Auf Reisen. 1843—1845

Am 12. November 1842 verließ Hebbel Hamburg, um sich in Kopenhagen bei seinem Landesherrn König Christian VIII. — Schleswig-Holstein stand damals ja noch in Personalunion mit Dänemark — um eine Stellung oder ein Reisestipendium zu bewerben. Er blieb den ganzen Winter, bis zum 27. April 1843, in der dänischen Hauptstadt und erreichte, vor allem durch Oehlenschlägers Unterstützung, ein Reisestipendium auf zwei Jahre. Trotz zeitweiliger Krankheit begann er in Kopenhagen sein bürgerliches Trauerspiel „Maria Magdalena“; Verkehr hatte er nur mit Oehlenschläger und dem jungen Dichter P. L. Möller. Von der Verjudung Kopenhagens, die damals auch schon eingesetzt hatte, wird er kaum etwas gemerkt haben. Nach Hamburg zurückgekehrt, erfuhr er von einem Angriff des Professors Johann Ludwig Heiberg auf seinen in Cottas „Morgenblatt" 1843 erschienenen Aufsatz „Mein Wort über das Drama" und widerlegte ihn gründlich. In den Heibergs, dem Revolutionsdichter Peter Andreas und diesem seinen Sohn, der den Hegelianismus und das französische Vaudeville in Dänemark einführte und eine halbjüdische Schauspielerin heiratete, vermute ich, wie ich das schon in meiner „Einführung in die Weltliteratur" ausgesprochen, Judenblut. Hebbel bemerkte über Heibergs Angriff: „Kümmerliche Anschauungen, denen ich nur mit Widerwillen meine eigenen entgegensetzen möchte. Nie habe ich so klar erkannt, das; auch im Wort die Unschuld zu respektieren ist, und dass, wer es notzüchtigen mag, jeden beliebigen Bastard damit erzeugen kann." Das ist auf einen guten Teil der jüdischen Literatur anzuwenden.

Am 8. September 1843 reiste Hebbel zu Schiff von Hamburg ab, kam am Montag den 11. September in Le Havre an, fuhr von dort mit der Diligence nach Rouen und weiter mit der Eisenbahn nach Paris, wo er am 12. spät abends eintraf. Er wohnte, auf einen unglücklichen Rat hin, zunächst einige Wochen in St. Germain, zog dann aber in die französische Hauptstadt, wo er ein volles Jahr, bis zum 26. September 1844, blieb. Der Schriftsteller Schirges in Hamburg, Nachfolger Gutzkows am „Telegraphen", hatte Hebbel Empfehlungsbriefe an die Musiker Theodor Hagen und August Gathy, Campe einen solchen an Heinrich Heine gegeben, und am 14.September schon fuhr Hebbel mit Hagen, der auch in St. Germain wohnte, nach Paris: „Bei Gathy erfuhren wir," schreibt Hebbel am 16. an Elise Lensing, „dass auch Heine wieder in Paris sei. Wir gingen also zu ihm: Hagen war auch mit ihm bekannt. Wir trafen ihn im Hausflur, er war eben im Begriff, einen Besuchenden, den er mir später als A. Weill nannte, bis an die Tür zu begleiten und ließ uns in sein Visitenzimmer eintreten. Er wohnt hoch, aber elegant. Als er zurückkam, gab ich ihm Campes Brief. Er öffnete ihn, hatte aber kaum einen Blick hinein getan, als er ihn wieder aus der Hand legte und mit den Worten: „Sie sind Hebbel? Ich freue mich außerordentlich, Sie persönlich kennen zu lernen!" auf mich zueilte. „Sie sind einer von den sehr wenigen" — fügte er hinzu — „die ich schon zuweilen beneidet habe; ich kenne Ihre ,Judith' noch nicht, nur Ihre ,Gedichte', aber die haben den entschiedensten Eindruck auf mich gemacht, ich hätte Ihnen manches Sujet stehlen mögen, namentlich den ,Hexenritt'." Er rezitierte aus diesem einige Strophen: ich unterbrach ihn mit der Bemerkung, dass die Kritiker gerade dies phantastisch-bizarre Gewächs zum Tode verurteilt hätten. Es kam nun gleich ein lebhaftes Gespräch zwischen uns in den Gang, wir wechselten die geheimen Zeichen, an denen die Ordensbrüder sich einander zu erkennen geben, aus und vertieften uns in die Mysterien der Kunst. Mit Heine kann man das Tiefste besprechen, und ich erlebte einmal wieder die Freude einer Unterhaltung, wo man bei dem anderen nur anzutippen braucht, wenn man den eigensten Gedanken aus seinem Geist hervortreten lassen will. Das ist sehr selten. Er erzählte mir seltsame Dinge über Immermann und Grabbe, welch letzteren er sehr hoch hält. Von Immermann behauptete er, er habe sich dadurch getötet, dass er das Jahre lang bestandene Verhältnis mit der Frau von Llützow aufgehoben und ein neues mit einer jungen Person angeknüpft habe. Der Tod, sagte er, ist nicht so zufällig, als man denkt, er ist das Resultat des Lebens, und man bedenke sich wohl, wenn man in späteren Jahren noch eine Hauptveränderung machen will. Dies finde ich außerordentlich wahr. Gegen Gutzkow [mit dem Hebbel damals schon auseinander war] zog er mit allen Waffen seines Witzes zu Felde. Ein Dichter, der keine Gedichte macht, sei wie ein Baum ohne Blüten: aber Gutzkow, meinte er, werde nicht zu kurz kommen, denn, wenn er stürbe, so würde Wihl sich hinsetzen und die zur Komplettierung nötigen Gedichte aus Freundschaft für ihn abfassen und seinem Nachlass einverleiben. Auch auf einen sehr kitzligen Punkt, auf sein Buch über Börne, brachte er das Gespräch, und ich verhehlte ihm meine Ansicht nicht. Im allgemeinen hat Heine einen unerwartet günstigen Eindruck auf mich hervorgebracht. Er ist allerdings etwas angerundet, aber seineswegs dick, und in seinem Gesicht mit den kleinen scharfen Augen liegt etwas Zutrauen-Einflößendes."


