In Wien 1845—1850

Die Rückkehr Hebbels aus Italien sollte über Wien nach Berlin gehen, er blieb aber, im November 1845, in Wien haften, da sich dort zwei polnische Grafen seiner annahmen und er die Liebe der Hofburgschauspielerin Christine Enghaus gewann. Diese heiratete er am 26. Mai 1846 und hatte nun eine seiner würdige Existenz. Eine Zeitlang war er in Wien der Mann des Tages oder, wie er sich selbst ausdrückt, der „Lion" — seine „Maria Magdalene" machte eben damals in Deutschland mächtiges Aufsehen, wie er denn nun überhaupt anfing, als Dichter zur Geltung zu gelangen — aber lange währte das nicht. Schon im Oktober 1846 schrieb er an Bamberg: „Die ,Empfänglichen', die sich bei meiner Ankunft in Wien zu mir drängten, haben sich in Würmer verwandelt und die Würmer zum Teil in Schlangen. Niederträchtigkeiten sondergleichen habe ich erlebt." Im Tagebuche ist statt von „Empfänglichen" einfach von „Wiener Literaten" die Rede, und dort steht, unterm 30. November 1846, auch schon die allgemeine Anwendung: „In meinen Augen ist die Journalistik eine große Nationalvergiftung. Die Folgen derselben werden schrecklich sein, denn sie wird, je mehr sie sich verbreitet, um so schlechter und ist schon jetzt fast ganz entsittlicht." Das ist eine der Prophezeiungen Hebbels, deren Wahrheit wir inzwischen erkannt haben, und wir scheuen uns natürlich nicht, dem Judentum den Anteil an der Nationalvergiftung zuzuschieben, der ihm gebührt.

Wie man Hebbel in Wien durch allerlei „Komische" Anekdoten, die vor allem sein übertriebenes Selbstbewusstsein beweisen sollten, lächerlich zu machen suchte, kann man z. B. aus den Erinnerungen des Halbjuden Eduard Hanslick ersehen, der sich Hebbel auch einmal näherte, dann aber fortblieb, und als er darauf wiederkam, von Hebbel ziemlich schroff abgewiesen wurde (vgl. den Brief an Karl Debrois van Bruyck, 4. Dezember 1857) — was augenscheinlich bis in die „Erinnerungen" nachgewirkt hat.


Zu den berühmten und geschätzten Österreichern, zu Grillparzer vor allem, bekam Hebbel kein Verhältnis, und das ist, so verständlich es bei der natürlichen Verschiedenheit der Österreicher und Norddeutschen erscheint, sehr zu bedauern. Immerhin hat er sich in Wien nach und nach durchgesetzt, zum Teil mit Hilfe junger jüdischer Freunde — die scharfe Witterung für alles Bedeutende kann man den Juden ja nicht absprechen, so infam sie es auch bekämpfen, wenn es sich ihnen feindlich erweist. Man muss also, wenn man Hebbels Verhältnis zum Judentum in seiner Wiener Zeit richtig beurteilen will, immer bedenken, dass er in einem schweren Kampfe um seine dichterische Geltung stand und ohne die jüdischen Freunde vollkommener Isolierung verfallen wäre. Dass er trotz scheinbaren Philosemitismus doch im tiefsten Innern nach wie vor echt deutsch empfand und die germanische Abneigung gegen das Judentum öfter expulsiv hervortrat, gegen das Ende zu sogar wieder Konsequenz gewann, ist daneben gar nicht zu übersehen und aus Tagebüchern und Briefen wohlbelegbar.

Schon lange spielte das Judentum in der österreichischen Kaiserstadt eine große Rolle, hatte doch beispielsweise bereits Theodor Körner in den Salons der Frau von Arnstein und ihrer Tochter, der Frau von Pereira, verkehrt und die schöne Jüdin Marianne Saaling besungen. Hebbel ward in den Schriftstellerverein Konkordia und in den juridisch-politischen Leseverein eingeführt, besuchte den letzteren ziemlich häufig und lernte da selbstverständlich alle jüdischen Größen Wiens kennen. Dann kam er natürlich auch als Gatte einer Schauspielerin mit allerlei Juden in Berührung. Wir wollen hier zunächst Moritz Gottlieb Saphir in seinem Verhältnis zu Hebbel vorführen. Von Geburt bekanntlich ein ungarischer Jude, hatte er in Budapest, Wien, Berlin und München meist sehr üble Journale herausgegeben und war 1834 wieder nach Wien gekommen, wo er dann den „Humoristen" redigierte. Grillparzer, der mit ihm einmal zusammen geriet, hatte auf ihn das folgende Epigramm gemacht:

„Der Teufel wollte einen Mörder schaffen
Und nahm dazu den Stoff von manchem Tiere:
Nur eins vergaß der Ehrenmann: den Mut.
Da drückt' er ihm die Nase ein voll Wut
Und rief: Lump, werd' ein Jud' und rezensiere!"

