In Wien 1850—1883

Am 4. Januar 1854 schrieb Hebbel in sein Tagebuch: „Die Jammerperiode ist vorüber, ich fühle mich in meinen Knochen, wie in meinen vier Wänden wieder wohl, kann aber doch eine Betrachtung nicht unterdrücken, die sich mir immer von neuem wieder aufdrängt. Ohne Zweifel stehe ich jetzt auf der Höhe meiner Existenz: ich habe ein teures Weib, ein lieblich aufblühendes Kind und wenigstens einen wahren, erprobten Freund: mit meiner Gesundheit kann ich zufrieden sein, die Geistes- wie die Leibeskräfte sind ungeschwächt, und meine Tätigkeit ist keine wirkungslose: dabei habe ich, was man zu einem bequemen Leben braucht, und bin sogar imstande, für die Zukunft einen Pfennig zurückzulegen. Ich bin, dies Zeugnis darf ich mir geben, von ganzem Herzen dankbar dafür und freue mich jedes Tages: das Mittagsmahl und besonders die bei einem Glase Bier und einem Butterbrot verplauderte letzte Abendstunde ist mir immer ein Fest, und ich nähre keinen andern Wunsch mehr als den natürlichen, der in allen Verhältnissen übrig bleibt, dass es bleiben möge, wie es ist. Aber es kann nach der Natur der Dinge nur noch heruntergehen: meine Gesundheit wird wankend werden, das Talent schwinden usw." Ich führe diese Stelle an, weil sie zeigt, ein wie guter und schlichter Deutscher der als Renommiergenie verschriene Hebbel im Grunde war. Es ging mit seinem Lose glücklicherweise nicht bergunter, er setzte sich vielmehr mit seinen Werken, zuletzt den „Nibelungen", dank auch seiner sehr klugen Benutzung von Menschen und Gelegenheiten, noch durch und erlangte, zumal vom Weimarischen Hofe, hohe Ehren. Allerlei böse Erfahrungen machte er freilich auch: Nicht nur, dass sich Heinrich Laube, der Burgtheaterdirektor, ihm und seiner Frau fortwährend feindlich erwies, auch sein Förderer Franz Dingelstedt versagte zuletzt, und der einzige wahre und erprobte Freund, der Jude Emil Kuh, verließ ihn, Krankheit dann blieb auch nicht aus, und der Tod kam früh. Im Ganzen aber ist die Tendenz von Hebbels Leben bis zuletzt eine aufsteigende gewesen.

Das Verhältnis Hebbels zum Judentum blieb zunächst noch dasselbe. Mit Felix Bamberg, der 1851 preußischer und braunschweigischer Konsul in Paris wurde, stand Hebbel noch in Briefwechsel — es ist wohl bezeichnend, dass Hebbel die Sendungen Bambergs durch die Filiale des Hauses Rothschild in Wien bekam. Im April/Mai 1855 war Bamberg in politischer Mission in Wien: Hebbel schreibt unter dem 12. Mai in sein Tagebuch: „Bamberg aus Paris war hier, vier Wochen lang, doch hatte das Beisammensein nur durch die Erinnerung etwas Erquickliches. Er hat jeden Enthusiasmus für Kunst und Wissenschaft verloren, es gab nicht ein einziges Mal ein wirkliches Gespräch." „Unverhofftes Lob für strenge Pflichterfüllung" hat Bamberg in seiner Ausgabe der Tagebücher dieser Niederschrift hinzugefügt. Bei seiner Pariser Reise November 1860 hat Hebbel Bamberg zum letzten Male gesehen, nachdem der Briefwechsel schon im Jahre 1858 erloschen war. Nach dem Briefe an Uechtritz vom 16. Januar 1861 warnte Bamberg Hebbel davor, sich Napoleon III. vorstellen zu lassen, was Hebbel gern getan hätte. Es ist wirklich schade, dass der deutsche Dichter nicht einmal vor dem französischen Kaiser, der ja heute so ziemlich allgemein als Sohn des jüdischem Blut entstammenden holländischen Admirals Verhuel-Badinet gilt, gestanden hat.


Sigmund Engländer, der, wie erwähnt, von Wien nach Paris geflüchtet war und auch von hier wegen Teilnahme an einer Verschwörung (s. Hebbels Brief an Varnhagen, 14. September 1851) über Hals und Kopf abreisen musste, wurde, dann nach Paris zurückgekehrt, Angestellter der Agence Havas und darauf Mitbegründer des berühmten oder berüchtigten Telegraphenbureaus Reuter in London. Engländers Vater erschien 1854 bei Hebbel und ersuchte im Namen des Sohnes um die „Julia" für eine Pariser Bühne, und nun knüpfte sich das Verhältnis wieder an und führte zu einem regelmäßigen, wenn auch spärlichen Briefwechsel. Als Hebbel 1862 London besuchte, wohnte er bei Engländer, der das Reutersche Bureau durch seine Beziehungen in Paris (Bamberg?) damals schon in die Höhe gebracht hatte, viel Geld verdiente und eine allerliebste Frau und einen gesunden „blondlockigen" Knaben hatte. Er gab sich große Mühe um Hebbel, und dieser dankte ihm dadurch, dass er seine „Geschichte der Arbeiterassoziationen" bei Campe unterbrachte. Die letzten Briefe Hebbels an Engländer, den er für einen tiefsinnigen, genialen Dichter-Interpreten erklärte, sind wichtig durch grundsätzliche ästhetische Erörterungen. Was später aus Engländer ward, werden wir noch sehen.

Die Stellung, die Engländer vor 1848 in Wien zu Hebbel eingenommen hatte, erlangte nach 1848 Emil Kuh. Er war 1828 von jüdischen Eltern zu Wien geboren und nach allerlei Schulstudien Kaufmann wie Heine gewesen, als er im Jahre 1849 durch Deinhardstein Hebbel zugeführt wurde. Er leistete Hebbel gleich einige Dienste und wurde von ihm im Sommer 1851 mit nach Berlin genommen. In der Jahresübersicht vom 31. Dezember 1851 heißt es: „Die Bekanntschaft mit dem jungen Kuh ist inniger geworden", aber noch der erste erhaltene Brief Kuhs an Hebbel (bei Bamberg) vom 1. März 1852 1 Uhr nach Mitternacht ist echt jüdisch-überschwänglich. Nach und nach hat Hebbel Kuh dann aber erzogen, wie dieser selber in seiner Hebbel-Biographie (II, 626 ff.) ausführlich schildert, und in ihm einen sehr brauchbaren Adlatus erhalten, der ihm viele Arbeit abgenommen und auch für die Verbreitung seines Ruhmes nicht wenig getan hat. Die Briefe Hebbels an Kuh lassen das Verhältnis der beiden Männer deutlich erkennen, zeigen u. a. auch, dass Hebbel Kuh, als er von 1854—1857 in den Diensten der Österreichischen Nordbahn zu Troppau stand und als er sich 1857/58 zu Berlin eine literarische Existenz schaffen wollte, gut beraten hat, ebenso bei seinen dichterischen Versuchen. Jedenfalls war Kuh ein „besserer Jude", scheint auch schon ähnliche Anwandlungen über seine Rasse gehabt zu haben, wie Weininger und Trebitsch, wie er denn auch 1858 zum Christentum übertrat. Als er Hebbel seine Anschauungen mitteilte (der Brief findet sich bei Bamberg natürlich nicht), antwortete dieser (18. Dezember 1856): „Sie verlangen wohl nicht von mir, dass ich Ihre Ansichten über die Juden unterschreibe, da Sie wissen, dass ich mich vor vielen Jahren schon mit einem christlichen Freunde [doch nicht Mommsen?] auf lange entzweite, als er ähnliche aussprach, und da Ihnen obendrein mein Wort: „Der Jude ist geradeso schlecht wie der Mensch" recht wohl gefiel. Der Jude ist freilich, wie jeder Aristokrat, zu Anmaßung und Undankbarkeit geneigt, und da seine Ansprüche aus historischen Gründen immer derber abgewiesen und stärker darniedergehalten wurden, wie die der übrigen Adelskasten, so hat sich auf der einen Seite das in ihm ausgebildet, was ich die kleine Courage nennen möchte und was leichter zur Unverschämtheit im Hause als zur Tapferkeit auf der Straße führt, und auf der andern hat er sich eine Dialektik angeeignet, die alle ursprünglichen Verhältnisse zu verschieben sucht, um leichter mit ihnen fertig zu werden, und aus der schon der Talmud hervorging. Aber diese Eigenschaften können sich zunächst nicht gegen Sie kehren, da Sie ja selbst zu den Auserwählten gehören, und dann denke ich viel zu groß vom Menschen, obgleich ich ihn wahrlich nicht überschätze, um nicht an dem Glauben festzuhalten, dass er die kleinen Hindernisse, welche die Rasse [Aha!] ihm allenfalls in den Weg legen mag, durch die Kleinste sittliche Anstrengung überwinden kann. Erwägen Sie diese Gedanken in ihrer ganzen Tiefe und söhnen Sie sich mit Ihrer Nation wieder aus: es tut nicht gut, sich von dem Boden loszutrennen, dem man angehört, und ich sehe Sie nicht gerne auf diesem Wege".

