vorschreiben, würde im weiteren geschichtlichen Verlauf zu einer Krisis führen, welche — die Emanzipation der Christen notwendig machte." Unzweifelhaft ist das Prophezeiung oder, wenn man lieber will, tiefste Erkenntnis: dass aber zwei Menschenalter von der Emanzipation 1848 an genügen würden, Zustände herbeizuführen, die die Emanzipation der christlichen Gastvölker von der Judenherrschaft zu einem dringenden Bedürfnis machen, wird Hebbel kaum geahnt haben. Mit dieser Äußerung ist nun einstweilen die Höhe in der Judenerkenntnis Hebbels erreicht; in der zweiten Hälfte seines Lebens, die mit seiner Pariser Reise beginnt, tritt auch wieder eine bestimmte Verwirrung ein, die sich aber gegen das Ende zu doch „lichtet" und jedenfalls das germanische Selbstgefühl des Dichters dem Juden gegenüber kaum je aufhebt.