Man sieht, die Einwicklung des, wenn auch keineswegs naiven, doch damals etwas einseitig gerichteten Hebbels war dem klugen Juden so ziemlich restlos gelungen. Er las dann auch gleich die „Judith" und sagte ihrem Dichter u. a., er ginge denselben Weg, den Shakespeare, Heinrich von Kleist und — Grabbe gegangen. Ähnlich hat er sich, um das gleich vorwegzunehmen, später in der Vorrede zur französischen Ausgabe der „Romantischen Schule" von 1855 ausgesprochen, aber in dem Brief an Campe vom 28. September 1850 heißt es: „Wie freundlich und zuvorkommend Freund Hebbel sich auch gegen mich benommen hat, so kann ich ihm doch bis jetzt noch keinen Geschmack abgewinnen," was doch wohl auch mit auf den Dichter geht. Es entstand auch in Paris kein näheres Verhältnis zwischen den beiden Dichtern, obgleich sie sich noch öfter trafen und unterhielten.

Zunächst, von Ende Oktober 1843 bis Mitte Dezember machte Heine seine berühmte Reise nach Deutschland, aus der „Deutschland ein Wintermärchen" hervorwuchs, und im Juli 1844 reiste er, mit seiner Frau, wieder dorthin und blieb bis in den Oktober hinein. Es meldeten sich nun auch die Anzeichen seines Leidens, das ihn in die Matratzengruft zwang — unterm 26. Mai 1844 schrieb Hebbel an Elise: „Er hat immer Kopfweh, aber in dem Sinne, wie man Visite hat. Ich war gerade sehr gut aufgelegt und trug die Kosten der Unterhaltung ganz allein. Ich glaube, das innere Leben ist in ihm so ziemlich erloschen, und nun schützt er beständig Krankheit vor, damit man nicht merke, dass er tot ist." Da täuschte er sich ja freilich, die Juden sind, wie es Heine dann auch bewiesen hat, sehr zäh. Aus den Gesprächen der beiden Dichter sei nur noch Heines Bemerkung, es sei mit der Nationalität der Völker vorbei, hervorgehoben. Hebbel stimmte zunächst halb und halb zu, indem er nur für Poesie und Kunst noch Ausnahmen machte, lernte aber 1848 gründlich um. Wie er das geistige Verhältnis zu Heine zunächst festzuhalten versuchte, darauf aber auch zu anderer Anschauung über ihn kam, werden wir im letzten Kapitel dieses Büchleins sehen.