An die Aristokratie des Judentums glauben wir ja heute nicht mehr recht, Senilität ist noch keine Vornehmheit, und die „Hindernisse" der Rasse schätzen wir auch stärker ein als Hebbel, aber man sieht, er kommt nun doch auch allmählich von der Religion aus auf Nation und Rasse, und der Ausdruck „Kleine Courage" ist sogar „brillant". Wie es dann zwischen Hebbel und Kuh doch noch zum Bruch kam, werden wir später sehen.

Durch Kuh Hebbel zugeführt wurde der jüdische Jurist Julius (eig. Josua) Glaser, der sich 1854 in Wien für das österreichische Strafrecht habilitierte, 1856 außerordentlicher. 1860 ordentlicher Professor wurde und von 1871—1889 österreichischer Justizminister war. Er gab Hebbel manches, da dieser starke juristische Interessen hatte, sorgte aber dafür, dass das Verhältnis zu ihm nicht allzunahe wurde, im ganzen gesellschaftlich blieb. Es sind 15 Briefe von Hebbel an Glaser erhalten, der Hebbel einmal acht Tage in Gmunden besuchte, die Revision seiner „Gedichte" las, ihm Lewes (also eines Juden) Goethe-Biographie und zu seinem 50. Geburtstage Aquarelle der Wesselburner Kirche und des Mohrschen Hauses (in dem Hebbel seine Schreiberzeit verbracht hatte) schenkte, was jedenfalls ein schöner Gedanke war. Hebbel sagte von ihm (Brief an Kuh vom 25. Juli 1858): „Unter allen mir bekannten wissenschaftlichen Köpfen steht er der Poesie am nächsten."

Über Hanslick, der auch eine Zeitlang mit zu Hebbel kam, ward schon gesprochen. Der Musiker Karl Debrois van Bruyck und der Philologe Karl Werner, später Professor am Gymnasium zu Olmütz (Vater Richard Maria Werners, des Herausgebers der großen Hebbel-Ausgabe) waren keine Juden, so dass Hebbels Äußerung an Engländer, 2. Januar 1859: „Nur einen Wink will ich über meinen Hofstaat geben: er besteht fast aus lauter Juden, getauften wie ungetauften" doch etwas übertrieben erscheint.

Aber das Verhältnis zu Ludwig August Frankl, das bis zuletzt dasselbe blieb, braucht nichts mehr gesagt zu werden. Neu war das zu dem jüdischen Erzähler Leopold Kompert und dessen Frau, das im wesentlichen doch auch nur gesellschaftlich gewesen zu sein scheint, obgleich Hebbel Kompert gelegentlich als Freund bezeichnet. Er holte allerlei Judaica aus ihm heraus. Sympathischer als Auerbach war Kompert unbedingt.

Jude war doch wohl auch der Professor Romeo Seligmann, den Hebbel 1848 unter seinen neuen Bekanntschaften verzeichnet, und mit dem er sich über naturwissenschaftliche Dinge unterhalten zu haben scheint. Hin und wieder kam nach Kuh der jüdische Religionslehrer, später archivalische Schriftsteller G. Wolf zu Hebbel. Der jüdische Dramaturg am Theater an der Wien, Leopold Feldmann, Lustspieldichter, hat Hebbel wenigstens einen Besuch gemacht. Vielleicht gehörte auch Hebbels (homöopathischer) Arzt Dr. Tedesco der jüdischen Rasse an. Seinem Freunde Dingelstedt empfahl Hebbel als Advokaten Dr. A. Berger, der ja wohl der Vater des Theaterleiters Alfred Freiherrn von Berger und jüdischen Stammes war.

Nicht alle Wiener Juden stellten sich zu Hebbel, als er sich durchgesetzt hatte, freundlich. Hebbels alter Freund Gurlitt zog jetzt nach Wien, aber es kam mit ihm zu keinem näheren Verkehr. „Die Ursache lag in dem Umstande", sagt Kuh. „dass Gurlitt eine Schwester Fanny Lewalds zur Frau hatte, und dass Hebbel diese ihm unleidliche Schriftstellerin, sowie die Verschwägerung Gurlitts mit Adolf Stahr als ein Hindernis gegenseitiger Übereinstimmung betrachtete." Einige Urteile Hebbels über die Lewald werden wir noch hören. Als Kritikerin erwies sich Hebbel feindlich die (nicht ganz üble) Dichterin Betty Pauli (richtig: Elisabeth Glück), die Hebbel die gestiefelte Katze nannte, und auf die er das folgende Epigramm schrieb:

Auf eine rezensierende Dichterin.

Darf die gestiefelte Katze, die ganz sich als Kater gebärdet,
Wirklich der Peitsche entgehn, weil es am Bart ihr gebricht?

Wie Auerbachs Schwager Hieronymus Lorm wiederholt, hat Hebbel auch den Kritiker C. M. Kertbeny, einen ungarischen Juden, der eigentlich Benkert hieß, einmal angepackt („den großen Kunstkenner Kertbeny, der mich zum Dank dafür, dass ich ihn einmal
aus der Tür warf, in den Wiener Berichten der ,Augsb. Allgem. Ztg.' seit Jahren großmütig in die Schule nimmt").

Von jüngeren jüdischen Dichtern, die zu Hebbel Beziehungen hatten, sei zuerst der frühgestorbene August Wolf aus Königsberg genannt, der Hebbel 1847 seine „Gedichte" widmete und ihn auf der Reise nach Italien auch einmal besuchte. Hebbel schrieb in einem Briefe an Albert Dulk über ihn. — Jude war auch Ludwig Goldhann aus Brünn, ein Vetter des Finanzministers von Planer, dessen „Günstling des Kaisers" Hebbel an Campe empfahl; ebenso dürfte das Judentum Alfred Koenigsbergs, der gleichfalls aus Brünn stammte und Hebbel seinen „Manlius" widmete, unzweifelhaft sein: denn er war später Feuilletonist der „Neuen Freien Presse".

Komisch berührt unter Hebbels jüdischen Dichterbekanntschaften Hermann Stein, über den Hebbel an Klaus Groth (3. Januar 1863) und Adolf Stern (Ernst) schrieb: „Ein Dichter meldet sich bei mir mit einer neuen ,Agnes Bernauer'; es ist ein glatzköpfiger alter Jude. Ich hatte mir aber vorher gegen Rheumatismus ein Senf-Pflaster gelegt und fordere, um gezwungen zu sein, dies lange genug liegen zu lassen, den Mann auf, mir den letzten Akt vorzulesen. Aber ich hatte mich verrechnet, das Pflaster biss furchtbar, eh' ich’s dachte, und ich warf dem Dichter natürlich, als er fertig war, einen ordentlichen Brocken hin, um ihn nur rasch los und meiner Leibesqual ledig zu werden. Was folgte darauf? Etwa vierzehn Tage später werde ich in einer Gesellschaft bei Tisch inquiriert, wer denn der Hermann Stein sei, den ich so protegiere, und erfahre auf meine Nachfrage, dass Dinge in allen Zeitungen stehen, die ich zwar in meiner Todesangst gesagt habe, aber doch nur in höchster und zugleich plumpster Ironie! Gestern wollte eine ungarische Gräfin sogar von mir wissen, wo die Werke des neuen Königs David zu bekommen seien. Könnte ich Ihnen den Sohn Israels und Polens nur malen!" Stein hatte es u. a. fertig gebracht, eine Notiz in Hackländers (eines Judenmischlings, dessen „Soldatenleben im Frieden" Hebbel einmal lobt) „Über Land und Meer" zu bringen, worin zu lesen war, dass er eine „Agnes Bernauer" geschrieben habe, die von Hebbel höher gestellt werde als jede andere, seine eigene mit eingeschlossen!