Da hat er freilich den Kalauernden Hanswurst fast etwas zu ernst genommen. Hebbel schrieb über diesen, mit dem er 1848 in einer Deputation der Konkordia nach Innsbruck gereift war (allerdings war Saphir dann „wegen Unpässlichkeit" in Linz zurückgeblieben), 1850 an Gustav Kühne: „Aber lieber, bester Kühne! Was fällt Ihnen ein, dass Sie von Saphirs Geschimpf in der Allgemeinen Zeitung Notiz nehmen? Glauben Sie denn, dass es Ihnen in ganz Wien bei irgendeinem Menschen schadet, wenn er nicht zufällig ein Fiaker ist? Von Deutschland will ich nun gar nicht reden. Dem Dieb mussten Sie allerdings eine auf die Pfote geben, denn Sie konnten sich nicht bis zum Jüngsten Tage plündern lassen, aber jede weitere Replik durften Sie sich ersparen. Wissen Sie, wie ich es gemacht habe? Falstaff wird nicht müde, mich anzugreifen und herauszufordern, denn ein Kampf mit einem anständigen Manne ist immer eine halbe Rehabilitierung für ihn. Aber ich nahm nur einmal Notiz davon, und das, um ihn zu loben, um seine Bajazzogaben feierlich vor aller Welt anzuerkennen. Glauben Sie mir, die Verachtung, die hierin lag, hat ihn härter getroffen, als wenn ich Front gegen ihn gemacht hätte, denn dass dies der Ausdruck meiner völligen Gleichgültigkeit war, hat er denn doch gefühlt. Und ich bin wirklich nicht bloß gleichgültig gegen ihn, ich zürne ihm nicht einmal, obgleich ich mich sonst wahrlich der Homerischen Unnahbarkeit nicht rühmen kann. Aber diesen Menschen betrachte ich als die komische Nachgeburt des Hannibal, von dem Livius berichtet, dass der Unterschied zwischen Gut und Böse für ihn gar nicht vorhanden gewesen sei. In der Tat: gerade so steht es mit Saphir: seine Naivität geht ins Unglaubliche und söhnt mit seinem Treiben wieder aus, weil man einen Witz der Natur in ihm vor sich hat. Er ist eine Aufgabe für den Komiker." Der Artikel, auf den Hebbel hier anspielt, war eine Besprechung von M. G. Saphirs „Volkskalender und Silvesterbüchlein" in der Wiener „Reichszeitung", deren Feuilleton Hebbel einmal redigierte, und es findet sich da wirklich der Satz, dass Saphir „einer unwiderstehlichen Naturnotwendigkeit gehorcht, wenn er gerade die verzerrten und schiefen Seiten an Dingen, Personen und Verhältnissen auffasst und hervorhebt, dass er gar nicht anders Kann, wenn er durch seine Einfälle das Größte und das Kleinste miteinander verknüpft."

Das Spezifische in Saphir wird dann auch mit Recht auf eine tiefe nationale Wurzel zurückgeführt, aber die Wurzel liegt für uns noch weit tiefer als für Hebbels wenn er meint: „Es ist nicht zufällig, dass gerade die jüdischen Schriftsteller der neueren Zeit bis jetzt so witzig waren, und es ist, wie die Bibel beweist, wahrlich nicht auf Palästina zurückzuführen. Wer immer gebückt und geduckt gehen, wer den Kopf immer zwischen den Schultern tragen muss und nur blinzeln darf, dem verschieben sich die reinen, runden Linien des Universums ganz von selbst zum scharfkantigem Zickzack, doch das nimmt mit der Ursache selbst natürlich ein Ende. Die Emanzipation wird den Juden in jeder Beziehung zum Heil gereichen, aber ihrem Witz wird sie schaden." Wir sehen heute, dass der Judenwitz womöglich noch frecher geworden ist, und führen ihn nun auf die in der Natur der Juden liegende Pietätlosigkeit oder, um mit Schopenhauer zu reden, die vollständige Abwesenheit aller verecundia, zurück, die wir übrigens auch schon im Alten Testament entdecken. — Hebbel scheint dann mit Saphir sogar gesellschaftlich verkehrt zu haben — das Tagebuch. 13. Oktober 1853. schildert einen „sehr fröhlichen Abend" bei diesem — und als Saphir nach Paris reiste, gab er ihm einen Empfehlungsbrief an seinen Freund Bamberg mit, der freilich beinahe Verulkung ist. Zum letzten Male wird dieser Jude († 1858) bei Hebbel im Tagebuch 9. Juni 1863 erwähnt, als er die Moritz-Ruhe ersteigt, „eine Anhöhe mit einem kleinen Holzpavillon, welche das dankbare Baden (bei Wien) dem Genius Saphirs gesetzt hat, aber bei Lebzeiten, als er die Zähne noch zeigen konnte". „Die Aussicht ist schön," heißt es dann weiter, „allein aus dem zum Einzeichnen aufgelegten Album sind die Zwangshuldigungen der ersten Jahre herausgeschnitten und den neuen Raum füllen schlechte Witze von höchst unschmeichelhafter Natur. Sic transit gloria mundi".