Von weit höherer Bedeutung als die Beziehungen Hebbels zu Heine sind die zu Felix Bamberg — sie reichen sogar über Hebbels Leben hinaus, da Bamberg später Hebbels Tagebücher und Briefe herausgab und den Hebbel-Artikel für die „Allgemeine deutsche Biographie" schrieb. „Durch Hagen", heißt es in dem Briefe an Elise vom 3. Oktober 1843, „habe ich einen Dr. Bamberg kennen gelernt, der sich ganz außerordentlich an mich affichiert. Er hat über Musik geschrieben und nicht schlecht. Er geht Tag für Tag mit mir aus und führt mich herum, was mir sehr zu statten kommt. Übrigens ist er Jude, ob getauft oder nicht, weiß ich nicht zu sagen. Vor Hagen hat er mich gewarnt, nun habe ich freilich keinen, der für ihn selbst garantiert, aber es steckt jedenfalls mehr in ihm wie in dem anderen. Alle beide intrigieren um mich herum: sie haben früher zusammen ein musikalisches Album herausgeben wollen, zu dem sie ein Lied von mir wünschen, werden sich aber wahrscheinlich trennen und hoffen nun jeder, für sich den Beitrag zu bekommen. Ganz gefällt mir keiner."*) Später gewann Hebbel doch Vertrauen zu Bamberg und schrieb am 13. Dezember 1843 in sein Tagebuch: „Er ist ein Jude, aber es ist ein Glück für seine Nation, dass ich mit ihm in Berührung gekommen bin: denn meine liberalen Ansichten über die Juden haben sich im allgemeinen verändert und bedurften der Unterstützung durch die Bekanntschaft mit respektablen jüdischen Persönlichkeiten gar sehr."

*) Bezeichnenderweise hat Bamberg diese Stelle in seiner Aufgabe des Briefwechsels weggelassen.

Es ist nicht so ganz leicht, sich über die Persönlichkeit und die Tätigkeit Bambergs, der 1820 zu Unruhstadt in Franken geboren war und zu Berlin und Paris studiert hatte, klar zu werden: „Er hat hier des Teufels Bekanntschaften", schreibt Hebbel im Mai 1844 an Elise Lensing, und seitdem durch Briefe das Verhältnis Meyerbeers und Heines klargelegt worden ist, ist auch Bamberg in ein etwas bedenkliches Licht geraten. Hebbel verdankte ihm in Paris sicherlich viel, und seine Begeisterung für den Dichter Hebbel scheint auch echt gewesen zu sein, da Heine 25. Januar 1850 an Laube schreibt: „Auch Herrn Bamberg, dessen Du Dich gewiss erinnerst, sehe ich zuweilen; er hebbelt jetzt noch ärger als je, besonders wenn junges Licht ist." Auf den Briefwechsel Hebbels und Bambergs und dessen spätere Tätigkeit für Hebbel werden wir noch Kommen. Dass Bamberg nicht, wie Kuh nach späteren Äußerungen Hebbels annahm, auf das Vorwort Hebbels zu „Maria Magdalene", die nun in Paris fertig geworden war, starken Einfluß geübt hat, geht aus der in einem Briefe an Elise mitgeteilten Äußerung von ihm: „Verantworten Sie sich noch immer über die schreckliche Sünde, dass Sie Gedichte gemacht haben?" hervor: wohl aber hat er die erste Schrift über Hebbel: „Über den Einfluss der Weltzustände auf die Kunst und über die Werke Friedrich Hebbels", Hamburg 1846, veröffentlicht.