Nicht uninteressant ist auch Hebbels Verhältnis zu dem jungen Viktor Stern, Kassierer in einem Bankhause, der Hebbel ebenfalls ein Drama vorlegte. Es heißt darüber im Tagebuch, 29. April 1863: „Viktor Sterns Trauerspiel gelesen: es heißt „Die Macht der Verhältnisse". Seltsam ist es, dass die Erstlingsversuche junger Juden alle von einer so unreinen Phantasie zeugen und namentlich die Geschlechts-Latrinen aufwühlen, während der dichterische Jüngling sonst immer in den entgegengesetzten Fehler zu verfallen und die ganze Welt in Himmelblau und Morgenrot zu tauchen pflegt! Ich habe es so oft erfahren, dass ich wohl endlich etwas Allgemeines darin erblicken muss, während ich es für etwas Individuelles hielt, als es mir die ersten Male vorkam. Stern hat seine Tragik aus der Nymphomanie abgeleitet und zwar aus der Nymphomanie eines dreizehnjährigen Mädchens, deren Tun und Treiben ohne diesen physiologischen Grund ganz unbegreiflich wäre: im übrigen gleicht sein Stück, und in diesem Punkt trifft die Schülerarbeit mit manchem viel beklatschten Chef d'oeuvre des Tags zusammen, einem glatt und rein gesponnenen Juden, in das er willkürlich allerlei sonderbare und überflüssige Knoten hineingeschlagen hat, deren Aufknöpfelung die dramatische Handlung abgeben soll." Viktor Stern, der also so etwas wie ein Vorläufer des Halbjuden Wedekind war, steht in Brummers Dichterlexikon und ist erst 1917 gestorben. Hebbel ließ sich einmal von ihm finanziell beraten und nannte ihn seinen jungen Freund. Er war auch mit Eduard Kulke bekannt, der Sohn eines jüdischen Rabbiners in Mähren, seit 1859 in Wien war und Hebbel, nachdem der Bruch mit Kuh eingetreten, ziemlich nahe kam. Er wird zwar in den Tagebüchern nur einmal und in den Briefen auch nur wenig genannt, hat es aber doch auch soweit gebracht, von Hebbel als Freund bezeichnet zu werden und ist, nach seinen in Wien 1878 veröffentlichten „Erinnerungen an Friedrich Hebbel" zu urteilen, unbedingt einer der schätzenswertesten Juden in Hebbels Umgebung gewesen.

Von den jüdischen Kolleginnen der Frau Hebbel am Wiener Burgtheater wird Frau Zerline Gabillon-Würzburg, die Kuh verehrt hatte, in Hebbels Briefen einige Male erwähnt. Hebbel ward Pate ihrer Tochter Helene, die Anton Bettelheim heiratete. Später meinte er, die Gabillon habe alle Ursache, vor dem Kampf mit Charlotte Wolter (ich weiß nicht, ob die Jüdin war) zu zittern.

Auch auf den Reisen, die er in seiner letzten Lebenszeit machte, kam Hebbel vielfach mit Juden zusammen. Ich erwähne zunächst den großen Dresdner Hofschauspieler Bogumil Dawison, den Hebbel noch in Wien als Künstler kennen lernte und Theodor Hell gegenüber als hochbegabt bezeichnete. Als 1854 die Aufführung von Hebbels „Judith", in der Dawison den Holofernes spielen sollte, durch den plötzlichen Tod König Friedrich Augusts II. verhindert wurde, da verbrachte Hebbel einen ganzen Tag mit dem Schauspieler und schrieb ihm nach der Aufführung der „Judith" einen Dankbrief mit „Lieber Dawison", in dem er Dawisons Richard III. als eine der gewaltigsten Schöpfungen deutscher Schauspielkunst erklärte. Einen späteren verloren gegangenen Brief Hebbels scheint der Schauspieler übel genommen zu haben, und der dann folgende erhaltene hat die Sache sicher nicht wieder gut gemacht. Vielleicht spielt auch Gutzkows Einfluss mit. Jedenfalls fängt Hebbel dann an, absprechend über Dawison zu urteilen (der wohl auch immer mehr reiner Komödiant geworden ist), und am 12. Oktober 1861 schreibt er seiner Frau über ihn: „Herr Dawison, dasselbe Individuum, das mich bei der Gelegenheit der ,Judith' für einen zweiten Shakespeare erklärte, intrigiert gegen die ,Nibelungen': er hat aber gute Gründe, denn er wird jedesmal ausgelacht, wenn er mit einem Degen erscheint" — in einer Affäre mit Robert Heller hatte er sich nämlich nicht allzu tapfer gezeigt. Darauf geht auch die Bemerkung in den Tagebüchern 1863: „Bogumil Dawison: Doppel-Pole im Herausfordern, Doppel-Jude im Einstecken" und eine noch bösere in einem Briefe an Adolf Stern.

In Berlin war Hebbel zuerst im Juli 1847 mit seiner Frau, im April 1851 allein und im Juli desselben Jahres mit seiner Frau und Kuh zu deren Gastspiel. Über die beiden letzten Aufenthalte haben wir ziemlich genaue Aufzeichnungen. In der über den ersten Aufenthalt bemerkt Hebbel: „Die Rachel habe ich absolviert, sie ist mir ein Gräuel." Man darf doch am Ende annehmen, dass ihn jetzt das Jüdische abgestoßen hat. — Hebbel lernte nun, beim zweiten Aufenthalt, Varnhagen von Ense persönlich kennen und fand doch weit mehr Entschiedenheit in Gesicht und Wesen, als er erwartet hatte. Von den beiden Schwestern Assing erfuhr er böse Sachen durch Theodor Mundt und seine Frau, die Mühlbach. u. a. die Geschichte des Selbstmordversuchs der Ottilie (Tagebuch 2. Mai 1851). Später schickte er Varnhagen von Wien aus Autogramme und ließ sich der „lieben Nichte" Ludmilla bestens empfehlen. Als diese dann aber 1860 den Briefwechsel zwischen ihrem Ohm und Alexander von Humboldt veröffentlichte, da schrieb er in sein Tagebuch: „Die Mamsell Ludmilla Assing hat den skandalösesten Briefwechsel veröffentlicht, der je das Licht der Welt erblickt hat. . . Es ist natürlich nicht wegen des Honorars, sondern des Fortschritts wegen geschehen: sie hat nicht dem Geldbeutel, sondern der Zeit gedient. Die Stimmen der Richter sind geteilt, auch, wer die Frechheit der Publikation verdammt, möchte die Verbrecherin wegen des Wertes derselben halb entschuldigen." Auch in seinen Briefen, z. B. in denen an Uechtritz, bringt Hebbel seine Entrüstung zum Ausdruck, und auf Varnhagens Tagebuch, das Ludmilla von 1861 an herauszugeben begann, wurde das folgende Epigramm geprägt:

„Immer schien mir die Schlange der giftigste Wurm, doch noch schlimmer
Ist der Kammerlakai, der die Karriere verfehlt." —