Eine der ältesten Wiener Bekanntschaften Hebbels war der aus Böhmen gebürtige deutsch-jüdische Dichter Ludwig August Frankl, der es bis zum Präses der israelitischen Kultusgemeinde in Wien, „Nasi des heiligen Landes" (infolge seiner Reisen nach Palästina) und Ritter von Hochwart brachte. Er hat Wien 1884 einen Beitrag „Zur Biographie Hebbels" veröffentlicht, der sein Verhältnis zu dem Dithmarscher Dichter ausführlich darstellt. Seine Auffassung des Hebbels der ersten Wiener Zeit ist noch die — ich möchte „jüdische" sagen, als nordischer Berserker, die seit Veröffentlichung der Tagebücher doch nicht mehr haltbar erscheint: dem späteren Hebbel wird er einigermaßen gerecht. Hebbel führt ihn in den Tagebüchern öfter als Autorität für Orientalisches an. Die Bemerkung Tagebuch 29. August 1847: „Leute, die für ihre Gedichte Brillantringe empfangen und nachher schlecht rezensiert werden, haben ihre Antikritik in [an] der Hand. So Herr Dr. Frankl, der Verfasser des ,Don Juan'" lässt eine gewisse Gereiztheit, von der Frankl auch berichtet, aber auch Erkenntnis durchblicken. Überhaupt durchschaute Hebbel Frankl, man vergleiche die bei der Beerdigung Josef von Hammers geschilderte Szene (Tagebuch. 1. Januar 1857): „Frankl (mir ins Ohr): „Ich habe eine Handvoll Erde aus dem Tal Josaphat in der Tasche und werde sie auf den Sarg werfen (er dachte daran, wie hübsch sich das in einem Gedicht ausnehmen würde)" und die Stelle über den Prolog für das Theater am Kärntner Tor (Tagebuch, 20. Februar 1863): „Frankl sagte mir das später: er weiß solche Dinge [die einen ärgern müssen] immer genau und teilt sie gern mit." Die Briefe Hebbels an Frankl beginnen mit einem Dankschreiben für ein Geschenk zum 45. Geburtstage; es sind 11 Stück im ganzen, die alle den zwischen den Häusern Hebbel und Frankl stattfindenden gesellschaftlichen Verkehr verraten. Der literarisch wichtigste ist der vom 18. Juli 1860, in dem Hebbel Frankls bestes Werk, die poetische Erzählung aus dem jüdischen Leben „Der Primator" bespricht. „Ihr Gedicht ist so wenig jüdisch als christlich," heißt es da u. a., „der Leser bleibt frei und braucht keine der fixen Ideen, die den Helden und seine Widersacher bewegen, zu teilen, um es zu genießen". Menschlich am wertvollsten erscheint der Brief vom 2. August 1862, in dem Hebbel Frankl über den Tod seines ältesten Sohnes tröstet. Manche Briefe sind auch geschäftlich, wie denn Hebbel u. a. ein Werk Frankls an Campe empfahl. Bei der letzten Erwähnung im Tagebuch heißt es: Freund Krankl.

Weniger erbaulich ist das Kapitel Salomon Hermann Mosenthal bei Hebbel. Dieser kam 1842 als Erzieher in das Haus eines Bankiers nach Wien und erhielt von Bamberg, der ja die ganze jüdische Welt kannte, eine Empfehlung an Hebbel. Aber er merkte natürlich bald, dass ihm dieser wenig nützen könne, und schlug sich zu dessen Gegnern, weswegen denn Hebbel in dem Brief vom 3. Februar 1849 an Bamberg schon von einer „Klique, in der auch Ihr trivialer Mosenthal steckt", redet. Ganz deutlich wird er in dem Briefe vom 6. März 1849: „Bei dieser Gelegenheit noch ein letztes Mal über Monsieur Mosenthal. Dass der Bursche nichts lernen kann, hätte ich ihm so wenig übel genommen, als ich es dem Distelbusch je verübeln werde, dass er auch im Sonnenschein nicht Rosen trägt. Aber er ist ein mauvais sujet, das sich mit einigen andern Mittelmäßigkeiten verbunden und sich zu meinen schmutzigsten Feinden gesellt hat. Namentlich über die Erzählung („Die Kuh") hat dies Gesindel seinen Geifer ausgespritzt: später dann auch — und gerade diese Bande allein, in einem von ihr gestifteten und freilich nach sechswöchigem Bestande wieder eingegangenen Schandblatt, der „Patriot" genannt — über die „Judith", sogar über die einstimmig vom Publikum, Kritik und Schauspieler-Personal für ein unerreichbares Maximum erklärte Darstellung meiner Frau." In Bezug auf seine Frau verstand Hebbel ja am allerwenigsten Spaß. Nun, Mosenthal zeigte ihm kurz darauf, dass er doch etwas gelernt hatte, indem er seine berühmte „Deborah" gab, die freilich für einen deutsch empfindenden Menschen höchst schauderbar ist, aber trotzdem einen Triumphzug durch ganz Deutschland machte. So meinte der Berliner Ästhetiker Prof. Rötscher denn auch 1851. Frau Hebbel solle in Berlin auch die Deborah spielen, und der Verfasser der „Judith" hatte nicht einmal etwas dagegen. Natürlich, er durchschaute Mosenthal: „Ein greuliches Machwerk," schrieb er seiner Frau (10. März 1852) über dessen späteres Drama „Ein deutsches Dichterleben", „aber Klug zusammengestellt und ganz auf den großen Haufen berechnet. Ja, ja, solchen Leuten gehört die Welt und das Gelb: so war's und so wirds bleiben". Aber er nahm dann doch Rücksicht auf den einflussreichen Mann, dessen Schwiegervater Regierungsrat Dr. Karl Weil in der Wiener Staatskanzlei saß und Darmstädtischer Generalkonsul war, und der es selber zum Regierungsrat und Ritter von M. brachte, und lobte in seinen „Wiener Briefen" für die „Leipziger Illustrierte" und Strodtmanns „Brion" Mosenthals „Deutsche Komödianten" und „Düveke", bedingungsweise auch „Die gefesselte Phantasie", während er Franz Nissels gleichzeitig hervorgetretenen „Parseus von Mazedonien" verdammte. Das tut einem als Deutschen weh, und es ist ein schwacher Trost, dass er Mosenthal, wie Frankl berichtet, gesprächsweise mit dem treffenden Worte: „Er zählt durchaus nicht zu den ersten Schülern der Birch-Pfeiffer" abtat.

