Als Student in Heidelberg und München. 1838—1839

Bei der Wahl Heidelbergs als Ort seiner Studien hat Hebbel auch die Absicht, Süddeutschland kennen zu lernen, geleitet, und nach München ist er dann auf Rat seines in Heidelberg gewonnenen Freundes Emil Rousseau gegangen. In beiden Universitätsstädten hat er auch seiner Natur gemäß das Volksleben beobachtet, wie genau, zeigt das Genrebild „Der Jude" von der Heidelberger Messe. 11. August 1836, in den Tagebüchern, auf das ich hier leider nur hinweisen kann, sowie ebenda 5. September noch die augenscheinlich humoristische Schilderung einer Judenfamilie. Jüdische Professoren gab es damals in Heidelberg und München wohl noch kaum (in Berlin u. a. schon Eduard Gans) — von Einfluss gewesen ist auf Hebbel, der zunächst Jura studieren wollte, in Heidelberg höchstens Thibaut: in München hat er dann u. a. Schelling und Görres gehört, die nicht eben judenfreundlich waren. Aber viel mehr als die Professoren wirkten die Bücher, die er in die Hand bekam, auf Hebbel, er ist im Grunde immer Autodidakt geblieben.

Auch jetzt noch bedeutet Börne viel für ihn: Als er auf der Reise nach Heidelberg nach Frankfurt am Main kam, da erinnerte er sich, dass Goethe dort geboren und Börne dort gestorben sei (worin er sich ja freilich irrte), und als Elise Lensing, seine Hamburger Freundin, ihn fragt, was sie lesen solle, da empfiehlt er ihr außer Jean Paul Börne, „denn Börne ist der Weg zu Jean Paul". Börne stirbt dann wirklich, am 13. Februar 1837 zu Paris, und nun widmet ihm Hebbel in dem Briefe vom 21. an Elise den folgenden Nachruf: „Sein Tod hat mich schmerzlich bewegt. Man beurteile ihn, wie man wolle: einen hohen, reichen und, aller Herbe ungeachtet, innig-erquicklichen Geist darf man ihm nicht absprechen, und noch weniger Mannhaftigkeit. Mut und edle Aufopferungskraft. Er hat nie, wie Heine, das Schwert gezogen, bloß um zu zeigen, dass es blank und scharf sei: er hat das gezogene nie eingesteckt, weil es in die Hände seines eigenen Henkers hätte fallen Können. Er hat für die Freiheit — auf die Freiheit selbst Verzicht geleistet: er war liebenswerter in seinen Fehlern als andere in ihren Tugenden. Nun gibt ihm Frankreich ein Grab: doch — ein Grab hätte ihm Deutschland auch gegeben." Man erkennt deutlich, dass Hebbel damals im Banne des Liberalismus und auch etwas in dem der jung-deutschen Geistreichigkeit war. Das war auch unvermeidlich, jeder muss durch die Bewegungen seiner Zeit hindurch. Wir denken heute ganz anders über Börne und freuen uns, wenn wir bei dem derben Zelter über die „Briefe aus Paris" lesen: „Dieser ehrliche Ochs ist aus dem Schlachthause mit einem verfehlten Schlage am Kopfe entlaufen", ja selbst Börnes Ehrlichkeit erkennen wir nur mit der beim Juden notwendigen Einschränkung an. Übrigens ist auch Hebbel bald von Börne abgekommen: Am 26. Mai 1837 schreibt er zwar noch an die Schoppe, dass Börne die merkwürdigste Erscheinung sei, die er kenne, ein Mensch, den man nie im einzelnen und immer im ganzen recht geben müsse, aber schon im Jahre 1844 zu Paris hat er (Brief an die Lensing vom 7. August) „Keinen Enthusiasmus mehr für den Schriftsteller". Er taucht dann auch weder in den Tagebüchern noch im Briefwechsel wieder auf.