Den schon einmal genannten Dramatiker und Verfasser einer Geschichte des Dramas Julius Leopold Klein lernte Hebbel bei Mundts kennen und schrieb über ihn in sein Tagebuch: „Ein Holofernes-Kopf, ganz ein Wüstensohn." In den „Berliner Briefen", die er darauf im „Wanderer" veröffentlichte, heißt es über ihn u. a.: „Die Natur scheint zuweilen eine Fülle Kostbarer Elemente in einem Individuum niederzulegen, aber die Mischung scheint ihr zu missglücken, oder das Individuum lässt es an sich fehlen und rundet sich nicht ab. Eines von beiden ist der Fall bei Klein." Er gibt Klein dann unter Versicherung seiner Teilnahme Ratschläge und scheint gehofft zu haben, Klein auf seine Seite zu ziehen. Aber da täuschte er sich, als er Klein im Oktober 1861 bei Cosima von Bülow wiedersah, da trat ihm dieser mit den Worten entgegen: „Kennen Sie die Nibelungen von Richard Wagner? Die müssen Sie bewundern, ich sage, Sie müssen, das ist zum Niederknien und Fußküssen." Da Hebbel eben damals seine „Nibelungen" herausgebracht hatte, war das eine jüdische Unverschämtheit oder mindestens Taktlosigkeit, und Hebbel antwortete demgemäß: „Sie sind der Mann nicht, der mir vorzuschreiben hat, was ich bewundern soll" und kehrte ihm den Rücken. In einem Briefe an Campe, 10. August 1862, dem diese Schilderung entstammt, spricht Hebbel dann noch den Verdacht aus, dass es J. C. Klein gewesen sei, der die boshafte Kritik über seine Visitenkarte mit Angabe von Titel und Orden in die „Weserzeitung" gebracht habe, und charakterisiert ihn des weiteren: „Er ist der verkannte Messias des deutschen Dramas, einer von den vielen, die in jeder Stadt herumlaufen, nicht ganz so arg wie Hugo Bernstein, aber um vieles über A. C. Wollheim hinaus." Es hätte Hebbel eigentlich auffallen sollen, dass alle diese drei Genies Juden waren.

Weiter lernte Hebbel in Berlin 1851 noch den Schauspieler Moritz Rott, eigentlich Rosenfeld, einen Vetter von Ignaz Moscheles, kennen und charakterisierte ihn im Tagebuch als vollkommenen Komödianten, auch mit einigen amüsanten Anekdoten, ferner den Dichter Max Ring, der sich später zu den „Nibelungen" nicht günstig stellte, und den Musikschriftsteller A. B. Marx.

Ein ganz interessantes Erlebnis ergab für ihn auch die Bekanntschaft mit dem Lizentiaten der Theologie Rau, einem jüdischen Renegaten: „Mit seinem wilden Gesicht und langen schwarzen Locken mir schon im Theater (bei der dritten Vorstellung der ,Judith') aufgefallen, weil er auf die Bühne springen zu wollen schien. Im Zwischenakt vorgestellt durch Teichmann. „Ich muss Sie sprechen!" „Vielleicht auf eine Viertelstunde im Kapkeller." Wie ich dann durch Kuh abbestellte: „Ich warte die ganze Nacht vor dem Hause." Wie er darauf heraufgerufen wurde und ich ihn bei Kuh sprach, er mich fragte, ob ich ihm in Hamburg Zeit gönnen würde, und er nachreiste, am Sonntag wieder nach Berlin ging, um zu predigen, und am Montag abermals nach Hamburg kam. Sein Gedicht und Brief. Halb Begeisterung für die Kunst, halb aber auch religiöser Eifer." Oder wie wir sagen: jüdischer Fanatismus. — In Hamburg war Hebbel im Sommer 1850 gewesen und hatte dort den schon erwähnten Dr. Fucks oder Vucks gesehen und die Schlacht bei Idstedt erlebt.

1857 sah er bei Campe Heines Vetter Hermann Schiff: „Er wollte mir die Hand nicht geben, weil er kein freier Mann sei, sondern zu den Leuten gehöre, die auf dem Stadthaus (Armenhaus) ihre Konsorten suchten, es war eine ganz phantastische Szene."

Im Jahre 1861 war er bei A. C. Wollheim, jetzt da Fonseca, auf der Hamburger Bühne: „Der edle Direktor stand in der ersten Kulisse, einen kolossalen Schlüsselbund in der Hand, wie ein Kerkermeister oder der heilige Petrus: seine Frau neben ihm." Später ist von Wollheim noch einmal als dem „abgebrannten" Theaterdirektor die Rede, der in Hamburg, als er mit Hebbel am Büsch-Monumente vorbeigeht, sagt: „Nach dem Tode errichten sie einem Denkmäler, und bei Lebzeiten wirft man Steine hinter einem her."

Den zuletzt jedenfalls größenwahnsinnigen Karl Hugo, eigentlich Karl Hugo Ambet Bernstein aus Budapest, hatte Hebbel wohl schon 1840 in Hamburg kennen gelernt. Er traf ihn dann in Wien wieder, und als Hugo sich, wie Kulke berichtet, folgendermaßen äußerte: „In mir sehen Sie eigentlich vier Persönlichkeiten vereinigt, nämlich: Christus, Napoleon, Shakespeare und mich selbst", da drohte er, ihn zum Fenster hinauszuwerfen, was Hugo immerhin zum Gehen veranlasste.

Überhaupt wusste Hebbel auch mit der jüdischen Unverschämtheit (bei Hugo lag, wie gesagt, doch wohl Geistesgestörtheit vor) fertig zu werden, man vergleiche die folgende Aufzeichnung im Tagebuch, 18. Oktober 1853: „Ein Herr Reich präsentierte sich mir um vier Uhr, als ich gerade ausgehen wollte, mit einem Brief von sich selbst. Der Brief fing an: „Töten mag ich mich nicht, betteln kann ich nicht, ich befinde mich aber in Geldverlegenheit und bitte Sie um ein Darlehen: der Mensch tritt zum Menschen, ob später auch der Poet zum Poeten, lehre die Zukunft." Ein freches Judenbürschchen von höchstens 19 Jahren, das, als ich mich entschuldigte, sehr trotzig aus der Tür ging und sich gewiss nach einer Journal-Kloake umsehen wird, um Kot gegen mich zu spritzen . . . Dabei war der Kerl wohlgenährt."

Man sieht, Hebbel hat alle möglichen Judentypen kennen gelernt und sie auch richtig festgehalten. Es sei hier gleich noch der Jude Parkfrieder erwähnt (s. Tagebuch-Einzeichnung vom 11. Februar 1863), der, ein ehemaliger Armeelieferant, sich durch Bezahlung von Schulden das Anrecht auf die Leichname Radetzkys, Wimpfens usw. kaufte und diese dann in einem von ihm errichteten „Heldenberg" beisetzen ließ — sich selber aber auch.

In Frankfurt a. M., wo Hebbel 1857 Schopenhauer und Wilhelm Jordan (der übrigens auch zu Bamberg Beziehungen hatte und manchem als Halbjuden gilt — ich habe den Familiennamen seiner Mutter bisher nicht feststellen Können) besuchte, lernte er auch Jordans Freund Theodor Creizenach kennen, der Lehrer der Söhne des Barons Amschel Rothschild gewesen war und es später, evangelisch geworden, zum Professor der Geschichte und Literatur am Frankfurter Gymnasium brachte, auch lyrischer Dichter war.

In Marienbad 1854, wo er mit Uechtritz und Putlitz verkehrte, ergötzte er sich zugleich an dem komischen Bankier Hossauer aus Berlin, und selbst in Weimar, wo er dann 1861 mit der Aufführung der „Nibelungen"-Trilogie die Höhe seines Daseins erreichte, entging er den Juden nicht ganz, denn Otto Lehfeld, der den Hagen in den „Nibelungen" spielte, war einer und Eduard Lassen, der die Musik zu den „Nibelungen" schrieb, auch.

Ich könnte noch eine Reihe weiterer Juden nennen, zu der Hebbel persönliche oder geistige Beziehungen hatte, aber die angeführten genügen wohl einigermaßen.

Hebbels späteres Schaffen, das dichterische wenigstens, weist nicht mehr allzuviel „Jüdisches" auf. Da ist in der „Agnes Bernauer" (1852 aufgeführt, gedruckt 1855) eine charakteristische Stelle (III. Akt. 6. Szene):

Preising: Die Klagen über den Wucher der Juden mehren sich.

Herzog Ernst: Man soll sich so einrichten, dass man die Juden nicht braucht. Wer nicht von ihnen borgt, wird nicht arm durch sie, und ob sie fünfzig vom Hundert nehmen!

Preising: Es ist der Juden selbst wegen, dass ich darauf zurückkomme. In Nürnberg schlägt man sie schon tot wie die Hunde, und böse Beispiele stecken eher an als gute!

Herzog Ernst: Meine Juden sollen's so treiben, dass sie das Totschlagen nicht verdienen, dann wird's wohl unterbleiben. Ich mische mich in diese Händel nicht hinein.