Hoffnungen setzte Hebbel anfänglich auf den taubstummen und später auch blinden mährischen Juden Heinrich (?) Landesmann, pseud. Hieronymus Lorm, der ihm nach der Aufführung der „Judith" 1849 in einem Briefe sagte, dass er trotz seiner Taubheit den erschütterndsten Eindruck mit fortgenommen habe, und dann Bamberg gegenüber als „einer unserer besten Köpfe" behandelt wurde. Aber Lorm wurde noch 1849 der Schwager Bert hold Auerbachs, und Hebbel und Auerbach verhielten sich etwa wie Feuer und Wasser zueinander, so dass nun auch Lorm umschwenkte. Er wird dann in den Briefen an Dingelstedt von Hebbel ziemlich bös hergenommen: „Der arme taubstumme Lorm". „Der Jude Lorm nannte in der ,Wiener Zeitung' Herrn Redwitz neulich einen zweiten Jesaias", „Es wäre doch schlimm, wenn ein Buckel oder Taubheit und Halbblindheit als Freipass für jede Niederträchtigkeit gelten müsste", „Der elendeste aller Elenden". Über die Erfahrungen, die Hebbel mit Auerbach selber machte, werden wir bei der Darstellung der Wiener Ereignisse 1848/49 aus einem Briefe an Adolf Scholl von 1863 hören; dort taucht auch Lorm noch einmal wieder auf.

Gelegentlich bei Hebbel erwähnt wird noch eine größere Anzahl österreichischer Juden. Vorübergehend war August Lewald in Wien — nach einer kurzen Annäherung doch auf der Hebbel feindlichen Seite. Ob der von Hebbel einmal erwähnte Karl Ferdinand Dräxler-Manfred aus Lemberg, der Redakteur und dann Dramaturg in Darmstadt war und ziemlich viele französische Dramen übersetzte, einer war, weiß ich nicht, sicher aber war es Ignaz Kuranda, der Begründer der „Grenzboten", der sich zu „Maria Magdalene" ganz vernünftig stellte, dann aber nach Hebbel einer der „Unbedingten" Laubes wurde und Klatsch über Hebbel verbreitete. Der Ghetto- und Revolutionsdichter Siegfried Kapper kommt bei Hebbel nur einmal, gelegentlich einer Feier vor. Häufiger erwähnt wird Alfred Meißner, bei dem man ja entferntere jüdische Herkunft annimmt. Er war bekanntlich auch in Paris und schrieb über Heinrich Heine, dann stark sozialistische „Pariser Studien". 1852 Kam er nach Wien und Hebbel berichtete an Bamberg: „Jetzt ist Alfred Meißner hier, der mir persönlich in sehr hohem Grade gefällt. Es ist schade, dass er seine „Pariser Studien", die ja nur eine Durchgangsepoche seiner Entwicklung bezeichneten, nicht zurücknehmen kann: er ist ganz anders wie sein sozialistisches Buch, und doch wird dieses noch lange für sein Portrait gelten müssen." An Dingelstedt schrieb Hebbel ähnlich und gab dabei ein Urteil über Meißners „Reginald Armstrong" ab. Er nannte Meißner ein respektables Talent, musste es aber natürlich ablehnen, wenn Heine Meißner als Dramatiker neben ihn stellte. Später kritisierte Hebbel (in den „Literaturberichten" für die „Illustrierte Zeitung" 1857) Meißners Roman „Die Sansara", den er Meißners bestes Buch nannte: „Diese ,Sansara' ist der erste deutsche Roman, bei dem die Verwahrung gegen die unbefugte Übertragung ins Französische und Englische uns nicht geradezu lächerlich vorkam: er ist vollkommen geeignet, auch jenseits des Rheins, wo er nur mit den Herren Sue und Dumas Konkurriert, Leser zu finden." Wir wissen ja nun, dass Meißners Romane nur Bearbeitungen von Originalen Franz Hedrichs sind. Übrigens wies auch schon Hebbel Meißner eine Entlehnung nach (Tagebuch 1853).