Nicht ganz so leicht wie mit Börne wird man mit Heine fertig, der denn doch Dichter, wenn auch als solcher fast nur Virtuose ist. Hebbel träumt in München, Napoleon zu sehen, und fragt ihn, was er zum zweiten Teil von Heines „Reisebildern" sage, er setzt sich auch damit ab, was Heine unter Naturlauten versteht. Dann aber kommt es doch schon zu einem tieferen Verständnis und zu Ablehnung namentlich des späteren Heine: „Heines Dichtmanier", schreibt er am 1. Mai 1838 in sein Tagebuch, „(besonders seine neuere) ist das Erzeugnis der Ohnmacht und der Lüge. Weil seine verworrenen Gemütszustände sich nicht in die Klarheit eines entschiedenen Gefühls auflösen lassen, oder weil er nicht den Mut und die Kraft besitzt, den hierzu notwendigen inneren Prozess abzuwarten, wirft er den Fackelbrand des Witzes in die werdende Welt hinein und lässt sie gestaltlos für nichts und wieder nichts verflammen. Diese Verklärung durch den Scheiterhaufen ist aber nur dann zu gestatten, wenn ein Phönix davon fliegt; an dem Phönix fehlt es jedoch bei Heine, es bleibt nichts übrig als Staub und Asche, womit ein müßiger Wind sein Spiel treibt". Das sind Anschauungen, die wir heute geneigt sind, auf den ganzen Heinrich Heine anzuwenden: Hebbel hat, zumal er Heine darauf persönlich kennen lernte, noch wieder allerlei Wandlungen durchgemacht.

Zu Heine und Börne trat dann in dieser Zeit als dritte jüdische Größe Rahel Varnhagen, geb. Levin, durch das Erscheinen des von Varnhagen herausgegebenen Buches „Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde", Berlin 1834. Es kam Hebbel im November 1838 in die Hände, und er war nun schon soweit gereift, dass er sich über das Wesen dieser immerhin bedeutenden Jüdin sofort klar wurde. „Goethes Wort, „sie hat die Gegenstände'", heißt es im Tagebuch, 21. November 1838, „möcht ich doch nur in bedingtem Sinne unterschreiben. Sie urteilt eigentlich wie eine somnambule Kranke: immer richtig, aber nur in Bezug auf sie, auf das, was ihrem Zustande zusagt. Jedenfalls darf man von dieser gesunden 3rau ebensowenig Folgerungen ableiten wie von ihrem Gegenbild, der Seherin von Prevorst. Übrigens eine der alleraußerordentlichsten Erscheinungen, und — sie erkennt es zuletzt an, anfangs sah sie darin einen Fluch — ein Glück für sie, dass sie als Jüdin geboren war, denn dadurch war ihre Stellung sogleich eine scharf gesonderte, deren diese wundersam-fremde Natur so sehr bedurfte. Ich sage lieber: sie hat ihr Verhältnis zu den Dingen, und vor allem hat sie ihre Zustände." Kein Zweifel, man muss von diesem Hebbelschen Gesichtspunkte aus an die Rahel Herangehen: die noch notwendige weitere Einschränkung ergab sich dann auch, wie wir noch sehen werden, für Hebbel selbst.

Von weiteren Literaturjuden jener Zeit taucht in einem Brief Hebbels August Lewald, der Vetter der Janny, einmal auf, nun ganz verschollen, dann im Tagebuch der französische Jules Janin. Mehr und mehr erkennt Hebbel den Gegensatz, in dem er zu dem Jungen Deutschland steht. „Um einen Bibelvers zu parodieren", heißt es in dem genannten Briefe (an Elise, 3. September 1836), „der Gott, der die Lilien kleidet (den Lewald und seine unschuldigen Konsorten) und der die Sperlinge unter dem Himmel ernährt (den Gutzkow und den Wienbarg), der wird auch mein nicht vergessen". Zwei Jahre später schreibt er, ebenfalls an Elise (14. August 1838), über Gutzkow und Laube: „Es freut mich außerordentlich, dass ich jetzt weiß, woran ich mit Gutzkow bin . . . Unsere Wege sind nun einmal verschieden, und kein echtes Verhältnis ist möglich. Ich werde mich jetzt wahrscheinlich zu einem Schritt entschließen, den ich früher immer, als gar zu bedenklich, beiseite schob; ich werde nämlich einen Band Kritiken, vorzüglich über die gerühmten Produktionen der modernen Literatur, zusammenstellen und herausgeben. Es handelt sich um meine Existenz, so lange diese Gesellen dominieren, ist für mich an kein Aufkommen zu denken, ich glaube, ihnen an dichterischen Kräften überlegen und an polemischem Talent gleich zu sein, die gute Sache ist für mich, der Unwille über die jämmerlichen Halbheiten ist in Deutschland allgemeiner, als die Journale, die sie beherrschen und großenteils selbst schreiben, ahnen lassen: warum soll ich den Kampf nicht wagen? Ich bin schon mit den geeigneten Aufsätzen beschäftigt und werde hauptsächlich gegen den arroganten Laube zu Felde ziehen." Im Oktober 1838 bemerkt Hebbel zu der Schwester seines eben verstorbenen Freundes Rousseau: „Mittlerweile entwickelte sich in Deutschland die sogenannte moderne Literatur mit ihren unwahren und anmaßenden Tendenzen. Sie war mir von Anfang an verhasst, sie wurde es mehr und mehr, und ich entschloss mich, gegen sie zu kämpfen und zu dem Zweck (mit Rousseau) in Hamburg ein neues Journal zu gründen." Man muss diese Dinge hier erwähnen, denn ohne Zweifel ist das liberale Junge Deutschland die literarische Schule, die die Judenherrschaft in Deutschland vorbereitet hat, ob auch einzelne seiner Mitglieder, Gutzkow z. B.. später nicht durchaus freundlich zum Judentum standen.