Das ist absolute Gerechtigkeit und die ideelle Lösung der Judenfrage. Wenn Keiner von uns in Notlage kommt, dann brauchen wir die Juden nicht mehr, und sie müssen anständig werden oder auswandern.

In der epischen Dichtung „Mutter und Kind" (1859). 2. Gesang, findet sich eine Stelle über die soziale Frage, in der Rothschild d. i. der unfruchtbare jüdische Kapitalismus vorkommt:

„Man spricht von roten Gespenstern,
Die man mit Pulver und Blei verscheuchen müsse. Sie sind wohl
Noch viel leichter zu bannen: man gebe ihnen zu essen,
Und, anstatt die Erde in unersättlicher Goldgier
Auszuschmelzen und dann als Schlacke liegen zu lassen,
Wie es ein Rothschild tut, bestelle man Wüsten und weise
Ihnen die Äcker an! Das heißt sich selber beschützen."

Nur schade, dass die wenigsten Menschen heute noch Äcker bauen wollen.

Ein richtiges Judenstück könnte man Hebbels für Rubinstein geschriebenen, aber von diesem zwar gut bezahlten, jedoch nicht komponierten Operntext „Ein Steinwurf oder Opfer um Opfer" nennen. Kuh schreibt darüber: „Rabbi Löw, der Stern von Prag genannt, ist der Held, den Hebbel sich verlieben lässt! Man stelle sich einmal einen auf der Bühne singenden verliebten Rabbiner vor!" Der Stoff war Hebbel, wie er selbst berichtet, genau vorgeschrieben, aber seine Weise war zu schwer für die Oper: doch ist die Handlung, die Verhütung einer Judenverfolgung, immerhin geschickt durchgeführt. Mich wundert eigentlich, dass die Philosemiten das Lied des jüdischen Hochzeitsnarren Joel nicht längst allgemein verbreitet haben:

„Hat ein Bübchen sich verlaufen.
Welches ging, um Obst zu kaufen,
Nun, so fings der Jude ein
Für die blut'ge Osterpein.

Wenn noch vor der Morgenröte
Eine melancholische Kröte
Sich in einen Brunnen stürzt,
Hat der Jud den Trunk gewürzt.

Denn er ist der Prügelknabe,
Den man zu besondrer Labe
Statt des bösen Dämons schlägt,
Welcher all die Tücken hegt."

Von jüdischen Dramenstoffen hat Hebbel auch noch in späterer Zeit ein „König David" als Trilogie („König David und sein Haus") vorgeschwebt, in der der König („Jeder meiner Söhne ein personifiziertes Laster von mir") die gewöhnliche Idealisierung wohl kaum gefunden hätte, dann ein „Jesus Christus", von dem ein paar Dialoge und Aufzeichnungen erhalten sind — wie sich das Werk zum Judentume gestellt haben würde, wird nicht Klar.

In den Aufsätzen und Kritiken Hebbels, die jetzt in seinen Werken gesammelt sind, ist doch nur verhältnismäßig wenig, was sich auf Juden bezieht. Es mag hier zunächst das spätere über Heinrich Heine mitgeteilt werden. In der Einleitung zu den Werken Feuchterslebens (1853), in der Hebbel eine Übersicht über die neuere deutsche Literatur gab, sprach sich Hebbel noch günstig über Heine aus: „In der Lyrik fand Heine eine Form, worin die desparatesten Töne, der Ausdruck einer vom Krampf ergriffenen Welt gellend zusammenklingen, um als reizende Musik wieder davonzusäuseln; seine Liedersammlung mahnt an den fabelhaften ehernen Stier des Phalaris, welcher nach der Sage so eingerichtet war, dass das Verzweiflungsgeschrei des Sklaven, der in seinem glühenden Bauche den Tod erlitt, als schmeichelnde Harmonie zur Ergötzung des Königs hervordrang, und die Ergötzung ist hier um so erlaubter, als Quäler und Gequälter hier in einer und derselben Person zusammenfallen." Dieses geistreiche Bild gefiel Hebbel so sehr, dass er es in dem Aufsatz „Zur Anthologienliteratur" für die „Wiener Zeitung" 1854 wörtlich wiederholte, und Kertbeny gegenüber, der Lenau für den größten Lyriker der Neuzeit erklärt hatte, die Krone für H. Heine in Anspruch nahm. Er lieh Heine auch den Aufsatz mit einem liebenswürdigen Briefe (Anrede: Lieber Freundl) zugehen.

In dem Aufsatz „Lyrische Poesie" („Allgemeine Zeitung" 1858) Klingt's aber schon anders: „Bitterer Ernst wurde der Weltschmerz diesmal nur in Nikolaus Lenau . . . Bei unserm Heinrich Heine dagegen, der sich eine gute Weile als Konduktführer und Reisemarschall des jüngsten Tages gebürdete, ging der ,große Riss', über den er jammerte, nicht einmal durch die Weste, geschweige durch das Herz; er brauchte so wenig den Schneider als den Chirurgen zu bemühen, und er zeigte auch bald genug durch die Grimassen, die er schnitt, wie es mit dem schwarzen Frack und mit den Trauerfloren um Hut und Arm gemeint gewesen war. Aber eben weil der Ernst fehlte, war unsere Weltschmerzperiode eine der widerlichsten unserer ganzen Literaturgeschichte und verdient in vollstem Maß die Züchtigung, die ihr seitdem zuteil geworden ist."

Daneben mag denn gleich die Besprechung des Buches von Schmidt-Weißenfels „Rahel und ihre Zeit" für die „Leipziger Illustrierte Zeitung" erwähnt weiden, in der sowohl die Rahel wie Heine ihr Teil abbekommen: „Es heißt verwirren und über den Haufen stoßen, nicht aufklären und näher bestimmen, wenn man den kleinen Berliner Zirkel der Frau von Varnhagen oder gar das Boudoir des Fräuleins Lenin dicht neben den großen europäischen Salon der Madame Staël-Holstein oder das väterliche Haus der Mademoiselle Necker rückt. Es heißt bis ins Lächerliche übertreiben, wenn man die Rahel, deren pikante Begabung niemand bestreitet [NB. Es war doch etwas mehr da], zum Zentralpunkt alles schöngeistigen Lebens in Berlin, ja in Deutschland erheben und selbst Goethes Stellung auf ihre Bemühungen zurückführen will. . . Es heißt jedenfalls auch zu weit gehen, wenn man Heinrich Heines Dichterruhm zu einem Topfgewächs des Rahelkreises macht, so unzweifelhaft es auch zu sein scheint, dass die grenzenlose Überschätzung dieses Talents, die so wenig ihm selbst, wie seinen Zeitgenossen zum Segen gereichte, von dort ausging." Ich denke, das ist deutlich.

Man nehme dazu endlich noch die Ausführung aus den Tagebüchern vom 26. April 1863: „Der ,Orion' bringt ungedruckte Briefe von Heinrich Heine an Eduard Schenk, den Dichter und damaligen Königl. Bayrischen Staatsminister. Daraus ersieht man, dass er sich angelegentlich um eine bayrische Professur beworben, und dass Schenk sie ihm bestimmt in Aussicht gestellt hatte, denn er hoffte, das Ernennungsdekret schon beim Antritt seiner italienischen Reise in Florenz zu finden, und wollte dann gleich umkehren: König Ludwig muss aber noch in der letzten Stunde Nein gesagt haben. Daher denn die Erbitterung [nicht bloß gegen den König, auch gegen Platen und Maßmann, der die Professur erhielt], die sich noch zur Zeit meines Pariser Aufenthalts in Aretinoschen Satiren entlud."

Also, Hebbel hatte Heine nun erkannt, und er würde sicher die nämlichen Folgerungen wie wir heute gezogen haben, wenn ihm noch die Beziehungen zum Ministerium Guizot, dem französischen Ministerium des Äußern. Heines Briefe an Meyerbeer und das Haus Rothschild bekannt geworden wären.