Sehr unsympathisch war Hebbel, wie es scheint, der böhmische Jude Moritz Hartmann — „hat hier doch ein gewisser Hartmann." schrieb er 1849 an Gurlitt, „ein Mensch, den Deutschland deswegen einen Dichter nennt, weil er nicht denken kann, und der mit im Frankfurter Parlament sitzt, ganz naiv gegen einen meiner Bekannten erklärt, der Idealzustand sei der, wo jeder tun könne, was ihm beliebe, also der der Bestialität". Jeder Jude tun könne, was ihm beliebe, müsste es wohl eigentlich heißen, siehe Sowjetrussland. Noch 1862 tadelt Hebbel das Lob Hartmanns durch Strodtmann.

Über die Juden des Wiener Hofburgtheaters bin ich nicht genauer unterrichtet: Ludwig Löwe, der große Holofernes, war doch wohl einer. Allein herrschend wie heute war das Judentum an den deutschen Theatern damals noch nicht. — Auch allerlei Privatjuden tauchen in Hebbels Leben in der ersten Wiener Zeit auf: ein Bankier Biedermann (Vorfahr von Felix Dörmann?), Landsbergs, Pollacks usw. Es lohnt wohl kaum, näher auf sie einzugehen.

Ausführlichere Darstellung muss hier aber das Verhältnis Hebbels zu Sigmund Engländer finden, das das nächste war, das Hebbel in seiner Wiener Zeit bis 1848 hatte. Engländer hatte, als Hebbel nach Wien kam, drei begeisterte Artikel in J. N. Vogls „Morgenblatt" über ihn veröffentlicht. Hebbel wollte ihm einen Besuch machen, Engländer kam ihm aber zuvor. Am 27. Mai 1847 schrieb Hebbel an Bamberg über Engländer: „Ich bin eng mit ihm befreundet, er ist der einzige Mensch in Wien, mit dem ich umgehe, und noch sehr jung, so dass noch viel aus ihm werden kann." Engländers Jugendlichkeit verrät auch der in Hebbels Briefwechsel von Bamberg veröffentlichte Brief aus Klausen bei Mödling, 22. Mai 1846, der auch charakteristisch jüdisch ist. Hebbel aber nahm an Engländers Judentum keinen Anstoß, bemerkte sogar zu Bamberg (Brief vom 1. September 1847): „Übrigens ist er Jude, wie Sie es sind, und wie ich es bin" — was immerhin ein starkes Stück ist, wenn es natürlich auch nur heißen soll: er ist so frei von seinem Judentum wie Sie, und wie ich von meinem Christentum, nur Mensch. — Übrigens erhielt Hebbel durch Engländer Gelegenheit, typisches Judentum kennen zu lernen, man vergleiche die Schilderung von Engländers Großmutter in den Tagebüchern. 8. Oktober 1847: „Alttestamentarisch ausgeschmückt mit einer der hohenpriesterlichen ähnlichen Haube lag sie jahrelang im Bett, ein hageres Gerippe, der geputzte Tod, um den Knöchernen Hals eine drei- oder mehrfach gewundene Schnur von Dukaten, unter der Decke Edelsteine und Kleinodien versteckt haltend. Sie war nicht krank, sie stand nur bloß nicht auf, um ungestört beten zu können; aus dem Beten fiel sie aber jeden Augenblick ins Fluchen, wenn sie von ihrer Schwiegertochter etwas sah oder hörte, denn sie konnte es nicht ertragen, dass ihr Sohn diese nicht nach altjüdischer Sitte als Sklavin behandelte, sondern sie liebte. Sie verlangte, dass er sie, eben weil er dies tat, verstoßen solle, ein Händedruck, ein freundliches Wort waren in ihren Augen todeswürdige Verbrechen, in einem Kuss, wenn er je in ihrer Gegenwart gewagt worden wäre, würde sie den äußersten Verstoß gegen die ihr schuldige kindliche Ehrfurcht erblickt haben, ein Vorzeichen des Weltuntergangs. Eins der Kinder musste fast den ganzen Tag vor ihrem Bett zubringen, auf die Knie hingekauert und die Gebete nachplappernd, die sie aus ihrem ebräischen Gebetbuch ablas, Engländer selbst suchte sich dieser Pflicht zu entziehen und wurde deshalb von ihr gemisshandelt, so oft sie seiner nur habhaft werden Konnte. Die ganze Familie hatte nur zwei Zimmer: das eine gehörte der Großmutter, das andere den Eltern und Kindern, nahm des Abends aber auch noch sog. Bettgäste auf. Die bitterste Armut herrschte, der Vater verdiente wenig und gab das Meiste für die Alte hin, des ungeachtet entäußerte sich diese bis an ihren Tod, den erst sehr spät in ihrem neunzigsten Jahre die Cholera herbeiführte, nicht eines einzigen ihrer zahlreichen Goldstücke. Als sie gestorben war, reichte ihr Nachlass hin, die Verhältnisse völlig umzugestalten: ein grauenhaftes Bild!" — Hebbel kam eine Zeitlang regelmäßig zu Engländer, der eine gute Bibliothek besaß, traf ihn auch im Leseverein und ging mit ihm spazieren, man vergleiche das Tagebuch 1847. das systematisch den ganzen Tagesbetrieb angibt. Es spricht für Engländer, dass er Hebbels scharfes Urteil über seinen Roman „Der Egoist" und über sein dichterisches Talent ertrug und weiter für ihn tätig war, Hebbelsche Erzählungen in dem von ihm gegründeten „Salon" veröffentlichte und den Dichter zur Vollendung der „Julia" antrieb. Ende 1847 wurde Engländer von einer schweren Krankheit ergriffen, Hebbel bewies ihm seine Teilnahme und erhielt unterm 2. Januar 1848 einen Dankbrief, dann brachte die Revolution das Verhältnis ins Wanken. Kuh, der später in ähnliche Lage zu Hebbel kam, tut so, als ob da auch Hebbels Despotismus (von dem Engländer freilich einmal redet) mitgespielt habe und der arme Engländer gleichsam aus Verzweiflung, weil er die literarische Handwerkerei nicht ertrug, in die Revolution geflüchtet sei, aber man braucht das nicht ohne weiteres anzunehmen: Die Revolution war immer der Stern Judas, und wenn Engländer nun, wie Hebbel an Bamberg unterm 22. August 1848 berichtet, zwei Zeitschriften auf einmal in Wien herausgab, so wusste er schon, was er wollte. Die weitere Bemerkung Hebbels: „Er nimmt es mit Versprechungen nicht sehr genau und ist mir überhaupt in der letzten Zeit etwas rätselhaft geworden" spricht auch ziemlich deutlich, noch deutlicher, dass er sich, wie in späteren Briefen an Bamberg steht, im Mai 1849 ordentlich dazu drängte, den Grafen Dietrichstein, Oberleiter des Burgtheaters, zu arretieren, und ehrenwerte Personen dem zu Mord und Totschlag aufgelegten Pöbel im „Radikalen" als Volksfeinde denunzierte. Nach der Einnahme Wiens durch Windischgrätz im Oktober 1848 flüchtete er dann nach Paris.

