Fortsetzung

In China sind im fünften Jahrhundert vor Christus Hanfpräparate zu Betäubungszwecken angewendet worden. Ägypter, Griechen und Römer kannten die narkotisierende Wirkung des Hanfes, ergaben sich aber nicht diesem Genuss. Im Abendlande hörte man davon erst wieder zur Zeit der Kreuzzüge. Die Araber brauchten dieses Narkotikum unter dem Namen Haschisch, das bedeutet Kraut schlechthin, im Sinne von „das berühmte Kraut“. Seit der Ausbreitung des Islams gelangte die Kenntnis der Hanfpräparate in einen großen Teil der Welt, und sie fanden Eingang bei vielen Millionen Menschen. Nicht nur in Arabien, der Türkei, Persien und Indien wurden große Mengen davon als Genussmittel verbraucht, sondern auch in Nordafrika, wo man sie Kaf oder Kif, das heißt Verzückung, nennt; sie gelangten bis zu den Hottentotten und anderseits drangen sie nach Mittel- und Südamerika vor. Es ist das Verbot des Weines, das unter den Bekennern des Islams den Hanfpräparaten und später auch dem Opium eine so ungeheure Verbreitung verschafft hat, leider nicht zum Vorteil der unter diesem Vorurteil einem entnervenden Genussleben zugeführten Gläubigen Allahs.

Der nervenzerrüttende Einfluss der Hanfpräparate ist indes weniger schlimm als die Folgen des Opiumlasters. Während beim Hanf der oben geschilderte Stoff in verschiedener Anwendung und Zubereitung zur Berauschung dient, ist das Opium der eingedickte Milchsaft des „Schlafmohns“ (Papaver somniferum L.), das die Menschheit zum Segen, mehr aber zu ihrem Leid kennen und missbrauchen lernte. Gleich dem betäubenden Geruch des Hanfes verbreitet auch der in größeren Mengen in subtropischen Klimaten kultivierte Mohn einen eigenartigen narkotischen Duft. Wenige Tage nach dem Abfallen der Blütenblätter werden an den Samenkapseln Einschnitte gemacht, aus denen der milchige Saft austritt, der dann mit einem Messer abgestreift und zu kleineren und größeren Kuchen zusammengeknetet wird. Der Geruch dieser Kuchen ist widrig betäubend und der Geschmack unangenehm bitter. Als Arzneimittel, richtig angewendet, wirkt das Opium segensreich, zur Berauschung missbraucht, schafft es mehr Jammer, Siechtum und Verzweiflung als irgendein anderes Narkotikum. Höchstens der Schnapsgenuss erzeugt gleiches Elend. Es ist ein schleichendes Gift von zerrüttender Wirkung. Dem Laster des hochgesteigerten Opiumgenusses verfallene, arme und schlecht ernährte Menschen bieten einen erschütternden Anblick.


Der Mohn gehört zu den ältesten Arzneipflanzen, und die einschläfernde Wirkung des irgendwie genossenen Milchsaftes war früh bekannt. Die mythische Verkörperung des Schlafes, Hypnos, erscheint bei den Griechen mit Mohn geschmückt, ebenso der Traumgott Morpheus und die Todesgöttin. Die Alten nannten das Opium auch „Tränen des Mohns“, und nicht wenige Arzte warnten vor dem Missbrauch des Opiums. In Wein gemischt gab man es als Schlaftrunk. Leider hat man sich des Mohnsaftes als eines schlafbringenden Mittels für unruhige Kinder bedient, ein beklagenswerter Unfug, der bis heute auch bei uns noch nicht ausgerottet ist. Einige Sprachkundige wollen sogar davon den lateinischen Namen des Mohns (Papaver von Papa vera, der echte oder wahre Kindsbrei) ableiten. Während Haschisch und Alkohol anfänglich außerordentlich anregend empfunden werden, bis sich die schweren Folgen einstellen, wirkt das Opium vorwiegend deprimierend. Nach O. Messing wird die Haut von Gewohnheitsrauchern trocken und runzelig, die Gesichtsfarbe bleich und fahl, der Körper magert ab, die Backen fallen ein, die Augen blicken matt, der Puls wird schwach, schnell und unruhig. Aber weit schlimmer ist die moralische Veränderung' Die Einwirkung auf das Gehirn ist zuerst stimulierend und aufmunternd später aber tritt Trägheit, Unfähigkeit zu anstrengender Arbeit, Schlaffheit und Verdummung ein. Die Selbstbeherrschung wird gelähmt, die Moral abgestumpft, langsam aber sicher wird der ganze Charakter demoralisiert, und namentlich ist die Neigung zur Unwahrheit sprichwörtlich geworden. Wie beim Haschischgenuss ist der so oft übertrieben geschilderte „visionäre“ Zustand des Opiumrauchers von dessen geistiger Kultur bedingt, von seinem alltäglichen Gedankengang beeinflusst. Das Ende ist immer eine zerrüttete Gesundheit und schweres Siechtum. Coleridge und de Quincey haben uns von der dämonischen Macht des Opiums, dem sie verfallen waren, von den Kämpfen, denen sie sich zum Teilvergeblich unterzogen, um sich von der lasterhaften Gewöhnung, die sie dem offenbaren Ruin zuführte, loszureißen, ergreifende Schilderungen hinterlassen. Thomas de Quinceys „Bekenntnisse eines Opiumessers“ sind in unsere Sprache übersetzt.