Einige Worte mögen auch noch in Bezug auf Auerbach und Fanny Lewald, die nach Heine die bedeutendsten jüdischen Erscheinungen in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts sind, gesagt sein. Hebbel räumte Auerbach in der Einleitung zu Feuchtersleben Talent ein, aber er stellte schon fest, dass nicht Auerbach der Begründer der Dorfgeschichte sei, sondern Immermann (oder wie wir jetzt erkannt haben, Jeremias Gotthelf). Den von Kuh gepriesenen „Diethelm von Buchenberg" erklärte er mit Ekel gelesen zu haben: „eine Verrücktheit, wie sie kaum in französischen Kriminalprozessen vorkommt und so spitzfindig unter Bauern gar nicht vorkommen kann, die zuletzt durch einen moralischen salto mortale, der noch unmöglicher ist wie alles übrige, geadelt werden soll." — Holtei gegenüber erklärte Hebbel schon 1851, dass er für einen Band der „Vagabunden" die ganze Bibliothek der Fanny Lewald und ihrer sozialen Geschwister in Deutschland hingebe, und schrieb über ihre Selbstbiographie im Tagebuch 1862: ,,Fanny Lewalds Biographie zu lesen angefangen: die erste, die ich nicht zu Ende bringen konnte. Herz- und phantasielos: dabei eine Wichtigtuerei sondergleichen. Wenn man das wäre, was die zu sein glaubt!" Man sieht, er hat seinen guten deutschen Instinkt bewahrt, und es will wenig dagegen besagen, wenn er in seinen Kritiken auch einmal Hieronymus Lorms „Erzählungen eines Heimgekehrten" oder Mosenthals „Gefesselte Phantasie" oder Karl Goldschmidts (von dem ich übrigens nichts weiß) „Dramatische Werke" oder Moritz Lazarus' „Leben der Seele" mehr oder minder lobt. Auch zu den jungen berühmt werdenden Halbjuden seiner Zeit, zu Paul Heyse und Friedrich Spielhagen stellte sich Hebbel ganz richtig, indem er gegen den ersteren sagte: „Den Schild Goethes habe ich allerdings nicht, aber seinen eigenen hätte ich schon in meiner Jugend nicht brauchen können" und in Spielhagens „Auf der Düne" schon die starke Neigung zur Sensation entdeckte. Ohne Zweifel, er ist seinen Weg als Dichter und auch als Ästhetiker ohne die Juden gegangen und würde sicherlich der fortschreitenden Verjudung unserer Literatur, wenn er noch länger gelebt hätte, entgegengetreten sein.

Die allgemeinen Bemerkungen über Juden und Judentum fehlen auch in den letzten Tagebüchern und Briefen nicht — das Problem Jude, um es noch einmal zu sagen, reizte Hebbel eben, wie es jeden denkenden Menschen reizen muss — und wenigstens die wichtigsten mögen hier noch verzeichnet sein. Im Tagebuch 1853 steht der alte Judenwitz: „Christ: Ihr habt unseren Herrgott gekreuzigt. Jude: Kriegt ihr den unsrigen, so rächt euch und tut ihm dasselbe." Kurz darauf berichtet Hebbel (nach Werner) von der bekannten jüdischen Namengebung unter Joseph II. und führt den Satz an: „Die Juden sind zu bescheiden, Christen zu werden." Im Oktober des Jahres 1853 war Hebbel mit seinem Dutzfreund Rudolf Hirsch in Bisenz hinter Lundenburg bei dessen Vetter, einem Förster (was wohl auf arisches Blut dieser Hirsche schließen lässt) und schildert in seinem Tagebuche einen Juden Davidl, „blöde, aber voll Geist, nur in abruptester Erscheinungsweise" — einen übrigens nicht ganz selten vorkommenden Typus.

1854 nach seiner Marienbader Reise besuchte Hebbel in Prag den Judenfriedhof und die alte Judensynagoge und hebt im Tagebuche den Unterschied zwischen den beiden Führern hervor: „Der Bursch, der uns auf dem Kirchhof herumjagte, war eine ganz gemeine Schacherseele, die einem Drechsler allenfalls auch ein paar alte Schädel zu Kunstzwecken verhandelt haben würde. Der Greis, der uns in die Mysterien der Synagoge blicken ließ und mit welken Lippen und lahmer Zunge ihre Geschichte erzählte, schien mit seinem Gewissen in Zwiespalt zu leben und hätte ohne Zweifel lieber alte Hosen an uns verkauft als uns die goldenen Kronen der Heiligen Schrift und die Thora vorgezeigt. Er murmelte immer allerlei in den Bart, sah uns zuweilen fremd und seltsam an und wollte namentlich von einem Zugang zu dem Golem, nach dem ich fragte, nicht das geringste wissen." — 1855 berichtet Hebbel (nach Brücke) von einem doch gewiss jüdischen Neuyorker Bankier, der sich erbot, den Kampf zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko gegen Überlassung der Beute privatim zu führen, die nötigen Generäle aus Europa zu verschreiben, die Truppen anzuwerben usw. Sein Sohn oder Enkel hat gewiss im Weltkriege das glänzendste Geschäft gemacht.

Aus Jacobis Briefwechsel schreibt Hebbel 1856 auch viel über die Juden heraus (wie schon einmal 1844), was ihm zweifellos Anregung zum Denken gegeben hat. Unter dem 4. Juli steht: „Der Jude sagt in Bezug auf seinen Feind: Herr, ich bitte nicht um Rache, ich bitte nur um ein langes Leben"; unterm 19. März 1859: „Ob es Freunde wie Orest und Pylades gegeben hat, mag zweifelhaft sein, aber Freunde wie Tubal und Shylock sterben nicht aus."

Von allgemeiner Bedeutung ist eine Aufzeichnung vom 1. April 1859: „Im Juden liegt eine nicht zum zweiten Male vorkommende höchst eigentümliche Mischung von kaustischem Verstand und von symbolisch-allegorischer Phantasie. Er musste darum groß im Religionsstiften sein, denn sein Verstand gestattete ihm nicht, an dem Grundgeheimnis der Welt mit zugedrückten Augen vorüberzugehen und seine Phantasie war besser geeignet, wie die irgendeines andern Volkes, es visionär zu lösen." Wir glauben heute, nachdem wir die sumerisch-akkadische Kultur kennen gelernt haben, nicht mehr recht an eine selbständige, schöpferische jüdische Phantasie, und auch Hebbel wurde noch anderer Ansicht — unterm 4. März 1860 schreibt er: „Der berühmte Theologe de Wette behauptete analog [der Wolffschen Theorie über Homer, was übrigens nicht zusammenstimmt], die 5 Bücher Mosis seien eine Sammlung von Bruchstücken, unabhängig voneinander entstanden und erst von einem zur Zeit des Exils lebenden Schriftsteller zu einem epischen Gedicht zusammengereiht, welches die Theokratie verherrlichen sollte" (Ahnung der Wellhausenschen Forschungen); und unter dem 1. Juni 1862 lesen wir: „In einem jüdischen Kalender, der vor mir liegt, heißt es: Zu dem Gedankeneines ,Weltschöpfers' hat sich die heidnische Philosophie nie aufgeschwungen: das war uns vorbehalten." Ich möchte dies ausdrücken: „Zu dem Gedanken eines Weltschöpfers ist die Philosophie der Alten nie herabgesunken, vor diesem Krassesten aller Anthropomorphismen hat sie ihr gesunder Instinkt immer glücklich bewahrt." Wie man weiß, hatte auch Schopenhauer die denkbar niedrigste Meinung von der religiösen Begabung der Juden.