Für Hebbel brachte die 1848er Revolution die endgültige Wendung zu Nationalismus und Konservatismus, wie wir ruhig sagen dürfen. Er hatte den deutschen Jammer früh begriffen, im Tagebuch 1843 findet sich beispielsweise schon die folgende Aufzeichnung: „Es ist sehr richtig, dass wir Deutsche nicht im Zusammenhang mit der Geschichte unseres Volkes stehen . . . Aber worin liegt der Grund? Weil diese Geschichte resultatlos war, weil wir uns nicht als Produkte ihres organischen Verlaufs betrachten Können, wie z. B. Engländer und Franzosen, sondern weil das, was wir freilich unsre Geschichte nennen müssen, nicht unsere Lebens-, sondern unsere Krankheitsgeschichte ist, die noch bis heute nicht zur Krisis geführt hat." Vielleicht ist diese Krisis mit der Revolution von 1913 eingetreten, und wir sind heute mitten drin.

Während der Revolution von 1848 schrieb Hebbel vortreffliche Berichte für die „Augsburger Allgemeine Zeitung", und in ihnen findet sich die öfter zitierte Stelle über die notwendige Abwendung vom Kosmopolitismus: „Wer weiß es denn nicht, dass die Völker sich gegenseitig ergänzen, wer hofft nicht, dass dies auch noch einmal von den Massen erkannt werden und dass dann ein Völker-Areopag zustande kommen wird. Ist das aber schon jetzt der Fall? Stehen die Völker einander in dem europäischen Staatensystem bis jetzt nicht noch genau so trotzig abgeschlossen gegenüber wie früher die Stände im einzelnen Staat? Zeigt sich in der jetzigen Krisis auch nur die kleinste Spur von einer Bereitwilligkeit der Nationalitäten, sich aufzulösen und in die Menschheit aufzugehen? Besinnen sich nicht im Gegenteil sogar diejenigen, die aufgelöst und mit anderen verschmolzen schienen, wieder auf sich selbst? Und würde das Volk, das, bevor die übrigen reif sind, damit den Anfang machen wollte, sich nicht dadurch vernichten? Die Lehre: ,Liebt alle anderen Völker mehr als euch selbst!' muss erst allgemein gepredigt werden, ehe sie befolgt werden kann, und wir, die wir ihr bisher immer mehr als billig zugetan waren, tun sehr wohl, sie endlich aufzugeben. Was machte uns denn in ganz Europa verächtlich? Warum erhielten wir den philosophischen Ehrentitel? Doch wohl nur unseres frühreifen Kosmopolitismus wegen, der uns unter lauter Egoisten den Großmütigen spielen, uns oft Degen und Scheide zugleich verschenken ließ. Ich dächte, es wäre einmal Zeit, ihn zu verabschieden: wir brauchen nicht zu besorgen, dass er anderswo engagiert wird, wir können den Liebling zu jeder Stunde wieder haben." Auch das ist wie für die heutige Zeit des Pazifismus geschrieben, nur, dass wir Deutschvölkischen von heute auch Hebbels Glauben an die Menschheit als solche nicht mehr haben — wie aus Eichen, Buchen und Tannen nie der Baum erwächst, so aus den einzelnen Völkern und Rassen nie die Menschheit. Charakteristisch ist auch die Aufzeichnung Hebbels über Georg Herwegh, den Freiheitsdichter und Mann der jüdischen Bankierstochter Emma Siegmund, vom 7. Mai im Tagebuche: er spricht von Verrat am deutschen Volk.