In der Münchner Zeit hat Hebbel überhaupt schon seine Zeit- und Weltanschauung gewonnen, mochte er auch noch nicht in allem Einzelnen vom Liberalismus loskommen. Von sehr hoher Bedeutung ist eine Äußerung in einem Briefe an Elise Lensing (19. Oktober 1837). die gewissermaßen alles das vorwegnimmt, was wir andern Deutschen erst im verflossenen Menschenalter, die meisten sogar erst jetzt, nach Weltkrieg und Revolution, gelernt haben: „Allerdings ist der Metallkönig Herr dieser Zeit. Die materiellen Interessen haben die Oberhand gewonnen und regieren die Welt, und das ist schlimm, denn im Kampfe um ein solches Ziel kann nur blindes Glück oder niederes, um nicht zu sagen niedriges, Talent den Siegverleihen. Darum aber ist auch unsere Zeit glänzend und Klingend wie Gold und Silber, wenn man will, jedoch für das höhere Gemüt auch ganz so ungenießbar wie Gold und Silber. Vielleicht hat auch unser Jahrhundert im eigentlichsten Sinn nur den Wert des Geldes, an welches man nicht den Anspruch des Genusses, sondern nur den Anspruch der zum Genuss führenden Bedeutung machen darf. Es steht gerade jetzt unendlich viel auf dem Spiel, was ohne ängstliche Umsicht so leicht verloren gehen kann; daher vielleicht das Jüdeln der Zeit, welches, wenn es auch durch keine Begeisterung etwas gewinnt, doch gewiss auch durch keine etwas verliert und sich das Recht, was es nicht durch das Schwert zu erkämpfen weiß, zum wenigsten durch eine verschmitzte Klausel vorbehält. Mag dies aber auch im allgemeinen sein, wie es will: um den Einzelnen steht es schlimm, das Jahrhundert selbst durch eine vorwaltende Richtung ist ein Legat des Teufels, ein Kuppler der Gemeinheit, und wer heute nur nicht schlecht wird, hat vielleicht schon mehr Kraft aufgeboten als der Gepriesene, der zu Luthers Zeiten ein Held war." Das hat Hebbel nicht etwa aus christlicher Gesinnung heraus geschrieben, er verlor vielmehr in dieser Zeit sein Christentum, auch nicht als moderner Liberaler, sondern als deutscher Mensch („Unglück zugleich für die Welt, wie für das Christentum war es, dass die Religion des Orients zum Okzident hinüberschritt", Tagebuch 4. Juni 1836: „In jedem Fall soll ich alles aufbieten, was an Kraft in mich gelegt ist: diese Kraft macht mich gewiss frei, ist es nicht nach außen, indem sie das Hindernis überwältigt, so ist es nach innen, indem sie die Körperketten zerreißt. Das Christentum verrückt diesen Grundstein der Menschheit. Es predigt die Sünde, die Demut und die Gnade. Christliche Sünde ist ein Unding, christliche Demut die einzig mögliche menschliche Sünde und christliche Gnade war eine Sünde Gottes. Dies ist um nichts zu hart." Brief an Elise vom 12. Februar 1837). Aber Hebbel hatte auch ein sehr richtiges soziales Empfinden und erkannte früh, wohin reiner Kapitalismus und Industrialismus führen müssten. So entging ihm auch der schon damals auftauchende jüdische Übermut nicht: „Herr von Rothschild in Paris," heißt es im Tagebuche 22. Juni 1838, „hat Talleyrands Hotel gekauft. Als er es besichtigt, sagt er: ,Das Hotel ist etwas Kleinlich, doch will ich suchen, es bewohnbar zu machen'. Er wollte früher aus dem Hotel Lafittes eine Wagenremise machen lassen." Trotzdem übernahm auch er die damals für lange Zeit zu allgemeiner Herrschaft gelangende Mär von der ungerechten Verfolgung der Juden im Mittelalter und schrieb das Gedicht