Im Jahre 1862 auf seiner Reise nach England lernte Hebbel, wie es scheint, auch einen jüdischen Mädchenhändler Kennen: „Im Gasthof das Diner mit den wunderschönen Kindern. Ich glaubte in eine Gemäldegalerie statt in eine Wirtsstube gekommen zu sein, als ich diese vier Mädchen mit ihren feinen Alabastergesichtern und ihren Goldlocken um den Tisch herumsitzen sah. Mit ihnen war ein Jude, grundhässlich und schwarzbehaart wie ein Neger, der sich als Vater gebärdete, und vor dem sie, wie deutlich zu bemerken, zitterten und bebten." — Daneben mag denn gleich der „ehrliche Jude in Köln" stehen (Brief an Christine Hebbel vom 2. Mai 1857). der Hebbel für 100 fl. nur 60 Taler geben wollte, während er in Leipzig 64 erhielt. „Als ich ihm dies bemerkte, erwiderte er verdrießlich: ,Die Leute verstehen das Geschäft nicht', legte aber sogleich noch 3 Taler darauf. Ist das nicht gut?" — Als Hebbel 1858 über einen Aufenthalt in Krakau (wegen seines „Demetrius") berichtete, sprach er auch von „vermaledeiter Judenwirtschaft", und vor dem Kriege von 1859 schrieb er: „Ausbrechen wird er gewiss, obgleich die hiesigen [Wieners] Börsenjuden seit ein paar Tagen wieder mit Palmen handeln." Ganz interessant ist noch die historische Nachricht, dass der Jude Dr. Weil, Redakteur der „Stuttgarter Zeitung", den Heine, freilich nur, um sich selbst zu decken, als von Guizot mit 18.000 Francs jährlich bestochen brandmarkte, später österreichischer Regierungsrat war: „Also daher der dicke Wanst, Herr Regierungsrat?" Man sieht, Hebbel erwarb sich nach und nach die Kenntnis so ziemlich aller modernen Typen des Judentums, und da er nun auch noch mit seinem einzigen wahren Freunde Emil Kuh eine schlechte Erfahrung machte, so ist es kein Wunder, dass die humanistische Anschauung über die Juden zum Schluss seines Lebens immerhin etwas ins Wanken kam.

Die Männer, mit denen er geistig in den letzten Jahren am meisten verkehrte, waren keine Juden. Da ist zunächst Franz Dingelstedt zu nennen, der ja zwar nicht gerade Antisemit war, aber das Judentum ganz genau kannte und sich durchaus nicht scheute, es auch öffentlich zu verspotten. Man kennt ja heute allgemein wieder sein Gedicht aus dem „Nachtwächter" „Aus Kleinen Wurzeln sprossen starke Bäume" mit der Schlussstrophe:

„Wohin ihr fasst, ihr werdet Juden fassen,
Allüberall das Lieblingsvolk des Herrn!
Geht, sperrt sie wieder in die alten Gassen,
Eh' sie euch in die Christenviertel sperr'n" —
man lese auch in einer seiner Novellen die köstliche Schilderung eines „vornehmen" Juden, in seinen Reisebriefen die einer badenden Judenfamilie und in seinen Erinnerungen die Verulkung Mosenthals — er kannte eben als geborener Hesse Keine Judenfurcht und wird auch gegen Hebbel sich oftmals über das Volk Gottes lustig gemacht haben.

Der Freiherr Friedrich von Uechtritz, neben Dingelstedt Hebbels bedeutendster Korrespondent in dieser Zeit, war überzeugter Christ, und Hebbel, der es längst nicht mehr war, hat mit ihm (wie mit dem Pfarrer Luck) einen großen Kampf über das Christentum ausgefochten, als dessen Ergebnis der Satz: „Das Christentum ist mir eine Mythologie neben anderen und nicht einmal die tiefste" gelten darf. Immerhin hat Hebbel 1856 geschrieben: „Wenn das Christentum sich auch nur als das zweckmäßigste und unwiderstehlichste Organisations- und Zivilisations-Institut vor der Vernunft legitimierte, wäre es damit nicht genug legitimiert?", und 1862, nach dem Kampf mit Uechtritz, lautet es noch bei ihm: „Die Gegner des christlichen Prinzips, die es aus Gründen der Schönheit sind, wie Heinrich Heine [bei dem übrigens doch auch der alte Judenhass mitspielt], sollten sich doch fragen, ob denn die Welt der Resignation, der freudigen Entsagung, nicht ihre eigentümliche Schönheit habe und ob sie diese auslöschen möchten." Man darf Hebbel nie einseitig sehen. — Sein Verkehr in Wien bewegte sich in der letzten Zeit vor allem in deutschen Hofrats- und Professoren-Kreisen, obgleich die alten Verhältnisse zu Frankl, Kompert, Glaser immerhin bestehen blieben. Nur der Hofrat Lewinsky, den Kuh als geistreichen Lebemann schildert, dürfte Jude gewesen sein, Eitelberger, Nordberg, Bonitz sind es zweifellos nicht und ebensowenig die Professoren Brücke, Ludwig usw.. Was eigentlich die Ursache des Bruches zwischen Hebbel und Kuh war, wissen wir nicht — Kuh selber schreibt: „Die Neigung, die ich für eine Schauspielerin [die Würzburg] fasste, und wodurch die erste ernste Kollision zwischen Hebbel und mir sich ergab, hatte das innere Verhältnis bereits auf bedenkliche Weise getrübt. Mit dem Hervorbrechen einer Leidenschaft, wenige Jahre später, für meine nunmehrige Frau [Adele Ferrari, die übrigens als Frau Kuh bei Hebbel verkehrte] empfing das Verhältnis den ersten Stoß. Meine Lebensumstände verschoben sich, ich wechselte sogar den Aufenthaltsort, der springende Punkt meines Daseins war nicht mehr Hebbel: ich fing an, mir meine eigenen Ziele abzustecken. Während eines harten Wortwechsels bestritt mir Hebbel das Recht der Selbstbestimmung und dicht an mich herantretend, zitierte er die Worte aus dem „Wallenstein": „Gehörst du dir? Bist du dein eigener Gebieter? Stehst frei du in der Welt, wie ich, dass du der Täter deiner Taten könntest sein? Auf mich bist du gepflanzt —" Ein verändertes und dabei menschlich fruchtbares Verhältnis war nicht möglich: dies spürte ich. Und so riss denn eines Tages (Januar 1860) der Faden ab." Hebbel hat eine Einzeichnung in sein Tagebuch gemacht, die aber ausgeschnitten und unlesbar gemacht worden ist (s. Wernersche Ausgabe. Bd. IV S. 173). wahrscheinlich doch von Kuh selber. An Debrois van Bruyck, der mit Kuh ging, schrieb Hebbel: „Sie und Ihr Freund, in dessen Namen Sie teilweise mitreden, haben die fetten zehn Jahre der Produktion, der nie stockenden Lebensfülle, der Gesundheit und des Glücks mit mir geteilt. Nun die mageren vor der Tür stehen, nun Alter, Krankheit, Lebensüberdruss usw. sich melden, wenden Sie mir den Rücken und beziehen sich dabei auf eine Charaktereigenschaft, die Sie am ersten Tage entdecken mussten, und die mich, je nachdem man den hohen oder den niederen Stil liebt, den unschädlichen Dämonen oder den gutmütigen Polterern anreiht, da ich in meinen nordischen Beserkeranfällen, die ich keineswegs zu leugnen oder zu beschönigen gedenke, noch nie zum letzten Wort gekommen bin, ohne, wie Sie beide recht gut wissen, mir selbst zu sagen: Das ist ja alles nicht wahr! und jede mögliche Genugtuung zu geben." Vielleicht spielte doch der stärker hervortretende Unterschied der Rasse zwischen Hebbel und Kuh mit, man vergleiche nur einmal die von Kuh (Biographie II, 638) geschilderte Szene, die als tragikomisch hingestellt wird, aber es wohl doch nicht ist: „Ein junger Mann hatte Hebbels Vorlesung des ,Gyges' beigewohnt und dem Dichter tagsdarauf einen begeisterten Brief über dieses Drama geschrieben mit allerlei Seitenblicken auf Herodot und die hellenischen Tragiker. Hebbel sprach mit mir über den ,sehr einsichtigen Brief', fügte aber plötzlich spaßhaft hinzu: es sei doch eigen, dass der Verfasser desselben gleich nach der Vorlesung sich entfernt und nicht an dem Abendessen teilgenommen habe. Das Unwohlsein sei vermutlich ein vorgeschütztes und der wahre Grund seines Fortgehens der gewesen, dass er in der Passahwoche nicht habe gesäuertes Brot essen wollen." „Es ist so. Was Sie doch für ein Auge haben!" rief ich erstaunt und ahnte nicht, dass ich damit Pulver verstreue. „Wie!" fuhr er in die Höhe, „was ich als einen Scherz vorgebracht, was ich ja gar nicht für möglich halten konnte, das war also wirklich das Motiv seiner Weigerung, mit uns zu soupieren! Seine Leibschmerzen sind nur Komödie gewesen, und solch ein Individuum wagt es, meine Schwelle zu überschreiten und sich mein reinstes Drama vorlesen zu lassen? Ein Stockjude wagt es, mir seine Ansichten über griechische Mythen und Sitten auseinanderzusetzen! Unerhört, ganz unerhört!" Ich suchte Hebbel zu begütigen, den jungen Mann zu verteidigen, umsonst. Hebbel blieb stehen, stemmte die Arme in die Seiten und fing nur um so fürchterlicher zu rasen an. „Hund, verfluchter, ich hatte dich für meinesgleichen, nämlich einen Menschen gehalten! spielst du aber den Juden gegen mich aus, indem du nicht mit mir essen willst, dann spiele ich gegen dich den Christen aus, dann rufe ich: nieder mit dir, Paria, lecke mir die Schuhe ab, denn ich bin der Aristokrat und du bist der Knecht! ich sitze am Herrentische der Kultur und du an dem Gesindetische der Geschichte." Wie Kuh Hebbel dann wieder beruhigte, möge man in seinem Werke nachlesen. Natürlich war es nicht der Christ Hebbel, der hier sprach, sondern der Germane. Ob er ganz recht hatte, will ich nicht untersuchen — jedenfalls ist aber das Mitreden des Juden in uns Ariern heiligen Dingen, wenn er die Gemeinschaft mit uns im Grunde nicht anerkennt, eine höchst bedenkliche Sache. — Der Bruch mit Kuh traf Hebbel ziemlich schwer, er sprach von Schmarotzer, Verräter, einmal sogar von Judas Ischarioth, und ich gebe auf die Versöhnung auf dem Totenbette nicht allzuviel. Glücklicherweise kamen bald die Ehrungen durch den Weimarer Hof für den Dichter: im besonderen halte ich es für außerordentlich wertvoll, dass er 1862 Gast des Großherzogs Karl Alexander und der Großherzogin Sophie in Wilhelmsthal sein durfte und so vornehmste deutsche Kulturmenschen kennen lernte.