Den Konservatismus Hebbels verrät sehr deutlich die Aufzeichnung vom 20. Juni 1848 im Tagebuche: „Man reißt jetzt das Pflaster des Staats und der Gesellschaft auf. Ich habe dabei ein eigentümliches Gefühl. Mir ist, als ob dem Bau, der jetzt zerstört wird, uralte Erfahrungen zugrunde lagen, aus Zuständen gewonnen, wie sie jetzt wieder im Anzug sind, als ob jeder Pflasterstein auf der umgekehrten Seite die Inschrift trüge: Auch wir wissen, dass dies ein Pflasterstein ist, wenn wir ihm gleich das Bild eines Gottes aufgeprägt haben; seht ihr zu, wie ihr ohne Pflastersteine, die man für mehr als Pflastersteine hält, fertig werden wollt!" Zusammenfassend sagte Hebbel in dem Briefe an Bamberg vom 3. Februar 1849 über die Revolution, obgleich sie seinen Dramen den Weg auf die Bühne gebahnt hatte: „Ich habe alles mit durchgemacht: Studenten- und Pöbelherrschaft. Belagerung, Bombardement und Einnahme der Stadt . . . Auf welcher Seite ich mich befand, brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu sagen: eher würde ich mich noch dem russischen Zaren anschließen als der scham- und sittenlosen Brutalität, die hier für die Trägerin der Freiheit galt. Ich stand eigentlich allein und tu es jetzt, nun das Heft in andere Hände gekommen ist, schon wieder." Dabei war Hebbel natürlich nichts weniger als ein Reaktionär.

Direkt zur Judenfrage macht Hebbel um 1848 herum auch noch immer allerlei Bemerkungen. Am 10. März 1847 schreibt er in sein Tagebuch: „Die Juden wollen ins gelobte Land, sie Wollen emanzipiert werden. Aber ich dächte, die Gesetzgeber machten es wie Moses, der sie so lange in der Wüste zurückhielt, bis sie die Fleischtöpfe Ägyptens vergessen hatten, d. h. bis ein neues Geschlecht da war." Das neue Geschlecht haben wir ja nun seit 1848 schon einige Male gehabt, aber man wird kaum behaupten können, dass ein besseres gekommen sei. — Am 25. April 1847 heißt es: „Den Fluch, der über die Juden verhängt wurde, wissen sie sehr geschickt wieder auf andere Häupter abzuleiten" (Zitat, wie es scheint). Anfang 1848 wird eine Anekdote von Berthold Auerbach erzählt, wie dieser Kollaszek, einen Wiener Zeitschriftherausgeber, in Stuttgart zu einem Souper einlädt und ihn dann selbst die Zeche zahlen lässt — für beide. Und hier möge denn nun der schon erwähnte Brief an Adolf Scholl in Weimar über Auerbach vom 12. April 1863 folgen, der auch ein Bild aus dem Jahre 1848 gibt. Nachdem Hebbel zunächst davon gesprochen, dass die „eigentliche Reklameschmiede" Auerbachs in Wien sei und Tag und Nacht arbeite („er hat hier nämlich einen Schwager" — Hieronymus Lorm — „der in kritischen Dingen ebenso gewissenhaft und ehrlich ist, wie er selbst naiv und ursprünglich, und der in zehn Journale zugleich schreibt"), fährt er fort: „Ich hoffe, nicht ungerecht gegen den Volks- und Kalendermann zu sein; ich erkenne sein Talent, fremden Tiefsinn auszubeuten und den entlehnten Grundgedanken mit eigentümlichem Detail so gut zu bekleiden, dass er fast unsichtbar wird, vollkommen an, aber er ist unlauter durch und durch. Davon überzeugte ich mich im Jahre 1848, wo er sich in Wien befand und mich aufsuchte, persönlich. Er war damals radikal. Gut, es waren's viele. Er schwärmte für Hecker und Struve und nahm es gewaltig übel, dass ich nicht mitschwärmte. Schön, ich musste in der Zeit auch von anderen über meine Nüchternheit manches ausstehen. Er griff mit zu den Waffen, als die Entscheidung heran rückte. Das war sogar brav, nicht wahr? Nein, lieber Freund, denn er ging nicht mit an die Linie, wo gefochten wurde, er begab sich damit in die Kaffeehäuser oder in den Reichsrat, um dort Journalartikel auszuarbeiten und das frisch vergossene Blut der armen betörten Opfer auf der Stelle bei Redakteuren und Buchhändlern zu versilbern. Er trug das Gewehr aus Feigheit, um sich zu sichern: denn Schuselka donnerte von der Tribüne herab, man brauche jetzt Keine Spaziergänger, und Robert Blum nebst Julius Fröbel forderten die Massen auf, sich der inneren Feinde zu entledigen. Da gehörte Mut dazu, ohne das Wahrzeichen der sog. guten Gesinnung, die Flinte, über die Straße zu gehen; man wurde, wie es mir selbst beinahe widerfahren wäre, gepackt und gepresst, aber ich fand es namenlos niederträchtig, eine Waffe in die Hand zu nehmen und sich nicht allein nicht am Kampfe zu beteiligen, sondern unter ihrem Schutz gemeine Industrie zu treiben. Ich bin gewiss so weit vom Judenhass entfernt, wie irgendein Sterblicher, aber hier muss man an die Karikaturen denken, die der Frankfurter Komiker Wurm in der Posse ,Unser Verkehr' [von Sessa] hinzustellen pflegte.

