Untergang

Aber auch in diesen Zeiten des Verfalls zeigen sich noch Nachwirkungen der ehemaligen Tatenlust, wie in den Verhältnissen zu England. Die Hanseaten hatten hier bedeutende Privilegien erworben, als aber andererseits die Engländer in Deutschland für ihren Handel festen Fuß zu fassen suchten, traten ihnen die Hansen überall hemmend entgegen. Da die englischen Kaufleute ihr Getreide nicht offen aus Deutschland holen konnten, so versuchten sie es auf Schleichwegen. Merkwürdiger Weise wussten die Hanseaten, obgleich sie den Engländern selbst hemmend entgegen traten, ihre eigenen Privilegien in England zu erhalten und sich dem englischen König fast unentbehrlich zu machen. Als 1449 eine hansische Flotte von englischen Kapern angehalten wurde, traten allein die Lübecker für die den Hanseaten zugefügte Beleidigung in die Schranken. Und auch 1458 wissen sich die Lübecker noch tapfer gegen eine ihnen von den Engländern zugefügte Beleidigung zu wehren. Aber trotz dieser Differenzen, zu denen noch manche andere kamen, wussten die Hanseaten bis gegen Ende des Jahrhunderts ihren Einfluss in England zu behaupten. Wichtiger als diese Verhältnisse waren die Beziehungen der Hanse zum Norden. Als Johann 1481 zur Regierung in Dänemark gekommen war, wurde er zwar anfänglich auch von den Schweden als König anerkannt, jedoch kaum war die Nachricht von seiner Niederlage gegen die Ditmarschen bekannt geworden, so kündigte man auch hier dem Könige den Gehorsam. Die Seestädte waren die natürlichen Gegner der nordischen Union und unterstützten daher die Schweden auf alle mögliche Weise. Natürlich befolgte auch Johann die Politik des früheren Königs Erich: er trat mit den Holländern und Brabantern, den Feinden der Hanse in Verbindung, öffnete ihnen den Sund und versprach ihnen große Handelsfreiheiten und Vorrechte. Die Folge war, dass Lübeck den Krieg gegen Dänemark eröffnete, 1510, der im folgenden Jahre mit einem Frieden endete, welcher den Hanseaten ihre alten Privilegien bestätigte. Ernster wurden die Verhältnisse, als Johann 1513 gestorben war und ihm Christian II. folgte, und dieser durch das Blutbad von Stockholm zunächst die Schweden und durch die Einführung der Reformation und die Beschränkung des Adels in Dänemark Geistlichkeit und Adel auch hier gegen sich aufbrachte. Christian musste fliehen und als er von seinem Oheim Friedrich, der inzwischen zum König erwählt war, nach Kopenhagen 1532 berufen wurde, ward er von diesem gefangen genommen. In diese nordischen Wirren noch einmal, aber auch zum letzten Male entscheidend einzugreifen, war Lübeck bestimmt. Hier war eine große Umwandlung vor sich gegangen. Die zerrütteten Geldverhältnisse der Stadt und die Einführung der Reformation hatten den Umsturz der bisherigen Verfassung bewirkt; in den Vordergrund der ganzen Bewegung trat Jürgen Wullenwever (s. d. Art.). Sein Plan ging dahin, mit Benutzung der Schwäche Dänemarks sich zum Herrn des Sundes zu machen, um von dort aus der nordischen Welt seine Befehle zugehen zu lassen. Im Juni 1534 begannen die Feindseligkeiten gegen Dänemark unter dem Vorgeben, den König Christian zu befreien; bereits am 16. Juli ward Kopenhagen eingenommen und schon huldigte man dem gefangenen König. Inzwischen hatten sich aber die Verhältnisse in Lübeck sehr zum Nachteile Wullenwevers geändert. Der alte Rat erhielt wieder die Leitung der Stadtangelegenheiten und Wullenwevers Einfluss sank immer mehr. Am 11. Juni 1535 kam es zu einem Treffen bei dem Orenbirg, unweit Assens auf Fünen, wo Wullenwevers Anhänger vollständig geschlagen wurden. In Lübeck machte sich der Rückschlag dieser verlorenen Schlacht bald bemerkbar. Wullenwever musste abdanken; bald darauf im Gebiete des ihm feindlich gesinnten Erzbischofs von Bremen gefangen genommen, ward er am 24. September 1537 in Wolfenbüttel enthauptet. Bereits 1536 hatte der neue dänische König, Christian III., mit Lübeck Frieden geschlossen, welcher die Stadt verpflichtete, den Feinden des Königs keinen weiteren Vorschub zu leisten, wogegen ihre alten Handelsprivilegien ihnen gelassen werden sollten. Das war die letzte kriegerische Unternehmung der Hansa; von da ab schwindet ihr Ansehen zusehends. Dänemark beutet seinen Sundzoll aus, Schweden strebt mit glücklichem Erfolge nach Selbstständigkeit, und als die Städte 1603 mit dem Zaren Boris Godunow in Unterhandlung traten, um ihre alten Privilegien in Russland wieder zu erhalten, wollte der Großfürst von dem Bestehen einer Hanse nichts wissen. In England ging seit dem Tode Heinrichs VIII, für die Hanseaten ein Vorrecht nach dem andern verloren und bald machte sich nun auch in dem Handelsgebiete der Umschwung geltend, welcher durch die Entdeckung des Seeweges nach Ostindien und Amerika herbeigeführt wurde. Wohl rechnete man noch im Jahre 1603 mehr als fünfzig Städte zum Bunde, aber nur vierzehn derselben beteiligten sich mit Sitz und Stimme und mit Zahlung der Matricularbeiträge und höhnisch konnte damals bereits John Wheeler der altersschwachen Hanse nachsagen, „die meisten ihrer Zähne seien ausgefallen, die übrigen säßen nur noch lose.“ — Als im Jahre 1630 die Tagfahrt nach Lübeck zusammentrat, zeigte sich eine solche Teilnahmslosigkeit unter den Mitgliedern, dass die drei Städte Lübeck, Hamburg und Bremen sich genötigt sahen, ein eigenes Schutzbündnis unter sich einzugehen. Alle späteren Versuche, einen Bundestag nach alter Weise herzustellen, blieben erfolglos. Die letzte Versammlung einzelner Städte fand im Jahre 1669 statt. Seitdem hat Lübeck keine hanseatische Tagfahrt wieder in seinen Mauern gesehen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hansa - Hanse