Von den übrigen damals in Paris lebenden deutschen Juden hat Hebbel wohl kaum noch einen Kennen gelernt. Auch der gelegentlich des ersten Besuchs bei Heine erwähnte Elsässer Alexander Weill, schon vor Auerbach Dorfgeschichtenverfasser und eine recht bedenkliche Erscheinung (Heine warf ihm vor, dass er seiner Mathilde nachgestellt habe), kommt bei Hebbel nicht wieder vor. Sehr pathetisch führte sich der dänische Jude Meir Aaron Goldschmidt, Herausgeber des radikalen Wochenblatts „Der Korsar", bei Hebbel ein: „Das seltsamste Individuum, das mir noch vorgekommen ist." schreibt Hebbel (21. November 1843) an Elise. „Als er bei mir eintrat, sagte er, ich könne nicht ahnen, welch ein wichtiger Moment dies für ihn sei, denn bloß meine ,Judith' habe ihn nach Paris getrieben. Ich forderte ihn auf, diesen Moment denn vernünftig zu genießen und mit mir zu sprechen, er aber fuhr fort: Dies Stück habe so gewaltig auf ihn gewirkt, ihn so durch und durch geschüttelt, dass er — seit jener Zeit nur noch den einen Wunsch hege, auch ein solches Stück zu schreiben, deshalb habe er alle seine Verhältnisse aufgegeben und sei nach Paris gegangen, weil er hoffe, dass sein Jude Maccabäus, mit dem er sich herumtrage, hier besser wie in Dänemark reifen werde. Ich verwunderte mich sehr und erschrak eigentlich, da ich wusste, dass er das gelesenste Blatt in Kopenhagen, den „Korsar" [der natürlich Skandalblatt war], redigiert und Tausende davon gehabt hat, ich wünschte ihm also viel Glück und gutes Gelingen, machte ihn aber doch ein klein wenig mit der Natur der Poesie bekannt und setzte ihm auseinander, dass Dichterwerke wie Kinder von selbst zur Geburt drängten, wenn die Geister von innen heraus befruchtet seien." Goldschmidt ward später als realistischer Erzähler, zuerst durch den Roman „Der Jude" bekannt. (Der andere Jude unter den damaligen dänischen Dichtern, Henrik Hertz, wird mit seinem bekanntesten Drama, „König Renés Tochter", im Tagebuch 1847 erwähnt).

Meyerbeer war, als Hebbel nach Paris kam, schon wieder nach Berlin gezogen. Hebbel erzählt von ihm, den er später, 1850, zufällig in einem Wiener Theater kennen lernte, im Tagebuch: „Herr Meyerbeer, als er hörte, dass auch ein anderer Komponist in seiner Oper eine Orgel anbringen wollte, kaufte, um der Erste zu sein, der dies tat, alle Orgeln in Paris auf. Mozart würde dies nicht getan haben, er würde die Wirkung seiner Oper auf die Orgel, nicht auf die erste Orgel, berechnet haben." Es steht nicht da, wem Hebbel die Anekdote verdankt. Vielleicht Bamberg. — Heine stand ja, wie jetzt durch Briefe von ihm festgelegt ist, im Solde Meyerbeers und machte ihm zuliebe selbst seinen Rassegenossen Felix Mendelssohn herunter. Von diesem hörte Hebbel im Pariser Odeon-Theater die Musik zur „Antigone" und meinte: „Passt zum Sophokles wie ein Walzer zur Predigt." Ich weiß nicht, wie die Musikverständigen urteilen. Über Meyerbeer änderte Hebbel sein Urteil auch später nicht: Noch 1852 spricht er von der „Bettelhaftigkeit der Meyerbeer’schen Rechenexempel, die nicht ohne Schlittschuhlaufen und in die Luft gesprengte Schlösser zum Effekt gelangen können".

Die berühmte Rachel sah Hebbel als Emilie in Corneilles „Cinna". „Sie ist eine außerordentliche Erscheinung, es ist keine Frage, man fühlt’s, indem man sie sieht. Sie ist vom Tragischen umflossen, sie braucht nicht auf den Brettern erst danach zu jagen, man glaubt die Tragödie selbst zu sehen, wenn sie auftritt, und ihr Organ — dies ,vous avez' wird noch lange in meiner Seele klingen." Später, als Gatte der Schauspielerin Christine Enghaus, urteilte er, wie wir noch sehen werden, freilich anders.