Das Opium ist manchem hoffnungslosen Raucher willkommen, seinem elenden Dasein ein Ende zu machen. In Souchong gibt es drei chinesische barmherzige Stiftungen, die Ärzte Tag und Nacht ausschicken, um arme Opiumselbstmörder kostenfrei zu behandeln. In einer dieser Anstalten kamen vom 24. Januar bis 23. Juli 1898 hundertelf Fälle vor, siebenundvierzig Männer und vierundsechzig Frauen, von denen zweiundvierzig Männer und Zweiundfünfzig Frauen gerettet wurden. Derartige Selbstmorde werden in jener Stadt von drei bis fünfhunderttausend Einwohnern auf jährlich Tausende geschätzt.

Auf der kürzlich in Genf versammelten internationalen Tagung der Opiumkommission kämpfte China um die Rettung seiner Menschen von der Opiumpest. China wehrte sich seit fast zweihundert Jahren gegen die Raffgier der Opiumhändler, dieser erbarmungslosen Seelenvernichter. Anfänglich waren Araber und Türken, seit 1500 Portugiesen, im siebzehnten Jahrhundert Holländer und später indische Fürsten an diesem Handel beteiligt. Dann riss die Englisch-Ostindische Kompanie fast alles an sich und machte 1773 ihr erstes größeres Geschäft in China, wogegen man sich in Kanton 1793 zu schützen suchte. Drei Jahre später kam es zu einem vollen Verbot. Da setzte schamloser Schmuggel ein. Man wiederholte 1799 und 1800 das Verbot. Hundert Stockhiebe, Pranger, Deportation, Abschneiden der Oberlippe, Erdrosselung und Ertränken wurden als Strafen bestimmt. Die Händler aber schmuggelten erbarmungslos weiter. Was lag ihnen an der Entwürdigung, an der Vernichtung von Menschenleben! Sie wollten Geld, klebte auch Blut daran. So ging es fort bis vor etwa hundert Jahren. Rücksichtslos und bar aller Moral. Engländer ließen in China durch bengalische Händler Opiumhöhlen einrichten; man gab Opium umsonst als — Kostprobe! Im Jahre 1773 führte die Britisch-Ostindische Gesellschaft in China jährlich tausend Kisten Opium zu je dreitausend Mark ein; von 1803 bis 1839 stieg die Jahreseinfuhr auf das Zehnfache. Um 1883 war die Einfuhr derartig angewachsen, dass der reine Gewinn der englischen Regierung hundertvierundvierzig Millionen Franken betrug.

Warren Hastings, der erste Gouverneur von Bengalen, der 1818 starb, sagt in seiner Lebensbeschreibung: „Gibt es eine teuflischere Art, ein Volk planmäßig zu vergiften?“ Um 1830 schrieb Walter Strickland: „Britische Habgier und Misswirtschaft sind die Hauptpfeiler der englischen Herrschaft im Osten, mit Überlegung angewendet, um die Völker zugrunde zu richten, denen sie zu nützen behauptet.“ Im Jahre 1840 brach der berüchtigte „Opiumkrieg“ aus, der für China unglücklich endete. Tiefrührend sind die Klagen der chinesischen Herrscher aus der Opiumkriegszeit zu lesen. So schrieb im März 1839 der Vizekönig der Hu-Provinzen, Liu-Dseh-Sü, an die Königin Viktoria, man wisse, dass in England Opium nicht geraucht werden dürfe, also müsse man seine verderbliche Wirkung kennen. Dieses Gift selbst nicht zu gebrauchen und es doch herzustellen und zu verkaufen und damit das Volk in China zu verführen, das heiße eigenen Vorteil durch anderer Schaden zu suchen. England sei durch den zweihundertjährigen Handel mit China der reiche blühende Staat geworden. Welcher vernünftige Grundsatz berechtige die Fremden, dafür eine giftige Droge zu senden, welche die Chinesen ruiniere? Man wolle nicht sagen, dass die Fremden verbrecherische Absichten dabei hätten, aber ihre ungebärdige Gewinnsucht mache sie gänzlich unbekümmert um den Schaden, den sie in China stiften. Als Antwort gaben die Engländer dem besiegten Lande zu verstehen: Wir werden weiter Opium herstellen, seht zu, wie es gelingt, sich gegen die Einfuhr zu schützen.