Der Jude an den Christen.

Ich lag zu deinen Füßen bleich und blutend,
Ich zeigte stumm auf die Vergangenheit,
Ich rief, im Sterben selbst mich noch ermutend:
Sei du mein Heiland, gegenwärt'ge Zeit!

Du standest still vor mir, mich ernst betrachtend,
Dein Blick, umwölkt zwar, schien doch mitleidvoll.
So dass mein Herz, bisher verzweifelnd schmachtend,
Zum erstenmal von sanfter Hoffnung schwoll.

Doch ach, du zähltest schweigend nur die Wunden,
Die langsam mich, bis auf den Kern zerstört,
Du sandest schaudernd alle unverbunden
Und wandtest dich, im Innersten empört.

Nun prägt mich, allen Zeiten zu beweisen.
Dass mich kein Mensch mehr Bruder nennen kann.
Dein Griffel Zug um Zug in Stein und Eisen,
Dann wiederholst du streng den alten Bann.

O zerr' es nur aus dunklem Tabernakel
Hervor, mein Bild, zerrissen und entstellt!
O stell es nur mit jedem seiner Makel
Im Glanz des Tages auf vor aller Welt!

Was war denn in des Märt'rers Leib zu lesen,
Wenn man ihn höhnend stieß, zerfetzt, ans Licht?
Wie Folterbank und Henker hart gewesen.
Für Sünden hielt man feine Wunden nicht!'

Es hat ja keinen Zweck mehr, noch etwas dazu zu bemerken.

Einige Monate später lernte Hebbel in München auf der Bibliothek auch einen Juden kennen (Brief an Elise vom 19. Februar 1839), einen Dr. Lilienthal: „Es tut mir leid, dass Lilienthal und ich zu spät uns kennen gelernt haben, um noch viel von unserem gegenseitigen Umgang zu profitieren; er ist ein Jude und besitzt vornehmlich eine umfassende Kenntnis der orientalischen und talmudischen Literatur, zu der er für mich den Schlüssel abgeben könnte; eben jetzt teilte er mir einen Aufsatz über eine uralte 700 jährige Handschrift mit, aus der sich (er hat sie auf der Bibliothek entdeckt) seltene Aufschlüsse ergeben." Es wird Max Lilienthal aus München (1815 bis 1882), der später Rabbiner in Riga und darauf in Cincinnati war und den amerikanischen Rabbinerverband gründete, gewesen sein — solche Bekanntschaften sind ja für einen Deutschen nicht uninteressant, zumal nicht für einen jungen Dichter, der eine „Judith" und einen „Diamant", das Lustspiel von dem durch einen Juden verschluckten Edelstein, schreiben will — es war nun die Zeit gekommen, wo Hebbel seine dramatischen Aufgaben deutlicher wurden, wie es in dem Gedicht „Ein Geburtstag auf der Reise" bei dem Spaziergang durch den Münchner Englischen Garten heißt:

„Hier zeigte, wie im Traume,
Sich mir die Judith schon.
Dort unterm Tannenbaume
Sah ich den Tischlersohn,
Na drüben winkte leise
Mir Genovevas Hand,
Und in des Weihers Kreise
Fand ich den Diamant.“

Es lässt sich auch wohl verstehen, dass ihn das Problem Jude lockte. — Wenige Wochen, nachdem er Lilienthal Kennen gelernt, brach Hebbel zu Fuß von München nach Hamburg auf.