Die Wendung zum modernen deutschen Nationalismus, wie wir ruhig sagen dürfen, war bei ihm seit 1848 immer stärker geworden. Zeugnis dafür sind die Gedichte an Kaiser Franz Josef und König Wilhelm bei Gelegenheit der auf sie verübten Attentate — das letztere mit der Wendung:

„Auch die Bedientenvölker rütteln
Am Bau, den jeder tot geglaubt,
Die Tschechen und Polacken schütteln
Ihr struppiges Karyatidenhaupt"

machte hervorragendes Aufsehen und brachte Hebbel von den Tschechen den Anwurf, Jude zu sein, ein, den ihm übrigens schon früher einmal ein Katholisches Presseerzeugnis gemacht, und der ihn ziemlich gleichgültig ließ. Schon 1849 schrieb Hebbel an Gustav Kühne nach Leipzig: „Ich bin für Preußen und seine Bestrebungen." 1850 äußerte er sich gegen Campe: „Überhaupt muss ich Ihnen sagen, dass Deutschlands Schmach und Missgeschick mich drückt wie ein persönliches Leid, und dass ich erst seit dem schmählichen Umschwung der Dinge, der uns in den tiefsten Abgrund hinunterwirbeln zu sollen scheint, das natürliche Band kenne, was den Menschen mit seinem Vaterlande verknüpft": 1861 meint er zu Uechtritz: „Dass König Friedrich Wilhelm seiner Leiden endlich ledig geworden ist, war gewiss auch in Ihren Augen ein Glück für ihn; die Proklamation seines Nachfolgers hat mir in ihrer einfachen Gediegenheit sehr gefallen. Möge er über Deutschland wachen und dem hohlen Kosmopolitismus am rechten Ort und in der rechten Stunde mannhaft entgegentreten"; noch in demselben Jahre endlich schreibt er an Strodtmann: „Diese Blindheit für Kern und Wesen und dieser Enthusiasmus für den hohlen Schein flößen mir nur ernste Besorgnis für die Zukunft des deutschen Volkes ein, und ich halte sie für gefährlicher als Napoleon III. und Nebukadnezar zusammen genommen." Da hat er ja wieder richtig empfunden, und es ist anzunehmen, dass er auch noch für Kern und Wesen der Juden das rechte Verständnis erhalten und den hohlen Schein, mit dem sie das deutsche Volk täuschten, erkannt haben würde.

In seiner Besprechung der antisemitischen Schrift von H. Naudh „Die Juden und der deutsche Staat", die noch heute wieder neugedruckt worden ist, für die „Illustrierte Zeitung" 1861 heißt es: „Er, Naudh, bestrebt sich ein psychologisch-historisches Bild des Juden, wie es sich teils in den heiligen Urkunden, die von ihm selbst herrühren, unmittelbar reflektiert, und wie es sich teils aus den Zeugnissen fremder Völker herstellen lässt, in möglichst scharfen Umrissen zu geben, und seine Bemerkungen sind in der Regel ebenso richtig und unparteiisch, als die Schlüsse, die er aus ihnen zu ziehen sucht, falsch und ungerecht. Er hat es darin versehen, dass er den Juden nicht wieder in den Orientalen auflöste und so auf die allgemeinen Naturbedingungen zurückführte, denen gegenüber alle Zurechnung aufhört, weil ein unendlich weit höherer Kalkül beginnt; jedenfalls aber regt sein Büchlein zum ernsten Nachdenken an, und auch dem Juden selbst wird es nicht schaden, wenn er sich gründlich damit beschäftigt." Auch wir sind ja noch der Anschauung, dass dem Juden, soweit er Orientale ist, gegenüber alle Zurechnung aufhört (obgleich wir seine Züchtung nun auch in Anschlag bringen), aber, da er unter uns lebt, kommen wir von den allgemeinen Naturbedingungen wieder zu den historischen und zeitlichen Realitäten und finden natürlich Naudhs Schlüsse durchaus nicht mehr falsch und ungerecht. — Man darf, wenn man Hebbels Verhältnis zu den Juden beurteilt, auf keinen Fall vergessen, dass er bereits 1863 gestorben ist. Auch Richard Wagner hat in seinem Aufsatz „Das Judentum in der Musik" noch die Auffassung vertreten, dass Börne die Erlösung vom Judentum zum wahren Menschen gelungen sei, und in den an die Muchanoff gerichteten Zusätzen von 1869 an seiner „Erquickung durch die großen Begabungen des Herzens wie des Geistes" geredet, die ihm aus der jüdischen Sozietät entgegengekommen sei. Erst 1881, nach der Bekanntschaft mit Gobineau kommt es zu der berühmten Bezeichnung des Judentums als des plastischen Dämons des Verfalls der Menschheit.

Hebbel ist auf dem Gebiet der Judenfrage vor allem als scharfer Beobachter, dann auch als großer „Ahner" zu betrachten, endlich als wirklichen Mitleber, der den jüdischen Fangarmen gar nicht entgehen kann, aber, von ihnen umstrickt, nun auch nicht unwichtig für unsere, der Nachlebenden schärfere Erkenntnis wird. Auch die ihm nahestehendsten Juden haben sich zuletzt doch als echte Juden erwiesen: Kuh (1- 1876), der dann seine Biographie, ein immerhin schätzenswertes (heute freilich einer Überarbeitung bedürftiges) Werk, schrieb, aber sonst nichts Bedeutendes mehr leistete und damit bewies, dass Hebbel ihn richtig beurteilt hatte, Bamberg († 1893), der sich mit Glasers Hilfe der Tagebücher und Briefe Hebbels bemächtigte, mit ihnen nun aber auch ziemlich eigenmächtig verfuhr, herausriss, ausradierte und unleserlich machte (man vergleiche die Anmerkungen in der Wernerschen Ausgabe der Tagebücher) und seine jüdische Eitelkeit bei der Aufsehen machenden Herausgabe immerhin auch zu befriedigen wusste, Sigmund Engländer († ?), der uns Deutschen in der Schrift „Aus einer deutschen Botschaft" von Emil Witte zuletzt als Anarchist und Haremsbesitzer entgegengetreten ist. Wir vernünftigen Deutschen wissen nun, dass reinliche Scheidung von allen Juden und allem Jüdischen für uns Deutsche immer das Beste ist, und um dies auch die noch weniger vernünftigen zu lehren, habe ich Hebbels ganze Erlebnisse mit den Juden, die durchweg bezeichnend sind, hier so ausführlich gegeben.