Die Abneigung Auerbachs gegen Hebbel war nicht geringer als die Hebbels gegen Auerbach, man vergleiche den Auerbach-Essay Erich Schmidts, der natürlich auf Seiten Auerbachs steht. Dass Hebbel 1848 in der Tat Kein Antisemit war, beweisen seine Ausführungen im 13. Bericht für die „Allgemeine Zeitung". 1. August 1848. Da berichtet er, dass man wegen der Schund- und Schmutzblätter, von denen einige durch jüdische Literaten redigiert werden, sogar die Juden zu verfolgen anfängt, und dass man sich gewöhnt, die Ausdrücke „schlechte Presse" und „jüdische Presse" als Synonyma zu gebrauchen. „Es ist wahr," heißt es dann, „die Juden tun das Ihrige, damit vor dem definitiven Pressegesetz, das wir vom Reichstag erwarten, zur allfälligen Berücksichtigung beim Entwurf desselben ein vollständiges Register aller möglichen Pressevergehen zustande komme: man darf ihnen dies Zeugnis nicht versagen. Aber auch die Nichtjuden lassen es an sich nicht fehlen, und, was der Hauptpunkt ist, sie alle, Juden wie Christen, sündigen an Vernunft und Geschichte nicht deshalb, weil sie Juden oder Christen sind, sondern weil und soweit sie Menschen ohne Bildung und Kenntnisse sind . . . Mit der Religion hat das alles wahrlich nichts zutun, und diejenigen Subjekte, die hier durch Maueranschläge und Flugblätter niedriger Art gegen die Juden zu Felde ziehen [also alles schon dagewesen!] und mit seltenen Ausnahmen der Bildung nach noch unter den Geringsten von diesen zu stehen scheinen, könnten dies schon aus dem Umstand entnehmen, dass auch der exaltierteste Jude keine speziell jüdischen Interessen vertritt, sondern diejenigen, über die alle Ultras einstimmig sind." Logik schwach, sagen wir da natürlich, denn alle Ultras standen eben und stehen noch heute unter jüdischem Einfluss und der Jude weiß natürlich, dass Demokratie jetzt Judenherrschaft bedeutet. Zum Schluss sagt Hebbel: „Man soll das Mittelalter nicht wieder aufwecken, man soll nicht zwischen Christen und Juden unterscheiden." Nein, aber zwischen Juden und Deutschen! Aber soweit in der Erkenntnis war man damals noch nicht.

Dass die furchtbare Wiener Presseschweinerei im Jahre 1848, über die man in Adolf Pichlers „Sturmjahr" nachlesen mag („Die Entwicklung gewisser Seiten der Wiener Journalistik bleibt ein unauslöschlicher Schandfleck in der Geschichte deutschen Lebens"), doch wesentlich jüdisch war, wird sich auch einwandfrei nachweisen lassen, wenn es nicht schon geschehen ist.

Als die Kroaten Jellachichs unter Geschützdonner in Wien eindrangen, da dichtete Hebbel eben die große Szene zwischen Mariamne und dem Römer Titus in seinem Drama „Herodes und Mariamne". und Kurz darauf wurde das Werk fertig. Es ist ja, wie die „Judith", stofflich ein jüdisches Stück, aber durch seine welthistorische Atmosphäre und auch die Problemstellung geht es weit über das Jüdische hinaus. Der Römer Titus sagt (IV. Akt, 7. Szene):

„Es schaudert mir vor diesen Weibern doch!
Die eine haut dem Helden, den sie erst
Durch heuchlerische Küsse sicher machte,
Im Schlaf den Kopf ab, und die andere tanzt,
Um sich nur ja die Krone zu erhalten.
Wie rasend auf dem Grabe des Gemahls!"

Aber in Bezug auf Mariamne muss der Römer seine Meinung später ändern, und wir Deutschen sehen in Hebbels Gestalt eher eine Germanin als eine Jüdin, obgleich die orientalische Färbung im Drama im ganzen festgehalten ist. Herodes war ja überhaupt kein Jude, sondern ein Edomiter, wenn auch später ein orientalischer Tyrann. Am ersten jüdisch sind in „Herodes und Mariamne" Alexandra, die Mutter Mariamnens, der Pharisäer Sameas und der Bote Joab. Die richtige Empfindung, dass die Galiläer keine Juden seien, hatte Hebbel auch schon, siehe Serubabel und Philo, wenn er die Anwendung auf Christus auch noch nicht machte.