Nochmals erwähnt wird in einem Brief an Elise Lensing Jules Janin, der Kritikerfürst, dem das Journal des Debats für jedes Feuilleton 6.000 Francs zahlte. Der ehrliche Demokrat Johannes Scherr nennt ihn einen Industrieritter der Literatur, einen stets fingerfertigen, aber unendlich seichten Feuilletonschwätzer — na, denken wir an Paul Lindau. — Zum ersten Male bei Hebbel erwähnt wird in der Pariser Zeit der in Berlin lebende ungarische Jude Julius Leopold Klein, der als Dramatiker einmal als Rivale Hebbels galt. Dieser lernte ihn dann in Berlin persönlich kennen.

Als Hebbel am 26. September 1844 Paris verließ, da lieh ihm Bamberg noch eine Adlerfeder mit den Versen:

„Der Klaue, wenn sie das Lebend'ge fasst.
Nimmt selbst der Flügel halb nur ab die Last,
Drum, wenn sich schwer Geschaffnes auf dich legt,
Den! an den Adler, der die Beute trägt!
überreichen. Seine Reise nach Rom hat der Dichter in einem „Diarium" beschrieben und auch eine Vesuv-Besteigung geschildert — aus der Pariser Literaturatmosphäre war er nun gründlich heraus, und unter den römischen Künstlern fand er natürlich keine oder doch nur ganz ausnahmsweise Juden. Am meisten verkehrt hat er in Rom mit seinem Landsmann, dem Maler Louis Gurlitt, der ihm auch eine größere Summe Geldes lieh, und dem Österreicher Robert Kolbenheyer (über den ich freilich nicht genauer unterrichtet bin). In Neapel lernte er dann Hermann Hettner, den Literaturhistoriker, und flüchtig auch Adolf Stahr und Theodor Mommsen kennen, die ihm beide wenig gefielen. Mommsen war damals Antisemit, wie Hebbel nachträglich (in einem Briefe an Karl Werner vom 16. Mai 1856) festgestellt hat: „Ich hielt den Mann für einen höchst bornierten Mikrologien-Krämer, als ich ihn in Rom und Neapel sah, und war dazu berechtigt: denn sein Denken bewegte sich in der allerengsten Sphäre; als er z. B. in einem meiner Bekannten den Juden entdeckte (in Kolbenheyer? oder dem Maler Hauser, mit dem Hebbel auch verkehrte?), sprach er davon, als ob er herausgebracht habe, dass er ein Mörder sei." Die berühmte Stelle im elften Abschnitt des fünften Buches im dritten Bande von Mommsens „Römischer Geschichte" mit dem berühmten „Ferment der nationalen Dekomposition" spricht ja auch noch sehr deutlich, und wir wollen uns lieber an diesen Mommsen halten als an den älteren, der umlernte, übrigens auch in Bezug auf Hebbel, den er in Rom aufgesucht hatte.

Adolf Stahr, der auf dieser seiner italienischen Reise die Jüdin Fanny Lewald kennen lernte und ihr zuliebe Frau und Kinder verließ, soll, wie man in Weimar, wo ein Bruder von ihm lebte, glaubt, selber jüdisches Blut gehabt haben. Seine Eitelkeit war auf alle Fälle jüdisch, das spätere Ehepaar wirkt vielfach geradezu komisch (man vergleiche außer Hebbels auch Gottfried Kellers Aufzeichnungen). Leider heiratete Gurlitt später eine Schwester der Lewald, und das Verhältnis zu Hebbel, das schon Dutzfreundschaft war, ist darüber in die Brüche gegangen, obgleich sich der Briefwechsel noch ziemlich lange fortsetzt und auch noch wieder persönliche Berührungen stattfinden.