Im Jahre 1840 sagte Gladstone im englischen Parlament: „Die Chinesen hatten ein Recht, euch von ihren Küsten zu vertreiben, als sie fanden, dass ihr diesen infamen Schmuggel nicht aufgeben wolltet. Einen nach seinem Ursprung ungerechteren Krieg, der unser Land mehr mit bleibender Schmach bedeckt, kenne ich nicht.“ In seinem Tagebuch schrieb Gladstone: „Ich denke mit Schrecken an das Gericht Gottes, das auf England kommen wird um seines ungerechten Verhaltens willen China gegenüber.“ Inzwischen hat die Welt noch andere Dinge erlebt! Die Gewinnsucht hat aber nicht nur in China maßloses Elend hervorgerufen, auch Indien musste schwer darunter leiden. Tausende armer Menschen, die Mohn anpflanzten, um Opium zu gewinnen, erlagen dem Hunger. Ein sachkundiger Engländer äußerte sich, er halte die Opiumkultur vom indischen Standpunkt aus unprofitabel für die Bauern, und gab zu, dass ein Zusammenhang des weitgedehnten Mohnanbaues mit den Hungersnöten in Indien bestehe. Die Anbaufläche in Indien für Mohn erstreckte sich dort in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts auf Gebiete vom Flächenausmaß Deutschlands vor der Zerstückelung durch den Versailler Frieden. Und der berühmte Geograph Ratzel sah in dem Opiumgenuss der Chinesen keinen kleinen Teil der Schuld an der Verarmung und Zerrüttung dieses Landes.

Es wäre noch viel darüber zu sagen, wie England das eigene Volk vor dem Opiumlaster zu schützen suchte, wie Frankreich sich geschäftlich verhält, und wie Japan im eigenen Lande scharf gegen das Eindringen der Seuche vorgeht. Diese Fragen sind so verwickelt, dass die Regelung nicht leicht sein wird. Mit dem Erwachen eines neuen Geistes in China, das, um Englands Opiumeinfuhr zu brechen, im vorigen Jahrhundert selbst Mohnkulturen angelegt hatte, begann eine starke Agitation gegen dieses zerrüttende Gift. Die chinesische Regierung unternahm seit 1906 die planmäßige Unterdrückung des Opiumrauchens, die man in fünf Jahren durchführen wollte. Nach zehn Jahren sollte kein Mohn mehr gebaut werden. Man traf 1907 mit England ein Abkommen, wonach im Falle des Gelingens der Reformen aus Indien kein Opium mehr eingeführt werden dürfe. Die erste internationale Opiumkonferenz tagte 1909 in Schanghai, und die zweite und dritte drei und vier Jahre später im Haag. Damals erneuerte England sein Abkommen mit China; im Jahre 1917 sollte die Opiumeinfuhr Englands aufhören. Wider Erwarten war es in China gelungen, das Opiumrauchen zu unterdrücken und den Mohnanbau herabzusetzen. Rauchgeräte und Opium wurden in Massen öffentlich verbrannt. Am 7. Mai 1913 hatte der Staatssekretär im englischen Unterhaus erklärt: „Wir sind bereit, nicht nur in diesem Jahre kein Opium mehr nach China zu schicken, sondern überhaupt nie wieder, unter der einzigen Voraussetzung, dass China fest bleibt in seiner gegenwärtigen Politik.“ Das war eine deutliche Sprache, und man zog aus der Lage noch so viel Vorteile als möglich. War doch die deutsche Farbenindustrie unserer hochentwickelten Chemie England ein böser Dorn im Fleisch. Es lohnte sich vor 1914 angesichts unserer Farberzeugnisse nicht mehr, in Indien statt des Mohns die Indigopflanze zu kultivieren. Ein Grund mehr zu feindlicher Gesinnung gegen uns in England. Nun, da in China kein Geschäft mehr mit dem fluchbeladenen Gift zu machen ist, könnte es wohl allmählich dahin kommen, dass dieser Schandfleck getilgt wird. Inzwischen sind seit 1773 Millionen von Menschen elend zugrunde gegangen durch Geldgier und rücksichtslosen Krämergeist. Allerdings rächte sich bei allen mit Opium handelnden Nationen auch an den eigenen Volksgenossen die Habsucht. England hat seine versteckten Lasterhöhlen, New York, San Franzisko, Paris und alle großen Weltstädte und Hafenplätze. Der Kampf gegen die entnervenden Rauschmittel wird noch lange währen, und nicht überall wird es gelingen, diese Seuche so rasch auszurotten, und noch viele Menschen werden ihr zum Opfer fallen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Haschisch und Opium. Mit zwölf Bildern.