In der ersten Pariser Zeit finden sich noch gelegentlich liberale Äußerungen, aber dann sagt sich Hebbel allmählich von der liberalen und demokratischen Volksbeglückerei los, dazu vor allem durch seine Bekanntschaft mit Arnold Ruge angetrieben: „Ruges Ernst", heißt es in dem Briefe vom 4. April 1844 an Elise Lensing, „war ursprünglich ein lauterer, aber es hat sich so viel Bitterkeit hineingemischt, dass er nicht allein kein Maß mehr hält, sondern auch kaum noch nach einem Ziel fragt. So wenig Kunst und Wissenschaft als Religion soll noch bestehen, die Geschichte soll bleiben und ihr Gehalt doch wegfallen — ich könnte, obgleich wir persönlich ganz gute Freunde sind, keine zwei Schritte mit diesen Leuten gehen, denn sie treiben sich in lauter Widersprüchen herum und sehen gar nicht ein, dass alles Politisieren und Weltbefreien doch nur Vorbereitung auf das Leben, auf die Entwicklung der Kräfte und Organe für Tat und Genuss sein kann. Ich sagte ihm neulich: Die Welt, die Sie aufbauen, wird über kurz oder lang auch wieder in zwei Parteien zerfallen, in die der Gejagten und der Jagenden, denn die Menschen werden sich in Ihrem Staate so vermehren, dass sie sich notwendig selbst auffressen müssen, und dann haben wir wieder eine Aristokratie, die frisst, und einen Pöbel, der gefressen wird. Doch enthalten Ruges „Deutsch-französische Jahrbücher" zwei ausgezeichnete Aufsätze von einem Preußen, Friedrich Engels in Manchester: „Die Lage Englands" und „Kritik der Nationalökonomie", wovon namentlich der letztere die ungeheure Unsittlichkeit, worauf aller Handel der Welt basiert ist, bloßlegt." Schon früher hatte sich Hebbel mit der damals auftauchenden sozialen Frage beschäftigt, beispielsweise am 29. August 1843 in sein Tagebuch geschrieben: „Rothschild müsste den Gedanken haben, all sein Geld in Landbesitz zu stecken und das Land unbebaut liegen zu lassen. Nach dem in der Welt geltenden Eigentumsrecht könnte er es tun, wenn auch Millionen darüber verhungerten." Der Gregorio in dem auf ein italienisches Erlebnis zurückgehenden „Trauerspiel in Sizilien" ist dann ein Vertreter dieser Art Kapitalismus. Rothschild bleibt für Hebbel immer sozusagen der Prototyp des Kapitalismus, was er jawohl auch ist. Ich will gleich noch einen Ausspruch von 1851 anführen, der freilich von der üblichen konventionellen Lüge ausgeht: „Handeln sollte der Jude, d. h. Handel treiben, nichts weiter. Nun, er handelte und wurde durchs Handeln, in Rothschild, der Herr der Welt. Betätigung des tragischen Gesetzes für mich." Man könnte natürlich auch von selbstverschuldetem tragischen Los der Juden reden, doch haben ja immer nur ganz wenige Juden dafür Empfindung gehabt. Immer bleibt für Hebbel das Judenproblem fesselnd. So verzeichnet er am 18. Oktober zu Rom in seinem Tagebuche: „Die Juden zitieren gerne einen Ausspruch Hamanns für sich, hier ist einer, den sie nicht zitieren: ,Allerdings liegt die Schuld an Ihnen, die unerkannte Schuld, dass Sie Wahrheit bei einem Juden (Mendelssohn), einem natürlichen Feinde derselben, gesucht und vorausgesetzt haben' (Hamann an Jacobi. Briefwechsel. Brief 39. S. 173, Bd. 4 der Jacobischen Schriften)."

Charakteristisch ist dann noch die folgende Äußerung: „Man sollte so wenig von dem Engländer Shakespeare sprechen, als man von dem Juden Christus spricht" (Rom, 21. Februar 1845). Das ist die falsche Anschauung, die bei den Ganzgroßen von Rasse und Volkstum absehen zu können glaubt, obgleich gerade sie es in seiner Reinheit repräsentieren, dadurch freilich aber auch etwas für die Menschheit werden. Von dem Juden Christus hat man ja immer gesprochen, ich erinnere nur an Lessing („Nathan") und Heine (Einleitung von „Shakespeares Mädchen und Frauen"). Erst in unseren Tagen dringt bei den vernünftigen Deutschen die Anschauung mehr und mehr durch, dass Jesus kein Jude, sondern, da er als „wahrhaftiger Mensch" doch einer Rasse angehören musste, ein Arier war. Hebbels Äußerung zeigt immerhin, dass auch er von Christus als Juden nichts wissen wollte.